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Wirtschaftsrecht
28.10.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Voraussetzungen des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts

BGH, Urteil vom 1.10.2010 - V ZR 173/09

Leitsatz

Das Recht zur Ausübung des Vorkaufsrechts setzt das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags voraus; dessen Aufhebung beseitigt nicht den Vor-kaufsfall.

Sachverhalt

Mit von dem Streithelfer des Beklagten beurkundetem Vertrag vom 13. Juli 2007 verkaufte der Beklagte seiner Freundin Wohnungseigentum (Rei-henhaus) für 110.000 €. Die Kläger sind ebenfalls Wohnungseigentümer in der Reihenhausanlage. Zu ihren Gunsten ist in dem Grundbuch betreffend das Wohnungseigentum des Beklagten ein Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle ein-getragen. In § 15 des Vertrags heißt es u.a.:

"Der Verkäufer behält sich das Recht vor, von diesem Vertrag zurückzu-treten, wenn die Erklärung der Berechtigten ... über die Nichtausübung ihres Vorkaufsrechtes dem Notar nicht bis zum 01.08.2007 vorliegt."

Die Kläger übten mit Schreiben vom 13. August 2007 ihr Vorkaufsrecht aus und verlangen die Übertragung des Wohnungseigentums, hilfsweise Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung, sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechts-anwaltskosten. Das Landgericht hat der Klage - bis auf einen Teil der Rechts-anwaltskosten - stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie - auf die Berufung des Streithelfers des Beklagten - abgewiesen.

Aus den Gründen

3          I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger nicht vor dem Abschluss des Kaufvertrags auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet. Ihre Vorkaufs-rechtsausübung sei jedoch ins Leere gegangen, weil der Kaufvertrag am 13. August 2007 nicht mehr bestanden habe. Er sei zwar nicht durch die von dem Beklagten behauptete Rücktrittserklärung rückabgewickelt worden, denn der vereinbarte Rücktrittsvorbehalt sei den Klägern gegenüber nach § 465 BGB analog unwirksam. Aber der Kaufvertrag sei am 2. August 2007 von dem Be-klagten und seiner Freundin einvernehmlich aufgehoben worden.

4          II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5          1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings einen Verstoß gegen die Vor-schrift des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die in dem Verhandlungstermin abgegebenen Erklärun-gen des Beklagten und die Bekundungen der Zeugin Kl. in einem Bericht-erstattervermerk und nicht in dem Terminsprotokoll festgehalten hat.

6          a) Nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO sind in dem über die mündliche Ver-handlung und jede Beweisaufnahme aufzunehmenden Protokoll (§ 159 Abs. 1 Satz 1 ZPO) die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien festzustellen. Das ist hier nicht geschehen. In dem Protokoll über den Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 8. Juni 2009 heißt es zu der Vernehmung der Zeugin K. lediglich: "Die Zeugin wurde angehört." Das entspricht nicht der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO. Die Zeugenaussage ist jedoch in einem Vermerk des Berichterstatters vom 25. Juni 2009 wiedergegeben. Hierauf hat das Berufungsgericht in dem Tatbestand sei-ner Entscheidung verwiesen. Dieses Vorgehen ist nach der ständigen Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs zur Herbeiführung der Beweiswirkung der Protokollierung zulässig (Urteil vom 11. Oktober 1956 - II ZR 153/55, NJW 1956, 1878; Urteil vom 5. Juli 1972 - VIII ZR 157/71, NJW 1972, 1673; Urteil vom 24. Februar 1987 - VI ZR 295/85, NJW-RR 1987, 1197, 1198; Urteil vom 11. Juli 2001 - VIII ZR 215/00, WM 2001, 2024, 2026; Urteil vom 26. Mai 2004 - VIII ZR 310/03, Grundeigentum 2004, 1168).

7          b) Die Revision irrt, wenn sie meint, für die Parteien sei es nicht erkenn-bar gewesen, dass dem Berichterstattervermerk die Beweiswirkung der Wie-dergabe der Zeugenaussage habe zukommen sollen. Auf der Seite 2 des Pro-tokolls über die mündliche Verhandlung heißt es: "Die Parteivertreter erklärten, dass sie mit der Fertigung eines Berichterstattervermerks einverstanden seien und auf eine förmliche Protokollierung verzichteten". Noch deutlicher konnten der Sinn und Zweck des Vermerks kaum zum Ausdruck gebracht werden.

8          c) Einer Grundlage entbehrt die Auffassung der Revision, der Eingangs-satz in dem Berichterstattervermerk: "Die Parteien erklärten im Rahmen der Anhörung gemäß § 141 ZPO" verbiete die Aufnahme der Zeugenaussage in diesen Vermerk. Zudem heißt es vor deren Wiedergabe: "Die Zeugin K. erklärte zur Sache:".

9          d) Unschädlich ist es, dass zwischen der Zeugenvernehmung und der Anfertigung des Berichterstattervermerks ein Zeitraum von 17 Tagen liegt. Die Annahme der Revision, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Wie-dergabe der Zeugenaussage wegen fehlender präziser Erinnerung des Bericht-erstatters an das gesprochene Wort nicht korrekt sei, wird durch nichts gestützt.

10        e) Nach alledem war das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Revision - nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, um die Protokollierung der Zeugenaussage nachzuholen oder den Parteien die Gelegenheit zu geben, "die Verfahrensweise des Berichterstatters" zu rügen.

11        f) Schließlich geht die Rüge, das Berufungsurteil sei unter Verstoß gegen den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zustande gekommen und stelle eine unzulässige Überraschungsentschei-dung dar, ins Leere. Die von der Revision vermissten "für die Parteien transpa-renten Erklärungen, warum und zu welchem Zweck der Berichterstatter diesen Vermerk angefertigt hat", stehen - wie bereits ausgeführt - auf Seite 2 des Pro-tokolls über den Verhandlungstermin am 8. Juni 2009.

12        2. Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Würdigung der Bekundungen des Beklagten und der Aussage der Zeugin K. durch das Berufungsgericht, denen es die einvernehmliche Aufhebung des Kaufvertrags am 2. August 2007 entnommen hat.

13        a) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisauf-nahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behaup-tung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grund-sätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellung ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Es hat jedoch zu überprüfen, ob der Tatrich-ter sich mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und wider-spruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und recht-lich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt; der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt ferner das Beweismaß (siehe nur BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935, 937). Ebenfalls Sache des Tatrichters ist die Auslegung rechtsgeschäftlicher Willens-erklärungen. Sie ist für das Revisionsgericht nur dann nicht bindend, wenn ge-setzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfah-rungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (siehe nur BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, 1968; Urteil vom 17. Dezember 2009 - IX ZR 214/08, NJW-RR 2010, 773, 774).

14        b) Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das Beru-fungsgericht den Bekundungen des Beklagten gegenüber der Zeugin K. eine auf die Vertragsaufhebung gerichtete Willenserklärung entnommen hat. Zwar mögen die Erklärungen für sich allein genommen wenig darüber aussa-gen, dass der Beklagte den Kaufvertrag aufheben wollte. Aber im Zusammen-hang mit der von den Vertragsparteien zuvor getroffenen - von der Revision außer Acht gelassenen - Vereinbarung, den Kaufvertrag für den Fall der aus-bleibenden Vorkaufsrechtsverzichtserklärung der Kläger nicht mehr gelten las-sen zu wollen, kann den Erklärungen ohne weiteres der Fortbestand des Ver-tragsaufhebungswillens des Beklagten entnommen werden, nachdem der feh-lende Vorkaufsrechtsverzicht der Kläger feststand. Darauf hat sich das Berufungsgericht gestützt. Dem hält die Revision lediglich ihre eigene abweichende Auslegung der Erklärungen entgegen, was ihr jedoch nicht zum Erfolg verhelfen kann.

15        c) Die von der Revision hervorgehobene Erklärung des Streithelfers ge-genüber dem Beklagten, dieser könne nicht mehr von dem Vertrag zurücktre-ten, hat das Berufungsgericht bei der Auslegung der Bekundungen des Beklag-ten zu Recht unberücksichtigt gelassen. Denn sie wurde nach der Ausübung des Vorkaufsrechts und damit knapp zwei Wochen nach der von dem Beru-fungsgericht festgestellten Aufhebung des Kaufvertrags abgegeben, so dass sie keinen Rückschluss auf den Aufhebungswillen des Beklagten zulässt.

16        d) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht das Verhalten der Zeugin K. unter Würdigung aller Umstände als stillschweigende Bestäti-gung auch ihres fortbestehenden Vertragsaufhebungswillens angesehen. Die gegenteilige Auffassung der Revision beruht wiederum lediglich auf ihrer ab-weichenden Würdigung.

17        3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass die Aufhebung des Kaufvertrags den Wegfall des Rechts der Kläger zur Ausübung des Vorkaufsrechts zur Folge hat. Die bisherigen Feststellungen tragen dieses Ergebnis nicht.

18        a) Die Revision irrt allerdings, wenn sie meint, für die nachträgliche Ver-tragsaufhebung müsse die Vorschrift des § 465 BGB entsprechend gelten. Es ist gerade nicht so, dass sich der Beklagte und die Zeugin K. von dem Kaufvertrag lösen wollten, obwohl die Kläger das Vorkaufsrecht ausgeübt hat-ten. Denn die Vertragsaufhebung erfolgte knapp zwei Wochen vor der Erklä-rung der Vorkaufsrechtsausübung.

19        b) Das Berufungsgericht und die Parteien haben jedoch verkannt, dass eine Vertragsaufhebung nicht mehr das Recht zur Ausübung des Vorkaufs-rechts berührt, wenn sie nach dem Zustandekommen des rechtswirksamen Kaufvertrags erfolgt.

20        aa) Das Gesetz knüpft das Entstehen des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts an das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags (§ 463 BGB). Letzteres ist erst dann der Fall, wenn auch die für die Wirksamkeit des Vertrags erforderlichen Genehmigungen erteilt sind. Bis zu diesem Zeit-punkt können Verkäufer und Käufer den Kaufvertrag willkürlich aufheben und damit das Vorkaufsrecht gegenstandslos machen; denn der Vorkaufsberechtig-te hat kein Recht auf den Eintritt des Vorkaufsfalls (Senat, Urteil vom 4. Juni 1954 - V ZR 18/53, BGHZ 14, 1, 3; Urteil vom 11. Februar 1977 - V ZR 40/75, NJW 1977, 762, 763; Urteil vom 15. Mai 1998 - V ZR 89/97, NJW 1998, 2352, 2353). Liegen die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts aber erst einmal vor, ist das daraus erwachsene Gestaltungsrecht des Vorkaufsbe-rechtigen in seinem rechtlichen Fortbestand grundsätzlich unabhängig von dem rechtlichen Schicksal des Kaufverhältnisses zwischen dem Vorkaufsverpflichte-ten und dem Dritten (Senat, Urteil vom 11. Februar 1977 - V ZR 40/75, aaO).

21        bb) Danach kann die Vertragsaufhebung am 2. August 2007 das Recht der Kläger zur Ausübung des Vorkaufsrechts nur beseitigt haben, wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht sämtliche für die Wirksamkeit des Kaufvertrags erforderliche Genehmigungen erteilt waren. Dazu hat das Berufungsgericht kei-ne Feststellungen getroffen; vielmehr ist es ohne weiteres von dem Wegfall des Vorkaufsrechts aufgrund der Aufhebung des Kaufvertrags ausgegangen. Aus dem in dem Urteil des Landgerichts, auf dessen Inhalt in dem Berufungsurteil verwiesen wird, in Bezug genommenen Kaufvertrag vom 13. Juli 2007 ergibt sich jedoch, dass für die Wirksamkeit des Vertrags die Zustimmung des Verwalters der Wohnungseigentümer erforderlich war (§ 11). Ob diese Zustimmung am 2. August 2007 erteilt war, muss das Berufungsgericht aufklären.

22        III. Das Berufungsurteil unterliegt somit der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Durch die Zu-rückverweisung erhält der Streithelfer des Beklagten Gelegenheit, gegebenen-falls auf die auch in der Revisionsinstanz erhobenen Einwendungen gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts zurückzukommen.

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