BAG: „Emmely“ – keine fristlose Kündigung bei Vertrauensvorrat
Das BAG entschied in seinem Urteil vom 10.6.2010 – 2 AZR 541/09 – wie folgt: Der Umstand, dass der Arbeitgeber eine Kündigung lediglich mit dem dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung begründet und im Prozess keinen Tatvorwurf als Kündigungsgrund „nachgeschoben“ hat, schließt es für die Gerichte grundsätzlich nicht aus, die Pflichtverletzung aufgrund entsprechender Tatsachen als nachgewiesen anzusehen. Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Eine außerordentliche Kündigung setzt voraus, dass es keine milderen Mittel gibt, um eine künftige Vertragsstörung zu vermeiden. Als mildere Reaktionen kommen insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung in Betracht. Es ist stets zu prüfen, ob schon sie geeignet sind, das Risiko künftiger Störungen zu vermeiden. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu ihnen gehört jedenfalls die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Hat das Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg ungestört bestanden, bedarf es einer genauen Prüfung, ob die dadurch verfestigte Vertrauensbeziehung der Vertragspartner durch eine erstmalige Enttäuschung des Vertrauens vollständig und unwiederbringlich zerstört werden konnte. Dabei ist ein objektiver Maßstab entscheidend. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Später eingetretene Umstände sind allenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie nicht außer Betracht bleiben können, ohne einen einheitlichen Lebenssachverhalt zu zerreißen. In diesem Rahmen kann auch das Prozessverhalten des Arbeitnehmers eine Rolle spielen, soweit es tatsächlich Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund erlaubt. Erschöpft sich das Verteidigungsvorbringen des Arbeitnehmers im Wesentlichen in einem – wenngleich ungeschickten – Bestreiten einer vorsätzlichen Pflichtverletzung, ist dies regelmäßig ungeeignet, den Kündigungsgrund zu „erhellen“. Vgl. dazu demnächst den BB-Komm. von Fandel/Kock. Das BAG selbst qualifiziert seine neue Rechtsprechung als Fortführung bzw. Weiterentwicklung der ständigen Senatsrechtsprechung z. B. vom 23.6.2009 – 2 AZR 474/07, BB 2010, 1856 m. Komm. Meinel.