BAG: Beitragspflichten zur Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft – Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 16. Mai 2017 (SokaSiG) – Verzugszinsen auf Beiträge zu den Sozialkassen
Das BAG hat mit Urteil vom 28.8.2019 – 10 AZR 549/18 – wie folgt entschieden:
1. Der Tatsachenvortrag einer Partei, der kein Geständnis auf eine Behauptung der darlegungsbelasteten Partei darstellt, kann im Weg der freien Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO auch dann berücksichtigt werden, wenn sich der Vortrag nachteilig für die sich äußernde Partei auswirkt (Rn. 20).
2. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber geraten mit der Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft auch dann in Verzug, wenn die Geltungsanordnung der maßgeblichen Verfahrenstarifverträge rückwirkend durch eine Allgemeinverbindlicherklärung oder das SokaSiG angeordnet wird. Die zu § 184 BGB vertretene Auffassung, dass Verzug des Schuldners mangels klagbaren Anspruchs bis zum Zugang der Genehmigungserklärung ausscheidet, ist weder auf die Konstellation einer rückwirkenden Allgemeinverbindlicherklärung noch auf die einer unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärung, deren Wirkung durch ein Gesetz wiederhergestellt wird, übertragbar (Rn. 30 ff., 80).
3. Der Verzug des Arbeitgebers mit der Zahlung von Sozialkassenbeiträgen ist auch dann schuldhaft iSv. § 286 Abs. 4 BGB, wenn eine Allgemeinverbindlicherklärung rückwirkend in Kraft tritt und die Bekanntmachung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 DVO TVG einen entsprechenden Hinweis enthält. Gleiches gilt, wenn die maßgebliche Allgemeinverbindlicherklärung für unwirksam erklärt wurde. Die Voraussetzungen für einen entschuldigenden, das Verschulden ausschließenden Rechtsirrtum sind in beiden Fällen nicht gegeben. Im Fall der Rückwirkung muss aufgrund des Hinweises in der Bekanntmachung mit einer Rückbeziehung gerechnet werden. Im Fall einer für unwirksam erklärten Allgemeinverbindlicherklärung steht einem Rechtsirrtum grundsätzlich die Rechtmäßigkeitsvermutung zugunsten von Allgemeinverbindlicherklärungen entgegen (Rn. 37 ff., 81 ff.).
4. Die Tarifvertragsparteien können eine Vereinbarung über die Verzugsverzinsung treffen. Die gesetzlichen Regelungen des Verzugszinses nach § 288 Abs. 1 und Abs. 2 BGB stehen einem höheren tarifvertraglichen Zinssatz nicht entgegen (Rn. 41).
5. Der tarifliche Zinssatz in Höhe von 1 % der Beitragsforderung für jeden angefangenen Monat des Verzugs verletzt weder Grundrechte noch § 138 BGB. Die monatsweise Staffelung ist als typisierende Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Höhe der Zinsen verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die tarifliche Regelung ist insbesondere erforderlich, weil nicht eindeutig ersichtlich ist, dass einem niedrigeren Zinssatz die gleiche Wirksamkeit zukäme wie dem gewählten (Rn. 42 ff.).
6. § 7 SokaSiG ist aus Sicht des Senats mit dem Grundgesetz, vor allem mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Die Geltungserstreckung von Tarifverträgen ist nicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG beschränkt. Da der Gesetzgeber dazu befugt ist, die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern, ist es ihm unbenommen, sich für eine andere Rechtsform zu entscheiden (Rn. 84 ff.).