BAG: Internationale Zuständigkeit - Anwendbares Recht - Wirksamkeit einer Kündigung nach italienischem Recht - Geltung des § 85 SGB IX bei Sachverhalten mit Auslandsbezug
Das BAG hat mit Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 720/14 – wie folgt entschieden:
1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten oder eines einem solchen gleichgestellten Menschen bedarf nur dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 85 SGB IX, wenn der betreffende Arbeitnehmer eine der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX (Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder Arbeitsplatz iSv. § 73 SGB IX im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes) erfüllt und das Arbeitsverhältnis deutschem Vertragsstatut unterfällt. Die Geltung deutschen Schuldrechts ist eine notwendige - wenn auch nicht hinreichende - Bedingung für die Anwendbarkeit der „privatrechtsgestaltenden“ Vorschrift des § 85 SGB IX.
2. Das Unterbleiben eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX oder eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX kann nur dann Folgen für die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung haben, wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist. An der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes in diesem Sinne fehlt es auch dann, wenn das gekündigte Arbeitsverhältnis nicht dem deutschen Vertragsstatut unterlag.
3. Für die Frage, ob „engere Verbindungen“ zu einem anderen Staat iSv. Art. 30 Abs. 2 Halbs. 2 EGBGB (aF) vorliegen, ist auf die „Gesamtheit der Umstände“ abzustellen. Dabei ist nicht allein die Anzahl der für eine Verbindung zu dem einen oder dem anderen Staat sprechenden Kriterien maßgebend. Vielmehr muss eine Gewichtung der Anknüpfungsmomente erfolgen. Ein wesentliches Kriterium ist dabei der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Steuern und Abgaben entrichtet und der Sozialversicherung angeschlossen ist.
SGB IX §§ 85, 2; BGB § 134; EGBGB (aF) Art. 27, Art. 30, Art. 32, Art. 34; EuGVVO (aF) Art. 24; SRÜ Art. 91, Art. 92; AGG § 7; ZPO § 293; Codice civile Art. 2110, Art. 1464