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Steuerrecht
23.03.2012
Steuerrecht
FG Rheinland-Pfalz: Verjährungsunterbrechung durch mündliche Vereinbarung über Ratenzahlungen

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8.2.2012 - 2 K 1893/10


Sachverhalt



Die Beteiligten streiten über die Zahlungsverjährung von Steueransprüchen.



Die Klägerin hatte beim Finanzamt M am 10. Mai 2007 - resultierend aus dem Betrieb einer Gaststätte - noch Steuerrückstände i.H. von 35.266,12 € (Hauptforderung: 8.152,85 €; Säumniszuschläge: 27.113,27 €). Die Hauptforderung betrifft rückständige Einkommensteuer-Vorauszahlungen (1. Vj. 1997 - 4. Vj. 1997), Einkommensteuer-Zinsen (1989 - 1993), Solidaritätszuschlag (1995, 3. Vj. 1996, 1. Vj. 1997 - 4. Vj. 1997), Kirchensteuer (1995, 2. und 3. Vj. 1996, 1. Vj. 1997 - 4. Vj. 1997) sowie Vollstreckungskosten. Die Beträge wurden im Wesentlichen zwischen dem 10. März 1995 und dem 10. März 1999 fällig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Forderungsaufstellung vom 10. Mai 2007 verwiesen (vgl. Bl. 6 f. d. Abrechnungsakte).



In den Jahren 1998 und 1999 führte das Finanzamt M hinsichtlich der vorgenannten Steuerrückstände diverse Vollstreckungsmaßnahmen durch, darunter eine fruchtlose Pfändung am 15. April 1999 (Bl. 68 ff. und 66 f. d. Vollstreckungsakten).



Mit Schreiben vom 03. Mai 2001 teilte das Finanzamt M der Klägerin mit, in Anbetracht u.a. der in der Vergangenheit erfolglos gebliebenen Vollstreckungsmaßnahmen bedürfe es ihrer Vorsprache an Amtsstelle am 16. Mai 2001. Das Gespräch solle dazu dienen, Perspektiven aufzuzeigen, wie für die Zukunft eine Möglichkeit gefunden werden könne, die ausstehenden Rückstände zu tilgen, sowie eine Überprüfung der bestehenden Steuerrückstände durchzuführen (Bl. 74 d. Vollstreckungsakten). Am 16. Mai 2001 sprach die Klägerin daraufhin beim Finanzamt M vor. Lt. einem handschriftlichen Aktenvermerk des zuständigen Sachbearbeiters der Vollstreckungsstelle wurde ihr in dem Gespräch mitgeteilt, dass sie weiterhin per Dauerauftrag monatlich 300,00 DM an das Finanzamt M überweisen solle (vgl. Bl. 77 Rückseite d. Vollstreckungsakten).



In der Folgezeit leistete die Klägerin die auferlegten Ratenzahlungen regelmäßig. Vollstreckungsmaßnahmen wurden seitens des Finanzamts M nicht mehr durchgeführt.



Auf eine Aufforderung des Finanzamts M am 10. Mai 2007, zwecks Überprüfung der Ratenhöhe einen Fragebogen sowie verschiedene Unterlagen einzureichen, ließ die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 31. Mai 2007 mitteilen, bezüglich der in der Forderungsaufstellung aufgeführten Steuerschulden und Säumniszuschläge werde Zahlungsverjährung gemäß § 229 AO geltend gemacht. Der im mündlichen Gespräch am 16. Mai 2001 an Amtsstelle zugesagte „Vollstreckungsaufschub" könne nicht als verjährungsunterbrechende Handlung angesehen werden, da es sich nur um eine innerdienstliche Maßnahme ohne Außenwirkung handele. Somit sei spätestens zum 31. Dezember 2006 Zahlungsverjährung eingetreten (Bl. 97 ff., 101 f. d. Vollstreckungsakten).



Auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin erließ der Beklagte unter dem 24. September 2008 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO, wonach die Verjährung der Steueransprüche lt. beigefügter Forderungsaufstellung erst zum 31. Dezember 2012 anstehe, diese also weiterhin geschuldet würden (Bl. 37 ff. d. Abrechnungsakte).



Hiergegen legte die Klägerin am 24. Oktober 2008 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2010 als unbegründet zurückwies (Bl. 52 ff. d. Abrechnungsakte).



Mit der hiergegen am 13. Juli 2010 bei Gericht eingegangenen Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, der im mündlichen Gespräch am 16. Mai 2001 an Amtsstelle zugesagte „Vollstreckungsaufschub" könne nicht als verjährungsunterbrechende Handlung angesehen werden. Gemäß AEAO zu § 231 AO sei für die Unterbrechung notwendig, dass das „maßgebliche Schriftstück" vor Ablauf der Verjährungsfrist die Finanzbehörde verlassen habe. Gleiches fordere auch der BFH in seinem Urteil vom 23. April 1991 mit der Begründung, dass nur bei Mitteilung eines bewilligten Vollstreckungsaufschubs der Vollstreckungsschuldner wisse, dass eine Verjährung nicht eintreten könne. Einer das Finanzamt zu nichts verpflichtenden, nur innerdienstlich wirkenden Maßnahme könne - vergleichbar einer Niederschlagung, die ebenfalls keine Außenwirkung entfalte - keine die Verjährung unterbrechende Wirkung beigemessen werden. Die Vorsprache der Klägerin an Amtsstelle am 16. Mai 2001 sei als Antrag nach § 258 AO zu werten. Werde ein Antrag nach § 258 AO gestellt, müsse die Entscheidung darüber durch Bescheid d.h. Verwaltungsakt ergehen. Da dieser Verwaltungsakt mit dem Einspruch anfechtbar sei, habe er auch schriftlich zu ergehen, was jedoch im Streitfall nicht geschehen sei.



Außerdem sei der mündlich gewährte Vollstreckungsaufschub nichtig, da eine Maßnahme nach § 258 AO nur in Betracht komme, wenn vorübergehend Umstände vorlägen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen ließen. Dauerhafte Maßnahmen sehe die Vorschrift nicht vor. Bei Anerbieten von Ratenzahlungen sei der Vollstreckungsaufschub unbillig und damit nichtig, wenn - wie im Streitfall - nach der angebotenen Ratenhöhe mit einer kurzfristigen Tilgung der Steuerschuld nicht gerechnet werden könne. Nichtige Verwaltungsakte unterbrächen die Verjährung jedoch nicht.



Die Klägerin beantragt sinngemäß und schriftsätzlich,



den Abrechnungsbescheid vom 24. September 2008 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2010 dahingehend zu ändern, dass die Zahlungsverjährung der in der Forderungsaufstellung des Finanzamts M vom 10. Mai 2007 aufgeführten Steuerforderungen festgestellt wird.



Der Beklagte beantragt,



die Klage abzuweisen.



Er verweist zur Vermeidung von Wiederholungen im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2010.





aus den gründen



Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Steueransprüche nicht zahlungsverjährt sind, weil die Zahlungsverjährung am 16. Mai 2001 unterbrochen wurde.



Gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO wird die Zahlungsverjährung eines Steueranspruchs u.a. „durch Vollstreckungsaufschub" unterbrochen. Die Unterbrechung der Verjährung durch Vollstreckungsaufschub dauert fort, bis der Vollstreckungsaufschub abgelaufen ist (§ 231 Abs. 2 Satz 1 AO).



Der in § 231 AO verwendete Begriff des Vollstreckungsaufschubs wird im Gesetz nicht näher definiert. Allerdings geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Zahlungsverjährung zumindest durch eine Maßnahme nach § 258 AO - also durch die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung oder die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme wegen Unbilligkeit - unterbrochen wird. In jedem Falle ausreichend ist deshalb z.B. die Gewährung von Ratenzahlungen für eine längere Zeitspanne, sofern die Finanzbehörde dem Vollstreckungsschuldner zusagt, von der zwangsweisen Durchsetzung ihres Anspruchs für eine bestimmte Zeit absehen zu wollen (vgl. BFH, Beschluss vom 10. November 2003, VII B 342/02, BFH/NV 2004, 315; BFH, Beschluss vom 08. Januar 1998, VII B 137/97, BFH/NV 1998, 686).



Dass das Finanzamt M der Klägerin bei der Besprechung am 16. Mai 2001 zugesagt hat, die Vollstreckung unter der Auflage monatlicher Ratenzahlungen einstweilen einzustellen, ist zwischen den Beteiligten im Grundsatz unstreitig und steht im Übrigen auch zur Überzeugung des Senates fest. Soweit die Klägerin unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 23. April 1991 (VII R 37/90, BStBl II 1991, 742) meint, eine verjährungsunterbrechende Handlung i.S. von § 231 Abs. 1 AO liege gleichwohl nicht vor, weil die Zusage nicht schriftlich erteilt worden sei, folgt der Senat dem nicht. Dem Urteil des BFH lässt sich ein solches Schriftformerfordernis nicht entnehmen. Der BFH hat vielmehr lediglich klargestellt, dass - entgegen einer im Schrifttum vertretenen Rechtsauffassung - nur ein bekannt gegebener Vollstreckungsaufschub die Unterbrechung der Zahlungsverjährung bewirkt, es also nicht ausreicht, zwar eine Entscheidung nach § 258 AO zu treffen, diese dem Vollstreckungsschuldner aber nicht mitzuteilen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Beschluss des BFH vom 08. Januar 1998 (aaO). Diesem lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht die Aussage entnehmen, dass die Gewährung von Ratenzahlungen durch „Bescheid" erfolgen müsse, um die Zahlungsverjährung unterbrechen zu können. Vielmehr hat der BFH ausdrücklich offen gelassen, ob es sich bei dem Vollstreckungsaufschub i.S. von § 231 Abs. 1 Satz 1 AO überhaupt um einen bekannt zu gebenden Verwaltungsakt handelt. Zu beachten sei nur, dass eine Handlung oder Maßnahme, um die Unterbrechung der Zahlungsverjährung herbeiführen zu können, den inneren Dienstbereich überschreiten müsse (BFH, aaO). An der (mündlichen) Mitteilung des Vollstreckungsaufschubs durch das Finanzamt M bestehen im Streitfall jedoch keine Zweifel. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass selbst ein Verwaltungsakt gemäß § 119 Abs. 2 AO nur dann schriftlich bzw. durch „Bescheid" zu erlassen ist, wenn dies - wie z.B. in § 191 Abs. 1 Satz AO für einen Haftungs- bzw. Duldungsbescheid - gesetzlich vorgeschrieben ist. Eine Maßnahme nach § 258 AO kann aber zweifellos auch mündlich erfolgen (vgl. BFH, Beschluss vom 12. Dezember 2005, VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900). Ebenso wenig bedarf es nach dem Wortlaut des § 231 Abs. 1 Satz 1 AO für die Verjährungsunterbrechung eines „schriftlichen" Vollstreckungsaufschubs.



Unzutreffend ist auch der Einwand der Klägerin, bei Anerbieten von Ratenzahlungen sei ein gewährter Vollstreckungsaufschub nichtig, wenn mit einer kurzfristigen Tilgung der Steuerschuld nicht gerechnet werden könne. Zwar ist dem Senat bekannt, dass die Finanzämter aufgrund interner Verwaltungsanweisungen gehalten sind, Ratenzahlungs­vereinbarungen vor dem Hintergrund des § 258 AO nur dann zu treffen, wenn mit einer vollständigen Tilgung der Steuerschuld innerhalb von spätestens 12 Monaten gerechnet werden kann. Ein Überschreiten dieser zeitlichen Grenze begründet jedoch keinen besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO, der zur Nichtigkeit der Maßnahme nach § 258 AO führen könnte. Für die Unterbrechung der Zahlungsverjährung ist unerheblich, ob eine Zusage gemäß § 258 AO rechtmäßig ist oder so nicht hätte ergehen dürfen (vgl. BFH, Beschluss vom 10. November 2003, VII B 342/02, BFH/NV 2004, 315). Ohnedies kann sich ein Vollstreckungsschuldner nach Ansicht des Senats nicht darauf berufen, eine ihn begünstigende und ihm bekannt gegebene Maßnahme sei „nichtig" und könne daher nicht gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO die Zahlungsverjährung unterbrechen. Denn entscheidend ist für die Unterbrechung der Zahlungs­verjährung, dass der Vollstreckungsschuldner erkennen kann, dass die Finanzbehörde den Steueranspruch weiterhin gegen ihn durchsetzen will (vgl. BFH, Urteil vom 23. Februar 2010, VII R 9/08, BStBl II 2011, 667). Hieran konnten für die Klägerin nach dem Gespräch am 16. Mai 2001 aber keine ernsthaften Zweifel bestehen. Sie ist daher jedenfalls in keinem Falle schutzwürdig.





Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.





Rechtsmittelbelehrung



Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde ange­foch­ten werden.



Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.



Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.



Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.



Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.

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