BAG: Beitragspflichten nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbauerhandwerk vom 20. Januar 1994 idF vom 11. Juni 2002 (VTV-Gerüstbau) - betrieblicher Geltungsbereich des VTV-Gerüstbau
Das BAG hat mit Urteil vom 27.3.2019 – 10 AZR 211/18 – wie folgt entschieden:
1. Beitragsansprüche der Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes gegen einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, die sich sowohl aus dem VTV-Gerüstbau als auch aus § 15 Abs. 1 SokaSiG2 ergeben können, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst. Es handelt sich um zwei konkurrierende, strukturell nicht grundlegend verschieden ausgestaltete Anspruchsgrundlagen (Rn. 11 ff.).
2. Betriebe, die mobile Bühnen und Tribünen erstellen oder Material für den Bühnen- und Tribünenbau bereitstellen, fallen in den betrieblichen Anwendungsbereich des VTV-Gerüstbau. Mobile Bühnen und Tribünen sind Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik nach § 1 Abs. 2 Abschn. I Buchst. a Satz 4 VTV-Gerüstbau (Rn. 16 ff.).
3. § 15 Abs. 1 SokaSiG2 ist nach Auffassung des Senats mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Die Norm sichert den Fortbestand des Sozialkassensystems im Gerüstbaugewerbe, ohne die koalitionsspezifischen Verhaltensweisen der Tarifvertragsparteien oder den materiellen Inhalt der tariflichen Regelungen zu berühren. Die Wahl einer anderen als der in § 5 TVG geregelten Rechtsform für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf sog. Außenseiter ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Der durch die gesetzliche Geltungserstreckung des VTV-Gerüstbau erzeugte mittelbare Druck, um der größeren Einflussmöglichkeit willen einer der tarifvertragsschließenden Parteien beizutreten, ist jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde (Rn. 34 ff.).
4. § 15 Abs. 1 SokaSiG verletzt aus Sicht des Senats nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden. Bis zu den Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 (- 10 ABR 33/15 - BAGE 156, 213; - 10 ABR 48/15 - BAGE 156, 289) und 25. Januar 2017 (- 10 ABR 34/15 -; - 10 ABR 43/15 -) bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV-Gerüstbau. Auch nach den Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 konnten nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber nicht darauf vertrauen, dass auch die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV-Gerüstbau in einem Verfahren nach § 98 ArbGG für unwirksam erklärt werden würde (Rn. 48 ff.).