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Wirtschaftsrecht
23.04.2015
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt a. M.: Rechtsmissbrauch durch umfangreiche Verfolgung von Wettbewerbsverstößen

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12.3.2015 – 6 U 218/14

Leitsatz

1. Der Einwand, der Umfang der gerichtlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch ein Unternehmen stehe außer Verhältnis zum Umfang der Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens, begründet den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens grundsätzlich nur dann, wenn das Unternehmen mit seinem Anwalt in der Weise kollusiv zusammenwirkt, dass der Anwalt seinen Mandanten von den mit der Führung dieser Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt. Als Indiz für eine solche Freistellung kann es angesehen werden, wenn zwischen diesen Kostenrisiken einerseits und den Umsätzen und Gewinnen des Unternehmens ein besonders krasses Missverhältnis besteht und das Unternehmen auch nicht nachvollziehbar erläutern kann, warum es diese Risiken gleichwohl eingeht (Fortführung der Senatsrechtsprechung).

2. Bietet ein Händler Elektrogeräte ohne die gesetzlich vorgeschriebene CE-Kennzeichnung an, begründet dies den Vorwurf unlauteren Verhaltens sowohl unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 11 UWG als auch unter dem Gesichtspunkt der Vorenthaltung wesentlicher Informationen (§ 5a II, IV UWG).

§ 4 Nr 11 UWG, § 5a Abs 2 UWG, § 5a Abs 4 UWG, § 8 Abs 4 UWG, § 3 ProdSG ... mehr

Aus den Gründen

I. Der Antragsteller handelt mit Kopfhörern. Er erwarb in dem von der Antragsgegnerin betriebenen Elektronikkaufhaus einen Kopfhörer, der weder auf dem Gerät selbst noch auf der Verpackung eine CE-Kennzeichnung trug.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.

II. Nach teilweiser Rücknahme des Eilantrages (Berufungsantrag zu 1.) hat die weitergehende Berufung in der Sache Erfolg.

1. Nach dem Sach- und Streitstand in der Berufungsverhandlung bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass - wofür die Antragsgegnerin die Darlegungs- und Glaubhaftmachungspflicht trifft - der Antragsteller seine sich aus § 8 III Nr. 1 UWG ergebende Befugnis zur Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche missbräuchlich geltend macht (§ 8 IV UWG).

Der von der Antragsgegnerin der Sache nach erhobene Einwand, der Umfang der bisherigen gerichtlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch den Antragsteller stehe in einem Missverhältnis zum Umfang seiner Geschäftstätigkeit, vermag nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. GRUR-RR 2007, 56) den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nach § 8 IV UWG grundsätzlich nur dann zu rechtfertigen, wenn der Antragsteller mit seinem Prozessbevollmächtigten in der Weise kollusiv zusammenwirkt, dass der Antragstellervertreter den Antragsteller vollständig oder zum größten Teil von den mit der Führung dieser Verfahren verbundenen Kostenrisiken freistellt; in diesem Fall würden die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche nur oder vorwiegend im Gebührenerzielungsinteresse des Antragstellervertreters verfolgt. Fehlt es dagegen an einer solchen Freistellung von Kostenrisiken durch den Anwalt, ist jedenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich, welche vom Gesetzgeber missbilligten Zwecke der Antragsteller mit der Führung solcher Prozesse verfolgen sollte. Wenn sich ein Unternehmen entscheidet, unter Ausnutzung der sich aus § 8 III Nr. 1 UWG ergebenden Befugnis Wettbewerbsverstöße in seinem Bereich systematisch und in großem Umfang zu unterbinden, entspricht dies jedenfalls grundsätzlich dem vom Gesetzgeber mit der Verleihung dieser Befugnis verbundenen Anliegen.

Im vorliegenden Fall hat der Antragstellervertreter anwaltlich versichert, den Antragsteller in keiner Weise von Kostenrisiken freigestellt zu haben. Die Antragsgegnerin ist dem nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Durchgreifende Zweifel an einer solchen Darstellung können sich zwar ergeben, wenn zwischen den mit der Verfolgung der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche verbundenen Kostenrisiken einerseits und den Umsätzen und Gewinnen des abmahnenden Unternehmens andererseits ein besonders krasses Missverhältnis besteht und das Unternehmen auch nicht nachvollziehbar erläutern kann, warum es diese Risiken gleichwohl eingeht (vgl. auch hierzu Senat a.a.O.). Ein solcher Fall ist hier jedoch schon deshalb nicht gegeben, weil die Antragsgegnerin bisher keine genügenden Anhaltspunkte dafür liefern konnte, dass ein besonders krasses Missverhältnis im genannten Sinn vorliegt. Die Vorlage einzelner jüngerer Entscheidungen, in denen Landgerichte einen Rechtsmissbrauch des Antragstellers bejaht haben (Urteile des Landgerichts München I vom 22.12.2014 - 4 HKO 8107/14 - und des Landgerichts Dresden vom 5.2.2015 - 44 HKO 1/15), vermag diese Darlegung nicht zu ersetzen.

2. Dem Antragsteller steht der mit dem Berufungsantrag zu 2. geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 5a II, IV, 8 III Nr. 1 UWG i.V.m. §§ 3 I  Nr. 1 ProdSG, 8 I 2 Nr. 1, 12 ElektroStoffV zu.

a) Der Kopfhörer, den der Antragsteller bei der Antragsgegnerin erworben hat, war unstreitig weder auf dem Gerät selbst noch auf der Verpackung mit der nach § 12 ElektroStoffV erforderlichen CE-Kennzeichnung versehen.

Die Antragsgegnerin als Vertreiberin traf die Verpflichtung, vor Bereitstellung des Kopfhörers das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung zu überprüfen (§ 8 I 2 Nr. 1 ElektroStoffV). Diese Prüfungspflicht besteht für den Vertreiber uneingeschränkt, d.h. insbesondere unabhängig dem besonderen Sorgfaltsmaßstab, den Satz 1 der Regelung allgemein für die Prüfpflicht hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen des § 3 ElektroStoffV aufstellt. Die Vorschrift des § 3 ElektroStoffV enthält in Abs. 2, S. 1 Nr. 4 nicht nur die Anforderung der CE-Kennzeichnung auf Elektro- oder Elektronikgeräten, sondern neben weiteren Anforderungen insbesondere auch bestimmte Vorgaben hinsichtlich der zulässigen Höchstkonzentration von Stoffen, die in diesen Geräten enthalten sind (Absatz 1). Da für einen Vertreiber naturgemäß nicht ohne weiteres erkennbar ist, ob die von ihm bereitgestellten Geräte diese Höchstgrenzen einhalten, erlegt § 8 I 1 ElektroStoffV den Vertreibern grundsätzlich nur eine eingeschränkte, nämlich an der erforderlichen Sorgfalt orientierte Prüfungspflicht auf; ähnliche Erwägungen gelten für weitere in § 3 ElektroStoffV enthaltene Anforderungen. Demgegenüber heißt es in § 8 I 2 ElektroStoffV, der Vertreiber habe „insbesondere“ zu prüfen, ob die CE-Kennzeichnung vorhanden (Nr. 1) sowie die Kennzeichnungspflichten über den Hersteller bzw. Importeur erfüllt sind (Nr. 2). Da sich die Erfüllung dieser Kennzeichnungspflichten ohne weiteres kontrollieren lässt, können die Regelungen in Satz 1 und Satz 2 des § 8 I ElektroStoffV in ihrem Gesamtzusammenhang nur dahin ausgelegt werden, dass der Vertreiber zwar grundsätzlich die Einhaltung der verschiedenen Vorgaben des § 3 ElektroStoffV nur mit der erforderlichen Sorgfalt zu überprüfen hat, dass zu diesen Sorgfaltspflichten jedoch in jedem Fall gehört, insbesondere das Vorhandensein der CE-Kennzeichnung zu überprüfen. Gegen diese Pflicht hat die Antragsgegnerin verstoßen, da sie den beanstandeten Kopfhörer nicht auf das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung hin überprüft hat.

Aus dem Verstoß der Antragsgegnerin gegen § 8 I 2 Nr. 1 ElektroStoffV ergibt sich gemäß § 3 I Nr. 1 ProdSG zugleich das auch sie als Händlerin treffende Verbot, das fehlerhaft gekennzeichnete Produkt anzubieten und zu vertreiben. Nach dieser Regelung darf ein Produkt, das einer Rechtsverordnung nach § 8 I ProdSG unterliegt, nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es die in dieser Rechtsverordnung vorgesehenen Anforderungen erfüllt. Da die ElektroStoffV auf Grund des § 8 ProdSG ergangen ist, führt die Verletzung der darin vorgesehenen Kennzeichnungspflichten zu dem in § 3 I Nr. 1 ProdSG geregelten Bereitstellungsverbot. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 1 IV ProdSG, wonach die Vorschriften des Produktsicherheitsgesetzes nicht gelten, „soweit in anderen Rechtsvorschriften entsprechende und weitergehende Vorschriften vorgesehen sind“. Zu den „anderen Rechtsvorschriften“ im Sinne dieser Regelung gehören nicht die Vorschriften der ElektroStoffV, da diese Verordnung auf Grund von § 8 ProdSG ergangen ist und daher materiell eine Vorschrift des Produktsicherheitsgesetzes darstellt. Im Übrigen würde eine gegenteilige Auslegung dazu führen, dass Verstöße des Vertreibers gegen die in § 8 ElektroStoffV normierte Prüfungspflicht sanktionslos blieben; dies kann nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen.

b) Der dargestellte Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Vorschriften über die CE-Kennzeichnungspflicht beinhaltet zugleich eine unzulässige unlautere geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 I UWG.

Da Kennzeichnungspflichten nach der ElektroStoffV der Umsetzung der Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.11.2011 dienen und daher ihre Grundlage im Unionsrecht haben, ist die Verletzung der CE-Kennzeichnungspflicht als Vorenthaltung wesentlicher Informationen gegenüber dem Verbraucher im Sinne von § 5a II, IV UWG einzustufen, ohne dass insoweit noch ein weiteres Spürbarkeitserfordernis geprüft werden müsste (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., Rdz. 57 zu § 5a UWG).

Im Übrigen sind aber auch die Voraussetzungen einer unlauteren Handlung nach § 4 Nr. 11 UWG erfüllt. Bei der CE-Kennzeichnungspflicht nach § 12 ElektroStoffV handelt es sich um eine Regelung, die im Interesse der Abnehmer an einer zuverlässigen Information über die Produktsicherheit dazu bestimmt ist, das Verhalten der Anbieter auf dem Markt für Elektrogeräte zu regeln (vgl. - zur CE-Kennzeichnungspflicht nach der EU-BauprodukteV - Senat, Urteil vom 25.9.2014 - 6 U 99/14); wegen der Bedeutung des CE-Kennzeichens ist die Verletzung dieser Kennzeichnungspflicht ist auch als spürbar im Sinne von § 3 I UWG einzustufen.

c) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 II, 269 III 2 ZPO.

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