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Arbeitsrecht
27.05.2020
Arbeitsrecht
BAG: Unmittelbare Benachteiligung iSd. AGG - zulässige unterschiedliche Behandlung iSv. § 8 Abs. 1 AGG - geschlechtsbezogenes Merkmal - Sportunterricht für Schülerinnen - männliche Sportlehrkraft

Das BAG hat mit Urteil vom 19.12.2019 – 8 AZR 2/19 – wie folgt entschieden:

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung nicht nur dann vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt oder erfahren hat, sondern auch dann, wenn eine andere Person in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfahren würde. Wie der Begriff „erfahren würde“ verdeutlicht, kann die Vergleichsperson auch eine fiktive bzw. hypothetische sein. Deshalb ist es nicht von Bedeutung, ob es für eine ausgeschriebene Stelle im Stellenbesetzungsverfahren auch andere Bewerbungen gab und ob die Stelle letztlich besetzt wurde (Rn. 28 f.).

2. Grundsätzlich kann eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts und dadurch bewirkte Diskriminierung nicht sachlich gerechtfertigt werden. Ausnahmen hiervon sind nur in den in bestimmten Rechtsvorschriften festgelegten Fällen unter den dort konkret beschriebenen Voraussetzungen möglich. Zu diesen Rechtsvorschriften gehört Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54/EG, der mit § 8 Abs. 1 AGG in das nationale Recht umgesetzt wurde (Rn. 36).

3. § 8 Abs. 1 AGG ist unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit den Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union - hier mit Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54/EG - unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eng auszulegen. Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - auch des Geschlechts - nur dann zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die - erforderliche - Anforderung angemessen ist (Rn. 37 f.).

4. Dabei kann in unionsrechtskonformer Auslegung des § 8 Abs. 1 AGG nicht der Grund iSv. § 1 AGG, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern nur ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen (Rn. 38).

5. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der in § 8 Abs. 1 AGG enthaltenen Voraussetzungen - die eine für den Arbeitgeber günstige Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Diskriminierung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes enthalten - trägt der Arbeitgeber. Ihm obliegt es, im Licht der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls darzutun, dass sich die geltend gemachte Anforderung tatsächlich als notwendig erweist (Rn. 41).

6. Ein mit einem Grund iSv. § 1 AGG im Zusammenhang stehendes Merkmal - oder sein Fehlen - ist nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG, wenn davon die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit abhängt (Rn. 39).

7. Der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union und iSv. § 8 Abs. 1 AGG bezieht sich auf eine Anforderung, die von der spezifischen Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den besonderen Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist. Dabei muss ein direkter, objektiv durch entsprechende Analysen belegter, hinreichend durchschaubarer und überprüfbarer Zusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit bestehen (Rn. 39).

8. Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ist zu beachten, dass die Entschädigung einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten muss. Bei der in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmten Grenze, wonach die Entschädigung bei einer Nichteinstellung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, was vom Arbeitgeber darzulegen und ggf. zu beweisen wäre, handelt es sich um eine „Kappungsgrenze“. Danach ist zunächst die Höhe einer angemessenen und der Höhe nach nicht begrenzten Entschädigung zu ermitteln und diese ist dann, wenn sie drei Monatsentgelte übersteigen sollte, zu kappen (Rn. 78).

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