R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
17.09.2015
Wirtschaftsrecht
BKartA: Wiedererlangung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit nach Kartellabsprache

BKartA, Beschluss vom 12.6.2015 – VK 2-31/15

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2015-2321-1

unter www.betriebs-berater.de

Leitsätze

1. Die europäischen Vorgaben des Art. 57 Abs. 4 S. 1 lit. d) der seit 17.April 2014 in Kraft befindlichen RL 2014/24/EG sehen den Ausschluss solcher Wirtschaftsteilnehmer vom Vergabewettbewerb vor, bei denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie wettbewerbsverzerrende Abreden mit anderen Wirtschaftsteilnehmern getroffen haben.

2. Der betroffene Wirtschaftsteilnehmer hat nach Art. 57 Abs. 6 RL 2014/24/EU die Möglichkeit, den Nachweis von Maßnahmen zu erbringen, die trotz des Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit belegen. Befindet der Auftraggeber die Maßnahmen für ausreichend, so unterbleibt ein Ausschluss. Als Maßnahmen kommen in Betracht: Schadenswiedergutmachung, Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen.

3. Das Maßnahmenbündel muss insgesamt geeignet sein, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden.

§ RL 2014/24/EG Art. 57 Abs. 4 und 6

Aus den Gründen

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

1. Die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist gegeben.

a) Die Zuständigkeit der Vergabekammer ist nach § 104 Abs. 1 GWB eröffnet, da die Ausschreibung einen öffentlichen Auftrag betrifft, der dem Bund zuzurechnen ist. Bei der Ag handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB (vgl. ausführlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom […]). Der Nachprüfungsantrag ist auch nach § 100 Abs. 1 GWB statthaft, da die einschlägigen Schwellenwerte überschritten werden.

b) Die ASt ist antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB). Sie hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe ihres Teilnahmeantrags dokumentiert. Würde ihr nicht die Zuverlässigkeit bzw. die Gesetzestreue abgesprochen, so hätte die ASt durchaus Chancen, zur Abgabe eines Angebots im Verhandlungsverfahrens aufgefordert zu werden. Die Möglichkeit eines Schadens ist damit gegeben.

c) Die ASt hat ihren Rügeobliegenheiten genügt (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB). Kenntnis von dem Ausschluss ihres Teilnahmeantrags erlangte die ASt durch das Informationsschreiben der Ag vom 26. Februar 2015. Hiergegen wandte die ASt sich mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 9. März 2015, und damit „unverzüglich“ im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.

Die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist gewahrt. Auf die Mitteilung der Ag vom 20. März 2015, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, stellte die ASt den Nachprüfungsantrag mit einem am 1. April 2015 per Fax bei der Vergabekammer eingegangenen Schriftsatz.

2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Einschätzung der Ag, wonach der ASt im Ergebnis die Eignung abzusprechen ist, wurde in einem korrekten Verfahren gewonnen und überschreitet den der Ag für die Eignungsprüfung zustehenden Beurteilungsspielraum nicht. In Bezug auf die ASt liegt eine schwerwiegende Verfehlung vor. Die Einschätzung der Ag, dass diese nicht durch ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen kompensiert wurde, ist nicht zu beanstanden.

a) Die europäischen Vorgaben des Art. 57 Abs. 4 S. 1 lit. d) der seit 17. April 2014 in Kraft befindlichen RL 2014/24/EG sehen den Ausschluss solcher Wirtschaftsteilnehmer vom Vergabewettbewerb vor, bei denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie wettbewerbsverzerrende Abreden mit anderen Wirtschaftsteilnehmern getroffen haben; nach Art. 57 Abs. 4 S. 1 lit. c) RL 2014/24/EG gilt dasselbe bei einer im Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangenen schweren Verfehlung, welche die Integrität des Wirtschaftsteilnehmers in Frage stellt. Der im nationalen Vergaberecht normierte und gebräuchliche Begriff der „Zuverlässigkeit“, vgl. hier § 6 EG Abs. 3 Nr. 1 VOB/A sowie § 97 Abs. 4 S. 1 GWB, darf und muss anhand dieser europäischen Vorgaben ausgefüllt werden (grundlegend zum Primat des europäischen Richtlinienrechts bei der Konkretisierung von Eignungsvorgaben im nationalen Recht OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Januar 2014 – VII-Verg 28/13 – ILO-Kernarbeitsnormen –, und vom 25. Juni 2014 – VII-Verg 47/13 – De-Mail-; vgl. auch Art. 57 Abs. 6 Art. 57 Abs. 4 S. 1 lit. c) RL 2014/24/EG, der ebenfalls den Begriff der Zuverlässigkeit verwendet).

aa) Basis für eine korrekte Eignungsprüfung ist die Zugrundelegung eines korrekten Sachverhalts. Die ist hier der Fall.

(1) Die Ag zieht den zutreffenden Sachverhalt heran. Sie legt richtigerweise den Sachverhalt zugrunde, der sich aus dem Teilnahmeantrag der ASt und den dort von ihr selbst gemachten Angaben ergibt.

Die ASt hat in ihrem Teilnahmeantrag unter Rubrik I.6. des Teilnahmeformulars die Fragen nach der Beteiligung an den wettbewerbswidrigen Absprachen in den […] sämtlich mit „ja“ beantwortet. Konsequent hat die ASt die Checkliste ausgefüllt und dem Teilnahmeantrag beigelegt. Der Inhalt der Darlegung bezieht sich in der Sache regelmäßig auf die [...] und deren Beteiligung an den Absprachen; an verschiedenen Stellen werden persönlich betroffene Personen benannt, darunter die Herren […], Herr [...]. Die Einlassung der ASt in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer, Herr [...] sei nicht an den Kartellabsprachen beteiligt gewesen, die Ag gehe mithin von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, indem sie die persönliche Betroffenheit beider Geschäftsführer unterstelle, wohingegen tatsächlich nur ein Geschäftsführer beteiligt gewesen sei, trägt vor dem Hintergrund der eigenen Angaben der ASt in der Checkliste nicht.

Der beigefügte Handelsregisterauszug weist Herrn [...] als Geschäftsführer der ASt aus. Das Unternehmensschaubild (Anlage 7 zum Teilnahmeantrag) zeigt, dass die [...] alleinige Gesellschafterin der ASt ist, deren Gesellschafter sind danach wiederum die Herren […]. Diesen Sachverhalt legt die Ag zutreffend zugrunde.

In diesem Zusammenhang ist vielmehr die zusätzliche Frage aufzuwerfen, ob die ASt die in der Bekanntmachung aufgestellte Eignungsvoraussetzung „Darstellung der Unternehmensstruktur sowie der gesellschaftsrechtlichen und personellen Verflechtungen und Beteiligungen des Unternehmens“ auch tatsächlich vollständig bedient hat, denn ihr Schaubild weist nicht aus, inwieweit die [...], die nach den Einlassungen der ASt zwar inaktiv sein soll, formaljuristisch aber nach wie vor vorhanden, mit der ASt verflochten ist. Ob die Herren […] als Gesellschafter der [...], die wiederum einzige Gesellschafterin der ASt ist, auch an der [...] beteiligt sind, ergibt sich nicht aus dem Schaubild, die [...] findet dort keine Erwähnung. Sollte eine Beteiligung von […] an der [...] bestehen, so hätte dies im Schaubild deutlich gemacht werden müssen, ein Unterlassen wäre wohl jedenfalls als unvollständige Angabe, die Darstellung der gesamten Unternehmensstruktur einschließlich Verflechtungen – und hiernach war ja gefragt – möglicherweise und weitergehend auch als inhaltlich unrichtige Angabe durch Unterlassen zu werten. Die Ag hat hier aber offensichtlich keine weitere Aufklärung betrieben; auch im vorliegenden Verfahren ist es nicht erforderlich, von Amts wegen weitere Recherchen durchzuführen, da es hier letztendlich nicht entscheidungserheblich darauf ankommt.

(2) Die nach Ablauf der Teilnahmefrist eingetretene Sachverhaltsfortentwicklung, nämlich die Abberufung der beiden Geschäftsführer der ASt mit Wirkung zum 20. April 2015, hat die Ag, ebenfalls korrekt, im Rahmen der Eignungsprüfung nicht mehr für ihre Entscheidungsfindung herangezogen:

Ablauf der Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge war der […]. Bei der Setzung einer Frist für den Eingang von Teilnahmeanträgen handelt es sich um eine zulässige Frist, deren Mindestdauer zwischen Bekanntmachung und Eingang der Teilnahmeanträge von 30 Tagen (vgl. Art. 29 Abs. 1, 4. UA RL 2014/24/EU) vorliegend eingehalten wurde. Eine Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge ist auch in der Sache notwendig, um einen Zeitpunkt festzulegen, zu dem der Auftraggeber die Eignungsprüfung durchführen kann.

Schon allein aus diesen verfahrenstechnischen Gesichtspunkten für den Ablauf des Vergabeverfahrens ist ein Nachschieben neuer Eignungsaspekte durch einen Bewerber nicht möglich. Der vorliegende Fall macht dies sehr deutlich, da die Abberufung der Geschäftsführer zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu welchem die Eignungsprüfung bereits vollständig abgeschlossen und den Teilnehmern gegenüber deren Ergebnis kommuniziert worden war.

Darüber hinaus und in der Sache noch bedeutsamer ist aber der Aspekt der Gleichbehandlung. Neue Sachverhalte, die ein Teilnehmer nach dem Ablauf der Frist für den Teilnahmeantrag schafft, um seine Eignung und damit seine Chancen im Wettbewerb nachzubessern, dürfen insbesondere aus Gründen der Gleichbehandlung mit den anderen Auftragsinteressenten nicht mehr berücksichtigt werden. Es würde auf eine gleichheitswidrige Bevorzugung dieses Unternehmens hinauslaufen, wenn man auftraggeberseitig einem Teilnehmer die Möglichkeit einräumte, z.B. nach Erhalt der Information über eine abschlägige Eignungsprüfung den vom Auftraggeber benannten Grund für die Ablehnung zu beseitigen und seine Eignung noch nachträglich herzustellen. § 16 EG Abs. 2 Nr. 2 VOB/A macht deutlich, dass es in Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb auch einen Vertrauensschutz zugunsten der anderen Teilnehmer gibt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt des aus der Bestimmung resultierenden Vertrauensschutzes Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Januar 2014 – X ZB 15/13). So liegen die Dinge hier; die ASt hat nicht einmal nach Erhalt des Informationsschreibens der Ag über die Verneinung der Eignung vom 26. Februar 2015 – was allerdings ebenfalls zu spät gewesen wäre – reagiert, sondern erst im April 2015.

Auch wenn man davon absieht, dass der Aspekt des Erfordernisses personeller Konsequenzen ohnehin im Allgemeinwissen von kartellbeteiligten Unternehmen liegen dürfte, wenn Organe persönlich betroffen sind, so ist die ASt ihrerseits nicht im Sinne eines Vertrauenstatbestands schutzwürdig. Die Ag hatte den Bewerbern eine umfangreiche Checkliste an die Hand gegeben, wo personelle Konsequenzen im Zusammenhang mit den Selbstreinigungsmaßnahmen ausdrücklich nachgefragt werden; die Ag erläuterte hier auch näher, welche Angaben zu machen sind. Die ASt hatte somit spätestens anhand der Checkliste umfassende Transparenz dahin, dass die Ag je nach Einzelfall personelle Maßnahmen als wichtig und erforderlich ansieht. […], durch die Ag die aus deren Sicht gegebene Notwendigkeit personeller Konsequenzen bilateral der ASt gegenüber unmissverständlich deutlich gemacht worden. Der Vergabevermerk, dessen Kenntnis über die Akteneinsicht im vorliegenden Nachprüfungsverfahren von der ASt nunmehr als ursächlich für die Abberufung der kartellbeteiligten Geschäftsführer angeführt wird, war keine neue, erstmalige Erkenntnisquelle, sondern dokumentiert nur die Umsetzung der mit der Checkliste bereits avisierten Grundsätze. Im Übrigen ergab sich bereits aus den Kontakten in 2014, dass die Beibehaltung der Geschäftsführer der maßgebliche Grund für die Verneinung der Eignung war. Die ASt hätte somit jede Möglichkeit gehabt, noch vor Ablauf der Teilnahmefrist am […] die von der Ag für erforderlich gehaltenen personellen Maßnahmen zu ergreifen; die Ag hatte diesbezüglich – ungeachtet der Frage, ob dies rechtlich überhaupt geschuldet war – umfassend Vorabtransparenz hergestellt. Der Vergabevermerk enthält keine zusätzlichen oder neuen Informationen, die über die der ASt bereits bekannten Umstände hinausgingen. Dass die ASt ihre Chance nicht rechtzeitig genutzt hat, ist somit allein ihr selbst anzulasten. Es würde die Bg, die bei Bejahung der Eignung der ASt nach derzeitigem Stand der Bewertung der Teilnahmeanträge verdrängt würde, grob in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung verletzen, wenn die Ag hier die Abberufung der Geschäftsführer im April 2015 nachträglich in die Eignungsprüfung mit einbezöge. Die Ag hat richtig gehandelt, indem sie auf den bis zum […] vorliegenden Sachverhalt abgestellt hat.

(3) Soweit die ASt meint, die Ag habe zu Unrecht außer Acht gelassen, dass die Ag bzw. der für diese handelnde Herr […] die Kartellanten, darunter die […] zum Kartell angestiftet habe, geht sie fehl. Ihren Vortrag als richtig unterstellt, dass Herr […] u.a. wegen Anstiftung zum Kartell vor dem Landgericht […] angeklagt werden soll, so ist dies ein Sachverhalt, der im Rahmen des Kartellverfahrens relevant hätte sein können, nämlich in dem Sinne, dass die Geldbuße für die Kartellanten aufgrund eines niedrigeren Unwerturteils möglicherweise in einer geringeren Höhe hätte bemessen werden können. Der Aspekt wäre somit vorgreiflich für das Kartellverfahren gewesen. Im Kartellverfahren […], das ja bereits abgeschlossen ist, hat dieser Sachverhalt jedoch nach Einlassung der ASt in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer keine Rolle gespielt; warum die angebliche Anstiftung seitens der Kartellanten nicht als entlastendes Moment ins Kartellverfahren eingebracht worden war, konnte die ASt nicht erklären. Dieser Umstand geht, was die vorliegende Eignungsprüfung anbelangt, jedenfalls auf in den kartellrechtlichen Settlement-Beschlüssen. Die Ag hat durch Nichtberücksichtigung dieses Aspekts den Blickwinkel auf den relevanten Sachverhalt nicht zu eng gezogen, mit anderen Worten: In der Nichtberücksichtigung der vermeintlichen Anstiftung liegt keine Verfälschung der relevanten Sachverhaltsbasis für die Eignungsprüfung. Im Übrigen und ohne eine Aussage über ein Alternativszenario zu treffen ist darauf hinzuweisen, dass es trotz Anstiftung dabei bleibt: Der Angestiftete begeht die Haupttat.

bb) Der Sachverhalt begründet in doppelter Hinsicht eine schwere Verfehlung zu Lasten der ASt im Sinne der einschlägigen Vorschriften. Es liegt eine von der ASt selbst begangene eigene Verfehlung vor; daneben muss sie sich das Fehlverhalten der Kartellbeteiligten als deren Rechtsnachfolgerin zurechnen lassen, wovon ausweislich ihres Teilnahmeantrags auch sie selbst ausgeht.

(1) Die ASt verwendet im vorliegenden Nachprüfungsverfahren das rein formaljuristische Argument, sie selbst als juristische Person sei nicht an den fraglichen Kartellabsprachen beteiligt gewesen. Dies ist zwar formal richtig. Die handelnden Personen haben sich nicht in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der ASt an der Kartellabsprache beteiligt, sondern haben für andere Unternehmen gehandelt. Selbst wenn man aber die formaljuristische Argumentation der ASt übernimmt und eine völlige Trennung der betroffenen Gesellschaften der Unternehmensgruppe unterstellt, so hätte die ASt handeln müssen, nachdem der kartellrechtliche Vorwurf gegen ihre Geschäftsführer bekannt geworden und durch deren geständige Einlassungen erwiesen und verifiziert war. Es ist zu bedenken, dass die kartellbeteiligten Gesellschaften auf exakt demselben Markt tätig sind wie die ASt. Ebenfalls ist zu bedenken, dass die persönlich handelnden Kartellanten bei der ASt nicht in untergeordneter Funktion tätig waren, sondern als Geschäftsführer und damit als deren vertretungsberechtigte Organe. Reagiert ein Unternehmen in personeller Hinsicht überhaupt nicht auf ein schwerwiegendes Fehlverhalten seiner vertretungsberechtigten Organe, sondern belässt die Geschäftsführer ohne jede personelle Konsequenz in ihrer Funktion, so liegt in diesem Unterlassen ein eigenständiges und schwerwiegendes Fehlverhalten des Unternehmens, hier der ASt, das seine Integrität in Frage stellt. Der Tatbestand von Art. 57 Abs. 4 S. 1 lit. c) RL 2014/24/EG ist erfüllt.

(2) Vom gesamten Sachverhalt her sehr viel näher liegend als die unter (1) zugunsten der ASt unterstellte Annahme, die ASt sei eine von den kartellbeteiligten Unternehmen und von den persönlich Beteiligten vollkommen losgelöste Gesellschaft ist aber der Aspekt, dass die ASt tatsächlich eine Einheit mit den übrigen Unternehmen der […] darstellt. Ferner ist die ASt daneben auch Teilrechtsnachfolgerin der kartellbeteiligten [...]. Ihre Einlassungen (Checkliste S. 2, unter I.1., 1. Absatz) sind dahin zu verstehen, dass sie die Geschäftsanteile an der […]. Und zwar mit denselben Geschäftsführern wie die [...], denn eine weitgehende Identität zwischen der [...] und der ASt besteht auch auf der Ebene der Geschäftsführung. Herr […] zugleich Geschäftsführer der ASt. [...]. Die enge Verbundenheit bis hin zu einer Identität im materiellen Sinne wird auch im Internetauftritt deutlich, wo […]. Der Vortrag der ASt im Nachprüfungsverfahren deckt sich hiermit, denn auch die ASt gehtselbst davon aus, Rechtsnachfolgerin der [...] zu sein (vgl. z.B. den einleitenden Schriftsatz zum Nachprüfungsantrag vom 1. April 2015, S. 38, letzter Absatz), wobei der Vortrag in sich nicht ganz widerspruchsfrei ist, denn die ASt trägt an anderer Stelle vor, die [...] sei inaktiv, also anscheinend noch vorhanden. Dies wirft wiederum die bereits angesprochene Frage nach der Vollständigkeit des Unternehmensschaubildes in Anlage 7 zum Teilnahmeantrag auf. Jedenfalls trägt die formale Argumentation der ASt, sie selbst als juristische Person sei nicht am Kartell beteiligt gewesen, vor diesem Hintergrund nicht. Sie muss sich damit die schwere Verfehlung der [...] zurechnen lassen. Dass die [...] am Kartell beteiligt war, ist unstreitig und wird belegt durch die Einlassungen der ASt in der Checkliste. Dass es sich bei der Kartellabsprache zu Lasten der Ag um eine schwere Verfehlung im Sinne von Art. 57 Abs. 5 lit. c) RL 2014/24/EU handelt, bedarf ebenso wenig einer vertieften Begründung; ausreichend ist an dieser Stelle der Hinweis auf lit. d) derselben Vorschrift, wonach bereits dann ein Ausschlusstatbestand vorliegt, wenn „hinreichend plausible Anhaltspunkte“ für eine Kartellabsprache bestehen. Vorliegend gibt es nicht nur Anhaltspunkte, die Absprache ist vielmehr erwiesen und durch geständige Einlassungen von allen Beteiligten bewiesen.

b) Allerdings ist es zu kurz gegriffen, bei der Feststellung stehen zu bleiben, dass die ASt eine schwere Verfehlung zum Nachteil der Ag begangen hat. Der betroffene Wirtschaftsteilnehmer hat nach Art. 57 Abs. 6 RL 2014/24/EU die Möglichkeit, den Nachweis von Maßnahmen zu erbringen, die trotz des Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit belegen. Befindet der Auftraggeber die Maßnahmen für ausreichend, so unterbleibt ein Ausschluss. Welche Maßnahmen hier in Betracht kommen, wird in Unterabsatz 2 konkretisiert, nämlich zusammenfassend: Schadenswiedergutmachung, Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen. Das Maßnahmebündel muss insgesamt geeignet sein, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden.

aa) Im Rahmen der im Vergabevermerk vom 24. Februar 2015 dargelegten Eignungsprüfung wird das Beurteilungsermessen der Ag nicht überschritten. Es ist festzustellen, dass die ASt in der Checkliste zu den personellen Selbstreinigungsmaßnahmen diverse Punkte vorgetragen hat, die gar keine personelle Maßnahmen beinhalten, sondern andere Selbstreinigungsaspekte. In der Sache bleibt bei den personellen Maßnahmen lediglich übrig, dass die beiden Geschäftsführer nur noch gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt sind und bei Teilnahme an u.a. Vergabeverfahren zwingend die Rechtsabteilung einzuschalten haben. Da aber beide Geschäftsführer maßgeblich am Kartellgeschehen beteiligt waren, kann die als personelle Selbstreinigungsmaßnahme angeführte Gesamtvertretung – wie die Ag im Vermerk zu Recht festhält – kein wirksames Kontrollinstrument darstellen. Die Einschätzung der Ag, wonach die unveränderte Organstellung der an den Verfehlungen beteiligten Personen nicht die Gewähr dafür bietet, dass zukünftig von einen zuverlässigen und gesetzestreuen Verhalten ausgegangen werden kann, ist gut nachvollziehbar und einwandfrei von ihrem Beurteilungsspielraum gedeckt. Die Einschaltung der Rechtsabteilung im Rahmen von Vergabeverfahren kann hier in der Sache auch nicht weiterhelfen, denn es obliegt den Geschäftsführern, die selbst gesetzten Regeln auch tatsächlich einzuhalten oder eben davon abzuweichen; auch bei Einschaltung der Rechtsabteilung bleiben die Geschäftsführer die allein vertretungsberechtigten Organe und können nach außen vollumfänglich handeln, auch wenn die Rechtsabteilung intern ein Veto einlegt. Ob und inwieweit daneben das von der Ag zusätzlich herangezogene Argument greift, wonach die Gesellschafter […]als ebenfalls belastete Beteiligte mittelbar über die [...] als Beteiligungsgesellschaft Einfluss auf die ASt nehmen könnten, kann bei dieser Sachlage offen bleiben.

bb) Das Festhalten an den vorbelasteten Geschäftsführern kann auch nicht dadurch kompensiert werden, dass die ASt effektiv zur Sachverhaltsaufklärung vor den Ermittlungsbehörden beigetragen hat und dass ein Compliance Management System etabliert wurde. Wie die mit „und“ verbundene Aufzählung der Selbstreinigungsmaßnahmen in Art. 57 Abs. 6, 2. UA RL 2014/24/EU zeigt, stehen die möglichen Maßnahmen nicht in einem Alternativverhältnis, sondern sind kumulativ zu berücksichtigen, soweit sie vom Sachverhalt her überhaupt einschlägig sind. Die Maßnahmekategorien verfolgen verschiedene Ansätze und gewährleisten Erfolge in unterschiedlicher Richtung; eine Übererfüllung beispielsweise der Mitwirkung bei der Aufklärung kann ein Festhalten an Geschäftsführern, die selbst und aktiv – also nicht nur im Sinne eines Organisationsverschuldens – am Kartellgeschehen beteiligt waren, nicht ausgleichen. Auch lässt eine sehr effektive Beteiligung an den Aufklärungen nicht zwingend den Rückschluss zu, dass die vorbelasteten Geschäftsführer zukünftig zuverlässig und gesetzestreu sein werden. Die Ag hat hier zulässigerweise den Gesichtspunkt berücksichtigt, dass die tatsächlich gegebene und positiv gewertete Mitwirkung an der Aufklärung dadurch relativiert wird, dass die Staatsanwaltschaft […] das Kartell bereits aufgedeckt hatte und aktiv mit Ermittlungsmaßnahmen wie Durchsuchungen verfolgte. Lediglich das Bundeskartellamt war noch nicht in Kenntnis gesetzt worden, so dass die Bonusregelung trotz der bereits gegebenen Aufdeckung des Kartells zugunsten der ASt gegriffen hat.

cc) Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht gegeben. Die Ag hat alle Teilnehmer anhand deren Angaben im Teilnahmewettbewerb nach denselben Maßstäben geprüft. Soweit die Checkliste mit einzureichen war – was für vom Kartell unbelastete Unternehmen nicht der Fall war – hat sich die Ag mit den Angaben differenziert und die getroffenen Selbstreinigungsmaßnahmen nach identischen Maßstäben gewürdigt. Die ASt stützt ihre Annahme der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Wesentlichen darauf, dass andere Kartellanten die Geschäftsführerebene ebenso wenig ausgetauscht hätten wie die ASt, dennoch aber als geeignet angesehen würden. Hierzu ist anzumerken, dass es bei der Würdigung der Selbstreinigungsmaßnahmen keine pauschalen Beurteilungen geben kann. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalls, z.B. auf die konkreten Tatbeiträge an.

Die kartellrechtlich relevanten Sachverhalte einschließlich der hieran anschließenden Selbstreinigungsmaßnahmen bedürfen gerade einer differenzierenden Bewertung, um nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Erforderlich ist allerdings die Anlegung desselben Maßstabs. Dies hat die Ag hier ausweislich des Vergabevermerks berücksichtigt.

c) Schlussendlich ist die Eignungsbewertung der ASt auch nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Von einer wie auch immer gearteten Befangenheit der auswertenden Personen kann nicht ausgegangen werden. Die Voraussetzungen von § 16 VgV liegen einmal nicht vor. Auch wenn man zugunsten der ASt weitergehend davon ausgeht, dass sich aus allgemeinen Grundsätzen wie dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein neben § 16 VgV bestehendes Verbot ergeben kann, bestimmte, möglicherweise nicht neutrale Personen in den Vergabeprozess einzubinden, so bestehen hier keine Anhaltspunkte, dass die Bewertung in nicht neutraler Weise stattgefunden haben könnte. Der Vermerk setzt sich intensiv mit allen Teilnehmern auseinander; alle werden an denselben Maßstäben gemessen. Im Übrigen ist der Sachverhalt, auf den die ASt ihre Annahme der fehlenden Neutralität stützt, nämlich die Anstiftung zum Kartell durch das Lager der Ag und eine daraus resultierende allgemeine Haltung der Ablehnung der gesamten Ag über alle Abteilungen hinweg gegenüber der ASt in keiner Weise verifiziert.

Dennoch hat die Ag die diesbezügliche Rüge der ASt aufgegriffen und eine zweite Prüfung durch zwei andere Mitarbeiter der Ag, die definitiv an einem wie auch immer gearteten Anstiftungsvorgang keinen Anteil hatten, unterstützt durch die hiesigen Verfahrensbevollmächtigten, veranlasst. Die Vergabeentscheidung wurde durch diese Personen bestätigt. Selbst wenn bei den ursprünglichen Auswertern ein Neutralitätsdefizit bestanden haben sollte, so wäre dies mit dem zweiten Prüfungsdurchgang durch andere Personen geheilt. Wenn die ASt nun aber meint, keine Abteilung der Ag sei ihr gegenüber neutral eingestellt, so muss sie sich fragen lassen, wie die Ag das Vergabeverfahren bewerkstelligen soll, denn bekanntlich darf der öffentliche Auftraggeber relevante Vergabeentscheidungen nur selbst treffen, nicht auf einen Dritten delegieren. Die Entscheidung über die Eignung gehört definitiv zu den relevanten Entscheidungen in diesem Sinne.

Der Nachprüfungsantrag ist daher in der Sache unbegründet. Die Ag durfte die ASt infolge schwerer Verfehlung mangels Zuverlässigkeit vom weiteren Vergabeverfahren ausschließen. Es kommt bei dieser Sachlage nicht mehr darauf an, ob die Bg – wie die ASt in Zweifel zieht – in technischer Hinsicht die aufgestellten Eignungsvoraussetzungen erfüllt, denn die ASt könnte auch bei Ausscheiden der Bg nicht an deren Stelle als einer von drei zur Angebotsabgabe aufzufordernden Teilnehmern aufrücken. Eine Rechtsverletzung der ASt, § 114 Abs. 1 S. 1 GWB, scheidet mithin aus. In der Sache spricht bei kursorischer Betrachtung allerdings wenig dafür, dass die Bg nicht geeignet sein könnte, da die Ag im Sinne einer Wettbewerbsoffenheit nicht nur […], sondern auch Erfahrung […] zugelassen hat. Über derartige Erfahrung verfügt die Bg zweifelsohne. Ob die Referenzprojekte der Bg, wie die ASt meint, als […] als untaugliche Referenz zu werten sind, dürfte maßgeblich vom Begriff […] abhängen, den die Ag allerdings bereits mit […] konkretisiert hat. Einer abschließenden Entscheidung hierüber bedarf es mangels Entscheidungserheblichkeit ebenso wenig wie die Frage, ob die Referenzen der ASt korrekt bewertet wurden. Es ist daher nicht erforderlich, den Verfahrensbeteiligten – wie in der mündlichen Verhandlung für den Fall der Entscheidungserheblichkeit besprochen – noch die Möglichkeit zu vertiefter Stellungnahme zu diesen Fragen zu geben.

III.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 4 GWB, § 80 Abs. 1, 2 und 3 S. 2 VwVfG.

Danach hat die ASt als die unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag und der Bg zu tragen. Die ASt hat sich in einen direkten Interessengegensatz zur Bg begeben und diese hat sich aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt. Die Bg hat damit ein Kostenrisiko auf sich genommen.

Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten von Ag und Bg war angesichts der Bedeutung des Rechtsstreits und der inhaltlichen Verquickung mit kartell- und strafrechtlichen Sachverhalten notwendig. Zusätzlich greift hier der Gesichtspunkt der Waffengleichheit mit der ebenfalls anwaltlich vertretenen ASt.

IV.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, beim Oberlandesgericht Düsseldorf – Vergabesenat –, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen.

Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.

Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.

stats