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Wirtschaftsrecht
18.01.2024
Wirtschaftsrecht
BGH: Zur Zulässigkeit eines Aufhebungsantrags nach § 1059 Abs. 3 ZPO

BGH, Beschluss vom 26.10.2023 – I ZB 14/23

ECLI:DE:BGH:2023:261023BIZB14.23.0

Volltext: BB-Online BBL2024-129-3

unter www.betriebs-berater.de

 

Amtliche Leitsätze

a) Die Zulässigkeit eines Aufhebungsantrags nach § 1059 Abs. 3 ZPO setzt eine Beschwer des Antragstellers voraus.

b) Die Beschwer der durch einen Schiedsspruch verurteilten Partei entfällt durch eine vorbehaltlose Zahlung des zuerkannten Betrags an die andere Partei nach dem im Schiedsverfahren für die Berücksichtigung von Tatsachen maß- geblichen Endzeitpunkt und vor Stellung eines Aufhebungsantrags. Ob eine Zahlung als vorbehaltlos anzusehen ist und die im Schiedsspruch zuerkannte Forderung daher erfüllt, richtet sich nach den für die andere Partei erkennbaren Umständen des Einzelfalls.

c) Die Prüfung des Oberlandesgerichts im Aufhebungsverfahren, ob durch Erfüllung der im Schiedsspruch zuerkannten Forderung eine materielle Erledigung in diesem Streitverhältnis eingetreten ist, darf nicht in eine zwischen den Parteien bestehende Schiedsbindung eingreifen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 6. Juni 2013 – I ZB 56/12, NJW-RR 2013, 1336 [juris Rn. 12 f. und 19 f.] [BB 2013, 2323, Ls.]).

§ 1059 Abs 3 ZPO

 

Aus den Gründen

1          A. Die Antragsgegnerin ist eine zur Errichtung und zum Betrieb eines Offshore-Windparks gegründete Projektgesellschaft. Die auf die Antragsgegnerin verschmolzene     AS (nachfolgend einheitlich bezeichnet als Antragsgegnerin) ist eine norwegische Gesellschaft, die auf die Herstellung von Stahlgerüstkonstruktionen für den maritimen Einsatz spezialisiert ist. Die Parteien schlossen einen Vertrag vom 16. Juni 2010 über die Beschaffung von Fundamenten für Windenergieanlagen und deren Transport für den Offshore-Windpark      . Die Antragsgegnerin nahm die Antragstellerin in einem bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) geführten Schiedsverfahren in Anspruch. Die Antragstellerin erhob in diesem Rahmen Widerklage gegen die Antragsgegnerin. Nach Saldierung der Antragsgegnerin zuerkannter Klageansprüche von 44.984.599,95 € und der Antragstellerin zuerkannter Widerklageansprüche von 832.650,73 € verurteilte das Schiedsgericht die Antragstellerin zur Zahlung von 44.151.949,22 € nebst Zinsen an die Antragsgegnerin. Die Antragstellerin empfing den Schiedsspruch am 2. März 2021.

 

2          In einer E-Mail vom 8. März 2021 um 18:21 Uhr teilte der Justiziar der Antragstellerin dem Justiziar der Antragsgegnerin mit:

We are still reviewing the award but started to work on the payment in parallel. Maybe we can even transfer by the end of the week, but a lot of alignment is required as you can imagine. …

 

3          Der Justiziar der Antragsgegnerin antwortete dem Justiziar der Antragstellerin mit E-Mail vom 10. März 2021 um 11:15 Uhr:

Thank you for this, we are also in the process of conducting our review of the award. …

 

4          Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin im Schiedsverfahren schrieb dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Schiedsverfahren am 10. März 2021 um 16:08 Uhr:

With reference to the Final Award in the arbitral proceedings DIS       , my client intends to pay the awarded amount to your client immediately.

For this purpose, a bank account number is needed. Accordingly, we would be very grateful if you could provide us with a binding account number for your client immediately, by the Friday the latest.

 

5          Am 12. März 2021 wandte sich der Justiziar der Antragstellerin mit folgender Nachricht an den Justiziar der Antragsgegnerin:

We received the bank details from Baker law firm a few minutes ago. May I kindly ask you to provide me with the bank details as a reply to this email as well? You may wonder about this double request. It's to be on the safe side that we receive the correct bank account for such high sum to be transferred.

We still miss the confirmation that we calculated the interest correctly. We should be aligned here in order to avoid misunderstandings about the correct final sum.

Since we would like to avoid further interest we intend to pay today, however, this needs to be done by 12 pm to complete the transfer on your account today.

 

6          Am 15. März 2021 zahlte die Antragstellerin einen Betrag von 67.201.525,55 € auf die Hauptforderung zuzüglich Zinsen an die Antragsgegnerin.

 

7          Der Justiziar der Antragsgegnerin schrieb dem Justiziar der Antragstellerin am 15. März 2021 um 16:58 Uhr:

Thank you for your email earlier this afternoon confirming that payment had been sent.

Pls find a reciprocal statement from     AS, confirming that payment instruction of our sum has been sent to the bank (apologies for delayed submission of this, I was in an external meeting from noon until now).

Thanks for good cooperation to land this within the agreed timeline.

You mentioned that you were going to arrange some further internal meetings this week? Would it be a good idea to touch base maybe Friday or beginning of next week to see where we stand?

8          Am 2. Juni 2021 hat die Antragstellerin beim Oberlandesgericht die teilweise Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt. Das Oberlandesgericht hat gesondert über die Zulässigkeit des Aufhebungsantrags entschieden. Es hat den Aufhebungsantrag insoweit als unzulässig zurückgewiesen, als die Antragstellerin im Schiedsspruch zur Zahlung von 44.151.949,22 € verurteilt worden ist, und ihn insoweit für zulässig erklärt, als die Widerklageansprüche der Antragstellerin im Schiedsspruch abgewiesen worden sind.

 

9          Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin mit dem Ziel der Aufhebung des Schiedsspruchs auch hinsichtlich der Zahlungsverpflichtung in Höhe von 44.151.949,22 €. Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

 

10        B. Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen angenommen, ein Aufhebungsantrag nach § 1059 ZPO setze eine materielle Beschwer des Antragstellers voraus. Es handele sich um einen rechtsmittelähnlichen Rechtsbehelf mit vergleichbaren Wirkungen. Das ergebe sich insbesondere daraus, dass im Aufhebungsverfahren eine auf die gesetzlich vorgesehenen Bereiche beschränkte Überprüfung des Schiedsspruchs durch ein Gericht stattfinde, die zur Aufhebung des Schiedsspruchs führen könne. Die Antragstellerin sei zunächst durch die Verurteilung zur Zahlung von 44.151.949,22 € materiell beschwert gewesen.

 

11        Diese materielle Beschwer sei jedoch durch die ohne Vollstreckungsdruck erfolgte freiwillige und vorbehaltlose Überweisung des Betrags durch die Antragstellerin am 15. März 2021 weggefallen. Anders liege es zwar grundsätzlich, wenn ein Schuldner lediglich unter Vorbehalt oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahle. Zahlungen, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Urteil geleistet würden, stünden grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass die bestehende Schuld rechtskräftig festgestellt werde, und ließen die Schuldtilgung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Schwebe. Bei Schiedssprüchen bestehe aber kein vergleichbarer Vollstreckungsdruck wie bei einem vorläufig vollstreckbaren Urteil. Dieser habe zwar die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils, sei aber nicht per se und unmittelbar vollstreckbar. Die Antragstellerin habe sich auch nicht in einer Drucksituation befunden. Weder habe die Antragsgegnerin sie zur Zahlung aufgefordert noch habe sie die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs beantragt. Vielmehr habe die Antragstellerin von sich aus auf eine möglichst zeitnahe Zahlung gedrungen. Ohne Erfolg mache die Antragstellerin geltend, sie habe allein wegen der Zinslast gezahlt, aber der Antragsgegnerin gleichzeilig deutlich gemacht, dass sie den Schiedsspruch weiter überprüfen werde und sich die Stellung eines Aufhebungsantrags vorbehalte. Insbesondere aus der Kommunikation der Parteien im Zeitraum vom 8. bis 15. März 2021 sei dies für die Antragsgegnerin nicht erkennbar gewesen.

 

12        C. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1 ZPO statthaft und auch ansonsten zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

 

13        I. Das Oberlandesgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit eines Aufhebungsantrags nach § 1059 Abs. 3 ZPO eine Beschwer des Antragstellers voraussetzt.

 

14        1. Beim Erfordernis der Beschwer handelt es sich um eine besondere Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses für das Rechtsbehelfsverfahren (vgl. MünchKomm.ZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., Vorbemerkung zu § 511 Rn. 14 und 89; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 25 Rn. 11). Es entspricht der weit überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Zulässigkeit eines Aufhebungsantrags nach § 1059 Abs. 3 ZPO eine Beschwer des Antragstellers voraussetzt (vgl. RG, Urteil vom 29. Oktober 1940 - VII 44/40, RGZ 165, 140, 142; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1. Juni 2018 - 10 Sch 12/13, juris Rn. 57; MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1059 Rn. 66; BeckOK.ZPO/Wilske/Markert, 50. Edition [Stand 1. September 2023], § 1059 Rn. 17; Geimer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 1059 Rn. 3; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 1059 Rn. 5; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 1059 Rn. 77; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 1059 Rn. 4; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Rn. 2367 f.; Schwab/Walter aaO Kap. 25 Rn. 11; ähnlich Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 7. Aufl., § 16 Rn. 44). Nicht überzeugend ist die hiergegen angeführte Überlegung, die Aufhebung einer fehlerhaften Entscheidung könne auch im Interesse der in vollem Umfang obsiegenden Partei liegen, die einen - insbesondere wegen von Amts wegen zu berücksichtigender Gründe nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - aufhebbaren, möglicherweise auch in grundrechtlich geschützte Positionen der anderen Partei eingreifenden Schiedsspruch nicht gelten lassen wolle (vgl. Voit in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 1059 Rn. 32; das Erfordernis einer Beschwer, nicht aber eines Rechtsschutzbedürfnisses ohne nähere Begründung verneinend Saenger in Saenger, ZPO, 10. Aufl., § 1059 Rn. 36; Nordmeier in Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl., § 1059 Rn. 4). Ein solcher fremdnütziger Rechtsbehelf entspricht weder den Grundsätzen der Zivilprozessordnung noch besteht für ihn ein praktisches Bedürfnis. Im genannten Fall kann die im Schiedsverfahren obsiegende Partei regelmäßig gegenüber der durch den Schiedsspruch verurteilten Partei auf ihre Rechte aus dem Schiedsspruch verzichten oder sich anderweitig mit ihr verständigen (vgl. Lachmann aaO Rn. 2368).

 

15        2. Die (materielle) Beschwer der durch einen Schiedsspruch verurteilten Partei folgt aus dem Umstand, dass dieser Schiedsspruch unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils hat (§ 1055 ZPO), und daher bereits aus dessen Existenz (vgl. MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1059 Rn. 2). Dem steht nicht entgegen, dass ein Schiedsspruch nicht aus sich heraus vollstreckbar ist, sondern für vollstreckbar erklärt werden muss (§ 1060 ZPO). Auch die Beschwer der durch ein staatliches Gericht verurteilten Partei hängt nicht von der (gegebenenfalls vorläufigen) Vollstreckbarkeit des Urteils ab und entfällt nicht per se durch eine Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil.

 

16        II. Im Ausgangspunkt ebenfalls zutreffend ist die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts, dass die Beschwer der durch einen Schiedsspruch verurteilten Partei durch eine vorbehaltlose Zahlung des zuerkannten Betrags an die andere Partei nach dem im Schiedsverfahren für die Berücksichtigung von Tatsachen maßgeblichen Endzeitpunkt und vor Stellung eines Aufhebungsantrags entfällt. Ob eine Zahlung als vorbehaltlos anzusehen ist und die im Schiedsspruch zuerkannte Forderung daher erfüllt, richtet sich nach den für die andere Partei erkennbaren Umständen des Einzelfalls.

 

17        1. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die Beschwer einer zur Zahlung verurteilten Partei entfällt, wenn sie nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und vor Einlegung eines Rechtsmittels den Urteilsbetrag vorbehaltlos zahlt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 1976 - III ZB 4/76, WM 1976, 1069 [juris Rn. 15 f.]; Urteil vom 16. November 1993 - X ZR 7/92, NJW 1994, 942 [juris Rn. 12]; Beschluss vom 13. Januar 2000 - VII ZB 16/99, NJW 2000, 1120 [juris Rn. 6]; Beschluss vom 7. Dezember 2010 - VI ZB 87/09, NJW-RR 2011, 488 [juris Rn. 9]; BAG, NJW 2012, 3327 [juris Rn. 12]). In diesem Fall kommt es zu einer materiellen Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen, so dass ein rechtsschutzwürdiges Interesse der verurteilten Partei an der Beseitigung des Urteilsausspruchs nicht mehr besteht (vgl. BGH, NJW 2000, 1120 [juris Rn. 6]; NJW-RR 2011, 488 [juris Rn. 9]; BAG, NJW 2012, 3327 [juris Rn. 12]). Bei einer Zahlung unter Vorbehalt entfällt die Beschwer der verurteilten Partei hingegen nicht. Ob das eine oder andere anzunehmen ist, richtet sich nach den dem Zahlungsempfänger erkennbaren Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH, NJW 1994, 942 [juris Rn. 12]; BGH, Urteil vom 29. Januar 2016 - V ZR 97/15, NJW-RR 2016, 714 [juris Rn. 8]).

 

18        Eine Zahlung, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erbracht wird, steht unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts, sofern der Schuldner nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (vgl. BGH, WM 1976, 1069 [juris Rn. 15 f.]; BGH, Urteil vom 6. Mai 1981 - IVa ZR 170/80, BGHZ 80, 269 [juris Rn. 19]; Urteil vom 15. März 2012 - IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717 [juris Rn. 7]; Urteil vom 14. März 2014 - V ZR 115/13, NJW 2014, 2199 [juris Rn. 8] mwN; Urteil vom 19. November 2014 - VIII ZR 191/13, BGHZ 203, 256 [juris Rn. 19]; Urteil vom 27. Januar 2022 - I ZR 7/21, GRUR 2022, 658 [juris Rn. 17] = WRP 2022, 597). Der Gläubiger muss bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft grundsätzlich davon ausgehen, dass der Schuldner das vorläufig vollstreckbare Urteil nicht als abschließende Regelung des Streitverhältnisses hinnehmen will, sondern lediglich zahlt, um eine Vollstreckung des Titels auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2008 - X ZR 39/08, WuM 2009, 57 [juris Rn. 5]). Zudem kann der Schuldner, gegen den ein vorläufig vollstreckbares Urteil ergangen ist, sich auch ohne Androhung einer Zwangsvollstreckung veranlasst sehen, den ausgeurteilten Betrag nebst Zinsen zu begleichen, um zum Beispiel ein weiteres Auflaufen von Zinsen zu verhindern (vgl. BGH, NJW 1994, 942 [juris Rn. 13]; GRUR 2022, 658 [juris Rn. 17]). Ohne entsprechende Bestimmung ist wegen des verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der prozessualen Meistbegünstigung nicht anzunehmen, dass der Zahlung auf ein vorläufig vollstreckbares Urteil eine streitbeendende und die Beschwer ausschließende Bedeutung zukommt (vgl. BGH, NJW 1994, 942 [juris Rn. 14]; NJW-RR 2016, 714 [juris Rn. 8]). Wegen der einschneidenden Rechtsfolgen ist Zurückhaltung bei der Annahme eines Rechtsmittelverzichts geboten, zumal wenn dieser mangels ausdrücklicher Erklärung nur konkludent ausgedrückt sein könnte (vgl. BGH, NJW 1994, 942 [juris Rn. 14] mwN).

 

19        2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde können diese Maßstäbe unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Schiedsverfahrensrechts auf Zahlungen auf einen Schiedsspruch übertragen werden, die die verurteilte Partei zwischen dem für die Berücksichtigung von Tatsachen im Schiedsverfahren maßgeblichen Endzeitpunkt und der Stellung eines Aufhebungsantrags gegen den Schiedsspruch an die obsiegende Partei leistet.

 

20        a) Dem steht nicht entgegen, dass das Aufhebungsverfahren kein Rechtsmittel im engeren Sinne gegen den Schiedsspruch darstellt, sondern der Schiedsspruch den Rechtsstreit bereits endgültig beendet (§ 1055 ZPO), und sich der Streitgegenstand des Schiedsverfahrens daher nicht im Aufhebungsverfahren fortsetzt, sondern in diesem der Schiedsspruch (allein) auf das Vorliegen der gesetzlich geregelten Aufhebungsgründe (§ 1059 Abs. 2 ZPO), nicht aber umfassend zu überprüfen ist (vgl. hierzu MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1059 Rn. 77 und 84; Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1059 Rn. 3 und 55). Ebenso wie Rechtsmittel gegen ein staatliches Urteil zur Beseitigung dieses Urteils führen können, kann das Aufhebungsverfahren zur Beseitigung des Schiedsspruchs führen. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob die vorbehaltlose Zahlung der durch den Schiedsspruch verurteilten Partei sich als materielle Erledigung eines innerhalb des Instanzenzugs gleichbleibenden Streitgegenstands darstellt. Maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob die Partei mit der vorbehaltlosen Zahlung zum Ausdruck bringt, den Schiedsspruch als endgültig akzeptieren zu wollen, und daher kein rechtsschutzwürdiges Interesse mehr an dessen späterer Beseitigung hat. Diese Erwägung, mit der letztlich widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium, § 242 BGB) sanktioniert werden soll, gilt auch für das rechtsmittelähnliche Aufhebungsverfahren.

 

21        b) Mit den Wiederaufnahmeverfahren gegen rechtskräftige Endurteile staatlicher Gerichte nach §§ 578 ff. ZPO ist das Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO bereits deswegen nicht vergleichbar, weil die Nichtigkeitsklage des § 579 ZPO auf eng umgrenzte Fälle der fehlerhaften Besetzung der Richterbank oder unzureichenden Vertretung der Parteien bezogen ist und die Restitutionsklage des § 580 ZPO nur auf Gründe gestützt werden kann, die in früheren Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (§ 582 ZPO).

 

22        c) Erfolglos führt die Rechtsbeschwerde an, dass nicht die endgültige Erfüllung der titulierten Forderung, sondern erst die Aufhebung im Verfahren nach § 1059 ZPO den Schiedsspruch beseitigt und die Rückforderung des Gezahlten ermöglicht. Bringt die durch den Schiedsspruch verurteilte Partei durch die vorbehaltlose Zahlung zum Ausdruck, diesen hinzunehmen, umfasst das auch die (konkludente) Erklärung, das Gezahlte nicht mehr zurückfordern zu wollen.

 

23        d) Ebenfalls vergeblich beruft sich die Rechtsbeschwerde auf Einzelfallentscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen er trotz vorbehaltloser Zahlung angenommen hat, ein rechtsschutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Beseitigung des gegen sie ergangenen Urteils im Rechtsmittelverfahren sei nicht auszuschließen.

 

24        aa) Diesen Entscheidungen lagen Zahlungen anderer, mit den jeweiligen Beklagten als Gesamtschuldner verurteilter Parteien zugrunde, deren Schuldnereigenschaft die Beklagte in den Vorinstanzen jeweils bestritten hatte (vgl. BGH, NJW 2000, 1120 [juris Rn. 7 f.]; NJW-RR 2011, 488 [juris Rn. 10]). Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor. Insbesondere hat die Antragstellerin selbst die Zahlung an die Antragsgegnerin geleistet.

 

25        bb) Das darüber hinaus von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Interesse, den Schiedsspruch überprüfen zu lassen und das Gezahlte gegebenenfalls zurückzufordern, reicht - wie ausgeführt - für die Annahme eines rechtsschutzwürdigen Interesses dann nicht aus, wenn die Zahlung vorbehaltlos erfolgt ist. Dann kann die Vorbehaltlosigkeit der Zahlung nicht mehr nachträglich widerrufen oder anderweitig in Abrede gestellt werden. Ob es sich um eine vorbehaltlose Zahlung handelt, ist - soweit die Entscheidungskompetenz des staatlichen Gerichts reicht (vgl. hierzu C III) - Gegenstand der Prüfung im Aufhebungsverfahren.

 

26        e) Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (vom 11. April 2011 - 4A 604/2010, www.bger.ch; zustimmend Schlosser in Stein/Jonas aaO § 1059 Rn. 5), auf das sich die Rechtsbeschwerde beruft, steht mit dieser Auffassung nicht im Widerspruch, weil das Bundesgericht eine fortdauernde Beschwer trotz Begleichung der im Schiedsspruch zuerkannten Forderung lediglich wegen besonderer Umstände bejaht hat.

 

27        3. Die Beschwer der durch einen Schiedsspruch verurteilten Partei entfällt danach durch eine vorbehaltlose Zahlung des der obsiegenden Partei zuerkannten Betrags nach dem im Schiedsverfahren für die Berücksichtigung von Tatsachen maßgeblichen Zeitpunkt und vor Stellung eines Aufhebungsantrags. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde richtet es sich nach den für die andere Partei erkennbaren Umständen des Einzelfalls, ob ein Vorbehalt (gegebenenfalls konkludent) erklärt worden ist. Das Oberlandesgericht hat dies im Aufhebungsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Es gilt der Beibringungsgrundsatz; im Zweifel ist zu Gunsten des Antragstellers im Aufhebungsverfahren von einer fortbestehenden Beschwer auszugehen.

 

28        a) Die Zahlung der im Schiedsverfahren unterlegenen Partei auf den Schiedsspruch steht nicht einer Zahlung auf ein vorläufig vollstreckbares Urteil gleich, bei der - mangels anderweitiger Bestimmung - im Regelfall von einer Zahlung unter Vorbehalt auszugehen ist. Ein Schiedsspruch hat unter den Parteien zwar die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055 ZPO) und kann nur aus den beschränkten Gründen des § 1059 Abs. 2 ZPO aufgehoben werden. Der Aufhebungsantrag ist fristgebunden (§ 1059 Abs. 3 ZPO), allerdings ist der Eintritt der Wirkung des Schiedsspruchs nicht an den Ablauf dieser Frist geknüpft und können die von Amts wegen zu berücksichtigenden Aufhebungsgründe auch nach Fristablauf einem Antrag auf Vollstreckbarerklärung noch entgegengehalten werden (§ 1060 Abs. 2 Satz 2, § 1059 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2023 - I ZB 87/22, juris Rn. 3 mwN). Ein Schiedsspruch ist jedoch nicht aus sich heraus vollstreckbar, sondern bedarf der Vollstreckbarerklärung, so dass eine Zahlung auf einen noch nicht für vollstreckbar erklärten Schiedsspruch nicht der Abwendung der Zwangsvollstreckung dienen kann.

 

29        b) Eine solche Zahlung kann - wie im Streitfall geltend gemacht - allerdings beispielsweise der Vermeidung des Auflaufens weiterer Zinsen dienen. Ebenso kann es der im Schiedsverfahren unterlegenen Partei, die noch keine Klarheit über die Stellung eines Aufhebungsantrags gewonnen hat, darum gehen, die mit der Einleitung eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens verbundenen Kosten zu vermeiden. Insoweit bedarf es einer Auslegung des Zahlungszwecks anhand der dem Zahlungsempfänger erkennbaren Umständen des Einzelfalls. Das Bestehen einer Beschwer ist vom Oberlandesgericht als Teil der Zulässigkeit des Aufhebungsantrags von Amts wegen zu prüfen, wobei die Parteien hierzu vorzutragen haben (vgl. BGH, WM 1976, 1069 [juris Rn. 20]). Im Zweifel ist zu Gunsten des Antragstellers im Aufhebungsverfahren wegen des Grundsatzes der prozessualen Meistbegünstigung (vgl. Rn. 18) von dessen fortbestehender Beschwer auszugehen.

 

30        III. Mit Recht, aber im Ergebnis ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass das Oberlandesgericht bei der Prüfung, ob durch Erfüllung der im Schiedsspruch zuerkannten Forderung eine materielle Erledigung in diesem Streitverhältnis eingetreten ist, nicht in eine zwischen den Parteien bestehende Schiedsbindung eingreifen darf.

 

31        1. Für das Vollstreckbarerklärungsverfahren ist anerkannt, dass dem Schiedsspruch auch materiell-rechtliche Einwendungen entgegengehalten werden können, die nach dem Schiedsverfahren entstanden sind, insbesondere die Erfüllung der im Schiedsspruch zuerkannten Forderung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2013 - I ZB 56/12, NJW-RR 2013, 1336 [juris Rn. 12 f.]) oder die Aufrechnung mit einer anderen Forderung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2007 - III ZB 95/06, SchiedsVZ 2008, 40 [juris Rn. 31 f.]; Beschluss vom 30. September 2010 - III ZB 57/10, SchiedsVZ 2010, 330 [juris Rn. 8] mwN; Beschluss vom 18. Dezember 2013 - III ZB 92/12, SchiedsVZ 2014, 31 [juris Rn. 5]; Beschluss vom 31. März 2016 - I ZB 76/15, SchiedsVZ 2016, 343 [juris Rn. 20]; Beschluss vom 6. Mai 2021 - I ZB 71/20, juris Rn. 10). Das staatliche Gericht hat jedoch zwischen den Parteien bestehende Schiedsbindungen zu beachten, soweit die Schiedseinrede erhoben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - III ZR 320/06, NJW-RR 2008, 556 [juris Rn. 10] mwN; BGH, SchiedsVZ 2010, 330 [juris Rn. 12]; NJW-RR 2013, 1336 [juris Rn. 19 f.]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2021 - I ZB 78/20, WM 2021, 894 [juris Rn. 15] mwN; Beschluss vom 6. Mai 2021 - I ZB 71/20, juris Rn. 11). Greift danach eine Schiedsbindung ein, muss zur Geltendmachung der materiell-rechtlichen Einwendung eine Vollstreckungsabwehrklage vor dem Schiedsgericht erhoben werden (vgl. BGH, SchiedsVZ 2010, 330 [juris Rn. 10]; SchiedsVZ 2014, 31 [juris Rn. 10]; BGH, Beschluss vom 6. Mai 2021 - I ZB 71/20, juris Rn. 14; OLG München, SchiedsVZ 2012, 342 [juris Rn. 20 und 23 f.]; MünchKomm.ZPO/Münch aaO § 1060 Rn. 47; teilweise kritisch Voit in Musielak/Voit aaO § 1029 Rn. 23 und § 1060 Rn. 13).

 

32        2. Diese Grundsätze sind insoweit auf das hier vorliegende Aufhebungsverfahren zu übertragen, als die Feststellung der Erfüllung der im Schiedsspruch zuerkannten Forderung, die Grundlage für die Annahme einer materiellen Erledigung in diesem Streitverhältnis und den daraus folgenden Entfall des schutzwürdigen Rechtsschutzinteresses für einen Aufhebungsantrag ist, nicht in eine zwischen den Parteien bestehende Schiedsbindung eingreifen darf. Daran ändert nichts, dass das Rechtsschutzbedürfnis eine von Amts wegen für jedes Verfahren gesondert zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt und die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses wegen vorbehaltloser Erfüllung der Forderung nicht zu einer in Rechtskraft erwachsenden Entscheidung über die Erfüllung führt. Gleichwohl handelt es sich nicht von vornherein um eine rein prozessuale Frage, die in die Entscheidungskompetenz des mit dem Aufhebungsverfahren befassten staatlichen Gerichts fällt. Stellt die im Schiedsverfahren siegreiche Partei einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs und erhebt die im Schiedsverfahren unterlegene Partei die Einwendung nachträglicher Erfüllung der im Schiedsspruch zuerkannten Forderung und stellt zusätzlich einen Aufhebungsantrag, kann die Erfüllung nicht im Vollstreckbarerklärungsverfahren unbeachtlich bleiben, aber bei der Prüfung des Aufhebungsantrags vor demselben staatlichen Gericht beachtet werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Prüfung der Erfüllung sowohl mit Blick auf die Bestimmung des Geschuldeten (wie etwa bei Auskunftsverpflichtungen, vgl. BGH, NJW-RR 2013, 1336 [juris Rn. 19 f.]) als auch mit Blick auf die Qualifikation einer möglichen Erfüllungshandlung (wie etwa im Streitfall) eine Tatsachenfeststellung und eine eingehende rechtliche Prüfung erfordern kann, die bei Schiedsbindung und erhobener Schiedseinrede dem Schiedsgericht obliegt.

 

33        3. Das Oberlandesgericht hat sich mit diesen Fragen nicht auseinandergesetzt. Es hat insbesondere nicht geprüft, ob die von der Antragsgegnerin geltend gemachte vorbehaltlose Erfüllung der ihr im Schiedsspruch zuerkannten Forderung von der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien erfasst ist. Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, weil sich aus den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht ergibt, dass die Antragstellerin die Schiedsbindung im Aufhebungsverfahren geltend gemacht hätte, und die Rechtsbeschwerde dies auch nicht behauptet.

 

34        4. Die vom Senat bislang offengelassene Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Schiedseinrede hätte erhoben werden müssen (vgl. BGH, WM 2021, 894 [juris Rn. 14 bis 30]), bedarf daher auch im Streitfall keiner Entscheidung. Da das Oberlandesgericht im Aufhebungsverfahren eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat und die Schiedseinrede jedenfalls bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung erhoben werden muss (vgl. BGH, WM 2021, 894 [juris Rn. 25]), kann dies im wiedereröffneten (vgl. Rn. 55) Aufhebungsverfahren nicht nachgeholt werden.

 

35        IV. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist die Beurteilung des Oberlandesgerichts, die materielle Beschwer der Antragstellerin aus dem Schiedsspruch sei durch die vorbehaltlose Überweisung der der Antragsgegnerin zuerkannten Forderung am 15. März 2021 entfallen, so dass der Aufhebungsantrag unzulässig sei.

 

36        1. Das Oberlandesgericht hat angenommen, aus dem Zahlungsbeleg ergebe sich lediglich, dass die Antragstellerin auf die Hauptforderung nebst Zinsen gezahlt habe; im Zusammenhang mit der E-Mail-Korrespondenz der Parteien vom 8. bis 15. März 2021 habe die Antragsgegnerin die bedingungslose und freiwillige Überweisung als freiwillige und endgültige Erfüllung verstehen dürfen.

 

37        Die E-Mail des Justiziars der Antragstellerin vom 8. März 2021 sei zwar aus Sicht der Antragsgegnerin als Erklärungsempfängerin so zu verstehen gewesen, dass die Überprüfung des Schiedsspruchs und Entscheidung über die Einleitung eines Aufhebungsverfahren noch andauere, weil eine interne Abstimmung mit mehreren Personen nötig sei. Dieses Verständnis werde durch die E-Mail des Justiziars der Antragsgegnerin vom 10. März 2021 um 11:15 Uhr bestätigt, in dem sie mitgeteilt habe, dass sie auch gerade dabei sei, den Schiedsspruch zu prüfen.

 

38        Bei der anschließenden E-Mail des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 10. März 2021 um 16:08 Uhr, in der dieser dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin mitgeteilt habe, den zugesprochenen Betrag unverzüglich an die Antragsgegnerin zu zahlen, und um Mitteilung einer verbindlichen Kontonummer bis Freitag (12. März 2021) gebeten habe, wäre die Erklärung eines Vorbehalts oder eine Äußerung, dass die Antragstellerin den Schiedsspruch weiterhin überprüfe und gegebenenfalls noch dessen Aufhebung beantragen werde, aus Sicht der beteiligten juristisch und kaufmännisch geschulten Verkehrskreise zu erwarten gewesen. Diese E-Mail sowie die E-Mail des Justiziars der Antragstellerin vom 12. März 2021 um 10:13 Uhr ohne entsprechende Erklärung oder Äußerung habe die Antragsgegnerin so zu verstehen gehabt, dass die angekündigten Abstimmungen abgeschlossen gewesen seien und die Antragstellerin den im Schiedsspruch ausgeurteilten Betrag nunmehr aus freien Stücken und endgültig bezahlen und akzeptieren wolle. Es heiße dort lediglich, "da" die Antragstellerin Zinsen vermeiden wolle, wolle sie die Zahlung noch am selben Tag vornehmen; dies müsse jedoch bis 12:00 Uhr geschehen, damit der überwiesene Betrag noch am selben Tag auf dem Konto der Antragsgegnerin eingehen könne.

 

39        Die Antragstellerin verkenne mit ihrer Argumentation, dass es sprachlich einen Unterschied mache, ob man mitteile, man wolle möglichst schnell zahlen, um Zinsen zu vermeiden, oder ob man mitteile, man wolle Zinsen vermeiden und zahle deshalb. Im Übrigen komme es auf das Argument, die Zahlung sei nur erfolgt, um generell Zinsen zu sparen, nicht entscheidend an, denn die Antragsgegnerin hätte eine Zahlung unter einem solchen Vorbehalt ablehnen können und sei dahingehend in einer E-Mail ihrer Prozessbevollmächtigten vom 9. März 2021 an ihren Justiziar beraten worden. Dieses Verständnis der Antragsgegnerin könne indiziell mitberücksichtigt werden. Sie hätte eine Zahlung unter Vorbehalt auch tatsächlich zurückgewiesen.

 

40        Entgegen der Auffassung der Antragstellerin habe es der Antragsgegnerin nicht klar sein müssen, dass die Überprüfung eines umfangreichen Schiedsspruchs - hier 250 Seiten - längere Zeit in Anspruch nehme und diese zum Zeitpunkt der Überweisung - hier nach 13 Tagen - noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Einen solchen Erfahrungssatz gebe es nicht. In der E-Mail vom 8. März 2021 habe die Antragstellerin eine zeitliche Dimension bis zum Ende der Woche bis zu einer möglichen Zahlung genannt. Wenn ihr Justiziar am Ende der Woche, nämlich am 12. März 2021, auf die Sache zurückkomme, sei das aus Sicht der Antragsgegnerin so zu verstehen gewesen, dass die internen Abstimmungen der Antragstellerin abgeschlossen seien und sie sich zur Bezahlung der Forderung entschlossen habe. Andernfalls wäre eine Klarstellung zu erwarten gewesen. Es erschließe sich auch nicht, warum eine Prüfung des Schiedsspruchs durch den Justiziar und die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, die das Schiedsverfahren durchgehend begleitet hätten, nicht machbar gewesen wäre.

 

41        Die E-Mail des Justiziars der Antragsgegnerin vom 15. März 2021 führe ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Sie sei erst nach der Überweisung verfasst worden und könne daher für das Verständnis der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Überweisung nicht herangezogen werden. Zudem bestätige sie die Lesart der Antragstellerin nicht. Im Zusammenhang mit dem geäußerten Dank für die gute Zusammenarbeit könne die Frage, was der Justiziar der Antragstellerin von einem Telefonat halte, um zu klären, wo sie stünden, auch auf eine mögliche geschäftliche Zusammenarbeit bei anderen Projekten bezogen gewesen sein.

 

42        Im Übrigen habe die Antragstellerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung trotz Hinweis des Senats nicht substantiiert zu Gesprächen der Justiziare beider Parteien über ein mögliches Aufhebungsverfahren vorgetragen. Der mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 18. Januar 2023 unter Beweis gestellte Sachvortrag zu einzelnen Telefonaten sei nicht zu berücksichtigen. Für eine im Ermessen des Senats stehende Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestehe kein Anlass. Der Antragstellervertreter habe in der mündlichen Verhandlung weder ergänzend vorgetragen noch einen Schriftsatznachlass beantragt.

 

43        2. Die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Vorbehalt erklärt worden ist, ist anhand der für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Regeln der §§ 133, 157 BGB zu beantworten (vgl. MünchKomm.BGB/Fetzer, 9. Aufl., § 362 Rn. 8 mwN). Demnach ist die Würdigung des Tatsachenstoffs dem Oberlandesgericht als Tatgericht vorbehalten und vom Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich nur auf Verfahrensfehler oder Verstöße gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze überprüfbar. Ein Verstoß gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze kann auch dann gegeben sein, wenn das Tatgericht nicht alle für die Auslegung wesentlichen Umstände berücksichtigt. Es muss seine Erwägungen in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2022 - I ZB 15/22, WM 2023, 1300 [juris Rn. 14]; zur Auslegung einer Schiedsvereinbarung vgl. zudem BGH, Beschluss vom 9. März 2023 - I ZB 33/22, BGHZ 236, 277 [juris Rn. 76]). Bei der Auslegung sind in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Weiter gilt das Gebot der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung und der Berücksichtigung des durch die Parteien beabsichtigten Zwecks des Rechtsgeschäfts. Das nachträgliche Verhalten der Parteien kann zwar den objektiven Inhalt des Rechtsgeschäfts nicht mehr beeinflussen, hat aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten (vgl. BGH, WM 2023, 1300 [juris Rn. 14]).

 

44        3. Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Oberlandesgericht habe den rechtlichen Maßstab zwar zutreffend wiedergegeben, sich aber dann mit der tragenden Begründung darüber hinweggesetzt, aus Sicht der Beteiligten wäre die Erklärung eines Vorbehalts oder eine Äußerung zur fortdauernden Überprüfung des Schiedsspruchs durch die Antragstellerin zu erwarten gewesen. Somit begründe das Oberlandesgericht seine Entscheidung mit der Erwägung, dass keine Anhaltspunkte gegen einen Nicht-Verzicht zutage getreten seien, und gehe auch unzutreffend davon aus, die Antragstellerin trage hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Es habe zudem den Grundsatz der prozessualen Meistbegünstigung außer Acht gelassen, nach dem im Zweifel von der Zulässigkeit des Aufhebungsantrags auszugehen sei.

 

45        Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht seine Beurteilung, die Erklärung eines Vorbehalts oder eine Äußerung zur fortdauernden Überprüfung des Schiedsspruchs durch die Antragstellerin wäre zu erwarten gewesen, aus dem durch die E-Mail der Antragstellerin vom 8. März 2021 geprägten Empfängerhorizont der Antragsgegnerin hergeleitet. Dies kommt nicht einer Verschiebung des rechtlichen Maßstabs gleich. Das Oberlandesgericht hat auch keine Beweislast- oder Zweifelsentscheidung getroffen.

 

46        4. Das vom Oberlandesgericht ermittelte Verständnis der E-Mail des Justiziars der Antragstellerin vom 8. März 2021 hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedoch nicht stand. Soweit das Oberlandesgericht im Ergebnis angenommen hat, diese E-Mail habe nach dem objektiven Empfängerhorizont eine zeitliche Verknüpfung zwischen der Überprüfung des Schiedsspruchs durch die Antragstellerin und der bis zum Ende der laufenden Woche in Aussicht gestellten, von umfangreichen Abstimmungen abhängigen Zahlung geschaffen, entbehrt dies einer nachvollziehbaren Begründung. Das Oberlandesgericht hat sich insbesondere nicht eingehend mit dem Wortlaut der E-Mail befasst, von dem die Auslegung jedoch hätte ausgehen müssen. Danach haben die Überprüfung des Schiedsspruchs und die Vorbereitung der Zahlung parallel ("in parallel") stattgefunden; dies legt nahe, dass die beiden Vorgänge voneinander unabhängig gewesen sind und die Nennung der Zeitangabe ("by the end of the week") im folgenden Satz sich von vornherein allein auf den zweiten Punkt, also die Zahlung, bezogen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei einer vom Wortlaut der E-Mail vom 8. März 2021 ausgehenden Auslegung unter Einbeziehung der nachfolgenden E-Mails und der weiteren relevanten Umstände insgesamt zu einem anderen Auslegungsergebnis gekommen wäre.

 

47        5. Es kann somit offenbleiben, ob das Oberlandesgericht nach seinem im Termin erteilten Hinweis, die Antragstellerin habe nicht ausreichend zu Gesprächen der Justiziare der Parteien über die Durchführung eines Aufhebungsverfahrens vorgetragen, die mündliche Verhandlung schließen durfte oder - wie die Rechtsbeschwerde meint - der Antragstellerin eine schriftliche Stellungnahme dazu hätte ermöglichen und jedenfalls die mündliche Verhandlung auf ihren nicht nachgelassenen Schriftsatz hätte wiedereröffnen müssen.

 

48        a) Hinweise hat das Gericht gemäß § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Erteilt das Gericht den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, so muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Ist offensichtlich, dass sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht, wenn es nicht ins schriftliche Verfahren übergeht, die mündliche Verhandlung auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2023 - I ZR 206/22, WRP 2023, 1467 [juris Rn. 12] mwN).

 

49        Unterbleibt dies verfahrensfehlerhaft, ist das Gericht nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, sich mit einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, in dem die betroffene Partei auf den Hinweis reagiert, inhaltlich zu befassen und dessen Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Eine solche Prüfung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil es die Partei versäumt hat, im Termin einen Schriftsatznachlass zu beantragen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, WM 2006, 2328 [juris Rn. 2 bis 4]; Beschluss vom 4. Juli 2013 - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 [juris Rn. 13]; Beschluss vom 21. Januar 2020 - VI ZR 346/18, NJW-RR 2020, 574 [juris Rn. 10]).

 

50        Zu den zentralen Streitpunkten des Verfahrens muss eine Partei allerdings grundsätzlich von sich aus vollständig vortragen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - III ZR 234/21, VersR 2023, 451 [juris Rn. 35]). Dies gilt selbst dann, wenn eine Partei bereits in erster Instanz obsiegt hat; das Berufungsgericht hat regelmäßig keinen Anlass zu der Annahme, trotz in der Berufung zentral geführter Auseinandersetzung über einen Streitpunkt bestehe noch Aufklärungsbedarf und müsse der Partei Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt gegeben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - IX ZR 305/14, ZInsO 2016, 2393 [juris Rn. 7]).

 

51        b) Einerseits hat es einen der zentralen Streitpunkte des Aufhebungsverfahrens dargestellt, ob die Antragstellerin bei ihrer Zahlung einen Vorbehalt erklärt hat. Die Antragstellerin hätte daher im Grundsatz von sich aus substantiiert zu Gesprächen der Justiziare der Parteien hierüber in der Woche vom 8. bis 12. März 2021 vortragen müssen. Ihr vor dem Schriftsatz vom 18. Januar 2023 gehaltener Vortrag, der Umstand, dass beide Seiten länger damit befasst gewesen seien, den Schiedsspruch auf Aufhebungsgründe zu prüfen, sei auch Gegenstand eines Telefonats der beiden Justiziare in diesem Zeitraum gewesen, lässt den genauen Zeitpunkt und den konkreten Inhalt des Telefonats offen.

 

52        Andererseits konnte die Antragstellerin allein aufgrund des Vorbringens der Antragsgegnerin noch nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht der E-Mail der Antragstellerin vom 8. März 2021 eine zeitliche Verknüpfung zwischen der Überprüfung des Schiedsspruchs und der internen Abstimmung einer Zahlung bis zum Ende der Woche entnehmen und es daher aus seiner Sicht auf die spätere Erneuerung eines solchen Vorbehalts in Gesprächen oder Korrespondenz ankommen würde. Zudem hatte die Antragsgegnerin den äußeren Umstand, dass die Justiziare der Parteien telefonierten, nicht bestritten, sondern selbst erklärt, diese hätten telefonisch kommuniziert und seien in einem regelmäßigen, mitunter täglichen Austausch gestanden.

 

53        c) Da der Beschluss des Oberlandesgerichts der rechtlichen Nachprüfung bereits aus anderen Gründen nicht standhält, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Oberlandesgericht trotz des im Termin erteilten Hinweises die mündliche Verhandlung schließen durfte oder von Amts wegen eine Stellungnahme zu dem Hinweis hätte ermöglichen und jedenfalls die mündliche Verhandlung auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 18. Januar 2023 hätte wiedereröffnen müssen.

 

54        6. Von einer weitergehenden Begründung der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde wird abgesehen. Der Senat hat die weiteren von der Antragstellerin erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet (§ 577 Abs. 6 Satz 2, § 564 Satz 1 ZPO).

 

55        D. Danach ist der Beschluss des Oberlandesgerichts gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO steht dem Senat nicht offen, weil das Oberlandesgericht die tatgerichtliche Würdigung, ob die Antragstellerin unter Vorbehalt gezahlt hat, neu vorzunehmen hat.

 

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