BAG: Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung - unterlassene Mitteilung eines Anschriftswechsels - unterlassene Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse
Das BAG hat mit Beschluss vom 18.8.2016 – 8 AZB 16/16 – wie folgt entschieden:
1. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, dass die Partei dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, sondern dass auch im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei in Form der Absicht oder groben Nachlässigkeit erforderlich ist. Die Partei muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und auch den Anschriftswechsel absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben.
2. Kommt die Partei ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht nach, soll sie nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ihren Anspruch auf Prozesskostenhilfe regelmäßig verlieren. Ein solcher Rechtsverlust setzt nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB allerdings ein schuldhaft unredliches Verhalten der Partei, mithin eine grobe Pflichtverletzung, also grobes Verschulden voraus.
3. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz untersagen es weder, der Partei, die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, noch an ein schuldhaftes unredliches Verhalten der Partei die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe zu knüpfen. Mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF wird der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ein qualifiziertes Verschulden der Partei (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) voraussetzt und dass aufgrund der Ausgestaltung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF als „Soll-Vorschrift“ trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung in atypisch gelagerten Einzelfällen Ausnahmen von der „Regelaufhebung“ möglich bleiben.
4. Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit. Grob nachlässig handelt nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Es muss sich auch in subjektiver Hinsicht um ein unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt.