BAG: Massenentlassung - Einbeziehung von Arbeitnehmer(inne)n in Elternzeit - Erweiterung des Entlassungsbegriffs durch verfassungskonforme Auslegung des § 17 KSchG
Das BAG hat mit Urteil vom 26.1.2017 – 6 AZR 442/16 – wie folgt entschieden:
1. Das Konsultationsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 MERL (§ 17 Abs. 2 KSchG) ist regelmäßig auf alle für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmer zu erstrecken. Das gilt grundsätzlich auch für Arbeitnehmer, deren Kündigung einer behördlichen Zustimmung bedarf. Geht Arbeitnehmern mit einem solchen Sonderkündigungsschutz nach der behördlichen Zustimmung eine Kündigung erst außerhalb des 30-Tage-Zeitraums des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu, können sie sich jedoch nach der unionsrechtlichen Ausgestaltung des Massenentlassungsschutzes auf Fehler im Konsultationsverfahren nicht berufen. Solche Arbeitnehmer bedürfen des Massenentlassungsschutzes nach der MERL nicht.
2. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Systematik der MERL in § 17 KSchG übernommen. Diese Konzeption ist jedoch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2016 (- 1 BvR 3634/13 -) mit Art. 3 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 iVm. Art. 6 GG nicht uneingeschränkt vereinbar. Das gebietet eine verfassungskonforme Auslegung des § 17 KSchG: Arbeitnehmer, deren Kündigung allein deshalb außerhalb des 30-Tage-Zeitraums erfolgt, weil zuvor ein anderes behördliches Verfahren, das keinen dem Massenentlassungsschutz gleichwertigen Schutz bietet, durchgeführt werden musste, sind so zu behandeln, wie Arbeitnehmer, für deren Kündigungen § 17 KSchG gilt. Darum gilt der 30-Tage-Zeitraum in solchen Fällen auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde innerhalb dieses Zeitraums erfolgt ist.
3. Diese Erweiterung des nationalrechtlichen Entlassungsbegriffs für bestimmte Personen mit Sonderkündigungsschutz gegenüber den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union ist noch von der Günstigkeitsklausel in Art. 5 MERL gedeckt.