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Wirtschaftsrecht
08.08.2016
Wirtschaftsrecht
BFH: Sog. Vorbezug für Wohneigentum einer Schweizer öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse für einen sog. Grenzgänger

BFH, Urteil vom 16.9.2015 – I R 83/11

Leitsätze

1. Der sog. Vorbezug für Wohneigentum einer öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse eines Schweizer Kantons, der an einen sog. Grenzgänger ausbezahlt wird, ist weder nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 (i.d.F. vor dessen Änderung durch das JStG 2007) noch nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG 2002 (i.d.F. des AltEinkG) steuerbefreit (Anschluss an BFH-Urteile vom 23. Oktober 2013 X R 33/10, BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103, sowie vom 26. November 2014 VIII R 39/10, BFHE 249, 39).

2. Obligatorische Arbeitgeberbeiträge zu einer öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse eines Schweizer Kantons sind nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 steuerfrei. Überobligatorische Arbeitgeberbeiträge zu einer solchen Kasse sind als Beiträge i.S. des § 3 Nr. 62 Satz 4 Halbsatz 1 EStG 2002 innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 62 Satz 3 EStG 2002 steuerfrei; auf die danach steuerfreien Arbeitgeberleistungen sind die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers anzurechnen (Anschluss an die BFH-Urteile vom 24. September 2013 VI R 6/11, BFHE 243, 210; vom 23. Oktober 2013 X R 33/10, BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103, und vom 26. November 2014 VIII R 39/10, BFHE 249, 39).

Sachverhalt

A. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Beide Kläger wohnten im Streitjahr im Inland und beide Kläger arbeiteten in der Schweiz als öffentlich-rechtliche Angestellte. Steuerrechtlich wurden sie mit ihren Einkünften aus unselbständiger Arbeit als sog. Grenzgänger i.S. des Art. 15a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) --DBA-Schweiz 1971/1992-- behandelt und unterlagen damit der Besteuerung im Inland.

Mit Beginn seiner Tätigkeit wurde der Kläger Mitglied der Versicherungskasse für das Staatspersonal des Kantons S. Die Versicherungskasse dient der Sicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen des Alters, der Invalidität, des Todes und der unverschuldeten Nichtwiederwahl. Sie ist eine unselbständige öffentlich-rechtliche Anstalt des Staates und eine registrierte Vorsorgeeinrichtung. Die Versicherung umfasst die nach dem (Schweizer) Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Berufliches Vorsorge-Gesetz --BVG--) vom 25. Juni 1982 obligatorisch zu versichernden Arbeitnehmer des Staates. Das Berufliche Vorsorge-Gesetz enthält Mindestvorschriften, u.a. ergibt sich daraus, welche Personen Versicherungsleistungen erhalten und wie hoch diese Leistungen im Alter, im Todesfall oder im Invaliditätsfall mindestens sein müssen. Diese Leistungen werden als BVG-Mindestleistungen und das entsprechende Versicherungssystem als BVG-Obligatorium bezeichnet. In welcher Höhe Vorsorgeleistungen im Alter, im Todesfall oder im Invaliditätsfall tatsächlich bezahlt werden, ergibt sich aus den Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung. Diese Leistungen werden als reglementarische Vorsorgeleistungen bezeichnet. Sind diese Leistungen --wie üblich-- höher als die BVG-Mindestleistungen, spricht man vom Überobligatorium. Die BVG-Mindestleistungen werden von der Versicherungskasse in jedem Fall gewährleistet. Aus diesem Grund führt die Versicherungskasse für jede versicherte Person zwei Versicherungsverhältnisse, nämlich ein Versicherungsverhältnis gemäß der (Schweizer) Verordnung über die Versicherungskasse für das Staatspersonal vom 5. September 1989 und ein Versicherungsverhältnis gemäß BVG-Obligatorium.

Der Kläger leistete im Streitjahr insgesamt Beiträge an die Versicherungskasse in Höhe von 7.370 CHF (= 6.172,80 CHF [regelmäßige Beiträge] + 1.197,60 CHF Nachzahlungen). Die (regelmäßigen) Beiträge seines Arbeitgebers beliefen sich im Streitjahr auf 6.294 CHF und für Nachzahlungen auf 1.197,60 CHF (insgesamt: 7.491,60 CHF).

Auch die Klägerin war Mitglied der Versicherungskasse. Zuvor gehörte sie zunächst vom 1. März 2001 bis zum 24. August 2004 dem Vorsorgeplan Rentenversicherung an und seit diesem Zeitpunkt der Sparversicherung, deren Beiträge und Leistungen sich nach dem Beitragsprimat errechnen. Ihre Beiträge an die Versicherungskasse betrugen im Streitjahr 3.409 CHF.

Die Versicherungskasse gewährte den Klägern auf entsprechende Anträge einen Kapitalbezug zur Wohneigentumsförderung (sog. Vorbezug für Wohneigentum), und zwar dem Kläger in Höhe von 80.000 CHF und der Klägerin in Höhe von 21.000 CHF, davon zugunsten des Klägers in Höhe von 34.234,25 CHF und zugunsten der Klägerin in Höhe von 7.064 CHF aus dem Obligatorium.

Die von den Klägern an die Schweizer Steuerbehörden gerichteten Anträge auf Rückerstattung der einbehaltenen und abgeführten Quellensteuern von 5.110 CHF (Kläger) sowie 1.260 CHF (Klägerin) wurden unter Hinweis auf das sog. Kassenstaatsprinzip des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 abgelehnt.

Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte bei der Einkommensteuerveranlagung (zuletzt im Steuerbescheid vom 17. April 2009) den sog. Vorbezug von insgesamt 101.000 CHF als Einnahmen aus sonstigen Bezügen i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz --AltEinkG--) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427, BStBl I 2004, 554) --EStG 2002 n.F.-- an. Deren Höhe berechnete er mit 65.145 EUR (= 101.000 CHF [nach dem im Streitjahr maßgeblichen durchschnittlichen Umrechnungskurs von 100 CHF = 64,50 EUR] ./. 32.573 EUR [nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 und 4 EStG 2002 n.F. "steuerfreier Teil der Rente"]). Unter Berücksichtigung des Werbungskostenpauschbetrags von jeweils 102 EUR ergaben sich danach sonstige Einkünfte des Klägers von 25.698 EUR und solche der Klägerin von 6.670 EUR. Die vom FA der Höhe nach auf 7.370 CHF ermittelten Arbeitgeberbeiträge zur Versicherungskasse (den Kläger betreffend) und von 3.409 CHF (die Klägerin betreffend) beurteilte das FA insgesamt als nach "§ 3 Nr. 62 EStG" steuerfrei. Diese Beiträge rechnete das FA im Rahmen der Ermittlung der Sonderausgaben den abziehbaren Vorsorgeaufwendungen hinzu (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 2002 n.F.). Zur Ermittlung des letztlich als Sonderausgaben abziehbaren Betrages zog das FA von den --um den Übergangsfaktor von 60 v.H. gekürzten-- Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 n.F.) den steuerfreien Arbeitgeberanteil zur Versicherungskasse wieder ab (§ 10 Abs. 3 Satz 5 EStG 2002 n.F.). Die eigenen Beiträge des Klägers an die Versicherungskasse in Höhe von 7.370 CHF und diejenigen der Klägerin in Höhe von 3.409 CHF berücksichtigte das FA bei der Ermittlung des abziehbaren Teils der Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. in vollem Umfang als Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung.

Die von der Versicherungskasse vom sog. Vorbezug einbehaltene Schweizerische Quellensteuer in Höhe von insgesamt 6.370 CHF (= 4.108,65 EUR unter Berücksichtigung des für das Streitjahr festgelegten jährlichen Umrechnungskurses) zog das FA nach § 34c Abs. 1 (Satz 2) EStG 2002 n.F. in Höhe von 2.932 EUR von der tariflichen Einkommensteuer ab. Das geschah auf Antrag der Kläger aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 der Abgabenordnung --AO--) unter Hinweis auf die Anweisungen im von der baden-württembergischen Finanzverwaltung herausgegebenen sog. "Grenzgängerhandbuch" zu Fach A Teil 2 Nr. 2. Bei der Berechnung der anzurechnenden Steuer ging das FA davon aus, dass die anzurechnende Quellensteuer nach Maßgabe von Art. 19 Abs. 5 i.V.m. Art. 15a Abs. 3 Buchst. a DBA-Schweiz 1971/1992 auf 4,5 v.H. des Vorbezugs zu begrenzen sei.

Die Kläger vertraten die Auffassung, der Vorbezug unterliege nicht der Einkommensteuer. Ihre deswegen erhobene Klage war überwiegend erfolgreich (Finanzgericht --FG-- Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 7. Juli 2011  3 K 1285/09, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 1557). Zu Recht habe das FA zwar den Vorbezug in Höhe von insgesamt 101.000 CHF zur Wohnungsförderung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 EStG 2002 n.F. als andere Leistung aus einer (ausländischen) gesetzlichen Rentenversicherung und damit als steuerbare Einnahme aus sonstigen Einkünften beurteilt, für die Deutschland auch das Besteuerungsrecht zustehe. Doch stelle der Vorbezug entgegen dem FA eine gemäß § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerfreie Abfindung aufgrund einer (ausländischen) gesetzlichen Rentenversicherung dar. Ebenfalls zu Unrecht habe das FA --insoweit allerdings in Einklang mit den Klägern-- die gesamten Beiträge des Arbeitgebers zur beruflichen Vorsorge an die Versicherungskasse als nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfreie Lohnzuwendung behandelt. Steuerfrei seien hiernach lediglich die in das Obligatorium, nicht aber die in das Überobligatorium der Kasse geleisteten Beiträge. Die Arbeitgeberbeiträge seien insoweit auch nicht nach § 3 Nr. 63 EStG 2002 n.F. steuerfrei. Jedoch seien die an die Versicherungskassen geleisteten Beiträge zutreffend nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. als Sonderausgaben abgezogen worden, und zwar sowohl betreffend die Eigenbeiträge der Kläger als auch die von den Klägern unter Berücksichtigung des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. von ihnen als Arbeitslohn zu versteuernden Arbeitgeberbeiträge an die Kassen; ausgespart blieben vom Abzug im Ergebnis --und ihrem Umfang nach begrenzt durch § 10 Abs. 3 Satz 4 und 5 EStG 2002 n.F.-- die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfreien Arbeitgeberbeiträge.

Das FA stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage vollen Umfangs abzuweisen.

Die Kläger beantragen (sinngemäß), die Revision zurückzuweisen,

"zudem (Anschluss-Revision)" ...

- "für den Fall, dass die Austrittsleistung, was den obligatorischen und den überobligatorischen Teil bzw. nur den obligatorischen Teil angeht, (...) als nicht nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 steuerfrei eingestuft wird";

- "dass die auf die überobligatorischen Beiträge entfallende Freizügigkeitsleistung (Vorbezug) als eine Leistung eingestuft wird, die auf nicht gesetzlich vorgeschriebenen Beiträgen beruht und somit mit der Auszahlung aus einer privaten Kapital/Renten-Versicherung vergleichbar ist. Mit der Konsequenz, dass als einzige Vorschrift für die Beurteilung der Steuerpflicht der § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG (2002) in Betracht kommt. Somit könnten lediglich die im Auszahlungsbetrag enthaltenen Zinsen, die auf die überobligatorischen Beiträge entfallen, von steuerlicher Relevanz i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG (2002) sein";

- "dass sich nur für die Kapitalabfindung aus dem Obligatorium aus Art. 21 DBA-Schweiz (1971/1992) ein deutsches Besteuerungsrecht (als Ansässigkeitsstaat) ergibt; für den Teil der Kapitalabfindung, der auf das Überobligatorium entfällt, ergibt sich (Anschluss-Revision) aus dem Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz (1971/1992) ein Besteuerungsrecht des Kassenstaates 'Schweiz'";

- "für den Fall, dass die Auszahlung des Überobligatoriums nachgelagert in Deutschland (oder der Schweiz) der Besteuerung unterliegt, (...) hilfsweise (Anschluss-Revision) die Freistellung der Arbeitgeberbeiträge in das Überobligatorium nach § 3 Nr. 62 S. 4 i.V.m. S. 2 + 3 EStG (2002)";

- "für den Fall, dass die Auszahlung als Einkünfte nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG (2002) eingestuft wird, (...) die Zuweisung des alleinigen Besteuerungsrechtes des gesamten Vorbezugs (Obligatorium und Überobligatorium) an den Kassenstaat 'Schweiz' (Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz [1971/1992])".

Aus den Gründen

B.

...

C.

12        Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur geänderten Steuerfestsetzung. Das FG hat zwar zu Recht die Auszahlung der an die Kläger geleisteten sog. Vorbezüge als steuerbar angesehen, diese jedoch zu Unrecht als nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerfrei behandelt. Die steuerpflichtigen Leistungen können allerdings gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F. ermäßigt besteuert werden. Dieser Teilerfolg der Klage wird nicht dadurch geschmälert, dass den Klägern --entgegen der Annahme der Vorinstanz, nunmehr aber wohl auch des FA-- die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. der in das sog. Obligatorium geleisteten Arbeitgeberbeiträge genommen würde. Eine darüber hinausgehende Steuerbefreiung auch der Arbeitgeberbeiträge, welche in das sog. Überobligatorium geleistet worden sind, scheidet indessen aus, die diesbezügliche Anschlussrevision der Kläger ist unbegründet. Im Übrigen werden die in "Anschlussrevisionen" gekleideten Revisionsanträge vom Senat als bloßes Einwenden in der Sache behandelt. Als solche sind die Einwendungen aber gleichermaßen nicht tragfähig.

13        1. Dass es sich bei dem sog. Vorbezug zur Wohneigentumsförderung um eine gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2002 n.F. steuerbare Leistung handelt, welche dem deutschen Besteuerungsrecht unterfällt, ergibt sich bereits abschließend aus dem zitierten Zwischenurteil des Senats in BFH/NV 2015, 20. Gleiches betrifft die Möglichkeit einer über die durch den vom FA gewährten Billigkeitserweis hinausgehenden Anrechnung in der Schweiz erhobener Ertragsteuern. Es ist insoweit auf das Zwischenurteil zu verweisen. Denn durch dieses Urteil ist in verbindlicher Weise rechtskräftig über die abgeschichteten (Teil-)Fragen, die die Kläger aufwerfen, entschieden worden. Eine erneute und gegebenenfalls abweichende Entscheidung über diese Fragen scheidet aus.

14        2. In der Sache muss nach der damit abgeschichteten Klärung der erwähnten Streitfragen durch das Zwischenurteil noch über die weiterhin streitgegenständlichen und ihrerseits ebenfalls entscheidungserheblichen Rechtsfragen entschieden werden, ob --erstens-- der sog. Vorbezug nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerbefreit ist, und ob er, verneint man das, gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F. ermäßigt besteuert werden kann, und/oder, ob --zweitens-- die geleisteten Arbeitgeberbeiträge nach § 3 Nr. 62 EStG 2002 n.F. steuerfrei sind.

15        a) Entgegen der Auffassung des FG ist der Vorbezug, soweit er auf das Obligatorium entfällt, nicht gemäß § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerfrei. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des FG-Urteils.

16        aa) Steuerfrei sind im Streitjahr nach dieser Vorschrift Kapitalabfindungen aufgrund der gesetzlichen Rentenversicherung und aufgrund der Beamten-(Pensions-)Gesetze. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des X. Senats des BFH an, wonach die Anwendung des § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. auf eine Kapitalleistung einer ausländischen Rentenversicherung nur gerechtfertigt ist, wenn sich die Leistungen im Wesentlichen entsprechen und demselben Zweck dienen. Kapitalabfindungsansprüche der deutschen Versorgungssysteme sind dadurch gekennzeichnet, dass sie den Wegfall bestehender Renten- oder Versorgungsansprüche kompensieren (vgl. BFH-Urteil in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103). Auf dieser Grundlage hat der X. Senat sog. Austrittsleistungen zur Abfindung des Altersguthabens von einer schweizerischen Pensionskasse an einen Steuerpflichtigen, der mangels Erreichens der Altersgrenze noch keinen Rentenanspruch gegen die Pensionskasse geltend machen konnte, nicht als eine steuerbefreite Kapitalabfindung beurteilt, die für den Verlust eines bestehenden Anspruchs auf Versorgungsleistungen gewährt worden ist, sondern als einen besonderen "Auszahlungsmodus von erworbenen Ansprüchen bis zum Ausscheidenszeitpunkt" aus der Pensionskasse. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. scheide dafür aber aus. Auch für einen Vorbezug, der zur Wohnraumförderung von einer privaten schweizerischen Pensionskasse gezahlt wurde, hat der VIII. Senat des BFH zwischenzeitlich die Steuerbefreiung verneint, weil dadurch nicht ein schon bestehender Rentenanspruch des Empfängers abgefunden worden ist (BFH-Urteil vom 26. November 2014 VIII R 39/10, BFHE 249, 39; s.a. BFH-Beschluss vom 25. März 2010 X B 142/09, BFH/NV 2010, 1275, für den von einer Schweizer Freizügigkeitsstiftung geleisteten Vorbezug). Die Entscheidungen in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 und in BFHE 249, 39 betrafen übereinstimmend mit dem Streitfall die für das Streitjahr 2005 maßgebende Regelungsfassung des § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. vor dessen Änderung durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28).

17        Dem schließt sich der Senat auch für die hier in Rede stehenden Vorbezüge, die seitens der öffentlich-rechtlich strukturierten Versicherungskassen des Kantons S an die Kläger ausbezahlt worden sind, an. Insbesondere veranlasst die seinerzeitige Regelungsfassung von § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. es nicht, abweichend von den beiden Entscheidungen die abfindungsbedingte Kürzung erst zukünftiger Rentenleistungen genügen zu lassen. Der dagegen gerichtete Einwand der Kläger, das Erfordernis eines bereits bestehenden Rentenanspruchs lasse sich dem Gesetz --anders als der nachfolgenden Regelungsfassung des § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F.-- nicht entnehmen (so deren Prozessbevollmächtigter, vgl. Miessl, Internationales Steuerrecht 2015, 683, 685), wird nur unspezifisch behauptet, nicht aber begründet. Er wird durch die verschiedenen Gesetzesfassungen auch nicht getragen. Infolgedessen kann dahinstehen, ob sich --wie die Kläger meinen-- aus den tatrichterlichen Feststellungen eine Kürzung zukünftiger Versorgungsansprüche infolge der Inanspruchnahme der gezahlten Vorbezüge herleiten lässt oder nicht. Aussagekräftige Belege dazu hat der Senat davon abgesehen aber ohnehin auch nicht vorfinden können.

18        bb) Eine Steuerfreiheit der gezahlten Vorbezüge, soweit sie sich aus dem sog. Überobligatorium speisen, lässt sich entgegen dem hilfsweisen Vorbringen der Kläger auch nicht aus § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 (i.V.m. § 52 Abs. 36 Satz 5) EStG 2002 n.F. herleiten. Das käme nur in Betracht, sofern es sich um die Auszahlung aus einer privaten Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht handeln würde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 249, 39, s. dazu Levedag, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2015, 747), was aber ersichtlich nicht der Fall ist.

19        cc) Der nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2002 n.F. steuerpflichtige obligatorische Vorbezug von 32.368 EUR ist allerdings, wovon zwischenzeitlich auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, nach § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F. ermäßigt zu besteuern. Der Senat verweist auch insofern auf das BFH-Urteil in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103. Das FA hat dazu zwar eine "Probeberechnung" vorgelegt, diese jedoch noch nicht in einen geänderten Steuerbescheid eingehen lassen. Die Änderung ist hiernach im Rahmen der Entscheidung über die Revision vorzunehmen; die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

20        b) Es bleibt unbeanstandet, dass das FG --insoweit abweichend vom FA und zuungunsten der Kläger: nur-- die in das sog. Obligatorium geleisteten Arbeitgeberbeiträge, nicht aber die in das sog. Überobligatorium geleisteten Arbeitgeberbeiträge als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt hat: Obligatorische Arbeitgeberbeiträge zu der öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse sind nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfrei; überobligatorische Arbeitgeberbeiträge zu einer solchen Kasse sind als Beiträge i.S. des § 3 Nr. 62 Satz 4 Halbsatz 1 EStG 2002 n.F. innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 62 Satz 3 EStG 2002 n.F. steuerfrei; auf die danach steuerfreien Arbeitgeberleistungen sind die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers anzurechnen. Auch insoweit kann, um Wiederholungen zu vermeiden, uneingeschränkt auf die BFH-Urteile in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 und in BFHE 249, 39, sowie zusätzlich auch auf das BFH-Urteil vom 24. September 2013 VI R 6/11, BFHE 243, 210 Bezug genommen werden. Der Senat macht sich die dort gegebenen Begründungen zu eigen.

21        Infolgedessen ist die Revision des FA in diesem Punkt ebenso unbegründet wie die von den Klägern insoweit nach § 155 FGO i.V.m. § 554 der Zivilprozessordnung --zulässigerweise (vgl. z.B. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 120 Rz 83, m.w.N. zur Rechtsprechung) bedingt-- eingelegte Anschlussrevision (wobei, was das FA anbelangt, hinzukommt, dass dieses sich jetzt gegen die eigene Steuerfestsetzung wehrt und ein diesbezügliches Begehren ohnehin nur im Rahmen einer streitwertbetraglichen Saldierung berücksichtigt werden könnte): Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 Satz 1 und Satz 4 EStG 2002 n.F. sind bezogen auf das Überobligatorium nicht erfüllt. Unterschiede zwischen einer öffentlich-rechtlichen und einer privaten Pensions- oder Versicherungskasse sind --mit allerdings voneinander abweichenden Rechtsfolgen sowohl entgegen der Annahme der Kläger als auch jener des FA-- in diesem Punkt nicht veranlasst. Namentlich ist nicht ersichtlich, weshalb nicht zwischen den Beiträgen in das Obligatorium einerseits und das Überobligatorium andererseits differenziert werden können sollte. Die vom FA eingeforderte, aber nicht näher begründete einheitliche Behandlung beider Bereiche der Schweizer Versorgungsstrukturen ist bei dem Vergleich, der im Rahmen des § 3 Nr. 62 EStG 2002 n.F. mit der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung anzustellen ist, keineswegs geboten, auch nicht --wie aber das FA meint-- aus Gründen der "Konsequenz". Dass dadurch gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot und den dadurch geschützten Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen oder auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde, ist nicht erkennbar; der diesbezügliche Vortrag der Kläger ist in der Sache nicht nachvollziehbar. Ob und inwieweit sich das im Zuge der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden durch das FA zuungunsten der Kläger auswirkt und nach Maßgabe von § 176 Abs. 2 AO in Anbetracht einer insoweit gegenläufigen Verwaltungspraxis (s.a. Levedag, HFR 2015, 747, 748) auswirken darf, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung.

22        c) Und unbeanstandet bleibt schließlich auch --insoweit unter den Beteiligten nicht streitig--, dass das FG die von den Klägern geleisteten Beiträge an die Versicherungskassen ebenso wie die Arbeitgeberbeiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. als Sonderausgaben zum Abzug zugelassen, die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfreien Arbeitgeberbeiträge danach jedoch wiederum nach Maßgabe von § 10 Abs. 3 Satz 3 und 4 EStG 2002 n.F. hinzugerechnet hat (s.a. dazu BFH-Urteil in BFHE 249, 39; Levedag, HFR 2015, 747, 748).

23        3. Schließlich folgt der Senat dem X. Senat des BFH (in dessen Urteil vom 18. November 2009 X R 34/07, BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414) auch darin, dass die nach Maßgabe von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG 2002 n.F. auf Höchstbeträge beschränkte Abziehbarkeit der Altersvorsorgeaufwendungen in verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist (ebenso z.B. Förster, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 137; Stützel, DStR 2010, 1545; anders z.B. Kulosa in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 335). Er nimmt deshalb auf das Urteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414 Bezug. Die dagegen (beim Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- unter dem Az. 2 BvR 288/10) eingelegte Verfassungsbeschwerde veranlasst ihn nicht zu einer Verfahrensaussetzung (nach § 74 FGO). Dem FA bleibt es aber unbenommen, im Rahmen der ausstehenden Änderung des angefochtenen Steuerbescheides diesen zugunsten der Kläger bis zum Ergehen der Entscheidung des BVerfG mit einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 AO zu versehen (vgl. dazu Bundesministerium der Finanzen, Erlass vom 16. Mai 2011, BStBl I 2011, 464 und die dem beigefügte Anlage 1).

24        4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Sie umfasst die Kosten für das Zwischenurteil ebenso wie für die von den Klägern eingelegte Anschlussrevision betreffend die Steuerfreiheit der Arbeitgeberbeiträge. Die Berechnung der Kostenquote orientiert sich dabei an dem Verhältnis des Streitwerts zu der vom FA vorgelegten "Probeberechnung" zur Berücksichtigung von § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F.

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