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Wirtschaftsrecht
27.07.2017
Wirtschaftsrecht
OLG Karlsruhe: Gesetzliches Widerrufsrecht für Verbraucherdarlehensverträge gilt nicht für die Vereinbarung der „Ablösung“ des ursprünglichen Darlehens

OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.5.2016 – 14 U 61/15; rkr.

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2017-1747-1

AMTLICHE LEITSÄTZE

Das für Verbraucherdarlehensverträge vorgesehene gesetzliche Widerrufsrecht gilt nicht für eine Vereinbarung, die der „Ablösung“ des ursprünglichen Darlehens dienen soll, wenn die Vertragsparteien in der neuen Vereinbarung lediglich für die Zeit nach Ablauf der ursprünglich vereinbarten Zinsbindungsfrist eine neue Zinsvereinbarung treffen, weil hiermit kein neues Kapitalnutzungsrecht für den Darlehensnehmer begründet wird. Dass formal ein neuer Darlehensvertrag geschlossen wird, genügt für die Annahme einer Novation des alten Darlehensvertrags nicht.

BGB 491 BGB a. F.

Sachverhalt

I.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass der mit der Beklagten geschlossene Darlehensvertrag vom 28.07.2006 von ihnen wirksam widerrufen wurde.

Die Kläger und die Beklagte schlossen am 20.04.1998 einen Darlehensvertrag (Vertrag Nr. 6900 407 112) über eine Darlehenssumme von 150.000 DM, wobei der Zinssatz von 5,25 % bis 30.06.2008 unveränderlich sein sollte. Für das Darlehen wurde eine Laufzeit von 30 Jahren vereinbart bei vierteljährlich zu zahlenden Raten von 2.525,30 DM. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage B 1 verwiesen. Der Vertrag diente, wie mehrere weitere zwischen den Parteien geschlossene Darlehensverträge, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits sind, der Finanzierung des Baus eines Ein- bis Zweifamilienhauses und wurde durch eine Grundschuld über insgesamt 620.000 DM besichert, die gleichzeitig auch die übrigen Darlehen besicherte.

Am 28.07.2006 schlossen die Parteien einen Darlehensvertrag über eine Darlehenssumme von 63.709,21 €, wobei der Zinssatz von 5,45 % bis 30.06.2018 unveränderlich sein sollte und monatlichen Raten von 430,36 € zu leisten waren (Vertrag Nr. 6000 850 711). In einer Zusatzvereinbarung hielten die Parteien fest, dass das Darlehen der Ablösung des Darlehens von 1998 dienen sollte, wobei die in der Zusatzvereinbarung angegebene Vertragsnummer unstreitig nicht richtig ist. Als Auszahlungstermin wurde der 30.06.2008 vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen. Das Darlehen diente wie das von 1998 der Finanzierung der errichteten Immobilie. Zu dem Vertrag wurde eine Widerrufsbelehrung erteilt. Wegen des genauen Wortlauts wird auf die Anlage K 4 verwiesen. Die Darlehenssumme aus dem Vertrag vom 28.06.2006 entsprach dem offenen Restbetrag des Vertrags vom 20.04.1998. Die Kläger erhielten die Darlehenssumme nicht ausbezahlt, sondern sie wurde bei der Beklagten auf den noch offenen Restbetrag verrechnet. Seit 01.07.2008 zahlen die Kläger die im Vertrag vom 28.06.2006 vereinbarten monatlichen Raten von 430,36 €.

Mit Anwaltsschreiben vom 13.10.2014 widerriefen die Kläger den Vertrag von 2006. Die vereinbarten Raten zahlten sie weiterhin.

Mit ihrer Klage haben die Kläger erstinstanzlich die Feststellung begehrt, dass sie an ihre auf den Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags zu Darlehenskontonummer 6000 850 711 gerichtete Willenserklärungen durch Widerrufserklärung vom 13.10.2014 nicht mehr gebunden sind und der Verbraucherdarlehensvertrag in der Folge rückabzuwickeln ist. Der Vertrag von 2006 stelle einen Verbraucherdarlehensvertrag i. S. v. §§ 491 ff BGB dar. Die Widerrufsbelehrung entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben, so dass sie den Vertrag noch im Jahr 2014 wirksam hätten widerrufen können.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Die Feststellungsklage sei bereits unzulässig, weil die Kläger Leistungsklage erheben könnten. Ein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe nicht, weil der Vertrag von 2006 der Sache nach kein Verbraucherdarlehensvertrag sei, sondern nach dem Willen der Parteien lediglich neue Zinskonditionen vereinbart werden sollten. Die Widerrufsbelehrung zum Vertrag von 2006 ergebe allenfalls ein vertraglich eingeräumtes „freiwilliges“ Widerrufsrecht, für das die Frist jedoch abgelaufen sei. Wenn man doch von einem gesetzlichen Widerrufsrecht ausgehe, könne die Beklagte sich darauf berufen, dass sie auf die Richtigkeit der Musterbelehrung (§ 14 Abs. 1 BGB-Info V) vertraut habe. Eine inhaltliche Bearbeitung habe sie nicht vorgenommen. Die Kläger hätten ihr Widerrufsrecht auch verwirkt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Klage sei zulässig, weil der Sachverhalt noch in der Entwicklung sei. Bei dem Vertrag vom 28.07.2006 handele es sich rechtlich um einen selbständigen Vertrag und nicht um eine bloße Verlängerung eines früher geschlossenen Vertrags. Hierfür spreche die Vereinbarung der Ablösung des früheren Vertrags, eines Auszahlungstermins und die neue Widerrufsbelehrung. Die erteilte Widerrufsbelehrung sei unrichtig, weil der Hinweis auf den Fristbeginn „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge. Darauf, dass sie auf die inhaltliche Richtigkeit der Musterbelehrung nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoVO a. F. vertraut habe, könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie durch Veränderungen eine inhaltliche Bearbeitung der Musterbelehrung vorgenommen habe. Die Kläger hätten ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt und es liege auch kein sonstiger Fall unzulässiger Rechtsausübung vor.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt mit dem Ziel der Klageabweisung. Die Beklagte wiederholt und vertieft dabei ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 21.04.2015 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kläger halten an ihren in erster Instanz vorgebrachten Auffassungen fest und verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Kläger haben den Darlehensvertrag mit der Beklagten nicht wirksam widerrufen, weshalb das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen ist.

1.

Die Klage ist allerdings, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, als Feststellungsklage zulässig. Der Antrag der Kläger ist der Sache nach darauf gerichtet festzustellen, dass der Vertrag vom 28.07.2006 durch den Widerruf der Kläger in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt wurde. Dies stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.06.2015 – 22 U 17/15 –).

Die Kläger haben ein rechtliches Interesse an der Feststellung gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Da die Beklagte das Recht der Kläger zum Widerruf bestreitet, besteht für die Kläger Unsicherheit über ihre Rechte und Pflichten gegenüber der Beklagten. Solange die Wirksamkeit des Widerrufs ungeklärt ist, ist für die Kläger unsicher, ob sie verpflichtet sind, weiterhin die vereinbarten monatlichen Raten auf das Darlehen zu bezahlen oder nicht.

Eine Leistungsklage – Klage auf Rückgewähr des Geleisteten und Nutzungsersatz - ist nicht vorrangig. Die Frage, ob das Darlehen wirksam widerrufen wurde, würde als Vorfrage eines Leistungsausspruchs nicht in Rechtskraft erwachsen. Ferner ist der Sachverhalt in der Entwicklung, nachdem die Kläger die Darlehensraten monatlich weiterhin bezahlen, so dass der Betrag einer zu erhebenden Leistungsklage nicht feststeht (OLG Düsseldorf, a. a. O.). Die Kläger sind nicht verpflichtet, die Zahlung der Darlehensraten einzustellen, um Leistungsklage erheben zu können (OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.01.2015 – 9 U 119/14 –).

2.

Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg, weshalb das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen ist.

Der von den Klägern mit Anwaltsschreiben vom 13.10.2014 erklärte Widerruf des Darlehensvertrags vom 28.07.2006 ist unwirksam, weil den Klägern ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht zusteht (unter a.) und auch eine vertragliche Möglichkeit zum Widerruf jedenfalls im Zeitpunkt der Widerrufserklärung nicht mehr bestand (unter b.).

a.

Den Klägern stand kein gesetzliches Widerrufsrecht gemäß § 495 Abs. 1 BGB (a. F.) zu, weil es sich bei dem Darlehensvertrag vom 28.07.2006 nicht um einen Verbraucherdarlehensvertrag im Sinne von § 491 Abs. 1 BGB a. F., sondern der Sache nach nur um eine neue Vereinbarung der Zinsfestschreibung und um eine Änderung des Vertrags vom 20.04.1998 handelt. Für eine solche Vereinbarung gelten die §§ 491 ff. BGB a. F., insbesondere § 495 BGB a. F., aber nicht.

Kennzeichnend für einen Verbraucherdarlehensvertrag im Sinne der §§ 491 ff. BGB ist, dass dem Verbraucher ein Kapitalnutzungsrecht eingeräumt wird. Dementsprechend finden die Vorschriften über das Widerrufsrecht auf Änderungen eines Verbraucherdarlehensvertrages nur dann Anwendung, wenn dem Verbraucher infolge der Vertragsänderung zugleich ein neues, im ursprünglichen Darlehensvertrag weder geregeltes noch angelegtes Kapitalnutzungsrecht eingeräumt wird (BGH, Beschl. v. 06.12.1994 - XI ZR 99/94 - = WM 1995, 103; BGH Urt. v. 07.10.1997 - XI ZR 233/96 -; BGH, Urt. v. 28.05.2013 – XI ZR 6/12 –, Rn. 21, jew. zit. n. juris; Staudinger, BGB, Bearb. 2012, § 492 Rn. 23, 30; Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 492 Rn. 11 ff.). Demgegenüber liegt eine - nicht dem Widerrufsrecht des § 495 BGB unterliegende - unechte Abschnittsfinanzierung vor, wenn es sich um einen Kredit handelt, bei dem ein langfristiges Kapitalnutzungsrecht eingeräumt wird, die Zinsvereinbarung jedoch nicht für den gesamten Zeitraum, sondern zunächst nur für eine bestimmte Festzinsperiode getroffen wird, wobei das Darlehen am Ende des Finanzierungsabschnitts nicht ohne weiteres fällig wird. Entscheidend ist also, dass der Darlehensnehmer trotz der nach Ablauf der Zinsbindungsfrist anstehenden Veränderung unverändert das Recht haben soll, den Darlehensbetrag bis zur Tilgung zu nutzen. Wenn dann Änderungen bezüglich der Tilgung und Zinszahlung vereinbart werden, betrifft dies die Gegenleistung des Darlehensnehmers, nicht aber das von der Bank gewährte Kapitalnutzungsrecht.

So liegt es hier. Das Kapitalnutzungsrecht aus dem Vertrag vom 20.04.1998 bestand im Zeitpunkt des Vertrags vom 28.07.2006 und weit über diesen Zeitpunkt hinaus, nämlich bis 2028. Hingegen lief die Zinsbindung aus dem Vertrag von 1998 mit dem 30.06.2008 ab und damit genau zu dem Zeitpunkt, zu dem der Vertrag vom 28.07.2006 eingreifen sollte, denn die Darlehenssumme dieses Vertrags sollte nach der Zusatzvereinbarung erst zum 30.06.2008 ausbezahlt werden. An dem Verwendungszweck des Darlehens von 1998 hatte sich im Jahr 2006 nichts geändert, ebenso wenig an der bestellten Sicherheit. All diese Umstände sprechen dafür, dass es den Parteien bei Abschluss des Vertrags vom 28.07.2006 gerade nicht darum ging, ein neues Kapitalnutzungsrecht der Kläger zu begründen, sondern allein darum, die Zinsen für die Zukunft, über das Ende der Zinsbindung aus dem Vertrag von 1998 hinaus, festzuschreiben.

Nach der Zusatzvereinbarung zum Vertrag von 2006 wurde zwar ein „Auszahlungstermin“ für die Darlehenssumme für den 30.06.2008 vereinbart und es wurden weitere Vereinbarungen hinsichtlich der Abnahme der Darlehenssumme getroffen. Unstreitig ist jedoch, dass tatsächlich keine Auszahlung von „frischem Geld“ an die Kläger erfolgte. Vielmehr sollte das Darlehen nach der Zusatzvereinbarung allein der Ablösung des früheren Darlehens dienen, womit ersichtlich die technische Abwicklung gemeint war, und wurde dann auch von der Beklagten entsprechend verrechnet. Dabei entsprach die Darlehenssumme des Vertrags von 2006 exakt dem Restbetrag des Darlehens von 1998.

Umstände, die dafür sprechen, dass die Parteien beabsichtigten, bei Abschluss des Vertrags vom 28.07.2006 ein neues Kapitalnutzungsrecht der Kläger zu begründen, bestehen hingegen nicht. Allein die formale Fassung des Vertrags als „Darlehensvertrag“ und die Vereinbarung von Einzelheiten der Auszahlung genügt hierfür nicht. Maßgeblich für die rechtliche Einordnung einer Vereinbarung ist nicht der Wortlaut, sondern das tatsächlich Gewollte, §§ 133, 157 BGB. Dafür, dass die Parteien übereinstimmend nur den bestehenden Vertrag ändern wollten, sprechen aber die zuvor angeführten Umstände. Angesichts dieser genügt es nicht, wenn die Kläger, die für die Einordnung der Vereinbarung als Verbraucherdarlehensvertrag darlegungs- und beweisbelastet sind, hierfür lediglich auf den Vertragswortlaut verweisen.

Da ein gesetzliches Widerrufsrecht für den Vertrag von 2006 nicht besteht und der Vertrag von 1998 nicht widerruflich ist, weil seinerzeit die gesetzliche Regelung des § 495 BGB noch nicht existierte, kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob die Widerrufsbelehrung zum Vertrag von 2006 die Widerrufsfrist in Gang setzen konnte. Insbesondere kann offen bleiben, ob die Widerrufsbelehrung als inhaltlich der Musterbelehrung nach Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV (in der bis 31.03.2008 geltenden Fassung) entsprechend anzusehen ist mit der Folge, dass sich die Beklagte auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann, oder ob eine inhaltlichen Bearbeitung der Musterbelehrung deshalb anzunehmen ist, weil in der Belehrung zum „finanzierten Geschäft“ nicht, wie im Gestaltungshinweis Nr. 9 vorgesehen, der Satz 2 der Musterbelehrung durch den für den Erwerb eines Grundstücks vorgesehenen Satz ersetzt wurde, sondern letzterer zusätzlich eingefügt und außerdem verändert wurde (vgl. zu einer identischen oder ähnlichen Belehrung wie der streitgegenständlichen einerseits etwa OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 26.02.2015 - 5 U 175/14 - und OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.06.2015 – 22 U 17/15 –, jew. zit. n. juris; andererseits OLG Frankfurt, Urt. v. 25.04.2016 - 23 U 98/15 -, zit. n. beck-online).

b.

Der Widerruf ist auch nicht deswegen wirksam, weil dem Vertrag vom 28.07.2006 eine Widerrufsbelehrung (Anlage K 4) beigefügt war. Es ist schon fraglich, ob die Kläger aus der Belehrung auf einen Willen der Beklagten schließen konnten, ihnen ein vertragliches Widerrufsrecht einzuräumen (näher BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 – XI ZR 6/12 –, Rn. 36). Für ein vertragliches Widerrufsrecht würden jedenfalls nicht dieselben Anforderungen gelten wie für ein gesetzliches Widerrufsrecht, so dass es für den Beginn der Widerrufsfrist nicht darauf ankommt, ob die Widerrufsbelehrung den Anforderungen an eine Belehrung über ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht (BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – II ZR 14/10 –, Rn. 33, juris). Im Jahr 2014 war die Frist zur Ausübung eines vertraglichen Widerrufsrechts von zwei Wochen seit langem abgelaufen.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 709 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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