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Steuerrecht
30.09.2016
Steuerrecht
FG Köln: Voraussetzungen für die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO

FG Köln, Urteil vom 16.6.2016 – 13 K 984/11

Leitsätze der Redaktion

Der Sanierungserlass (BMF-Schreiben vom 27.3.2003 – IV A 6 2140/8/03) begründet schon deshalb keine Zuständigkeit des FA nach § 184 Abs. 2 S. 1 AO, weil die Finanzverwaltung den Sanierungserlass in dem Sinn versteht, dass in ihm kein Fall des § 163 S. 1 AO, sondern nur einen Fall des § 163 S. 2 AO geregelt ist (vgl. dazu u.a. OFD Nordrhein-Westfalen, Verfügung vom 6.2.2015, DB 2015, 345). Das Verständnis der Finanzbehörden entspricht auch dem Wortlaut des Sanierungserlasses selbst, der in Rn. 8 keinen Hinweis auf § 10a GewStG und in Rn. 15 die Aussage, für Billigkeitsmaßnahmen bei der Gewerbesteuer seien die Gemeinden zuständig, enthält.

Damit ist das Verständnis des Sanierungserlasses festgelegt, da (rechtmäßige) ermessensregelnde Verwaltungsanweisungen nicht wie Gesetze ausgelegt werden dürfen, sondern ihre Reichweite allein aus dem Verständnis der Verwaltung beziehen. Maßgeblich ist deshalb nicht, wie die Gerichte die Verwaltungsanweisung verstehen, sondern wie sie die Verwaltung verstanden hat und verstanden wissen wollte (vgl. BFH, 8.6.2011 – X B 209/10, BFH/NV 2011, 1828 m.w.N.). Der erkennende Senat darf danach – bei unterstellter Rechtmäßigkeit – den Sanierungserlass nicht selbst auslegen, sondern nur prüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. zur Auslegung von Verwaltungserlassen: BFH, 24.11.2005 – V R 37, 04, BStBl. II 2006, 466 m.w.N.).

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren über die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO.

Die Klägerin ist eine im Jahr ... gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, an der seit dem ...2001 vier Gesellschaften mit jeweils 25 % am Stammkapital von ... € beteiligt waren.

Neben dem Gesellschaftsvertrag hatten die Gründungsgesellschafter außerdem eine Gesellschaftervereinbarung abgeschlossen, wonach sie die Klägerin mit Beträgen bis zu jeweils ... € als Beitrag oder Darlehen auszustatten hatten, falls diese entsprechenden Kapitalbedarf geltend machte. In der Folge war ein entsprechender Darlehensvertrag über insgesamt ... € geschlossen worden.

Der vierte Gesellschafter trat anlässlich seines Eintritts in die Gesellschaft diesem Vertrag bei, so dass seither auf jeden Gesellschafter Darlehen von ... € entfallen sollten. Im Jahr 2004 wurde das Stammkapital auf ... € erhöht. An der Kapitalerhöhung nahmen alle vier Gesellschafter zu gleichen Teilen teil.

Gegenstand des Unternehmens war ...

Im Jahr 2005 kam es im Zusammenhang mit einer weiteren Darlehensgewährung der Gesellschafter an die Klägerin, bei der einer der vier Gesellschafter die entsprechenden Summen nicht aufbringen konnte oder wollte, zu einer vertraglichen Absprache, wonach die drei anderen Gesellschafter die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellten und der vierte Gesellschafter dies entweder durch Rückzahlung oder durch die teilweise Übertragung seines Anteils tilgen konnte. Dies führte mit Wirkung zum 1. Januar 2006 zur teilweisen Anteilsübertragung, so dass ab diesem Zeitpunkt drei Gesellschafter mit jeweils 28,54 % und ein Gesellschafter mit 14,38 % an der Klägerin beteiligt waren. Wegen der Einzelheiten insoweit wird auf die Kopie des Vertrages Bezug genommen.

Die Betriebsergebnisse und Gesellschafterdarlehen der Klägerin stellen sich in den Jahren zwischen der Gründung und dem, dem Streitjahr vorangehenden, Jahr 2005 in auf volle 10.000 € gerundeten Zahlen wie folgt dar (vgl. Sanierungsplan und Anlage K 9):

 

Jahr

Verlust

Gesellschafterdarlehen

2001

... €

... €

2002

... €

... €

2003

... €

... €

2004

... €

... €

2005

... €

... €

Auf den 31. Dezember 2005 wurden daher der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf ... € und der vortragsfähige Gewerbeverlust auf ... € festgestellt.

Aufgrund der Verlustsituation kam es zur Aufstellung eines Sanierungsplans und zwischen dem 7. und 9. November des Streitjahres 2006 zum Abschluss einer Sanierungsvereinbarung, mit der die vier Gesellschafter auf die Rückzahlung der bisher aufgelaufenen Gesellschafterdarlehen einschließlich Zinsen sowie weitere Forderungen aus dem laufenden Geschäftsverkehr verzichteten. Weiterhin enthält die Sanierungsvereinbarung Regelungen zur Fortführung der bisherigen Geschäftsbeziehungen im Rahmen fortbestehender Lizenzverträge.

Mit Vertrag vom 2. November 2006 (Unterzeichnung ebenfalls vom 7. bis 9. November) übertrugen die drei anderen Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile zum Preis von jeweils ein oder zwei Euro auf die A KG als einzig verbleibender Gesellschafterin. Im Innenverhältnis hielt die alleinige Gesellschafterin 49 % der Gesellschaftsanteile an der Klägerin treuhänderisch für die frühere unmittelbare Gesellschafterin (zu 28,54 %), die B GmbH (vgl. Treuhand- und Kooperationsvertrag).

In dem Treuhandvertrag (§ 6 Abs. 4) erklärte der Treugeber seine Bereitschaft entsprechend seiner proportionalen Beteiligung Gesellschafterdarlehen zur Fortführung des Geschäftsbetriebes der Klägerin zur Verfügung zu stellen. Die Alleingesellschafterin gab letztendlich im Juni 2007 eine Patronatserklärung für die Klägerin ab.

Aufgrund der Sanierungsvereinbarung wies die Klägerin in ihrem Jahresabschluss für 2006 neben einem laufenden Verlust von ... € einen außerordentlichen Ertrag von ... € aus. Der Stand der kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen sank von ... € auf ... €. Die genaue Zusammensetzung der Forderungen, auf die die Gesellschafter verzichteten (Gesellschafterdarlehen zum 1. Januar 2006 plus Darlehenszugänge i.H.v. ... €), ergibt sich aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 15. Dezember 2008.

Nachdem die Klägerin ihren Geschäftssitz mit Beschluss vom April 2007 von C nach D verlegt hatte, wurden die Steuererklärungen zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 2006 im Februar 2008 abgegeben. Zusammen mit den Erklärungen wurde unter Bezugnahme auf den so genannten Sanierungserlass des BMF (BStBl I 2003, 240) der Antrag gestellt, die Körperschaftsteuer gemäß § 163 AO aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen. Um Information der hebeberechtigten Gemeinden wurde gebeten.

Der Beklagte veranlagte die Klägerin zunächst mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Körperschaftsteuerbescheid vom 23. Juli 2008 und setzte die Körperschaftsteuer mit ... € fest. Dabei führte er aus, eine positive Entscheidung über den Antrag auf abweichende Festsetzung setze die Vorlage weiterer Unterlagen voraus. Die Steuer wurde später mit Bescheid vom 3. August 2009 auf ... € herabgesetzt. Die Bekanntgabe des Gewerbesteuermessbescheides 2006, mit dem ein Messbetrag von ... € festgesetzt wurde, erfolgte durch die Stadt C mit Bescheidversand vom 25. Juli 2008 (Gewerbesteuer i.H.v. ca. ... €).

Im Zuge der weiteren Sachaufklärung legte die Klägerin den umfangreichen Sanierungsplan vom Juli/August 2006 mit der Darstellung der relevanten Lebenssachverhalte, der zukünftigen Planungen und der vorzunehmenden finanzwirtschaftlichen Maßnahmen sowie der Erläuterung des neu begebenen Darlehens über ... € nach dem Sanierungsverzicht vor.

Der Beklagte berichtete daraufhin an die Oberfinanzdirektion Rheinland mit der Bitte um Zustimmung zur Gewährung der von ihm befürworteten abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 15. Januar 2009 Bezug genommen. Demgegenüber vertrat die OFD die Auffassung, es fehle an der erforderlichen Sanierungsabsicht der die Forderungen erlassenden Gläubiger. Es liege vielmehr eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Darlehensverzichte vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anweisung der Oberfinanzdirektion vom 5. Februar 2009 Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 16. Februar 2009 lehnte der Beklagte die abweichende Steuerfestsetzung hinsichtlich Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag ab. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf den Sanierungserlass aus, ein steuerlich begünstigter Sanierungsgewinn setze unter anderem die Sanierungsabsicht der Gläubiger voraus. Im Ergebnis könne im Streitfall von einer Sanierungsabsicht nicht ausgegangen werden, da der Sanierungsmaßnahme gesellschaftsrechtliche Erwägungen der Gläubiger zugrunde gelegen hätten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfügung Bezug genommen.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit fristgerecht erhobenem Einspruch, der sich ausdrücklich auch auf den Gewerbesteuermessbetrag bezog. Nachdem der Versuch einer Lösung im Konsens unter Einschaltung des Finanzministeriums des Landes gescheitert war, wurde das Verfahren sowohl im Hinblick auf eine abweichende Festsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit im Hinblick auf die Erfüllung der Voraussetzungen des Sanierungserlasses als auch im Hinblick auf die erdrosselnde Wirkung der Besteuerung weiter betrieben. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin im März 2010 vorsorglich auch Anträge auf Änderung der Steuerbescheide gemäß § 164 Abs. 2 AO gestellt. Das nach Ablehnung des Antrages durch den Beklagten eingeleitete Einspruchsverfahren ruht im Hinblick auf das vorliegende Klageverfahren.

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wies die Klägerin insbesondere auf den unbedingten Willen ihrer früheren Gesellschafter zur Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebes und die Finanzierung der angefallenen Steuern durch die beiden verbliebenen Gesellschafter hin.

Die abweichende Festsetzung sei im Streitfall durch die Erfüllung der Voraussetzungen des Sanierungserlasses vorgegeben. So ergebe sich aus Tz 4 des Sanierungserlasses, bei Vorliegen eines Sanierungsplanes könne davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Sanierungsgewinns, darunter die Sanierungsabsicht, gegeben seien. An diese Vorgabe sei der Beklagte im Streitfall nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung gebunden.

Die Voraussetzungen für eine abweichende Festsetzung seien aber auch unabhängig von den Voraussetzungen des Sanierungserlasses im Streitfall erfüllt. Sie habe stets und ausschließlich Verluste erwirtschaftet. Der Verlustvortrag von ca. ... € habe den außerordentlichen Ertrag aus dem Verzicht der Gläubiger überstiegen. Die Festsetzung der Ertragsteuern resultiere ausschließlich aus den Beschränkungen für den Verlustabzug gemäß § 10d EStG und § 10a GewStG. Bei dieser Ausgangslage verstoße eine Steuerfestsetzung bei einem Steuerpflichtigen, der, wie sie, von Anbeginn seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nur Verluste erwirtschaftet habe und dessen Verbindlichkeiten das Aktivvermögen weit überstiegen, fundamental gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Verbot der Übermaßbesteuerung. Obwohl dem Buchgewinn aus dem Verzicht keinerlei Vermögens- oder Geldzuflüsse gegenübergestanden hätten, müsse sie trotz ihrer Überschuldung die Steuern in Geld begleichen.

Daher liege neben dem Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, auch ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG vor. Die Besteuerung habe unter diesen Umständen erdrosselnden Charakter. Die dem Grunde nach akzeptable Einschränkung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch die Verlustabzugsbeschränkungen (§ 10d EStG, § 10a GewStG) verstoße bei Sachverhalten wie dem vorliegenden auch gegen das Übermaßverbot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die erneute Einschaltung der Oberfinanzdirektion und des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen sowie ein Antrag auf Ruhen des Einspruchsverfahrens hatten im Ergebnis keinen Erfolg. Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die Ablehnung der Anträge auf abweichende Festsetzung der Körperschaftsteuer- und des Gewerbesteuermessbetrages 2006 nach § 163 AO mit Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 2011 als unbegründet zurück.

Ausgehend von dem im Wesentlichen unstreitigen Lebenssachverhalt geht der Beklagte weiterhin davon aus, die Voraussetzungen für eine Steuerfreistellung des hier streitbefangenen Gewinns aus Billigkeitsgründen seien nicht gegeben. Weder lägen die Voraussetzungen des Sanierungserlasses noch sonstige Gesichtspunkte vor, die die begehrte Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen könnten.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme nach dem Sanierungserlass lägen nicht vor, weil die erforderliche Sanierungsabsicht der Gläubiger fehle. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei diese nicht durch die Tatsache, dass ein Sanierungsplan erstellt worden sei, vorgegeben, sondern sei vielmehr durch den Beklagten zu prüfen.

Den Forderungsverzichten lägen gesellschaftsrechtliche Erwägungen der Gläubiger zu Grunde. Es fehle an einem für die Sanierung erforderlichen vorrangigen Gläubiger-Schuldner-Verhältnis. Eine Sanierungsabsicht könne nur dann bejaht werden, wenn der verzichtende Gesellschafter-Gläubiger den Erlass zwar aus eigennützigen Erwägungen ausspreche, seine Interessen aber im Wege der Sanierung des Schuldners verwirklichen wolle.

Die gesellschaftsrechtliche Veranlassung ergebe sich hier bereits aus der umfangreichen Kapitalgewährung der Gesellschafter im Darlehenswege trotz der erheblichen Unterkapitalisierung der Klägerin. Ein fremder Dritter wäre ohne Gestellung von Sicherheiten nicht bereit gewesen, den Geschäftsbetrieb der Klägerin in der beschriebenen Weise zu finanzieren. Die gesellschaftsrechtliche Veranlassung ergebe sich darüber hinaus aus den von den Gläubigern abgegebenen Rangrücktrittserklärungen und dem daraus resultierenden eigenkapitalersetzenden Charakter der Darlehen. Hinsichtlich der beiden ausgeschiedenen Verlagsgesellschaften ergebe sich die gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Darlehensverzichte aus dem Ziel der zügigen Beendigung der gesellschaftlichen Beziehung, bei den verbleibenden Gesellschaftern aus dem Interesse an dem Ausbau ihrer Beteiligungen. Die Verzichte stellten daher im Hinblick auf ihre gesellschaftsrechtliche Veranlassung verdeckte Einlagen der Anteilseigner in das Vermögen der Klägerin dar, wobei diese im Hinblick auf die bilanzielle Überschuldung mit einem Teilwert von 0 € anzusetzen seien.

Auch unter dem Gesichtspunkt der so genannten Mindestbesteuerung sei im Streitfall keine Billigkeitsmaßnahme geboten. Eine Billigkeitsmaßnahme sei nur dann geboten, wenn die angefallene Steuer im Einzelfall nach dem Zweck des zu Grunde liegenden Gesetzes nicht mehr zu rechtfertigen sei. Dabei dürfe eine Billigkeitsmaßnahme aber nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des maßgeblichen Gesetzes zu unterlaufen.

Die Besteuerung sei aber bei der Klägerin gerechtfertigt, da bei ihr eine Vermögensvermehrung durch Wegfall der Verbindlichkeiten eingetreten sei, der gemäß §§ 5, 4 Abs. 1 EStG grundsätzlich zu besteuern sei. Ein Absehen von den Verlustabzugsbeschränkungen aus sachlichen Billigkeitsgründen scheide außerhalb der Fälle des Sanierungserlasses aus, da ansonsten die vom Gesetzgeber bewusst getroffene Entscheidung, den Verlustabzug zu beschränken, entgegen der gesetzlichen Grundregel und den Wertungen des Gesetzgebers außer Kraft gesetzt würde. Die generelle Geltungsanordnung des Steuergesetzes würde unterlaufen. Eine solche Rechtsfolge dürfe eine Billigkeitsmaßnahme nicht herbeiführen.

Persönliche Billigkeitsgründe seien im Hinblick auf die Patronatserklärung der Gesellschafterin und die verbesserte wirtschaftliche Situation aufgrund des im Jahr 2009 abgeschlossenen Kooperationsvertrages mit der E GmbH nicht ersichtlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden, fristgerecht erhobenen Klage, mit der sie zunächst vorträgt, dass die Festsetzungen bei Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag infolge der Anwendung der Regelungen über die Mindestbesteuerung zu Steuern in Höhe von ca. ... € bei ihr geführt hätten, die gemäß der Patronatserklärung von ihrer Gesellschafterin zur Verfügung gestellt worden seien. Bei unbeschränkter Verlustverrechnung hätten sich demgegenüber nur Festsetzungen über 0 € ergeben.

Ausgehend von dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Lebenssachverhalt vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, die Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO seien im Streitfall gegeben.

Nach ihrer Überzeugung liegt eine sachliche Unbilligkeit bei einer Steuerfestsetzung dann vor, wenn das Ergebnis des allgemeinen Gesetzesvollzugs mit der Einzelfallgerechtigkeit nicht mehr vereinbar ist. Das Ausmaß der im konkreten Fall eintretenden steuerlichen Belastung dürfe den grundlegenden Wertungen der Steuergesetze, z.B. dem Übermaßverbot, nicht zuwiderlaufen. Wenn demnach die Anwendung eines grundsätzlich verfassungsgemäßen Steuergesetzes im Einzelfall zu einem Verfassungsverstoß führe, müsse eine abweichende Festsetzung/ein Erlass erfolgen.

Im Streitfall seien insbesondere die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Nettoprinzips und der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit betroffen. Sie habe durchgängig Verluste erzielt. Die handels- wie steuerrechtlichen Verlustvorträge von jeweils ca. ... € hätten den aufgrund des Darlehensverzichts der Gesellschafter entstandenen außerordentlichen Ertrag von ca. ... € deutlich überstiegen. Auch nach dem Darlehensverzicht sei ihr Eigenkapital negativ geblieben. Der erzielte Gewinn sei ein reiner Buchgewinn, dem keinerlei Geldzufluss gegenübergestanden habe. Ausschließlich wegen der Verlustabzugsbeschränkungen in § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG und § 10a GewStG sei es trotzdem zu einer Besteuerung gekommen, die sie mangels eigener Mittel nicht aus ihrem Vermögen habe zahlen können. Ihr habe aufgrund der andauernden Verlustsituation und der damit verbundenen Unmöglichkeit, Reserven zu bilden, jegliche Leistungsfähigkeit gefehlt. Die Festsetzung der Steuer verstoße daher gegen das Prinzip der Leistungsfähigkeit und führe unter den dargestellten Bedingungen zu einer Verletzung der auch ihr als juristischer Person zustehenden Eigentumsgarantie im Sinne des Art. 14 GG. Die Steuer wirke konfiskatorisch. Im Zeitpunkt der Steuerfälligkeit sei es ihr unmöglich gewesen aus dem Kapital oder erwirtschafteten Mitteln die durch den Buchgewinn ausgelösten Steuern zu zahlen. Ungeachtet der theoretischen Möglichkeit späterer Verlustverrechnung sei sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu diesem Zeitpunkt leistungsfähig gewesen. Die Festsetzung der Steuer trotz fehlender Leistungsfähigkeit verstoße nicht nur gegen Art. 14 GG sondern auch gegen das aus Art. 2 GG abzuleitende Existenzrecht einer juristischen Person. Sie werde durch die Steuerfestsetzung stranguliert.

Die hohe Zahllast infolge des erzielten Buchgewinnes übersteige ihr Leistungsvermögen bei weitem und wirke daher im Streitfall auch erdrosselnd, da sie ohne die Hilfestellung von dritter Seite die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte beantragen müssen. Daran ändere die Patronatserklärung im Ergebnis nichts, da diese nur dazu führe, dass die Gesellschafterin statt des Fiskus ihr Gläubiger werde. Die Patronatserklärung schütze daher im Ergebnis nur ihre Fremdgläubiger vor den Folgen ihrer eigenen Leistungsunfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit ihrer Gesellschafterin könne ihr nach dem Trennungsprinzip nicht zugerechnet werden.

Der weitere Geschäftsverlauf in den dem Streitjahr nachfolgenden Veranlagungszeiträumen indiziere im Übrigen eine endgültige Unmöglichkeit der Verlustverrechnung. Die Verluste der Folgejahre machten deutlich, dass voraussichtlich nur die Einstellung des Geschäftsbetriebes das Auflaufen weiterer Verluste verhindern könne.

Die tatsächliche und rechtliche Situation führe zu einer Ermessensreduktion auf null. Der Beklagte müsse dem Billigkeitsantrag zustimmen. Sie strebe auch keine Doppelvergünstigung an, sondern nur die vorgezogene Verrechnung des Buchgewinnes aus dem Verzicht der Darlehen mit den aufgelaufenen Verlustvorträgen.

Dem vorliegenden Antrag auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen stehe auch der parallel gestellte Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht entgegen, da sich – je nach Ausgang der verfassungsrechtlichen Beurteilung – sowohl eine Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in §§ 10d EStG, 10a GewStG, mit der Notwendigkeit extreme Härten im Billigkeitswege auszugleichen, als auch eine Verfassungswidrigkeit der Vorschriften ergeben könne. Aus Gründen der Vorsicht müssten daher beide Verfahrenswege offen gehalten werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten insoweit wird auf die Klagebegründungsschrift mit allen Anlagen und den Schriftsatz vom 23. September 2011 verwiesen.

Im Hinblick auf die Annahme des Beklagten, sie mache auch einen Anspruch auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO wegen persönlicher Billigkeitsgründe geltend, betont sie nochmals, dass es im Streitfall nach ihrer Überzeugung um Fragen der sachlichen Unbilligkeit gehe. Im Streitfall liege ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die mit Sinn und Zweck der einschlägigen Verluststreckungsvorschriften verfolgten Ziele und zu vereinbarenden Regelungen vor.

Der Gesetzgeber habe mit dem Ziel der Verstetigung der öffentlichen Einnahmen gewisse Einschränkungen am Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vorgenommen. Dies habe insbesondere im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Einbruch nach dem Jahr 2000 und den dabei angefallenen Verlusten in der Großindustrie gestanden, da diese ansonsten trotz wieder sprudelnder Gewinne in den Folgejahren keine Ertragsteuern hätten zahlen müssen. Bei dieser im Fokus stehenden Gruppe von Steuerpflichtigen sei ggf. die Streckung der Verlustverrechnung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip verfassungsrechtlich hinnehmbar, da diese Unternehmen aufgrund der Eigenkapitalausstattung, der Liquiditätsreserven und der Rückkehr in die Gewinnphase die eingeschränkte Verlustverrechnung verkraften könnten.

Demgegenüber habe sie nur echte und liquiditätswirksame Verluste und einmal den angesprochenen Buchgewinn erzielt. Diese besondere Situation habe der Gesetzgeber bei der Änderung der §§ 10d EStG, 10a GewStG nicht bedacht. Es handele sich daher um den klassischen Fall des Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die mit Sinn und Zweck des Gesetzes zu vereinbarende Regelung. Auf ihre vom Beklagten angesprochenen Bankguthaben komme es im Streitfall nicht an, da diese ausschließlich aus der Gewährung weiterer kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen resultierten.

Der Gesetzgeber habe die mit Gewinnen regelmäßig verbundenen liquiditätsrelevanten Zuflüsse teilweise zur Sicherung kontinuierlicher Einnahmen erfassen wollen. Es sei ihm nicht darum gegangen, Buchgewinne bei Steuerpflichtigen, denen niemals Geld oder Geldsubstrate zugeflossen seien, zu besteuern. Wenn man dem Gesetzgeber hingegen unterstelle, er habe die dargestellten Folgen für den hier verwirklichten Lebenssachverhalt bewusst in Kauf genommen, müsse man die gesamte Regelung für verfassungswidrig halten.

Folgerichtig würde die generelle Geltungsanordnung der §§ 10d EStG, 10a GewStG nicht durch die begehrte abweichende Festsetzung unterlaufen. Lediglich für den hier gegebenen atypischen Fall des dauerdefizitären Unternehmens, zu dessen Sanierung die Gläubiger auf Forderungen ohne jede Liquiditätsauswirkung verzichteten, werde zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Besteuerungsfolge eine abweichende Festsetzung beantragt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 27. Oktober 2011, 16. Februar 2012 und 20. Juni 2013 verwiesen.

Die Klägerin hat im Weiteren zu den Entscheidungen des BFH vom 28. Februar 2012 (VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135), vom 26. August 2010 (I B 49/10, BStBl II 2011, 826), vom 22. August 2012 (I R 9/11, BStBl II 2013, 512) und vom 20. September 2012 (IV R 29/10 und 36/10, BStBl II 2013, 505 und 498) und der zu Grunde liegenden Rechtsprechung des BVerfG unter Berücksichtigung der Abweichungen in den jeweiligen Sachverhalten Stellung genommen. Sie sieht sich in ihrer Annahme bestätigt, dass von einer grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der §§ 10d EStG, 10a GewStG auszugehen sei und in besonderen Härtefällen Billigkeitsmaßnahmen geboten seien.

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des IV. Senats des BFH verweist sie darauf, dass sie nur Objekt der Sanierungsmaßnahme gewesen sei. Hintergrund sei der Wille einzelner Gesellschafter gewesen, das von ihr, der Klägerin, betriebene Portal aufzugeben, während ein anderer Gesellschafter eine Fortführung notfalls auch allein realisieren wollte, insoweit aber auf die Forderungsverzichte bestanden habe. Wegen der Ausführungen der Klägerin zur Rechtsprechung des BFH im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 25. Januar 2013 verwiesen.

Das Gericht hat einen Hinweis zur Frage der sachlichen Zuständigkeit bei Billigkeitsentscheidungen über Gewerbesteuermessbeträge erteilt, die nach vorläufiger Auffassung des Berichterstatters vorbehaltlich der Regelung in § 184 Abs. 2 Satz 1 AO in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden und nicht des Beklagten falle. Wegen der Einzelheiten wird auf den Hinweis vom 6. Januar 2016 Bezug genommen. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. Juni 2016 den entsprechenden Hinweisen hinsichtlich einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Satz 1 i.V.m. § 184 Abs. 2 Satz 1 AO unter Berücksichtigung der Entscheidung des BFH vom 25. April 2012 (I R 24/11, BFH/NV 2012, 1516) zugestimmt. Sie sieht aber unter Berücksichtigung der gesetzlichen Leitvorstellung, wie sie in § 184 Abs. 2 Satz 2 AO zu Tage trete, eine Möglichkeit, das Gesetz dergestalt auszulegen, dass Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Satz 2 AO hinsichtlich der Gewerbesteuer in die Entscheidungsgewalt der Finanzbehörden fallen.

Streitgegenständlich sei hier eine abweichende zeitliche Berücksichtigung von Besteuerungsgrundlagen, nämlich die sofortige Verrechnung bereits festgestellter Verluste entgegen den Regelungen zur Verluststreckung in § 10d EStG und § 10a GewStG. Die dazu getroffene Kompetenzregelung in § 184 Abs. 2 Satz 2 AO vermöge insoweit nicht zu überzeugen, als der Gesetzgeber zwar eine Maßnahme nach § 163 Satz 2 AO, die die gewerblichen Einkünfte als Grundlage der Steuerfestsetzung beeinflusse, im Hinblick auf die Sachkompetenz in die Zuständigkeit der Finanzbehörden gestellt habe, aber nicht eine vorzeitige Berücksichtigung von Verlustvorträgen, die sich nur auf das Einkommen auswirke. Da es in beiden Fällen um die Anwendung steuerlicher Sachkompetenz gehe, müsse davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den vorliegenden Fall nur versehentlich nicht in den Wortlaut der Zuständigkeitsregelung § 184 Abs. 2 Satz 2 AO einbezogen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 9. Juni 2016 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 16. Februar 2009 den Beklagten zu verpflichten, die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag 2006 gemäß § 163 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen unter Außerachtlassung der Verlustabzugsbeschränkungen des § 10d EStG und des § 10a GewStG unter unbeschränkter Verrechnung des körperschaftsteuerlichen Gesamtbetrags der Einkünfte 2006 mit dem zum 31. Dezember 2005 festgestellten verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer und des gewerbesteuerlichen Gewinns mit dem zum 31. Dezember 2005 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung zunächst auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend dazu Folgendes aus:

Entgegen dem Vorbringen im außergerichtlichen Verfahren stütze sich die Klägerin nunmehr nicht mehr auf den Sanierungserlass, sondern begehre im Hinblick auf die von ihr vorgetragene Verfassungswidrigkeit der Verlustbeschränkung nach § 10d EStG und § 10a GewStG die abweichende Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen. Dieses Vorbringen könne im Billigkeitsverfahren aber nur nachrangig Berücksichtigung finden, da vorrangig im Änderungsverfahren nach § 164 Abs. 2 AO über die Verfassungsmäßigkeit der Verlustbeschränkungsvorschriften zu entscheiden sei.

Unabhängig davon führe die zeitliche Streckung der Verlustverrechnung nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit im Sinne von § 163 Satz 1 AO. Die sich aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften ergebende zeitliche Streckung des Verlustausgleichs sei nach der Rechtsprechung des BFH nicht verfassungswidrig. Sie führe auch nicht zu einer ungewollten Unbilligkeit, da der Gesetzgeber die mit den §§ 10d EStG, 10a GewStG verbundenen Härten bewusst in Kauf genommen habe.

Eine sachliche Unbilligkeit könne demgegenüber in besonderen Konstellationen anzunehmen sein, wenn die Regelungen zu einem endgültigen Ausschluss des Verlustausgleichs aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen führten. Ein solcher Fall könne vorliegen, wenn im Zeitpunkt des Steuerbescheides bereits feststehe, dass eine spätere Nutzung des Verlustvortrags definitiv ausgeschlossen ist, weil der Gewerbebetrieb eingestellt werde, keine stillen Reserven beinhalte und keine Gewinne mehr erwirtschaften könne.

Ein solcher Fall liege im Streitfall aber nicht vor, da die Klägerin ihr Unternehmen auch nach dem Jahr 2008 weiterhin betreibe. Nach dem Sanierungskonzept sei für 2010 bereits ein zumindest ausgeglichenes Jahresergebnis geplant. Hinzu komme die zwischenzeitliche Kooperation mit E. Die Vorschriften zur eingeschränkten Verlustverrechnung führten daher im Streitfall nur zur Streckung des Verlustausgleichs. Dies entspreche dem gesetzgeberischen Plan und führe nicht zur Reduzierung des Ermessens im Sinne einer zwingenden Gewährung der vorzeitigen Verlustverrechnung.

Soweit die Klägerin ihr Vorbringen im Klageverfahren auch auf persönliche Billigkeitsgründe stütze, könne dies an der getroffenen Entscheidung nichts ändern. Eine Billigkeitsmaßnahme könne geboten sein, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Dies setze voraus, dass die Existenzgefährdung gerade durch die Erhebung der Steuer verursacht oder entscheidend mitverursacht werde. Daran fehle es im Streitfall, da die Körperschaftsteuer im Jahr der Fälligkeit nur ca. 20 bis 25 % der im Jahr 2008 neu angefallenen Verbindlichkeiten ausmache. Die Steuer stelle daher keinen überwiegenden Teilbetrag der im Jahr 2008 angefallenen Gesamtlasten dar. Die Überschuldung der Klägerin beruhe auf den aufgelaufenen Verlusten der Vorjahre sowie dem laufenden Verlust des Jahres 2008. Unabhängig davon habe das Bankguthaben der Klägerin auch nach Zahlung der Steuern noch über ... € betragen und die Patronatserklärung der Gesellschafterin habe ihre finanzielle Ausstattung sichergestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 12. Oktober 2011 verwiesen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin habe sie auch eine handelsrechtlich zu erfassende Vermögensmehrung erreicht. Diese habe sich aus dem Wegfall der zuvor passivierten Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gesellschaftern ergeben. Die steuerrechtliche Kompensation als verdeckte Einlage wirke sich im Streitfall nur deshalb nicht aus, weil die Forderungen der Gesellschafter im Zeitpunkt des Verzichts als nicht werthaltig zu qualifizieren seien. Auch die Annahme der Klägerin, ihr seien keine liquiden Mittel zugeflossen, erscheine vor diesem Hintergrund unzutreffend, da sie die Mittel bereits mit der Darlehensgewährung erhalten habe. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheine die Verluststreckung nicht sachlich unbillig.

Auch der Beklagte hat sein Verständnis der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH dargelegt.

Der Beklagte hat vor der mündlichen Verhandlung Kopien der Körperschaftsteuerbescheide 2013 und 2014 sowie der Bescheide über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2013 und 2014 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2012 noch ... € betrug. Davon wurden ... € im Jahr 2013 verrechnet und ... € als gemäß § 8c KStG nicht mehr zu berücksichtigender Verlustabzug ausgeschieden. Der danach verbleibende Verlustabzug von ... € wurde mit dem laufenden Gewinn des Jahres 2014 im Umfang von ... € verrechnet. Weitere ... € wurden als nicht mehr zu berücksichtigende Beträge gemäß § 8c KStG ausgeschieden. Der verbleibende Verlustabzug zum 31. Dezember 2014 betrug ... €.

Aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten weiteren Unterlagen kann ersehen werden, dass die Klägerin auch in den auf das Streitjahr folgenden Jahren durchgängig operative Verluste erlitten hat. Nach ihrem Vortrag beruhen die aus den vorgelegten Steuerbescheiden ersichtlichen Gewinne aus dem Erlass weiterer Darlehensforderungen der Gesellschafter. Der zukünftigen Verrechnung weiterer Verluste stünden zwischenzeitliche Anteilsübertragungen (§ 8c KStG) entgegen.

Im Hinblick auf die streitige Zuständigkeit des Beklagten bestand zwischen den Verfahrensbeteiligten Einvernehmen, dass für den Fall der angenommenen Unzuständigkeit des Beklagten hinsichtlich der Entscheidung zum Gewerbesteuermessbetrag, von der materiell begründeten ablehnenden Entscheidung keine die Klägerin beschwerende Bindungswirkung ausgehen dürfe.

Das Gericht hat die Beteiligten auf die Problematik der zeitlichen Abfolge der Entscheidungen über die Änderungsanträge gemäß § 164 Abs. 2 AO und die Billigkeitsanträge gemäß § 163 AO und die damit erforderliche Ermessensentscheidung des Senats zur vorrangigen Entscheidung über den Billigkeitsantrag hingewiesen. Der Beklagte hat daraufhin ausdrücklich erklärt, er habe keine Bedenken gegen den vorrangigen Abschluss des Billigkeitsverfahrens. Die Klägerin hat ebenfalls bestätigt, vorrangig den Abschluss des Billigkeitsverfahrens zu begehren.

Aus den Gründen

Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der ablehnenden Entscheidung des Beklagten zur Gewährung einer Billigkeitsentscheidung hinsichtlich der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages zu einem geringen Teil begründet (I.), im übrigen, ganz überwiegenden Teil aber unbegründet, da die Ermessensentscheidung des Beklagten, eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen abzulehnen, rechtmäßig ist (§§ 101 Satz 1, 102 FGO) (II.).

Die Klage ist zulässig. Die Klägerin macht geltend, durch die ablehnenden Entscheidungen des Beklagten hinsichtlich der begehrten Billigkeitsmaßnahmen zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Hinsichtlich beider Streitgegenstände ist ein Vorverfahren durchgeführt worden, das erfolglos war (§ 44 Abs. 1 FGO).

I. Die Klage ist soweit begründet, wie die Klägerin die Aufhebung der ablehnenden Entscheidungen des Beklagten zur Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme hinsichtlich des Gewerbesteuermessbetrages begehrt.

Die ablehnende Entscheidung des Beklagten ist ungeachtet der zutreffenden Tenorierung, also der Ablehnung der abweichenden Festsetzung, bereits deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil der Beklagte für die hier streitbefangenen Billigkeitsentscheidung bei der Gewerbesteuer sachlich nicht zuständig ist. Die Zuständigkeit für Billigkeitsentscheidungen liegt vielmehr bei den betroffenen Gemeinden.

Die Verwaltung der Gewerbesteuer steht nach Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GG zunächst den Bundesländern zu, sie können aber nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG die Verwaltung der Gewerbesteuern auf die Gemeinden übertragen. Von dieser Möglichkeit haben die im Streitfall betroffenen Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen durch ihre Gesetze über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern vom 3. und 16. Dezember 1981 (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1981, 732 und Hessen 1981, 413) Gebrauch gemacht. In den inhaltlich übereinstimmenden §§ 1 der beiden Gesetze wird die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern den Gemeinden übertragen. Diese Kompetenzübertragung umfasst, wie sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 4 und 5 AO ergibt, auch die Befugnis zur abweichenden Festsetzung gemäß § 163 AO und zum Erlass von Gewerbesteuern gemäß § 227 AO.

Die Finanzbehörden können demgegenüber im Rahmen der ihnen verbliebenen Zuständigkeit für die Festsetzung und Zerlegung der Steuermessbeträge (vgl. § 22 Abs. 1 AO) nur insoweit über die abweichende Festsetzung von Messbeträgen aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO entscheiden, wie § 184 Abs. 2 AO den Finanzbehörden in derartigen Fällen eine Zuständigkeit zuweist.

Im Streitfall liegt aber weder ein Fall des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO (1.) noch ein Fall des § 184 Abs. 2 Satz 2 AO (2.) vor.

1. Nach § 184 Abs. 2 Satz 1 AO schließt die Befugnis, Realsteuermessbeträge festzusetzen, auch die Befugnis zu Maßnahmen nach § 163 Satz 1 AO ein, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, oder einer obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind.

Die aktuelle Fassung des Gesetzes, wonach auch allgemeine Verwaltungsvorschriften der obersten Bundesfinanzbehörde – also des BMF – zur Entscheidungskompetenz der Finanzämter führen können, ist erst mit dem am 31. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Bundesgesetzblatt I 2014, 2417) in die AO eingefügt worden und gilt nach Art. 97 § 10c EGAO für nach dem 31. Dezember 2014 getroffene Maßnahmen im Sinne des § 163 Satz 1 AO, die Besteuerungszeiträume betreffen, die vor dem 1. Januar 2015 abgelaufen sind, aber nicht für die hier betroffene Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme bereits im Jahr 2011.

Ein Fall einer Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 163 Satz 1 AO für die durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind, liegt im Streitfall nicht vor.

Der Sanierungserlass, auf den sich die Klägerin im außergerichtlichen Verfahren noch berufen hat, stellt weder eine nach der hier einschlägigen Fassung des § 184 Abs. 2 AO relevante Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch einer obersten Landesfinanzbehörde dar. Wie der BFH in der von allen Verfahrensbeteiligten zur Grundlage der Auseinandersetzung gemachten Entscheidung vom 25. April 2012 (I R 24/11, BFH/NV 2012, 1516) überzeugend dargelegt hat, stellt der Sanierungserlass eine ausdrücklich im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder durch das BMF erlassene Verwaltungsanweisung (vgl. Einleitungssatz des BMF-Schreibens) dar, auch wenn die vom BFH ergänzend herangezogene Regelung in § 21a FVG erst zu einem späteren Zeitpunkt erlassen worden ist (Sanierungserlass aus dem Jahr 2003, Einfügung des § 21a FVG im Jahr 2006). Da insoweit kein Streit zwischen den Beteiligten besteht, wird wegen der Einzelheiten der Begründung auf die Entscheidung des BFH Bezug genommen.

Unabhängig von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs kann der Sanierungserlass schon deshalb keine Zuständigkeit des Beklagten nach § 184 Abs. 2 Satz 1 AO begründen, da die Finanzverwaltung den Sanierungserlass in dem Sinn versteht, dass in ihm kein Fall des § 163 Satz 1 AO, sondern nur einen Fall des § 163 Satz 2 AO geregelt ist (vgl. dazu OFD Nordrhein-Westfalen, Verfügung vom 6. Februar 2015, DB 2015, 345; weitere Nachweise bei Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 184 Rdnr. 79c und bei Schwahn/Meretzki, FR 2015, 593 unter Fußnote 15; vgl. auch die ausdrückliche Nichtanwendungsanweisung vom 29. Juni 2012 der Niedersächsischen Oberfinanzdirektion, S 2140-8-St 244, FMNR2ef370012, juris, zu der der BFH-Entscheidung vorangegangenen Entscheidung des FG Düsseldorf vom 16. März 2011 7 K 3831/10 AO, EFG 2011, 1685). Das Verständnis der Finanzbehörden entspricht auch dem Wortlaut des Sanierungserlasses selbst, der in Rdnr. 8 keinen Hinweis auf § 10a GewStG und in Rdnr. 15 die Aussage, für Billigkeitsmaßnahmen bei der Gewerbesteuer seien die Gemeinden zuständig, enthält.

Damit ist das Verständnis des Sanierungserlasses auch für den erkennenden Senat festgelegt, da (rechtmäßige) ermessensregelnde Verwaltungsanweisungen nicht wie Gesetze ausgelegt werden dürfen, sondern ihre Reichweite allein aus dem Verständnis der Verwaltung beziehen. Maßgeblich ist deshalb nicht, wie die Gerichte die Verwaltungsanweisung verstehen, sondern wie sie die Verwaltung verstanden hat und verstanden wissen wollte (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 2011 X B 209/10, BFH/NV 2011, 1828 m.w.N.). Der erkennende Senat darf danach – bei unterstellter Rechtmäßigkeit – den Sanierungserlass nicht selbst auslegen, sondern nur prüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. zur Auslegung von Verwaltungserlassen: BFH-Urteil vom 24. November 2005 V R 37, 04, BStBl II 2006, 466 m.w.N.; Boeker a.a.O. Rdnr. 79c m.w.N.).

Auf die Frage, ob der Sanierungserlass überhaupt verfassungsgemäß (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 25. März 2015 X R 23/13, BStBl II 2015, 696; BFH-Beschluss vom 28. Februar 2012 VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135) und europarechtskonform (vgl. dazu Urteile des EuG vom 4. Februar 2016 T- 247/11 und T- 620/11, juris) ist, kommt es daher im Streitfall nicht an.

2. Es liegt auch kein Fall des § 184 Abs. 2 Satz 2 AO vor. Nach § 184 Abs. 2 Satz 2 AO wirkt eine Maßnahme nach § 163 Satz 2 AO, soweit sie die gewerblichen Einkünfte als Grundlage für die Festsetzung der Steuern vom Einkommen beeinflusst, auch für den Gewerbeertrag als Grundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages.

Im Streitfall begehrt die Klägerin zwar eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Satz 2 AO, da das Klageziel darauf gerichtet ist, entgegen der gesetzlichen Beschränkung der Verlustverrechnung in § 10a GewStG bereits im Streitjahr den angefallenen Gewerbeertrag im Sinne des § 7 GewStG aus dem Verzicht der Gesellschafter auf die von ihnen gewährten Darlehen unbeschränkt mit den zum 31. Dezember 2005 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusten zu verrechnen. Es handelt sich dabei aber um eine unmittelbar auf der Ebene der Gewerbesteuer stattfindende Maßnahme, nicht um eine Billigkeitsmaßnahme, die die gewerblichen Einkünfte als Grundlage für die Festsetzung der Steuer vom Einkommen – hier also der Körperschaftsteuer – des Gewerbeertrags beeinflusst. Sie wird daher von der Regelung in § 184 Abs. 2 Satz 2 AO nicht erfasst.

Auch der parallele Antrag auf Verrechnung des festgestellten Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG auf den 31. Dezember 2005 führt nicht zu einer Zuständigkeit des Beklagten. Nach dem Wortlaut des § 184 Abs. 2 Satz 2 AO betrifft dies nur Fälle, in denen die gewerblichen Einkünfte bei der Berechnung von Einkommen- und Körperschaftsteuer beeinflusst werden, was aber bei dem gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 4 EStG erst nach Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte einsetzenden Verlustausgleich nicht der Fall ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 184 Abs. 2 Satz 2 AO als Ausnahmevorschrift auch nicht über den Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen.

Die Sachentscheidung des Gesetzgebers, die Kompetenz zur Festsetzung und Erhebung und damit auch für Billigkeitsentscheidungen bei der Gewerbesteuer den Gemeinden zuzuweisen, ist im Ansatz schon deshalb überzeugend, weil insbesondere die Gemeinden von den Auswirkungen der Billigkeitsmaßnahmen bei der nach § 1 GewStG ihnen zustehenden Gewerbesteuer getroffen werden (vgl. dazu unter Berücksichtigung der Umlagen: BVerwG-Urteil vom 21. Oktober 1983 8 C 162/81, juris, unter Rdnr. 27).

Unter Berücksichtigung der Sachkompetenz der Finanzbehörden und der speziellen mit einer Massenverwaltung einhergehenden Problematik ist daher - durch die Begrenzung auf durch Verwaltungsvorschriften allgemein geregelte Konstellationen (§ 184 Abs. 2 Satz 1 AO) - nur die Kompetenz für Billigkeitsentscheidungen im Zusammenhang mit der so genannten Gruppenunbilligkeit – insoweit abweichend von der Ertragskompetenz – auf die Finanzbehörden übertragen worden (vgl. z.B. Boeker a.a.O. Rdnr. 79 ff.; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 184 AO Rdnr. 10; vgl. auch R 1.5 Abs. 1 der Gewerbesteuerrichtlinien).

Daneben wird keine besondere Kompetenz der Finanzbehörden für eine (unmittelbare) Billigkeitsmaßnahme bei der Gewerbesteuer begründet, sondern nur ausdrücklich vermerkt, dass eine abweichende Ermittlung der Einkünfte bei Einkommen- oder Körperschaftsteuer als Ausgangspunkt der Ermittlung des Gewerbeertrages auch dann zu übernehmen ist, wenn dieser Ermittlung der Einkünfte eine Billigkeitsentscheidung zu Grunde liegt. Damit wird erreicht, dass der gewerbliche Gewinn für Einkommen- oder Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer übereinstimmt.

Hätte der Gesetzgeber auch andere Fälle der Individualunbilligkeit in die Kompetenz der Finanzbehörden stellen wollen, hätte er dies durch eine andere Formulierung in § 184 Abs. 2 Satz 2 AO erreichen können. Es ist nicht Aufgabe der Justiz, die Grenzen den Ausgleich zwischen der Zuständigkeit der betroffenen Gemeinden und der Zuständigkeit der bei der sachlichen Unbilligkeit kompetenten Finanzbehörden entgegen der Entscheidung des Gesetzgebers zu verschieben.

Im Hinblick auf die von der Klägerin im Klageverfahren (nur) noch begehrte Billigkeitsmaßnahme im Rahmen eines Antrags auf Berücksichtigung der so genannten Individualunbilligkeit besteht keinesfalls eine Zuständigkeit des Beklagten. Fälle der Individualunbilligkeit bei der Gewerbesteuer oder den Gewerbesteuermessbeträgen können grundsätzlich nicht in den Zuständigkeitsbereich der Finanzämter in den Flächenländern fallen (vgl. z.B. FG Nürnberg vom 5. Oktober 2005 V 205/2004, juris). Liegen die Voraussetzungen des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO nicht vor, ist die jeweils steuerberechtigte Gemeinde für Billigkeitsmaßnahmen sachlich zuständig (vgl. Boeker a.a.O. Rdnr. 82; Brandis a.a.O. Rdnr. 10 m.w.N. zu Rechtsprechung und Literatur). Jede andere Auslegung würde zu dem schwer verständlichen Ergebnis führen, dass für den Billigkeitserlass im Festsetzungsverfahren (§ 163 AO; vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse, § 163 AO Rdnr. 1) das Finanzamt und für den in gleicher Weise begründeten Steuererlass im Erhebungsverfahren (§ 227 AO) die Gemeinde zuständig wäre. Ein derartiges Gesetzesverständnis lehnt der Senat ab. Er sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwG-Urteil vom 19. Februar 2015 9 C 10/14, BVerwGE 151, 255).

3. Die fehlende sachliche Zuständigkeit des Beklagten führt dazu, dass die ablehnende Entscheidung aufzuheben ist.

Der Senat kommt unter Berücksichtigung der oben dargestellten Fragen zur Zuständigkeit zu dem Ergebnis, dass die ablehnende Entscheidung des Beklagten trotz des Verstoßes gegen die sachliche Zuständigkeit nicht nichtig im Sinne des § 125 Abs. 1 AO ist, da die mangelnde Zuständigkeit im Hinblick auf die erheblichen Streitigkeiten in der Literatur hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit bei abweichenden Festsetzungen der Gewerbesteuermessbeträge jedenfalls nicht offenkundig ist. Dass der Erlass eines Bescheides von einer sachlich unzuständigen Behörde nicht grundsätzlich in die Nichtigkeit führt, ergibt sich bereits aus der Korrekturregelung in § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, ist das Finanzgericht in Fällen, in denen der Kläger die Abänderung eines Steuerverwaltungsaktes beantragt, an das Klagebegehren nicht gebunden, wenn es feststellt, dass der Bescheid von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen und dieser Mangel nicht geheilt worden ist. Dann ist der angefochtene Bescheid in vollem Umfang aufzuheben, weil nur dadurch die zuständige Behörde in die Lage kommt, einen formell einwandfreien Bescheid zu erlassen (vgl. BFH-Urteil vom 23. April 1986 I R 178/82, BStBl II 1986, 880 m.w.N.).

Auch wenn es sich im Streitfall, anders als in der Entscheidung des BFH, nicht um einen Steuerbescheid, sondern um einen sonstigen Verwaltungsakt handelt, ist dieser daher wegen der formellen Rechtswidrigkeit aufzuheben. Eine Heilung nach § 127 AO tritt bei Verstößen gegen die sachliche Zuständigkeit – ungeachtet der vorbehaltlich einer Ermessensreduzierung auf null bei Ermessensentscheidungen ohnehin nicht gegebenen Anwendbarkeit der Norm – grundsätzlich nicht ein (vgl. Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 127 AO Rdnr. 31; Seer in Tipke/Kruse, § 127 AO Rdnr. 11; Ratschow in Klein, AO, 12. Auflage, 2014 § 127 Rdnr. 6 jeweils m.w.N.).

Der Senat verzichtet insoweit auf weitere Ausführungen, da nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung auch der Beklagte der Auffassung folgt, aus seiner ablehnenden Entscheidung dürfe der Klägerin bei fehlender sachlicher Zuständigkeit kein aus einer etwaigen Bindungswirkung resultierender Nachteil erwachsen.

II. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

Ein Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbescheides besteht bereits deshalb nicht, weil der Beklagte insoweit unzuständig ist. Auf die Ausführungen zu I. wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat aber auch keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zu einer abweichenden Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006.

Die angefochtene Ermessensentscheidung im Sinne des § 5 AO, mit der der Beklagte die abweichende Festsetzung der Körperschaftsteuer auf null Euro abgelehnt hat, erweist sich im Rahmen der eingeschränkten Prüfung gemäß § 102 FGO als rechtmäßig.

Die Klägerin hat zu Recht eine Verpflichtungsklage erhoben. Das Begehren, eine festgesetzte Steuer nach § 163 AO abweichend festzusetzen oder nach § 227 AO zu erlassen, kann zunächst mit dem Einspruch, danach mit der Verpflichtungsklage verfolgt werden (vgl. z.B. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 163 AO Rdnr. 145 ff., § 227 AO Rdnr. 376 ff., 385 ff.; Loose a.a.O. § 163 Rdnr. 30, § 227 AO Rdnr. 142, 147; Rüsken in Klein, AO, § 163 Rdnr. 138 ff., § 227 Rdnr. 28; Frotscher in Schwarz/Pahlke, Kommentar zur AO, § 163 Rdnr. 210, § 227 Rdnr. 41).

Die Klägerin hat auch zutreffend keinen Antrag auf abweichende Festsetzung, sondern einen Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur abweichenden Festsetzung gestellt, denn das Finanzgericht darf bei Streitigkeiten über Ermessensentscheidungen i.d.R. nur eine Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO) oder wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine Ermessensentscheidung ganz bestimmten Inhalts ermessensgerecht ist (so genannte Ermessensreduzierung auf null), den Beklagten entsprechend nach § 101 Satz 1 FGO zu der konkreten Handlung verpflichten (vgl. BFH-Urteile vom 29. März 2007 IX R 9/05, BFH/NV 2007, 1617 m.w.N.; vom 14. März 2012 XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493 m.w.N.; Frotscher a.a.O. § 227 Rdnr. 41, § 163 Rdnr. 211; von Groll a.a.O. unter Rdnr. 388 bis 392 m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH).

Die zulässige Verpflichtungsklage hat aber keinen Erfolg, da der Beklagte zu Recht davon ausgegangen ist, dass keine Ermessensreduzierung auf null mit der Folge einer Verpflichtung zur abweichenden Festsetzung gemäß § 163 AO gegenüber der Klägerin vorliegt. Seine Ermessensentscheidung, keine abweichende Festsetzung vorzunehmen, bewegt sich auch im Rahmen der gesetzlichen Grenzen des Ermessens und es kann nicht festgestellt werden, dass er sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.

Im Zeitpunkt der insoweit entscheidungserheblichen mündlichen Verhandlung (1.) war der Ermessensspielraum des Beklagten hinsichtlich der abweichenden Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006 nicht derart eingeschränkt, dass nur die Entscheidung, entgegen der gesetzlichen Regelung in § 8 Abs. 1 KStG § 10d EStG eine sofortige umfassende Verlustverrechnung zuzulassen, ermessensgerecht wäre (2.).

1. Während grundsätzlich bei Verpflichtungsklagen, die auf den Erlass einer Ermessensentscheidung gerichtet sind, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich ist (vgl. z. B. Brandis in Tipke/Kruse, § 101 FGO Rdnr. 8; Stapperfend in Gräber, FGO, 8. Aufl., 2015 § 101 Rdnr. 2; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 101 FGO Rdnr. 27 m.w.N.; BFH-Urteil vom 1.7.1981 VII R 84/80, BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740), kommt es bei Ermessensentscheidungen, bei denen wie im Streitfall eine Ermessensreduzierung auf null geltend gemacht wird, auf die im Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzgerichts bestehende Sach- und Rechtslage an (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 2012 XI R 33/09, BStBl II 2012, 477, Rdnr. 27 mit umfangreichen Nachweisen; dem folgt die oben bezeichnete Literatur).

2. Im Streitfall liegt aber keine Situation vor, bei der nur die abweichende Festsetzung der Körperschaftsteuer wegen persönlicher oder sachlicher Unbilligkeit rechtmäßig ist. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch darauf, dass der Senat den Beklagten verpflichtet, bei der Körperschaftsteuer 2006 entgegen der gesetzlichen Regelung in § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG eine sofortige Verrechnung mit den zum 31. Dezember 2005 festgestellten Verlustvorträgen vorzunehmen und deshalb die Körperschaftsteuer abweichend auf null Euro festzusetzen.

Bei der Bestimmung, ob eine Ermessensreduzierung auf null vorliegt, ist von der Grundsatzentscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes aus dem Jahr 1971 auszugehen (Beschluss vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603), wonach die Entscheidung über den Erlass von Steuer oder steuerlichen Nebenleistungen eine Ermessensentscheidung ist, bei der der Maßstab der Billigkeit den Inhalt und die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmen.

Ausgehend von dieser Entscheidung besteht im Wesentlichen Einigkeit, dass dann, wenn im zu entscheidenden Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände und aller relevanten rechtlichen Gesichtspunkte die Überzeugung erlangt wird, die Erhebung des in Frage stehenden abgabenrechtlichen Anspruchs sei ganz oder teilweise unbillig, als einzige Konsequenz die abweichende Festsetzung nach § 163 AO oder der (Teil-) Erlass bleibt (vgl. z.B. von Groll a.a.O. § 163 AO Rdnr. 131, 147 und § 227 AO Rdnr. 110 ff., 118a; Loose a.a.O. § 163 AO Rdnr. 10, § 227 AO Rdnr. 25; Rüsken a.a.O. § 163 Rdnr. 118).

a. Die vom Beklagten ausgesprochene Ablehnung einer abweichenden Festsetzung aus persönlichen Billigkeitsgründen (vgl. dazu Seite 9 der Einspruchsentscheidung) ist ermessensgerecht.

Eine derartige abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO setzte ebenso wie ein Erlass nach § 227 AO voraus, dass die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nicht mehr in dem vom gesetzlichen Tatbestand erwarteten Umfang vorhanden, sondern so sehr gemindert ist, dass ihm die volle steuerliche Belastung nicht zugemutet werden kann, also seine wirtschaftliche oder persönliche Existenz im Fall der Versagung des Billigkeitserlasses gefährdet ist (vgl. z.B. Frotscher a.a.O. § 227 Rdnr. 7 i.V.m. § 163 Rdnr. 169 ff.; Loose a.a.O. § 163 AO Rdnr. 8 i.V.m. § 227 AO Rdnr. 86, 89 ff. m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH).

Der Senat muss hier nicht abschließend entscheiden, ob eine derartige Situation in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der alleinige unmittelbare Gesellschafter eine Patronatserklärung abgegeben, der mittelbare Gesellschafter seine Bereitschaft zu weiterer Kreditierung bekundet hat und die Klägerin nach dem Streitjahr noch viele Jahre operativ am Markt tätig war, überhaupt denkbar ist. Jedenfalls ist eine Ermessensreduktion auf null unter Berücksichtigung des eigenen Vorbringens der Klägerin insoweit nicht ersichtlich.

Die Klägerin stützt sich ausdrücklich nicht auf Gründe der persönlichen Unbilligkeit. Wie sie insbesondere in dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2011 vorgetragen hat, geht es ihr, trotz der vorgetragenen, aus ihrer Sicht konfiskatorischen und strangulierenden Besteuerung, ausschließlich um eine Unbilligkeit aus sachlichen Billigkeitsgründen. In Anbetracht dieser eindeutigen Aussage der Klägerin verzichtet der Senat hinsichtlich der Frage der persönlichen Unbilligkeit auf weitere Ausführungen.

b. Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht aber auch kein Fall der so genannten sachlichen Unbilligkeit.

Eine Verpflichtung des Beklagten zur abweichenden Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006 ergibt sich zunächst nicht aus dem so genannten Sanierungserlass, der im Wesentlichen Gegenstand des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens war. Auch wenn man davon ausgeht, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen des Sanierungserlasses wegen der Selbstbindung der Verwaltung bei der Entscheidung über eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen eine Ermessensreduzierung auf null eintritt, ist die ablehnende Entscheidung des Beklagten im Streitfall insoweit nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des Sanierungserlasses nicht erfüllt sind.

Der Senat kann offen lassen, ob der Sanierungserlass als solcher eine rechtmäßige Verwaltungsanweisung darstellt (zweifelnd: BFH-Beschluss vom 28. Februar 2012 VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135). Wegen der insoweit aufgeworfenen Fragen wird auf den Vorlagebeschluss des X. Senats des BFH an den Großen Senat des BFH (vgl. Beschluss vom 25. März 2015 X R 23/13, BStBl II 2015, 696) und die dort vorgenommene umfassende Abwägung verwiesen. Es kann auch offen bleiben, ob die Ausführungen des BFH zur Europarechtskonformität des Sanierungserlasses infolge der beiden Urteile des EuGH vom 4. Februar 2016 (T-620/11 – GFKL Financial Service AG, DStR 2016, 390 – und T-287/11,– Heitkamp BauHolding GmbH, juris –) zweifelhaft geworden sind (vgl. Hinder/Henschel, Luxemburger Bestätigung der Beihilferechtswidrigkeit der Sanierungsklausel, GmbHR 2016, 345).

Bei Anwendung des Sanierungserlasses käme es – worauf der Beklagte zutreffend und rechtmäßig abgestellt hat – darauf an, ob die Voraussetzungen der Sanierungsbedürftigkeit, der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, der Sanierungseignung des Schulderlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger kumulativ erfüllt sind.

Der Beklagte hat insoweit im Hinblick auf die Tatsache, dass einerseits nur die Gesellschafter auf Forderungen verzichtet haben, andererseits der Verzicht im Zusammenhang mit umfangreichen Veränderungen im Gesellschafterbestand einherging, die Sanierungsabsicht im Hinblick auf die von ihm gesehenen gesellschaftsrechtlichen Erwägungen verneint. Insoweit wird auf die ausführliche Darstellung auf Seite 3 und 4 der Ablehnungsverfügung sowie der Seiten 5 bis 7 der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Die Klägerin ist dem im Wesentlichen mit der auf Rdnr. 4 Satz 2 des Sanierungserlasses gestützten Argumentation entgegengetreten, bei Vorliegen eines Sanierungsplanes – wie im Streitfall – dürfe die Finanzbehörde das Vorliegen der einzelnen Voraussetzungen, hier der Sanierungsabsicht der Gläubiger, nicht mehr prüfen.

Dem folgt der erkennende Senat nicht. Bereits der Wortlaut des Sanierungserlasses spricht gegen ein derartiges Verständnis. So heißt es dort nicht etwa, bei Vorliegen eines Sanierungsplanes „ist“ vom Vorliegen der Sanierungsvoraussetzungen auszugehen oder „muss“ davon ausgegangen werden, sondern „kann“ davon ausgegangen werden. Schon nach allgemeinem Sprachgebrauch umschreibt das Verb „können“ im hier interessierenden Kontext die Berechtigung zu einem Verhalten, aber keine zwingende Folge (vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch, Stichwort „können“ unter 1c). Dies spricht gegen das Verständnis einer zwingenden Annahme der Sanierungsabsicht allein wegen des Vorliegens eines Sanierungsplanes.

Wenn man weitere Verwaltungsverlautbarungen (vgl. z.B. OFD Niedersachsen vom 29. Juni 2012 S 2140-8-St 244, juris; Finanzministerium Schleswig Holstein vom 25. Januar 2013 VI 3011-S2 1741-108, Haufe-Index 3725251) sowie – insoweit nicht entscheidungserheblich – eine Vielzahl nicht veröffentlichter verwaltungsinterner Anweisungen neben dem unmittelbar einschlägigen Sanierungserlass des BMF vom 27. März 2003 heranzieht, ergibt sich ein einheitliches Bild der Verwaltungsauffassung dahingehend, dass bei einem Schulderlass ausschließlich durch den oder die Gesellschafter regelmäßig nicht vor einer Sanierungsabsicht im Sinne eines eigenbetrieblich und nicht gesellschaftsrechtlich veranlassten Schulderlasses auszugehen, sondern im Einzelfall eine Prüfung vorzunehmen ist. Das steht auch in Übereinstimmung mit der im BStBl II veröffentlichten, und damit wie eine Verwaltungsanweisung wirkenden, Entscheidung des BFH vom 10. April 2003 (IV R 63/01, BStBl II 2004, 9), wonach im Falle des Erlasses durch nur einen Gläubiger die Annahme der Sanierungsabsicht zwar nicht ausgeschlossen, aber dann anhand anderer Indizien zu prüfen ist, ob dem Schulderlass die Absicht zugrunde gelegen hat, den Schuldner vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Da, wie bereits oben dargelegt, Verwaltungsvorschriften so auszulegen und anzuwenden sind, wie die Verwaltung sie versteht, scheidet damit ein Verständnis im Sinne des klägerischen Vorbringens aus. Der erkennende Senat könnte dem Verständnis der Klägerin allerdings auch unabhängig von der Bindung an das Verwaltungsverständnis auch wegen des Wortlauts nicht folgen.

Ausgehend von dem Verwaltungsverständnis des Sanierungserlasses hat der Beklagte auch die abweichende Festsetzung im Streitfall zu Recht wegen fehlender Sanierungsabsicht abgelehnt. Eine Verpflichtung zur Gewährung der Verlustverrechnung entgegen der gesetzlichen Regelung in § 10d EStG wegen einer Ermessensreduzierung auf null kann daher keinesfalls ausgesprochen werden.

Der Beklagte ist davon ausgegangen, eine Sanierungsabsicht im Sinne der Grundsatzentscheidung des BFH (Urteil vom 26. November 1980 I R 52/77, BStBl II 1981, 181) sei im Streitfall nicht nachgewiesen worden. So hat er insbesondere unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des BFH ausgeführt, eigennützige Erwägungen der Gläubiger beim Forderungserlass seien nur dann unschädlich, wenn die Sanierungsabsicht mitentscheidend gewesen sei. An der Sanierungsabsicht fehle es aber, wenn es dem Gläubiger mangels Interesses am weiteren Schicksal des Schuldnerunternehmens primär darum gehe, das bestmögliche Ergebnis für sich zu erzielen. Insbesondere sei eine Sanierungsabsicht aber abzulehnen, wenn der Sanierungsmaßnahme gesellschaftsrechtliche Erwägungen des Gläubigers zu Grunde lägen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29. Juli 1997 VIII R 57/94, BStBl II 1998, 652 m.w.N. zur älteren Rechtsprechung).

Der Auffassung des Beklagten liegt insoweit, wie sich aus den in Abstimmung mit dem Landesfinanzministerium entwickelten Anweisungen der Oberfinanzdirektion ergibt, eine generelles Verständnis der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen zu Grunde, die ihre Ursache in der in der Einspruchsentscheidung dargestellten Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte sowie der früheren Kommentarliteratur zu § 3 Nr. 66 EStG a.F., insbesondere auch in der Entscheidung des Finanzgerichts München vom 4. Februar 2004 (7 K 337/99, juris) hat, wonach bei einem durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Forderungsverzicht die Regelung in § 3 Nr. 66 EStG a.F. verdrängt wird.

Davon ausgehend ist der Beklagte im Rahmen einer nachvollziehbaren Bewertung des Lebenssachverhaltes zu der Überzeugung gelangt, die Sanierungsabsicht fehle, da die Darlehensverzichte unter Berücksichtigung aller Aspekte des Streitfalles ganz überwiegend gesellschaftsrechtlich motiviert seien. So seien die erheblichen Kreditgewährungen bei der von Anbeginn an unterkapitalisierten Klägerin nur im Hinblick auf die jeweiligen Gesellschaftsverhältnisse verständlich. Dem Darlehensverzicht läge außerdem hinsichtlich zweier Gesellschafter vorrangig das Interesse an dem endgültigen Ausscheiden aus der Gesellschaft, hinsichtlich der weiteren Gesellschafter das Interesse an dem Ausbau ihrer Beteiligung zu Grunde.

Die Richtigkeit dieser Überlegungen hat die Klägerin selbst in dem Schriftsatz vom 25. Januar 2013 (Seite 5/6) unterstrichen, in dem sie ausgeführt hat, die Initiative für den Forderungsverzicht sei nicht von ihr ausgegangen. Drei der vier Gesellschafter hätten die Gesellschaft (die Klägerin) im Streitjahr wegen der anhaltenden Verluste aufgeben wollen, teilweise weil einzelne Gesellschafter bereits an alternativen Portalen gearbeitet hätten. Ein Gesellschafter, habe sie fortführen wollen, weil er von deren langfristigem Erfolg überzeugt gewesen sei. Die ausscheidenden Gesellschafter seien allerdings auch an einer Fortführung interessiert gewesen, da sie „negative Publicity“ für ihre eigenen Verlagsgeschäfte befürchteten und sie auch Vermarktungschancen für ihre eigenen Produkte gesehen hätten, falls sie überleben sollte. Der Gesellschafter mit Fortführungsabsicht habe eine Fortführung aber nur wagen wollen, wenn die anderen Gesellschafter auf ihre Forderungen gegenüber ihr verzichteten, wozu die anderen Gesellschafter jedoch nur für den Fall bereit gewesen seien, dass auch der fortführende Gesellschafter auf seine Forderungen verzichtete. Dies sei der wesentliche Hintergrund für den Abschluss der Sanierungsvereinbarung.

Ausgehend von diesem eigenen Vorbringen der Klägerin ist die in der Einspruchsentscheidung dargelegte Auffassung des Beklagten, die Darlehensverzichte stellten wegen ihrer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung verdeckte Einlagen der Gesellschafter in das Vermögen der Klägerin dar, die im Hinblick auf die Überschuldung der Klägerin mit einem Teilwert von null Euro zu bewerten seien, und diese vorrangige gesellschaftsrechtliche Veranlassung schließe die Sanierungsabsicht im Sinne des Sanierungserlasses aus, nicht zu beanstanden.

Die vom Beklagten insoweit zur Begründung herangezogene Verknüpfung der Forderungsverzichte mit dem Ausscheiden einzelner Gesellschafter wie auch die vorrangige Zielrichtung der Beendigung des kostenträchtigen Engagements in der Klägerin entspricht dem eigenen Sachvortrag der Klägerin.

c. Auch eine Verpflichtung zur Neubescheidung gemäß § 101 Satz 2 FGO ist im Streitfall nicht auszusprechen. Ausgehend von der bereits dargestellten Auslegung des Sanierungserlasses durch die Finanzverwaltung ist bei einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung eines Darlehensverzichtes eine ganze oder teilweise Berücksichtigung als Sanierungsbeitrag ausgeschlossen.

d. Soweit die Klägerin ihren Antrag auf Verpflichtung zu einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen auf eine individuelle sachliche Unbilligkeit wegen der im Streitfall durch die Erfassung von (ausschließlich erzielten) Buchgewinnen im Zusammenwirken mit der Einschränkung der Verlustverrechnung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG) ausgelösten, ihres Erachtens konfiskatorischen und erdrosselnden Wirkung der Körperschaftsteuer 2006 stützt, ist die Klage ebenfalls abzuweisen. Es fehlt an einer sachlichen Unbilligkeit im Sinne des § 163 AO.

Sachliche Unbilligkeit liegt nach vom Senat geteilter herrschender Meinung vor, wenn die Durchsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis unter den besonderen Umständen des Einzelfalls den gesetzlichen Wertungen bzw. den allgemeinen Wertungen der Rechtsrichtigkeit zuwiderläuft. Die konkreten Umstände des Einzelfalls müssen in der erforderlichen Gesamtwürdigung einen Überhang des einschlägigen gesetzlichen Tatbestands über die gesetzlichen Wertungen erkennen lassen (vgl. von Groll a.a.O. § 163 AO Rdnr. 21, 24 i.V.m. § 227 AO Rdnr. 126 m.w.N. zu Rechtsprechung und Literatur). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die rechtliche Aussage des Steuergesetzes über den mit ihm verfolgten Zweck hinausgeht (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1988 I R 197/84, BStBl II 1988, 983 m.w.N.), wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass dieser die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage, wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 29/10, BStBl II 2013, 505).

Demgegenüber können Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, einen Erlass aus Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BStBl II 1996, 503 m.w.N.; BFH, BStBl II 2013, 505; ebenso zu § 131 RAO BFH-Urteil vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BStBl II 1973, 466).

Ausgehend von dieser allgemein akzeptierten Definition der sachlichen Unbilligkeit vermag der Senat zunächst keinen Ermessensfehler des Beklagten darin zu erkennen, dass dieser im Kern eine differenzierte Betrachtung zwischen Buchgewinnen und liquiditätswirksamen Gewinnen abgelehnt hat, indem er im Streitjahr von einem realen Vermögenszuwachs durch Wegfall der Verbindlichkeiten ausgegangen ist.

Soweit die Klägerin den Anspruch auf eine abweichende Billigkeitsentscheidung mit den Argumenten des Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, die Eigentumsgarantie und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Übermaßbesteuerung mit der besonderen Konstellation des nicht liquiditätswirksamen reinen Buchgewinnes und der liquiditätswirksamen Verpflichtung zur Steuerzahlung begründet hat, begehrt sie im Kern eine differenzierte Behandlung der verschiedenen Veränderungen der Betriebsvermögensmehrung im Rahmen der Gewinnermittlung nach §§ 5, 4 Abs. 1 EStG.

Dies hat der Beklagte zutreffend abgelehnt, da das Begehren insoweit auf eine Korrektur der gesetzgeberischen Grundentscheidung hinausläuft. Die Grundentscheidungen des Gesetzgebers dürfen aber nicht durch Billigkeitsmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden. Eine über die gesetzlichen Sondertatbestände hinausgehende Differenzierung stellte vielmehr eine unzulässige strukturelle Gesetzeskorrektur dar.

Bei der hier maßgeblichen Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 i.V.m. § 4 EStG ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Eine Differenzierung zwischen liquiditätswirksamen und nicht liquiditätswirksamen Veränderungen des Betriebsvermögens sieht das Gesetz nicht vor.

So führt nach den handelsrechtlichen (vgl. § 275 Abs. 2 Nr. 15 HGB, früher auch § 277 Abs. 4 HGB) und steuerrechtlichen Regelungen (§ 5 Abs. 1 i.V.m. § 4 EStG) der nicht liquiditätswirksame Verzicht auf Forderungen gegenüber einer Kapitalgesellschaft wie der Klägerin, soweit er nicht – außerbilanziell – in Höhe des Teilwertes der erlassenen Forderung als Einlage neutralisiert wird (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 I R 35/04, BStBl II 2006, 132; Kulosa in Schmidt, EStG, 34. Auflage, 2015, § 6 Rdnr. 756/757 m.w.N.), ebenso zu einem Gewinn wie liquiditätswirksame Zuflüsse. Soweit der Gesetzgeber keine Sonderregelungen (vgl. z.B. §§ 6b, 6c EStG) geschaffen hat, werden sowohl die liquiditätswirksamen als auch die nicht liquiditätswirksamen Gewinne einheitlich der Besteuerung unterworfen (vgl. Kulosa a.a.O. § 4 Rdnr. 60).

Im Kern greift die Klägerin letztlich auch nicht die grundsätzliche Besteuerung von Buchgewinnen nach vorherigen liquiditätswirksamen Verlusten an, sondern die Begrenzung der Verlustverrechnung und die dadurch infolge des Prinzips der Abschnittsbesteuerung eintretende steuerliche Belastung.

Aber auch insoweit liegen die Voraussetzungen für eine Verpflichtung des Beklagten zu einer abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen nicht vor.

Der Beklagte hat nach Überzeugung des erkennenden Senats auch insoweit berechtigt darauf abgestellt, dass die Besteuerung im Streitfall die zwangsläufige Folge der vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung zur Einschränkung der Verlustverrechnung sei, die durch Billigkeitsmaßnahmen außerhalb der Fälle des Sanierungserlasses nicht unterlaufen werden dürfe.

Ungeachtet der vielfältigen Streitfragen im Zusammenhang mit den Verluststreckungsvorschriften (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 26. Februar 2014 I R 59/12, BStBl II 2014, 1016; BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BStBl II 2013, 498; BVerwG-Urteil vom 19. Februar 2015 9 C 10/14, BVerwGE 151, 255 jeweils mit umfangreichen Nachweisen zur Literatur und Rechtsprechung) ist es im Rahmen einer Ermessensüberprüfung nicht zu beanstanden, dass der Beklagte davon ausgegangen ist, der Gesetzgeber habe Härten wie im Streitfall bei der Ausgestaltung der Verluststreckungsvorschriften bewusst in Kauf genommen.

Dies entspricht den bei der Auswertung der Gesetzesmaterialien gefundenen Erkenntnissen des I. Senats des BFH (BStBl II 2014, 1016) und des BVerwG (BVerwGE 151, 255), auf deren umfangreiche und überzeugende Darlegungen der erkennende Senat insoweit verweist. Beide Gerichte gehen im Kern übereinstimmend davon aus, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Mindestbesteuerungsvorschriften (§ 10d EStG, § 10a GewStG) ausschließlich durch die Anhebung des Sockelbetrages und des Prozentsatzes für den Restbetrag in den Vorschriften Rechnung getragen habe, würde eine Erweiterung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten durch Billigkeitsmaßnahmen zu einer unzulässigen strukturellen Gesetzeskorrektur führen. Der Gesetzgeber habe die voraussehbaren Härten bei der Anwendung des Gesetzes nicht durch Ausnahmen etwa für bestimmte Branchen, Anfangsverluste, In-Gang-Setzungs-Verluste oder Zweckgesellschaften beseitigt. Auch ließen sich den Regelungen keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, nach welchen Kriterien ggf. zu differenzieren wäre.

Da sich der Beklagte insoweit in Übereinstimmung mit mehreren obergerichtlichen Entscheidungen befindet, kann ungeachtet in der obergerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls vertretener anderer Auffassungen (vgl. z.B. BFH, BStBl II 2013, 505) jedenfalls nicht von einer fehlerhaften Ermessensausübung oder gar einer Ermessensreduzierung auf null ausgegangen werden.

Die Frage, ob sich die Regelungen zur Verluststreckung/Mindestbesteuerung generell oder möglicherweise in den Fällen der Definitivbelastung als verfassungswidrig erweisen, kann daher nur im Rahmen der Steuerfestsetzungsverfahren für das Streitjahr und/oder die Folgejahre geklärt werden. Wenn sich ggf. die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Definitivbelastung in den Folgejahren als verfassungswidrig herausstellen und dies zu einer Rückwirkung bis zum Streitjahr führen sollte, kann dies nur im Rahmen nach § 164 Abs. 2 AO für das Streitjahr gestellten Änderungsantrages bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer Auswirkungen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Aufhebung der im Tenor zutreffenden ablehnenden Entscheidung zur abweichenden Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages stellt nur ein geringes Unterliegen des Beklagten dar.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

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