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Wirtschaftsrecht
26.08.2015
Wirtschaftsrecht
BGH: Ermittlung des Wertes der mit einer beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer

BGH, Beschluss vom 23.7.2015 – XI ZR 263/14

Amtlicher Leitsatz

Bei der Ermittlung des Wertes der mit einer beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer im Sinne von § 26 Nr. 8 EGZPO sind die Forderungen mehrerer Beschwerdeführer, die einfache Streitgenossen nach §§ 59, 60 ZPO sind, grundsätzlich zu addieren.

ZPO §§ 2, 5, 59, 60 EGZPO § 26 Nr. 8

Aus den Gründen

1          Die Klägerinnen verlangen von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von C. -Anleihen und begehren die Zulassung der Revision gegen das Berufungsurteil, mit dem ihre Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Die Klägerin zu 1) ist in den Vorinstanzen in Höhe von 12.962,05 € unterlegen, die Klägerin zu 2) in Höhe von 16.003,08 €.

2          Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung sind für die Berechnung des Beschwerdewerts im Sinne von § 26 Nr. 8 EGZPO die Klageforderungen der Klägerinnen zu addieren.

3          1. Die Wertberechnung im Rahmen des § 26 Nr. 8 EGZPO ist nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen (st. Rspr., BGH, Beschlüsse vom 25. November 2003 VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639, vom 20. April 2005 XII ZR 92/02, NJW-RR 2005, 1011, vom 3. Mai 2005 - IX ZR 195/02, juris Rn. 12, vom 11. April 2006 XI ZR 199/04, NJW-RR 2006, 997, vom 8. Mai 2007 VIII ZR 133/06, NZM 2007, 499 Rn. 2, vom 15. Oktober 2008 IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rn. 5, vom 27. August 2009 VII ZR 161/08, ZfBR 2010, 64 und vom 10. Juli 2014 V ZR 322/13, juris Rn. 6).

4          a) Damit ist grundsätzlich auch § 5 ZPO anwendbar (so ausdrücklich BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2005 IX ZR 195/02, juris Rn. 13 und vom 28. November 2008 - LwZR 12/07, juris Rn. 11), zumal § 2 ZPO, der hinsichtlich der Vorschriften von ZPO und GVG für die Wertbestimmung auf die "nachfolgenden Vorschriften verweist", sowohl für den Wert des Beschwerdegegenstandes als auch für den Wert der Beschwer gilt. Gemäß § 5 ZPO werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet.

5          Dementsprechend wird der Wert verschiedener Ansprüche, die im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden, zur Bemessung des Werts der Beschwer nach § 26 Nr. 8 EGZPO zusammengerechnet, auch wenn diese Ansprüche sich nicht aus einem einheitlichen Streitgegenstand ergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. März 2006 I ZR 105/05, BGHZ 166, 327 Rn. 3 ff. unter Hinweis darauf, dass der IV. und V. Zivilsenat an abweichenden Entscheidungen nicht festhalten, vom 11. Mai 2006 VII ZR 131/05, NJW-RR 2006, 1097 Rn. 8 und vom 23. Mai 2007 IV ZR 19/06, FamRZ 2007, 1644 Rn. 10).

6          b) In zwei nach dem Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 ergangenen Entscheidungen ist der Bundesgerichtshof bereits wenn auch nicht tragend davon ausgegangen, dass die Beschwer mehrerer Beschwerdeführer zu addieren ist, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt (BGH, Beschlüsse vom 28. November 2008 - LwZR 12/07, juris Rn. 11 zu § 26 Nr. 8 EGZPO unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 546 ZPO aF und vom 19. März 2013 VIII ZB 45/12, NJW 2013, 2361 Rn. 20 zu § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unter Verweis auf §§ 2, 5 ZPO).

7          c) Auch die Kommentarliteratur geht ganz überwiegend davon aus, dass bei Rechtsmitteleinlegung durch mehrere Streitgenossen für den Wert des Beschwerdegegenstandes die auf die einzelnen Streitgenossen entfallenden Beschwerdewerte zusammenzurechnen sind, sofern die verfolgten Ansprüche nicht wirtschaftlich identisch sind (zu § 26 Nr. 8 EGZPO: Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 544 Rn. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 2 Rn. 39, § 5 Rn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 544 Rn. 4 i.V.m. § 511 Rn. 17, Anh. § 511 Rn. 7; zu Rechtsmitteln allgemein: Bork in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 61 Rn. 4; MünchKommZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 2 Rn. 7 f. i.V.m. § 5 Rn. 19 f.; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3 Rn. 16 "Streitgenossen", § 5 Rn. 3, 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 61 Rn. 9; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 61 Rn. 6; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rn. 7 i.V.m. § 511 Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 135 Rn. 31, 37 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 5 Rn. 1 [unter Verweis auf BGHZ 23, 333, 338; hier ohne die Einschränkung, die in der Kommentierung von § 26 Nr. 8 EGZPO Rn. 15 gemacht wird]; zur Berufung: Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 511 Rn. 46; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., Vor §§ 511 ff. Rn. 60; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 511 Rn. 90 f.; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 511 Rn. 25 f.; Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 511 Rn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 511 Rn. 17, Anh. § 511 Rn. 1, 7; Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 511 Rn. 18, 18.24; im Ergebnis auch: MünchKommZPO/Krüger, 4. Aufl., § 544 Rn. 6; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 14, 14a; Kessal-Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 544 Rn. 11; Prütting in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 544 Rn. 14; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rn. 6; HK-ZPO/Saenger, 6. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 13; a.A.: Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 15 und Gehle in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 5 Rn. 20). Dabei können die Kommentierungen zur Zulässigkeit der Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch im Rahmen der Auslegung von § 26 Nr. 8 EGZPO berücksichtigt werden, da es nach beiden Vorschriften im ersten Fall schon aufgrund des Wortlauts, im zweiten aufgrund der Auslegung durch die Rechtsprechung auf den "Wert des Beschwerdegegenstandes" ankommt und in beiden Fällen maßgeblich ist, in welchem Umfang die Beseitigung der sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebenden Belastung begehrt wird (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. März 2009 IX ZB 152/08, NJW-RR 2009, 853 Rn. 5 zur Berufung und BGH, Beschluss vom 27. Juni 2002 V ZR 148/02, NJW 2002, 2720 f. zur Revision).

8          d) Für die Addition der Beschwerdewerte spricht ferner, dass sie eine einheitliche Handhabung der Ermittlung der Beschwer für beide Seiten eines Prozesses bewirkt: Wenn bei einer Klage mehrerer Anleger gegen eine Bank oder Fondsgesellschaft im Fall der Verurteilung der Beschwerdewert der Beklagten ihrer gesamten Verurteilung entspricht, ohne nach den verschiedenen Klägern zu unterscheiden, profitiert die Beklagte von der gemeinsam erhobenen Klage, weil sie eine Überprüfung ihrer Verurteilung ermöglicht, die im Fall getrennter Klagen ausgeschlossen gewesen wäre. Dementsprechend muss auch im umgekehrten Fall der vollständigen Klageabweisung der Beschwerdewert der Kläger durch Addition ermittelt werden, um den Klägern eine Überprüfung des angefochtenen Urteils zu ermöglichen (vgl. BAG, BAGE 22, 383, 386).

9          e) Schließlich entspricht die Addition der Beschwer einfacher Streitgenossen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 546 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (nachfolgend: aF), nach der in Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche, bei denen der Wert der Beschwer einen bestimmten Betrag überstieg, die Revision unabhängig von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht statthaft war. Der Bundesgerichtshof ist davon ausgegangen, dass gemäß §§ 2, 5 ZPO bei subjektiver Klagehäufung die Beschwerdewerte der verschiedenen Streitgenossen zusammenzurechnen sind, sofern keine wirtschaftliche Identität vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 1957 II ZR 287/54, BGHZ 23, 333, 339; Beschluss vom 28. Oktober 1980 VI ZR 303/79, NJW 1981, 578 f.; Urteile vom 16. September 1981 VIII ZR 111/80, WM 1981, 1255, 1256 und vom 9. Juli 1982 V ZR 64/81, NJW 1983, 164 f.; Beschluss vom 23. Juni 1983 IVa ZR 136/82, NJW 1984, 927, 928; Urteile vom 23. Mai 1989 IVa ZR 88/88, NJW-RR 1989, 1206, vom 5. Februar 1997 VIII ZR 41/96, NJW 1997, 1578, vom 31. Oktober 1997 V ZR 209/96, WM 1998, 402 f., vom 30. März 1998 II ZR 146/96, WM 1998, 944, 945 [insoweit in BGHZ 138, 211 nicht abgedruckt] und vom 16. März 2000 IX ZR 10/99, NJW 2000, 1643; Beschluss vom 19. Oktober 2000 I ZR 176/00, NJW 2001, 230, 231; Urteil vom 27. November 2003 VII ZR 93/01, NJW-RR 2004, 303, 304). Das Bundesarbeitsgericht ist dem gefolgt (BAGE 22, 383, 385 f. und BAGE 45, 91, 98 f.). In den sämtlichen genannten Entscheidungen wurde nicht danach differenziert, ob es sich um einfache oder notwendige Streitgenossen handelte.

10        § 26 Nr. 8 EGZPO, der auf den "Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer" abstellt, weicht zwar insoweit von § 546 ZPO aF ab, als nicht mehr die Beschwer aus dem Berufungsurteil, sondern der Wert des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend ist, so dass es nicht auf die Wertdifferenz zwischen dem in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag und dem Tenor des Berufungsurteils, sondern den Umfang der nach dem Rechtsmittelantrag erstrebten Abänderung des angefochtenen Urteils ankommt (BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2002 V ZR 148/02, NJW 2002, 2720 f., vom 23. Oktober 2002 IV ZR 154/02, NJW-RR 2003, 159, vom 25. November 2003 VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639, vom 3. Mai 2005 IX ZR 195/02, juris Rn. 10, 12, vom 30. November 2005 IV ZR 214/04, NJW 2006, 1142, vom 11. Mai 2006 VII ZR 131/05, NJW-RR 2006, 1097 Rn. 8 und vom 15. Oktober 2008 IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rn. 5). Diese Änderung ist aber ohne Bedeutung für die Frage, ob für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren im Fall einer von mehreren Streitgenossen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die Ansprüche dieser Streitgenossen, die weiterverfolgt werden, zusammenzurechnen sind.

11        2. Soweit der II. und der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in zwei Fällen einfacher Streitgenossenschaft die Beschwer für jeden Beschwerdeführer gesondert ermittelt haben (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2006 II ZR 220/05, juris Rn. 1 und vom 30. April 2014 XII ZR 124/12, juris Rn. 11 f.), haben beide Senate auf Anfrage erklärt, dass sie an dieser Rechtsauffassung nicht festhalten.

 

 

 

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