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Steuerrecht
07.09.2017
Steuerrecht
FG Köln: Zinssatz von 6 % in § 233a AO ist bis September 2014 verfassungsgemäß

FG Köln, Urteil vom 27.4.2017 – 1 K 3648/14

ECLI:DE:FGK:2017:0427.1K3648.14.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2017-2134-2

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Bei einer Beurteilung des gesetzlichen Zinssatzes anhand der Marktverhältnisse sind einerseits die üblichen Zinssätze etwa für Dispositionskredite und andere unbesicherte Konsumentenkredite, andererseits die Renditemöglichkeiten von Anlageformen außerhalb der reinen Geldanlage zu berücksichtigen.

Diese Überlegungen gelten für den hier in Rede stehenden Zeitraum 1.1.2014 bis 29.9.2014 unverändert fort.

Da die Norm des § 238 Abs. 1 S. 1 AO nicht verfassungswidrig, sondern anzuwenden ist, bedarf es keiner Prüfung der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung ggf. mit der Folge des Ansatzes eines niedrigeren Zinssatzes.

2. Die Voraussetzung dazu wäre im Übrigen, dass verschiedene Auslegungsmöglichkeiten vorlägen, von denen nur eine verfassungsgemäß ist; diese Konstellation kann angesichts des im Gesetzesbefehl mit „einhalb Prozent“ als einer Rechengröße exakt bestimmten Zinsfußes – und damit nicht als einer auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsvoraussetzung einer Norm – selbst theoretisch nicht in Betracht kommen.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, insbesondere der Verfassungsgemäßheit des dabei angewendeten Zinssatzes.

Der Kläger erzielte in den Jahren 2000, 2004, 2005 und 2008 – unter anderem – gewerbliche Einkünfte als Gesellschafter mehrerer Kommanditgesellschaften, die jeweils einheitlich und gesondert festgestellt wurden, sowie Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Einzelunternehmer, die gesondert festgestellt wurden.

Aufgrund von Mitteilungen der jeweiligen Betriebsstätten-Finanzämter erließ der Beklagte entsprechende Änderungsbescheide „über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer“. Unter der Überschrift „Festsetzung“ ist jeweils vermerkt: „Der Bescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert.“ Die Bescheide datieren für die Jahre 2000, 2004 und 2005 vom 24.9.2014; der Bescheid für 2008 datiert vom 19.9.2014. Jeweils in demselben Bescheid setzte der Beklagte im Verfügungsteil zugleich auch Zinsen zur Einkommensteuer 2000, 2004,2005 und 2008 fest. In dem jeweiligen Erläuterungstext der Bescheide führte er aus, die Zinsen würden gemäß § 233 a AO festgesetzt.

Die Zinsfestsetzungen lauten

für 2000 bei einem Zinslauf vom 1.4.2002 bis 29.9.2014 auf   569 € ( = 1.112,87 DM),

für 2004 bei einem Zinslauf vom 1.4.2006 bis 29.9.2014 auf  347 €,

für 2005 bei einem Zinslauf vom 1.4.2007 bis 29.9.2014 auf   413 €,

für 2008 bei einem Zinslauf vom 1.4.2010 bis 22.9.2014 auf 2.972 €.

Für die genaue Berechnung wird auf die angefochtenen Bescheide Bezug genommen (Gerichtsakte, Bl. 15 bis 22).

Der Kläger legte am 7.10.2014 beim Beklagten „gegen die o. g. Einkommensteuerbescheide bzgl. der Festsetzung von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO… wegen der Höhe des dabei zu Grunde gelegten Zinssatzes von 0,5 % monatlich“ Einsprüche ein. Er verwies dazu auf das Revisionsverfahren IX R 31/13. Der Beklagte fasste diese Einsprüche als gegen die Zinsbescheide gerichtet auf. Nach Ergehen des BFH-Urteils im o. g. Revisionsverfahren wies der Beklagte die Einsprüche des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 18.11.2014 unter Hinweis auf die Begründung des BFH als unbegründet zurück.

Daraufhin hat der Kläger am 19.12.2014 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sich zunächst gegen die oben genannten Zinsbescheide insgesamt gewandt hat, insoweit dort ein Zinssatz von 0,5% pro Monat zugrunde gelegt worden ist.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Es bestünden verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Zinssatz von 0,5 % pro Monat zumindest insoweit, als der Zeitraum nach dem 21. März 2011 betroffen sei. Der BFH führe in diesem Urteil aus, dass sich erst nach dem dort streitgegenständlichen Verzinsungszeitraum das Marktniveau dauerhaft auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert habe. Dann könne – so der BFH – der Gesetzgeber allerdings von Verfassung wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten sei. Im vorliegenden Klageverfahren seien Verzinsungszeiträume bis zum 29.9.2014 maßgeblich. Nach den Ausführungen des IX. BFH-Senats im o. g. Urteil seien hier in jedem Fall Zeiträume betroffen, in denen demnach von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen werden könne.

Es entspreche ständiger Rechtsprechung des BFH, dass die Zinsfestsetzung den Zinsnachteil des Steuergläubigers und Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ausgleichen solle. Dazu müsse zumindest die Möglichkeit bestehen, die zu zahlenden Zinsen durch Anlage der nicht gezahlten Steuerbeträge auszugleichen. Realistisch bestehe diese Chance wegen der anhaltenden Niedrigzinsphase nicht. Zusätzlich werde eine Kompensation der steuerlich nicht abziehbaren Zinsen im Hinblick auf die Versteuerung der aus der Anlage der (noch) nicht gezahlten Steuerbeträge erzielten Erträge mit der Abgeltungssteuer erschwert. Es müssten mehr als 8 % Zinsen p.a. erzielt werden, um die Belastung mit 6 % zu kompensieren. Es sei sicherlich grotesk, den Steuerpflichtigen auf die Möglichkeit spekulativer Anlagen zu verweisen, mit denen sich höhere Renditen erzielen ließen. Der Hinweis im o. g. BFH-Urteil, das die Effektivzinssätze für Konsumentenkredite an private Haushalte nicht wesentlich unter dem hier streitbefangenen Zinssatz lägen, könne kaum ernsthaft als Rechtfertigung für die Zinshöhe herangezogen werden, da hier eine theoretisch mögliche Umschichtung realitätsfremd sei. Diese Ausführungen könnten nur im Zusammenhang damit gesehen werden, dass der IX. BFH-Senat (noch) nicht gewillt gewesen sei, die Frage der Zinssatzhöhe dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

In der Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf der Basis des Zinssatzes von 6 % sei ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, insbesondere aber ein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 4 GG) zu sehen. Zwar habe der Gesetzgeber die Höhe des Zinssatzes nicht ausdrücklich begründet, doch habe er zu erkennen gegeben, dass die Höhe der Zinsen für Sparguthaben einen Einfluss auf die Höhe des Vollverzinsungssatzes haben würde. Aufgrund der fehlenden Kompensationsmöglichkeit bei der gegenwärtig festgelegten Zinshöhe handle es sich bei den Nachzahlungszinsen tatsächlich um eine zusätzliche Versteuerung vom Steuerpflichtigen nachzuzahlender Steuern oder um eine Strafe. Für beides fehle es an einer Legitimierung durch den Gesetzgeber. Außerdem werde, sofern es sich bei der Festsetzung der Zinsen um eine Strafe handele, dem Legalitätsprinzip der Verfassung nicht Rechnung getragen.

Die Zinshöhe in § 238 AO gefährde zudem auch den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz im Falle von Verfahren wegen AdV, wie das FG Hamburg entschieden habe.

Im Übrigen verweist der Kläger auf einen Aufsatz von Seer (Beilage 2/2014 Steuer und Studium, dort. V. Ziffer 3). Darin werde ausgeführt, mangels Begründung des Gesetzgebers fehle es am Maßstab für die Höhe des Zinssatzes. Die Maßstäbe der Kompensation des Liquiditätsnachteils des Staates sowie des Liquiditätsvorteils des Steuerschuldners aus der Perspektive kurzfristiger alternativer Geldanlage rechtfertigten einen fixen Zinssatz von 6 % per anno evidenter Weise nicht. Der Refinanzierungszinssatz des Staates betrage momentan 0 %; die auf dem Geldmarkt zu erzielenden Zinsen für kurzfristige Kapitalanlagen im Schnitt etwa 0,1 %. Zum dritten möglichen Maßstab der Kompensation des Liquiditätsvorteils des Steuerschuldners aus der Perspektive kurzfristiger alternativer Fremdfinanzierung passe der fixe Zinssatz von 6 % per anno für die Unternehmensfinanzierung als Fremdfinanzierung schlechterdings nicht. Bei der Perspektivenwahl einer kurzfristigen Fremdfinanzierung werde ein Typus zum Regelfall, der nicht der Regelfall sei, und der die ebenso gewichtige Fallgruppe des eigenkapitalinnehabenden Steuerpflichtigen völlig außen vor lasse.

Die Argumentation des Beklagten, dass die typisierende Festlegung des Zinssatzes verfassungsgemäß sei, gehe fehl. Denn eine Typisierung schließe weder eine Anpassung des Zinssatzes aus, noch, dass dieser sich nach einer variablen Größe errichten könne. Dies könne etwa analog der Festsetzung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB ergehen. Auch könne nicht ernsthaft damit argumentiert werden, dass eine solche Handhabung EDV-mäßig schwierig durchzuführen sei.

Die Argumentation, dass der gleiche Zinssatz zu Gunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen wirke, bedeutet in der Konsequenz, dass bestimmten Personen durch staatliche Maßnahmen zugefügtes Unrecht dadurch zu rechtfertigen sei, dass andere Personen von dem Unrecht auch profitieren könnten.

Unbestreitbar bestehe eine Niedrigzinsphase schon seit 10-15 Jahren, jedenfalls bestehe seit dem 1.7.2009 ein Basiszinssatz von 0,12 %, der bis zum 1.7.2015 auf -0,83 % gesunken sei. Schon im siebten Jahr fielen der durchschnittliche Marktzins und die gesetzlich festgelegte Zinssatzhöhe nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO deutlich auseinander. Unter Berücksichtigung aktuell von Experten erwarteter Zinsentwicklung für die nächsten Jahre liege auch eine Dauerhaftigkeit dieser Niedrigzinsphase vor.

Der Hinweis, dass ein Liquiditätsvorteil sich anhand des Zinsniveaus bemesse, sondern regelmäßig auch andere Anlagen etwa in Form von Investitionen, der Entbehrlichkeit einer Kreditaufnahme oder der Rückzahlung bereits aufgenommene Kredite niederschlagen könne, stehe im Widerspruch zu der vom Beklagten behaupteten notwendigen Typisierung und sei auch sonst nicht zutreffend. Es sei nicht realistisch und nicht zweckmäßig, dass ein typischer Steuerpflichtiger mit noch nicht an das Finanzamt zu zahlenden Geldern spekuliere. Auch sei es realitätsfremd und einem Steuerpflichtigen nicht zu raten, einen Kredit aus noch nicht gezahlten Steuern zurückzuzahlen, um dann wiederum die Steuernachzahlung mit einem Kredit finanzieren zu müssen. Der typische Steuerpflichtige werde die Gelder als Festgeld oder Termingeld anlegen, um nach Ergehen des Steuerbescheids fristgerecht zahlen zu können.

Mit der Klageschrift hat der Kläger beantragt,

die Nachzahlungszinsen auf eine angemessene Verzinsung herabzusetzen,

ersatzweise die Zinsfestsetzung wegen der Verfassungswidrigkeit des angewandten Zinssatzes aufzuheben.

Der Berichterstatter hat den Kläger darauf hingewiesen, dass die vorliegend von der Zinsfestsetzung umfassten Zinsläufe frühestens am 1.4.2002 beginnen und alle im September 2014 enden, und dass der BFH für Zinsläufe bis einschließlich Dezember 2013 keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen habe. Nach weiterer Erörterung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger sein Klagebegehren auf die Überprüfung des Zinssatzes für die Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 eingeschränkt.

Der Kläger beantragt nunmehr,

              die Bescheide über die Zinsen zur Einkommensteuer 2000, 2004, und 2005 vom 24.9.2014 und zur Einkommensteuer 2008 vom 19.9.2014 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18.11.2014 insoweit wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben, als hierin für die Verzinsungszeiträume ab 01.01.2014 ein Zinssatz von 0,5% pro Monat zugrunde gelegt ist, bzw. die Zinsen entsprechend herabzusetzen.

28

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Die typisierende Festlegung des Zinssatzes durch den Gesetzgeber sei auch für die hier streitigen Verzinsungszeiträume mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar.

Nach der Absicht des Gesetzgebers solle der konkrete Zinsvorteil oder Zinsnachteil im Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. Die Verzinsung knüpfe allein an die objektive Möglichkeit an, dass Zins- oder Liquiditätsvorteile entstünden. Eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder den Basiszinssatz nach § 247 BGB sei nicht in Betracht gezogen worden, weil die Schwankungen des Zinses zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten für dessen Feststellung führen würden, unabhängig von der subjektiven Entscheidung des Steuerpflichtigen, in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziere oder das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende.

Aus der allgemeinen Zinsentwicklung folge keine Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer allgemeinen Anpassung des Zinssatzes oder zu einer solchen beschränkt auf die Verzinsung nach § 233a AO. Zwar seien die Zinsen zumindest seit 2009 erheblich gefallen, doch lasse sich daraus keine dauerhafte Entwicklung herleiten, die der gesetzlichen Regelung ihre Grundlage entziehe. Zudem dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile gerade bei Geschäftsleuten nicht nur in Gestalt von Zinsen bestünden; darüber hinaus sei in die Vergleichsbetrachtung nicht nur der Anlagezinssatz, sondern auch der Darlehenszinssatz einzubeziehen. Abschließend verweist der Beklagte auf zwei - dem Gericht neutralisiert vorgelegte - Beschlüsse in Aussetzungsverfahren wegen Aussetzungszinsen für Zinszeiträume bis September 2014 (FG Düsseldorf vom 20.10.2015 4 V 2910/15 A AO) bzw. bis 10. März 2014 (FG Münster vom 22.10.2015 8 V 2578/15 E):

Anders als der Kläger meine, könne der Regelungsbereich des § 238 Absatz 1 S. 1 AO auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung durch das Finanzgericht in dem Sinne eingeschränkt werden, dass ein geringerer als der gesetzlich genannte Zinssatz angewendet werde.

Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.4.2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Aus den Gründen

36        Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide über die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer für 2000, 2004 und 2005, jeweils vom 24.9.2014, und über die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer für 2008 vom 19.9.2014 sowie die zu diesen Bescheid ergangene Einspruchsentscheidung vom 18.11.2014 sind rechtmäßig; sie verletzen daher den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Insbesondere hat der Beklagte in den angefochtenen Zinsfestsetzungen zu Recht den Zinssatz des § 238 Abs. 1 S. 1 der Abgabenordnung – AO – i.H.v. 0,5 % für jeden Monat zugrunde gelegt. Dieser begegnet jedenfalls im hier streitbefangenen Zinszeitraum vom 1.1.2014 bis zum 22.9.2014 (betreffend Einkommensteuer 2008) bzw. bis zum 29.9.2014 (Einkommensteuer 2000, 2004 und 2005) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

37        I.

38        Der Senat konnte entscheiden, ohne das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vorzulegen. Die Voraussetzungen einer Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – liegen nämlich nicht vor.

39        Ein Gericht kann die Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung überzeugt ist (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 20. März 1984  1 BvL 23/83, BVerfGE 66, 265, unter B.2.; BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1989  2 BvL 8/87, BVerfGE 80, 59, unter B.1., und vom 22. September 2009  2 BvL 3/02, BVerfGE 124, 251, unter B.2.a). Eine solche Überzeugung vermochte sich der erkennende Senat im Streitfall hinsichtlich der gesetzlich festgelegten Zinshöhe indes nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (vgl. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO) für den hier entscheidungserheblichen Zinszeitraum nicht zu bilden.

40        Die heute in § 238 Abs. 1 S. 1 AO festgeschriebene Höhe des Zinssatzes von 6 %(0,5 % p.m.) für die verschiedenen Zinstatbestände der §§ 233 ff. AO ist jedenfalls für die hier zu prüfenden Zinszeiträume vom 1.1.2014 bis maximal zum 29.9.2014 verfassungsgemäß und daher der Berechnung in angefochtenen Zinsbescheiden uneingeschränkt zugrunde zu legen, wie dies der Beklagte rechtsfehlerfrei in den angefochtenen Bescheid getan hat.

41        1.

42        Die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Zinssatzes ist in der Rechtsprechung des BFH sowie des BVerfG für zurückliegende Zinszeiträume zwar nur bis einschließlich Dezember 2013 bereits geklärt, jedoch mit Erwägungen, die jedenfalls auch für den hier im Streitfall maßgebenden Zeitraum bis September 2014 noch unverändert Geltung haben.

43        Der erkennende Senat verkennt nicht, dass die innere Rechtfertigung dieses Zinssatzes angesichts der nun seit Jahren andauernden Niedrigzinsphase immer wieder und in zunehmendem Maße nicht nur de lege ferenda sondern auch de lege lata in diversen Publikationen der Fachöffentlichkeit als verfassungswidrig beanstandet wird. Diese Kritik beachtet jedoch weder die Funktion dieses Zinssatzes noch die einschlägige Rechtsprechung hierzu, wie der X. Senat des BFH in seinem Beschluss vom 19. Februar 2016  X S 38/15 (PKH) zutreffend entschieden und begründet hat.

44        a)

45        So hat das BVerfG mit Nichtannahmebeschluss vom 3. September 2009 1 BvR 2539/07 (BFH/NV 2009, 2115, dort unter III.1.b bb) entschieden, dass der durch den Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung typisierend auf 0,5 % pro Monat festgesetzte Zinssatz, der immerhin zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen gilt, rechtsstaatlich unbedenklich ist und keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot darstellt. Es entspricht danach gerade der Absicht des Gesetzgebers, dass der konkrete Zinsvorteil oder -nachteil für den Einzelfall nicht ermittelt werden muss. Entsprechend haben sowohl der I. Senat des BFH (Urteil vom 20. April 2011 I R 80/10, BFH/NV 2011, 1654, unter II.2.) als auch der IX. Senat des BFH (Urteil vom 1. Juli 2014 IX R 31/13, BFHE 246, 193, BStBl II 2014, 925, dort unter II.2.a bis c; bestätigt durch Urteil vom 14. April 2015 IX R 5/14, BFHE 250, 483, BStBl II 2015, 986) entschieden.

46        b)

47        Der IX. Senat hat in seinem Urteil vom 14. April 2015 IX R 5/14 (BFHE 250, 483, BStBl II 2015, 986) für einen Zinszeitraum bis zum Jahre 2011 sinngemäß näher ausgeführt, dass es zwar unter praktischen Gesichtspunkten unter Einsatz moderner EDV durchaus denkbar sei, eine Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - vorzunehmen, dass aber weitere Gesichtspunkte existieren, die die grundsätzliche Abkopplung von diesen beiden Zinsfüßen rechtfertigen und den geltenden Zinssatz von 6 % nicht als so hoch erscheinen lassen wie er auf den ersten Blick scheint. So wäre es unangemessen, als Vergleichsmaßstab lediglich den jeweils aktuellen Zinssatz für Geldanlagen heranzuziehen, da sowohl die bei der Verwendung von Kapital erzielbaren als auch bei der Finanzierung von Steuernachzahlungen aufzubringenden Zinsen bzw. Renditen von individuellen Finanzierungsentscheidungen des Steuerpflichtigen abhängig sind. Das bedeutet, dass bei einer Beurteilung des gesetzlichen Zinssatzes anhand der Marktverhältnisse einerseits die üblichen Zinssätze etwa für Dispositionskredite und andere unbesicherte Konsumentenkredite, andererseits die Renditemöglichkeiten von Anlageformen außerhalb der reinen Geldanlage zu berücksichtigen sind.

48        2.         49        Diese Überlegungen gelten für den hier in Rede stehenden Zeitraum 1. Januar 2014 bis 29. September 2014 unverändert fort.

50        a)

51        Die Abkopplung des gesetzlichen Zinssatzes von dem individuellen Zinsvorteil oder-nachteil ist ein grundlegendes Prinzip, das nicht von dem Zeitraum abhängt, um den es geht. Es zeigt vielmehr, dass der gesetzliche Zinssatz grundsätzlich auch und gerade gerechtfertigt ist, wenn er signifikant von dem Marktzins abweicht, der seinerseits die tatsächlichen Zinsvorteile oder -nachteile prägt. Eine einschneidende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die so weit ginge, dass selbst bei Einbeziehung der für den Kreditnehmer ungünstigsten Sollzinssätze namentlich bei unbesicherten Kreditformen bzw. der für den Vermögensanleger günstigsten Renditen ein Zinsfuß von 6 % p.a. gänzlich markt- und realitätsfremd erschiene, vermag der erkennende Senat jedenfalls für den hier zu entscheidenden Zinszeitraum noch nicht zu erkennen.

52        Der gesetzliche Zins hielt sich nämlich auch für den hier zu betrachtenden Zeitraum Januar bis September 2014 beim Vergleich mit den Marktzinsen noch in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen.

53        b)        

54        Zum Vergleich lagen im Streitzeitraum nämlich laut Bundesbankstatistik die Zinssätze

55        -          für Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist bis zu drei Monaten zwischen 0,61-0,89 %,

56        -          für Dispositionskredite (eingeräumte Überziehungskredite) zwischen 9,53 und 9,37 % (MIF-Zinsstatistik der Bundesbank zu „Revolvierenden Krediten und Überziehungskrediten an private Haushalte“,BBK01.SUD112),

57        -          für das Neugeschäft der deutschen Banken für Konsumentenkredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung zwischen 6,38 und 6,81 %,

58        -          für derartige Kredite mit Zinsbindungen von über 5 Jahren l zwischen 8,22 und 7,64 %,

59        -          der gesetzlichen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 und Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB- unter Berücksichtigung des Basiszinssatzes entsprechend § 247 BGB von -0,63 % ab dem 1. Januar 2014 bei 4,37 % bzw. 7,37 %,

60        -          derselben gesetzlichen Verzugszinsen ab dem 1. Juli 2014 bei einem Basiszinssatz von -0,74 % bei 4,26 % bzw. 7,26 % (bis zum 28.7.2014) und

61        -          der gesetzlichen Verzugszinsen gemäß § 288 Abs. 2 BGB in der ab dem 29.7.2014 geltenden geänderten Fassung (infolge der Erhöhung des Basiszinssatzes statt um bisher 8 % nunmehr um 9 %) bei 8,26 %.

62        Damit lagen alle vergleichsweise heranzuziehenden Parameter entweder unterhalb des sich bei Anwendung des § 238 Abs. 1 S. 1 AO ergebenden „Jahreszinssatzes“ von 6 % oder aber weichen von diesem noch nicht in einem derart starken Maße ab, dass der zu prüfende gesetzliche Rahmen erkennbar überschritten ist.

63        II.

64        Dass die angefochtenen Zinsbescheide bei Zugrundelegung des als verfassungsgemäß anerkannten Zinssatzes nicht aus anderen Gründen fehlerhaft und damit rechtswidrig sind, ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig:

65        Der Beklagte hat nämlich zutreffenderweise auf den für den jeweiligen Zinsbescheid sich aus der geänderten Einkommensteuerfestsetzung ergebenden Unterschiedsbetrag im Sinne des § 233a Abs. 3 S. 1 AO den Zinssatz des § 238 Abs. 1 S. 1 AO gemäß S. 2 dieser Norm nur für volle Monate angewandt; dabei hat er richtigerweise gemäß § 238 Abs. 2 AO den verzinsenden Betrag abgerundet und die so errechneten Zinsen gemäß § 239 Abs. 2 S. 1 AO auf volle Euro zum Vorteil des Klägers gerundet in den angefochtenen Bescheiden festgesetzt. In allen vier Zinsbescheiden ist die dabei zu beachtende Geringfügigkeitsgrenze i.H.v. 10 Euro (§ 239 Abs. 2 S. 2 AO) überschritten.

66        III.

67        Auch soweit der Kläger mit seinem Klageantrag für die streitigen Monate lediglich eine Herabsetzung der Nachzahlungszinsen begehrt, ist die Klage unbegründet. Da der erkennende Senat nicht die Überzeugung gewonnen hat, dass die Norm des § 238 Abs. 1 S. 1 AO verfassungswidrig, sondern anzuwenden ist, bedurfte es auch keiner - vom Kläger gewünschten - Prüfung der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung mit der – vom Kläger dann erwarteten – Folge des Ansatzes eines niedrigeren Zinssatzes. Die Voraussetzung dazu wäre im Übrigen, dass verschiedene Auslegungsmöglichkeiten vorlägen, von denen nur eine verfassungsgemäß ist. Diese Konstellation kann angesichts des im Gesetzesbefehl mit „einhalb Prozent“ als einer Rechengröße exakt bestimmten Zinsfußes - und damit nicht als einer auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsvoraussetzung einer Norm - selbst theoretisch nicht in Betracht kommen.

68        IV.

69        Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

70        V.

71        Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich schon angesichts des weiter andauernden Niedrigzinsniveaus in den hier streitigen Zinsmonaten (in direktem zeitlichem Anschluss an die Monate ab Dezember 2013, über die der BFH im Beschluss vom 19. Februar 2016 X S 38/15 (PKH), BFH/NV 2016, 940 entschieden hat. Sie folgt auch aus der vom Kläger und Teilen der Literatur so verstandenen Ausführungen des BFH in seinem Urteil vom 14. April 2015 IX R 5/14, BFHE 250, 483, BStBl II 2015, 986, dass der IX. Senat für Folgemonate wie die hier streitbefangenen von einer notwendigen verfassungsrechtlichen Überprüfung überzeugt zu sein scheine. Des Weiteren ergibt sich die grundsätzliche Bedeutung auch aus den ungewöhnlich zahlreichen Anfragen beim Gericht zum vorliegenden Verfahren betreffend, was dessen Breitenwirkung darlegt. Zudem ist unter dem Az. III R 10/16 bereits ein Revisionsverfahren anhängig, in dem die Frage der Verfassungswidrigkeit des hier streitbefangenen Zinssatzes mit zur Entscheidung ansteht (Vorinstanz FG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2016 16 K 2976/14 AO, EFG 2016, 1053). Schließlich wird im Rahmen eines anhängigen Verfahrens beim BVerfG (1 BvR 2237/14) die Höhe des Zinssatzes von Nachforderungszinsen zur Gewerbesteuer für 2003 überprüft.

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