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Wirtschaftsrecht
09.06.2017
Wirtschaftsrecht
EuGH: Internationale Zuständigkeit – Enkelgesellschaft eines Stammhauses in Drittstatt als „Niederlassung“

EuGH, Urteil vom 18.5.2017 – C-617/15, Hummel Holding A/S gegen Nike Inc., Nike Retail BV

ECLI:EU:C:2017:390

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2017-1359-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 97 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige rechtlich selbständige Gesellschaft, die eine Enkelgesellschaft eines Stammhauses ist, das seinen Sitz nicht in der Union hat, eine „Niederlassung“ dieses Stammhauses im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Enkelgesellschaft einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit bildet und in dem Mitgliedstaat, in dem sie sich befindet, über eine bestimmte reale und konstante Präsenz verfügt, von der aus eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird, und sie auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt.

Verordnung (EG) Nr. 207/2009 Art. 97 Abs. 1

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hummel Holding A/S einerseits und der Nike Inc. sowie ihrer Tochtergesellschaft Nike Retail BV andererseits betreffend die angebliche Verletzung einer internationalen Marke von Hummel Holding mit Wirkung in der Europäischen Union durch die beiden Letztgenannten.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 44/2001

 

3          Die Erwägungsgründe 11 bis 13 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) lauten:

„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. …

(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(13) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.“

4          Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet wie folgt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

5          Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:

„Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich vorbehaltlich der Artikel 22 und 23 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Gesetzen.“

Verordnung Nr. 207/2009

 

6          Die Verordnung Nr. 207/2009 wurde geändert durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21), die am 23. März 2016 in Kraft getreten ist. Angesichts der Zeit, in die der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens fällt, wird das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen jedoch anhand der Verordnung Nr. 207/2009 in ihrer vor dieser Änderung geltenden Fassung geprüft.

7          Die Erwägungsgründe 15 bis 17 der Verordnung Nr. 207/2009 lauten:

„(15) Zum besseren Schutz der [Unions]marken sollten die Mitgliedstaaten gemäß ihrer innerstaatlichen Regelung eine möglichst begrenzte Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz benennen, die für Fragen der Verletzung und der Gültigkeit von [Unions]marken zuständig sind.

(16) Die Entscheidungen über die Gültigkeit und die Verletzung der [Unions]marke müssen sich wirksam auf das gesamte Gebiet der [Union] erstrecken, da nur so widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte und des [Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)] und eine Beeinträchtigung des einheitlichen Charakters der [Unions]marke vermieden werden können. Die Bestimmungen der Verordnung … Nr. 44/2001 … sollten für alle gerichtlichen Klagen im Zusammenhang mit den [Unions]marken gelten, es sei denn, dass die vorliegende Verordnung davon abweicht.

(17) Es soll vermieden werden, dass sich in Rechtsstreitigkeiten über denselben Tatbestand zwischen denselben Parteien voneinander abweichende Gerichtsurteile aus einer [Unions]marke und aus parallelen nationalen Marken ergeben. Zu diesem Zweck soll, sofern Klagen in demselben Mitgliedstaat erhoben werden, sich nach nationalem Verfahrensrecht – das durch diese Verordnung nicht berührt wird – bestimmen, wie dies erreicht wird; hingegen erscheinen, sofern Klagen in verschiedenen Mitgliedstaaten erhoben werden, Bestimmungen angebracht, die sich an den Vorschriften über Rechtshängigkeit und damit im Zusammenhang stehenden Verfahren der Verordnung … Nr. 44/2001 orientieren.“

 

8          In Titel X der Verordnung Nr. 207/2009, der Regelungen hinsichtlich Zuständigkeit und Verfahren für Klagen, die Unionsmarken betreffen, enthält, findet sich ihr Art. 94 („Anwendung der Verordnung … Nr. 44/2001“). Dieser Artikel bestimmt:

„(1) Soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, ist die Verordnung … Nr. 44/2001 auf Verfahren betreffend [Unions]marken und Anmeldungen von [Unions]marken sowie auf Verfahren, die gleichzeitige oder aufeinander folgende Klagen aus [Unions]marken und aus nationalen Marken betreffen, anzuwenden.

(2) Auf Verfahren, welche durch die in Artikel 96 genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden,

a)  sind Artikel 2, Artikel 4, Artikel 5 Nummern 1, 3, 4 und 5 sowie Artikel 31 der Verordnung … Nr. 44/2001 nicht anzuwenden;

b)  sind Artikel 23 und 24 der Verordnung … Nr. 44/2001 vorbehaltlich der Einschränkungen in Artikel 97 Absatz 4 dieser Verordnung anzuwenden;

c)  sind die Bestimmungen des Kapitels II der Verordnung … Nr. 44/2001, die für die in einem Mitgliedstaat wohnhaften Personen gelten, auch auf Personen anzuwenden, die keinen Wohnsitz, jedoch eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat haben.“

9          Art. 95 („[Unions]markengerichte“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten benennen für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz, nachstehend ‚[Unions]markengerichte‘ genannt, die die ihnen durch diese Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.“

10        Art. 96 („Zuständigkeit für Verletzung und Rechtsgültigkeit“) der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt:

„Die [Unions]markengerichte sind ausschließlich zuständig

a) für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer [Unions]marke;

…“

11        Art. 97 („Internationale Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 207/2009 lautet wie folgt:

„(1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sowie der nach Artikel 94 anzuwendenden Bestimmungen der Verordnung … Nr. 44/2001 sind für die Verfahren, welche durch eine in Artikel 96 genannte Klage oder Widerklage anhängig gemacht werden, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat.

(2) Hat der Beklagte weder einen Wohnsitz noch eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten, so sind für diese Verfahren die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Kläger seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat.

(3) Hat weder der Beklagte noch der Kläger einen Wohnsitz oder eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten, so sind für diese Verfahren die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das [EUIPO] seinen Sitz hat.

(5) Die Verfahren, welche durch die in Artikel 96 genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden – ausgenommen Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung einer [Unions]marke –, können auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht oder in dem eine Handlung im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 Satz 2 begangen worden ist.“

 

12        Art. 98 („Reichweite der Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 207/2009 sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Ein [Unions]markengericht, dessen Zuständigkeit auf Artikel 97 Absätze 1 bis 4 beruht, ist zuständig für:

a) die in einem jeden Mitgliedstaat begangenen oder drohenden Verletzungshandlungen;

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

13        Hummel Holding ist ein in Dänemark ansässiges Unternehmen, das Sportartikel, Sport- und Freizeitbekleidung sowie Sport- und Freizeitschuhe herstellt. Sie ist Inhaberin der internationalen Bildmarke, die unter der Nr. 943057 mit Wirkung für die Union für folgende Waren der Klasse 25 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen wurde: „Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“.

14        Nike mit Sitz in den Vereinigten Staaten ist die oberste Konzerngesellschaft des Nike-Konzerns, der Sportartikel in der ganzen Welt vertreibt. Nike Retail, die in den Niederlanden ansässig ist, gehört ebenfalls zu diesem Konzern. Letztere betreibt die Website, auf der u. a. für Deutschland die Nike-Produkte beworben und angeboten werden. Abgesehen von ihrem Online-Vertrieb über diese Website werden die Nike-Produkte in Deutschland über unabhängige Händler verkauft, die die Produkte von Nike Retail beziehen. Unmittelbar betreiben die Gesellschaften des Nike-Konzerns in Deutschland keine Groß- oder Einzelhandelsgeschäfte.

 

15        Die Nike Deutschland GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), die nicht Partei des Ausgangsrechtsstreits ist, ist nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Deutschland) eine Tochtergesellschaft von Nike Retail. Nike Deutschland verfügt über keine eigene Website und vertreibt keine Waren an Endverbraucher oder an Zwischenhändler. Vielmehr vermittelt sie die Verträge der Zwischenhändler mit Nike Retail und unterstützt die letztere Gesellschaft bei der Werbung und der Abwicklung der Verträge. Nike Deutschland betreibt auch den Kundenservice für die Endverbraucher.

 

16        Hummel Holding ist der Auffassung, dass bestimmte Nike-Produkte, insbesondere Basketball-Shorts, die in Rn. 13 des vorliegenden Urteils angeführte Marke verletzten, und macht geltend, dass die meisten Verletzungen in Deutschland stattgefunden hätten. Sie erhob gegen Nike und Nike Retail Klage beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland), das sich mit der Begründung, dass Nike Deutschland eine Niederlassung von Nike darstelle, für zuständig erklärte, die Klage aber in der Sache abwies. Hummel Holding legte gegen diese Entscheidung Berufung bei dem vorlegenden Gericht ein.

17        Hummel Holding begehrt die Unterlassung der Ein- und Ausfuhr, der Bewerbung, des Angebots, des Inverkehrbringens sowie des Inverkehrbringen-Lassens dieser Produkte, und zwar zum einen in Bezug auf das Unionsgebiet (hilfsweise das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland) hinsichtlich Nike und zum anderen in Bezug auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich Nike Retail.

 

18        Nike und Nike Retail rügten die fehlende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.

19        Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über die gegen die Gesellschaften des Nike-Konzerns gerichtete unionsweite Klage nur aus Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 ergeben könne. Es weist jedoch darauf hin, dass die Bedeutung des Begriffs „Niederlassung“ im Sinne dieser Bestimmung im Fall von selbständigen Tochter- und Enkelgesellschaften streitig und vom Gerichtshof nicht geklärt worden sei.

 

20        Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Unter welchen Umständen ist eine juristisch selbständige, in einem Mitgliedstaat der Union ansässige Enkelgesellschaft eines Unternehmens, welches selbst in der Union keinen Sitz hat, als „Niederlassung“ des Unternehmens im Sinne von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 anzusehen?

Zur Vorlagefrage

21        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige rechtlich selbständige Gesellschaft, die eine Enkelgesellschaft eines Stammhauses ist, das seinen Sitz nicht in der Union hat, eine „Niederlassung“ dieses Stammhauses im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

22        Es ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. u. a. Urteile vom 18. Januar 1984, Ekro, 327/82, EU:C:1984:11, Rn. 11 [RIW 1985, 62], vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds, C-201/13, EU:C:2014:2132, Rn. 14 [EWS 2014, 231 Tenor, K&R 2014, 650, WRP 2014, 1181], und vom 16. Juli 2015, Abcur, C-544/13 und C-545/13, EU:C:2015:481, Rn. 45 [WRP 2015, 1206]).

 

23        Dies ist bei dem Begriff „Niederlassung“ im Sinne von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 der Fall, da dieser Begriff in der Verordnung nicht definiert wird und die Verordnung für die Ermittlung seiner Bedeutung nicht auf die nationalen Rechtsordnungen verweist.

24        Zunächst ist festzuhalten, dass die Verordnung Nr. 207/2009 vorbehaltlich der dort ausdrücklich angeführten Ausnahmen die Anwendung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 auf Verfahren betreffend Unionsmarken und Anmeldungen von Unionsmarken vorsieht, was ausdrücklich aus dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 207/2009 sowie aus ihrem Art. 94 und ihrem Art. 97 Abs. 1 hervorgeht.

 

25        In diesem Zusammenhang beziehen sich zwar auch einige Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, wie etwa ihr Art. 5 Abs. 5 und ihr Art. 18 Abs. 2, auf den Begriff „Niederlassung“, so dass sich nicht ausschließen lässt, dass die aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesen beiden Bestimmungen gewonnenen Erkenntnisse in gewissem Maße auch für die Auslegung des Begriffs „Niederlassung“ im Sinne der Verordnung Nr. 207/2009 relevant sein können, jedoch ist nicht davon auszugehen, dass dieser Begriff notwendigerweise dieselbe Bedeutung aufweisen muss, je nachdem ob er im Rahmen der einen oder der anderen dieser beiden Verordnungen verwendet wird.

26        Trotz der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 44/2001 auf Klagen, die eine Unionsmarke betreffen, ist nämlich die Anwendung mancher Bestimmungen dieser Verordnung, insbesondere der in ihrem Art. 4 und in ihrem Art. 5 Abs. 1 enthaltenen Regelungen, auf Verfahren, die durch die in Art. 96 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden, nach Art. 94 Abs. 2 der letztgenannten Verordnung ausgeschlossen. In Anbetracht dieses Ausschlusses ergibt sich die Zuständigkeit der Unionsmarkengerichte, die nach Art. 95 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 über die in deren Art. 96 genannten Klagen und Widerklagen entscheiden, aus den in dieser Verordnung unmittelbar vorgesehenen Vorschriften, denen gegenüber den Vorschriften der Verordnung Nr. 44/2001 die Eigenschaft einer lex specialis zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, Coty Germany, C-360/12, EU:C:2014:1318, Rn. 26 und 27 [RIW 2014, 590, RAW 2015, 45, WRP 2014, 1047]).

 

27        Des Weiteren werden mit der Verordnung Nr. 44/2001 auf der einen und der Verordnung Nr. 207/2009 auf der anderen Seite keine identischen Ziele verfolgt. So zielt die Verordnung Nr. 44/2001 nach ihren Erwägungsgründen 12 und 13 darauf ab, den Wohnsitz des Beklagten durch alternative Gerichtsstände zu ergänzen, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind, bzw. – bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen – die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften zu schützen, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

28        Was die Verordnung Nr. 207/2009 betrifft, so hat sie nach ihren Erwägungsgründen 15 bis 17 zum Ziel, den Schutz der Unionsmarken zu verbessern und widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte sowie eine Beeinträchtigung des einheitlichen Charakters dieser Marken mittels Entscheidungen der Unionsmarkengerichte, die sich wirksam auf das gesamte Unionsgebiet erstrecken, zu vermeiden.

 

29        Daher muss man zur Bestimmung der Merkmale des Begriffs „Niederlassung“ im Sinne von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 gemäß der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht nur den Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch ihren Kontext und ihre Ziele berücksichtigen.

30        Der Wortlaut von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 enthält keine genaue Bestimmung des Begriffs „Niederlassung“ für die Zwecke seiner Anwendung. Allerdings geht daraus hervor, dass ein Beklagter, der keinen Wohnsitz innerhalb der Union hat, dort eine oder mehrere Niederlassungen haben kann, was a priori darauf hinzudeuten scheint, dass in letzterem Fall die Gerichte der verschiedenen Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet sich solche Niederlassungen befinden, angerufen werden können.

 

31        Hinsichtlich des Kontexts von Art. 97 der Verordnung Nr. 207/2009 ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung das Bestehen eines Gerichtsstands innerhalb der Union für sämtliche Rechtsstreitigkeiten betreffend die Verletzung oder die Gültigkeit einer Unionsmarke gewährleistet. Dieser Artikel, der mehrere Anknüpfungspunkte für die internationale Zuständigkeit enthält, zählt in seinen Abs. 1 bis 4 sukzessive Kriterien für die Ermittlung des Mitgliedstaats, dessen Gerichte gemäß Art. 98 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung zuständig sind, auf, um einen wirksamen Schutz der Unionsmarken im gesamten Gebiet der Union zu gewährleisten.

32        Art. 97 der Verordnung Nr. 207/2009 normiert in seinem Abs. 1 grundsätzlich die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat. Nur für den Fall, dass der Beklagte weder über einen Wohnsitz noch über eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten der Union verfügt, sehen die Abs. 2 und 3 dieses Artikels hilfsweise eine Zuständigkeit zugunsten der Gerichte des Wohnsitzes oder der Niederlassung des Klägers bzw. weiter hilfsweise eine Zuständigkeit zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das EUIPO seinen Sitz hat, vor.

 

33        Was Abs. 5 des genannten Artikels betrifft, so normiert dieser insbesondere eine Zuständigkeit zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht, wobei die Zuständigkeit eines solchen Gerichts in diesem Fall allerdings nach Art. 98 der Verordnung Nr. 207/2009 auf das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats beschränkt ist.

34        Wie der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellt Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009, der die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats vorsieht, in dem sich die Niederlassung einer Gesellschaft befindet, die ihren Sitz nicht innerhalb der Union hat, keineswegs eine Ausnahme von der grundsätzlichen Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Beklagten nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 im Licht ihres elften Erwägungsgrundes dar, sondern setzt sie vielmehr um, was für eine weite Auslegung dieses Begriffs spricht.

 

35        Dass diese Zuständigkeitsregel ein allgemeiner Grundsatz ist – sie ist Ausdruck der Maxime actor sequitur forum rei –, erklärt sich nämlich daraus, dass sie dem Beklagten grundsätzlich die Verteidigung erleichtert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 2000, Group Josi, C-412/98, EU:C:2000:399, Rn. 35 [EWS 2000, 506, RIW 2000, 787], und vom 19. Februar 2002, Besix, C-256/00, EU:C:2002:99, Rn. 52 [EWS 2002, 231]). Dies ist, wie der Generalanwalt in Nr. 82 seiner Schlussanträge festgehalten hat, dann der Fall, wenn eine Partei gehalten ist, sich vor den Gerichten eines Staates zu verteidigen, in dem sie über eine Niederlassung verfügt und zu dem sie daher eine größere Nähe aufweist.

36        Diese Auslegung beeinträchtigt im Übrigen nicht die in Rn. 28 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Ziele der Unionsmarkenregelung, da sich die Entscheidungen der auf der Grundlage von Art. 97 der Verordnung Nr. 207/2009 zuständigen Unionsmarkengerichte wirksam auf das gesamte Unionsgebiet erstrecken.

 

37        Diese weite Auslegung führt dazu, auf das Vorliegen greifbarer materieller Merkmale abzustellen, anhand deren das Bestehen einer „Niederlassung“ im Sinne von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 leicht festgestellt werden kann. Wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt das Bestehen einer solchen Niederlassung somit eine bestimmte reale und konstante Präsenz, von der aus eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird und die sich in einer persönlichen und materiellen Ausstattung vor Ort manifestiert. Des Weiteren muss diese Niederlassung auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortreten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. November 1978, Somafer, 33/78, EU:C:1978:205, Rn. 11 [RIW 1979, 56], vom 18. März 1981, Blanckaert & Willems, 139/80, EU:C:1981:70, Rn. 12 [RIW 1981, 341], vom 9. Dezember 1987, SAR Schotte, 218/86, EU:C:1987:536, Rn. 10 [RIW 1988, 136], und vom 19. Juli 2012, Mahamdia, C-154/11, EU:C:2012:491, Rn. 48 [RIW 2012, 630]).

38        In dieser Hinsicht kommt es nicht darauf an, ob die Niederlassung einer Gesellschaft mit Sitz außerhalb der Union im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Rechtspersönlichkeit besitzt oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2011, Voogsgeerd, C-384/10, EU:C:2011:842, Rn. 54 [EWS 2012, 56, RIW 2012, 240]). So müssen sich Dritte auf den von der als Außenstelle des Stammhauses auftretenden Niederlassung erweckten Anschein verlassen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 1987, SAR Schotte, 218/86, EU:C:1987:536, Rn. 15 [RIW 1988, 136]).

 

39        Auch der Umstand, dass die in dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte angerufen wurden, ansässige Gesellschaft eine Enkelgesellschaft einer Gesellschaft, deren Sitz außerhalb der Union liegt, und nicht eine unmittelbare Tochtergesellschaft dieser Gesellschaft ist, ist irrelevant, sofern die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sind.

40        Im Übrigen spielt es für die Anwendung von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 grundsätzlich keine Rolle, ob die so bestimmte Niederlassung an der behaupteten Verletzung beteiligt war oder nicht. Ein solches, nicht in Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehenes Erfordernis wäre nämlich überdies mit der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils dargelegten Notwendigkeit einer weiten Auslegung des Begriffs „Niederlassung“ unvereinbar.

41        Im Hinblick auf diese Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige rechtlich selbständige Gesellschaft, die eine Enkelgesellschaft eines Stammhauses ist, das seinen Sitz nicht in der Union hat, eine „Niederlassung“ dieses Stammhauses im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Enkelgesellschaft einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit bildet und in dem Mitgliedstaat, in dem sie sich befindet, über eine bestimmte reale und konstante Präsenz verfügt, von der aus eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird, und sie auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt.

Kosten

42        Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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