BAG: Grenzüberschreitende Insolvenz - internationale Zuständigkeit für Kündigungsschutzklagen gegen Kündigungen eines Insolvenzverwalters im Sinne der EuInsVO
Das BAG entschied in seinem Urteil vom 20.9.2012 - 6 AZR 253/11 - wie folgt: Art. 3 EuInsVO ordnet die internationale Zuständigkeit für Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen, den Gerichten des Staats der Verfahrenseröffnung zu. Zu derartigen Annexverfahren zählen Klagen gegen Kündigungen, die ein Insolvenzverwalter im Sinne der EuInsVO in Deutschland nach deutschem Recht erklärt hat, auch dann nicht, wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 125 InsO und mit der kurzen Frist des § 113 InsO erklärt worden sind. Bejaht ein Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem der Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Sinne der EuInsVO anhängig gemacht wird, seine Zuständigkeit und eröffnet ein Hauptinsolvenzverfahren, ist dies von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen, sofern kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet und die Anwendungsvoraussetzungen der ordre-public-Klausel des Art. 26 EuInsVO nicht erfüllt sind. Wird ein Hauptinsolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO eröffnet, gilt gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus). Davon macht jedoch Art. 10 EuInsVO eine Ausnahme. Danach ist für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats maßgeblich, das auf das Arbeitsrecht nach den Kollisionsregeln des internationalen Privatrechts anwendbar ist (lex causae). Der Begriff „ausschließlich“ in Art. 10 EuInsVO verdeutlicht nur, dass eine kumulative oder alternative Anknüpfung an die lex fori concursus nicht stattfindet, und stellt sicher, dass der arbeitsrechtliche und der insolvenzrechtliche Arbeitnehmerschutz demselben Recht unterliegen. Die Unanwendbarkeit des § 125 InsO auf einen Administrator nach englischem Recht, der nicht wie ein Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung einrückt, sondern lediglich für den Schuldner als Vertreter handelt, folgt daraus nicht. Vielmehr gebieten bei grenzüberschreitenden Insolvenzen, bei denen deutsches Arbeitsrecht aufgrund der Regelung in Art. 10 EuInsVO anwendbar ist und bei denen ein Verwalter iSv. Art. 2 Buchst. b EuInsVO mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste schließt, die Anerkennungswirkung des Art. 3 iVm. Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 EuInsVO sowie der die Anerkennungswirkung des Hauptinsolvenzverfahrens vervollständigende Art. 18 Abs. 1 EuInsVO die unionsrechtskonforme Auslegung des § 125 InsO. Handelt ein solcher Verwalter in der vom Insolvenzrecht des Staats der Verfahrenseröffnung vorgesehenen Weise für den Schuldner, ist er als Insolvenzverwalter iSd. § 125 InsO anzusehen. Daher kann ein Administrator nach englischem Recht mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich iSd. § 125 InsO für den von ihm vertretenen Schuldner schließen. Die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO erstreckt sich nicht nur auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten für den auf der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer zu unveränderten Bedingungen. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO umfasst vielmehr auch die Vermutung, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu veränderten Bedingungen im Beschäftigungsbetrieb nicht möglich ist. Darüber hinaus wird die Vermutungswirkung dieser Bestimmung jedenfalls dann auf das Fehlen von anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf einem freien Arbeitsplatz in anderen Betrieben des Unternehmens erstreckt, wenn sich die Betriebspartner bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben befasst haben. Davon ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Interessenausgleich regelmäßig auszugehen.