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Steuerrecht
30.09.2016
Steuerrecht
FG Niedersachsen: Umsatzsteuerbefreiung für Laborleistungen

FG Niedersachsen, Urteil vom 3.9.2015 – 16 K 340/12

(Leitsatz der Redaktion)

Medizinische Labortests, die auf Anordnung von Ärzten und Heilpraktikern durchgeführt werden, fallen unter die Umsatzsteuerbefreiung für eine heilberufliche Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchstabe a) UStG.

Sachverhalt

Die Klägerin ist im Dezember 2000 gegründet worden. Gegenstand der Gesellschaft ist die Ausführung und Entwicklung von Labordiagnostik.

In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin steuerpflichtige Umsätze mit einer Bemessungsgrundlage von insgesamt ….. Darüber hinaus erklärte die Klägerin umsatzsteuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Höhe von …... Unter Berücksichtigung anteiliger abziehbarer Vorsteuerbeträge errechnete die Klägerin eine Steuerzahllast von …….

Nach Außenprüfung im Jahr 2011 nahm der Prüfer und ihm folgend der Beklagte an, dass die Steuerbefreiung für die o. a. Umsätze nicht gegeben sei. Der Beklagte änderte daraufhin mit Bescheid vom 24. November 2011 die Umsatzsteuer und erfasste die bisher als steuerfrei erklärten Umsätze als steuerpflichtig zum Regelsteuersatz unter Berücksichtigung weiterer Vorsteuerabzugsbeträge. Während des sich anschließenden Einspruchsverfahrens setzte der Beklagte mit Steuerbescheid vom 16. Februar 2012 die Umsatzsteuer auf 267.663,14 € fest.

Der Streitfrage der Anwendung der Steuerbefreiung liegt nachfolgender Sachverhalt zu Grunde. Dem von der Klägerin betriebenen medizinischen Labor werden von Ärzten und Heilpraktikern biologisches Probenmaterial (Blutproben oder Serum) zugesandt. Die Klägerin untersucht diese Proben labortechnisch zwecks Bestimmung so genannter IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel. Die IgG-Antikörper dienen als Nachweis einer verzögerten Nahrungsmittel-Allergie. Diesem Verfahren hat die Klägerin den Produktnamen „Imu-Pro-bei gegeben. Nach den Unterlagen, die die Klägerin den Therapeuten und Patienten zur Verfügung stellt, können durch das Testverfahren verzögerte Nahrungsmittel-Allergien gegenüber insgesamt 272 unterschiedliche Nahrungsmittel abgeklärt werden. Häufige Krankheitsbilder, bei denen Therapeuten in Absprache mit den Patienten den Test einsetzen, sind chronische Magen-Darm-Probleme, chronische Hautprobleme, chronische Schmerzen, rheumatische Erkrankungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Atemwegsbeschwerden und chronisches Übergewicht.

Die Klägerin führt die Tests aufgrund erteilter Laboraufträge durch. Diese Aufträge werden von dem jeweiligen Patienten erteilt. Ihm gegenüber rechnet die Klägerin auch ihre Leistungen ab. Die Klägerin bietet dabei den Patienten an zunächst einen preisgünstigen Vortest in Auftrag zu geben, dem bei entsprechendem Ergebnis weitere Testreihen folgen oder aber den Gesamttest durchzuführen. Das jeweilige Testergebnis wird dem einsenden Therapeuten mitgeteilt.

Zur tatsächlichen Durchführung der Tests beschäftigt die Klägerin in ihrem Labor durchschnittlich vier Arbeitnehmer, von denen zwei die Berufsausbildung zur technischen Assistentin in der Medizin (MTA) haben. Eine Befundung der Laborergebnisse wird seitens der Klägerin durch einen Doktor der Biologie und einen Doktor der Chemie vorgenommen. Das Labor der Klägerin steht unter Leitung des Allgemeinmediziners Y, der die Analytik der Testverfahren einer Kontrolle unterzieht und selbst auffällige Befunde kontrolliert und mit Empfehlungen zur Weiterbehandlung durch den Therapeuten versieht.

Der Außenprüfer vertrat die Auffassung, es komme eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 a) UStG wegen Fehlens eines therapeutischen Zwecks nicht in Betracht. Die Nichtübernahme der Kosten der von der Klägerin vorgenommen Tests sei hierfür ein Indiz. Die Diagnosemethoden und angebotenen Behandlungen seien auch nicht wissenschaftlich abgesichert, sondern in der Literatur umstritten. In den meisten Fällen würden die Aufträge nicht durch Ärzte oder Heilpraktiker, sondern unmittelbar durch die Kunden selbst erteilt werden. Auch werbe die Klägerin im Internet, und insbesondere auch bei späteren Kunden-/Patienten für ihre Leistungen. Der Beklagte schloss sich dieser Auffassung des Prüfers an. Im Einspruchsverfahren ergänzte der Beklagte zudem, dass klägerseits nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden sei, dass das Labor der Klägerin unter einer stetigen und situationsangemessenen ärztlichen Aufsicht geführt worden sei.

Ihre nach insoweit nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründet die Klägerin im Wesentlichen wie folgt:

Sie erbringe mit den von ihr durchgeführten labormedizinischen Analysen Leistungen, die heilkundlichen Zwecken dienten. Ihre Leistungen seien jeweils eingebettet in eine heilkundliche Therapie des jeweiligen Therapeuten. Dieser treffe die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Laboruntersuchung des jeweiligen Patienten und veranlasse diese. Nach der von der Klägerin durchgeführten Laborleistung schließe sich unter Umständen auch eine Interpretation des Laborbefundes durch den Therapeuten sowie eine ärztliche Folgetherapie an.

Aus ihren Aufzeichnungen im Laborinformationssystem, die sich notfalls dem Gericht vorlegen könne, ergebe sich, dass im Streitjahr über 97 % aller Laboruntersuchungen durch einsende Therapeuten veranlasst worden seien. Wenn aber der Therapeut eine heilkundliche Leistung erbringe, so könne auch die davon abgeleitete Laborleistung der Klägerin nur heilkundlichen Zwecken dienen. Eine getrennte Beurteilung sei unzulässig.

Für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 a) UStG müsse nicht der leistende Unternehmer des Umsatzsteuerrechts die erforderlichen ärztlichen oder arztähnlichen Qualifikationen besitzen. Ausschlaggebend sei, dass der die Leistung Ausführende die entsprechende berufliche Qualifikation besitze. Im Streitfall liege die Leitung des Labors in der Hand des Facharztes für Allgemeinmedizin Y. Dieser sei regelmäßig im Labor anwesend. Er verfüge über eine Genehmigung der Ärztekammer Niedersachsen über die Berechtigung zur Abrechnung der von der Klägerin durchgeführten Laboruntersuchungen. Damit sei deutlich, dass Herr Scholz über die entsprechende berufliche und auch fachliche Qualifikation verfüge, die von der Klägerin erbrachten Laboruntersuchungen durchzuführen. Diese Qualifikation sei der Klägerin umsatzsteuerrechtlich zuzurechnen. Auf das Bundesfinanzhofs-Urteil vom 15. März 2007 V R 55/03 werde verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer 2009 entsprechend der abgegebenen Steuererklärung festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf seine Einspruchsentscheidung, wonach vorrangig eine Steuerbefreiung deshalb nicht in Betracht komme, weil ein therapeutischer Zweck der von der Klägerin durchgeführten Tests nicht nachgewiesen sei. Die vorgenommene Maßnahme müsse einen direkten Einfluss auf den Gesundheitszustand des Patienten haben, medizinisch indiziert und therapeutisch zielorientiert sein. Es reiche nicht aus, dass ein günstiger allgemeiner Einfluss auf den menschlichen Organismus festgestellt werden könne. Diene eine Tätigkeit einem anderen Hauptzweck als einer Heilbehandlung, so sei es unerheblich, dass auch für Heilbehandlungen eingesetzte Methoden angewandt würden und diese auch der gesundheitlichen Prophylaxe dienen könnten.

Der von der Klägerin hauptsächlich vermarktete Test ImuPro300 könne nach den eigenen Unterlagen der Klägerin eine Nahrungsmittelunverträglichkeit nicht zuverlässig ermitteln. In den Therapeuten- und Patientenberichten werde als festgestellte Nahrungsmittelunverträglichkeit fast immer Kuhmilch (Laktose) und gehäuft auch Ei und Weizen bzw. Getreide (Gluten) genannt. Diese Nahrungsmittel gehörten zu den 14 Lebensmitteln, die am häufigsten allergische Reaktionen auslösten und daher seit Ende 2007 kennzeichnungspflichtig seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse die Auflistung von rd. 200 Nahrungsmitteln empfehle. In ihrem Charakter entspreche die von der Klägerin empfohlene Behandlung den klassischen Such-, Additions- oder Eliminationsdiäten, wie sie bei einem Verdacht auf Nahrungsmittelallergie oder -unverträglichkeit, empfohlen würden. Diese kämen jedoch ohne einen ähnlich umfangreichen und teuren Test aus. Auch seien die klassischen Suchdiäten in der Regel nicht über einen so langen Zeitraum und in einem solchen Umfang durchzuführen. Die Warnung z. B. der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. vor einer zu starken Lebensmitteleinschränkung im Rahmen einer alternativen Diät, wie sie von der Klägerin empfohlen werde, sei daher nachvollziehbar. Die Klägerin habe den therapeutischen Nutzen der Tests jedenfalls nicht nachgewiesen.

Die Klägerin habe auch keinen Nachweis einer stetigen und situationsangemessenen ärztlichen Aufsicht bei den Tests in ihrem Labor erbracht. Nach der vorgelegten Anwesenheitsliste habe Herr Y pro Tag drei Tests gegengezeichnet. Die Genehmigung der Ärztekammer stamme aus 2011 aufgrund eines Antrags vom selben Jahr, in dem der Arzt angebe, die Tests in einem praxiseigenen Labor oder in Nebenstellen durchzuführen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte.

Dem Gericht haben die beim Beklagten für die Klägerin geführten Steuerakten vorgelegen.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Durchführung und Überwachung der von der Klägerin durchgeführten Tests durch Zeugenvernehmung der bei der Klägerin beschäftigten Frau X und des Arztes Y. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom heutigen Tag verwiesen.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet.

Die in Streit stehenden Umsätze sind nach § 4 Nr. 14 a) Satz 1 UStG steuerfrei.

Die genannte Norm befreit die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker von der Umsatzsteuer. Die Steuerbefreiung beruht auf der Steuerbefreiungsregelung in Art. 132 Abs. 1 c) MwSystRL. Hiernach sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin steuerbefreit, die im Rahmen der Ausübung der von dem bestreffenden Mitgliedsstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden. Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erfassen Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, soweit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Diese Leistungen müssen einen therapeutischen Zweck haben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können ärztliche Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, steuerbefreit sein. Medizinische Analysen, die von praktischen Ärzten im Rahmen ihrer Heilbehandlungen angeordnet werden, können zur Aufrechterhaltung der menschlichen Gesundheit betragen, da sie ebenso wie jede vorbeugend erbrachte ärztliche Leistung darauf abzielen, die Beobachtung und die Untersuchung der Patienten zu ermöglichen, noch bevor es erforderlich wird, eine etwaige Krankheit zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen (vgl. Europäischer Gerichtshof - EuGH - vom 8. Juni 2006 C - 106/05).

Im Sinne der genannten Rechtsprechung des EuGH, der der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 15. März 2007 V R 55/03 gefolgt ist, erbringt die Klägerin mit den durchgeführten Tests Heilbehandlungen, die steuerbefreit sind. Die Klägerin hat hinreichend dokumentiert, dass die durchgeführten Tests Leistungen sind, die durch die jeweiligen Therapeuten - Ärzte und Heilpraktiker - angeordnet waren. Dies bestätigen auch die schriftlichen Aussagen der nach dem Zufallsprinzip aus dem Kreis aller Therapeuten ausgewählten insgesamt 24 Therapeuten, die die Klägerin mit Schreiben vom 25. März 2015 dem Gericht vorgelegt hat. Hiernach wurden nach jeweils eingehender Abklärung der genauen Krankheitssymptome eines Patienten sowie Erörterung möglicher alternativer Therapieansätze und der Vorbehandlungen mit den jeweilige Patienten das „ImuPRO-Therapiekonzept“ als medizinisch geeigneter Behandlungsansatz ausgewählt und durchgeführt. Das erkennende Gericht hat keinen begründeten Zweifel an der inhaltlichen Aussage dieser Bestätigungen. Sie werden auch von den Verfahrensbeteiligten nicht in Zweifel gezogen. Die Geeignetheit der von der Klägerin durchgeführten Tests zur Behandlung von Krankheiten hat im Übrigen auch der in der mündlichen Verhandlung gehörte Zeuge Herr Y aus dem Blickwinkel seiner eigenen ärztlichen Praxistätigkeit  überzeugend geschildert.

Die Laborleistungen der Klägerin sind auch im Rahmen der Ausübung eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs von der Klägerin erbracht worden. Die für die Klägerin handelnden Personen besitzen die entsprechende berufliche Qualifikation, um die ausgeführte Tätigkeit der Laborleistung als steuerbefreit einordnen zu können. So hat sich aus der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage ergeben, dass die eigentlichen Tests bei der Klägerin durch die als Zeugin gehörte Frau Y als Teamleiterin des Labors mit weiteren drei Mitarbeiterinnen durchgeführt werden. Die Teamleiterin und eine weitere Mitarbeiterin haben die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung medizinisch-technische Laboratoriumsassistentin nach dem Gesetz über technische Assistenten in der Medizin (MTAG) vom 2. August 1993 und üben damit eine den in § 4 Nr. 14 a) Satz 1 UStG genannten Hilfsberufen ähnliche Tätigkeit aus. Eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen der Klägerin und den Leistungsempfängern (Patienten) bedarf es insoweit nicht - vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2011 XI R 52/07. Hinzu kommt im Streitfall, dass das von der Klägerin betriebene Labor unter der fachlichen Aufsicht des Zeugen Y gestanden hat, der regelmäßig durch Stichproben die Qualität der Laborarbeit bei der Klägerin überwacht und gewährleistet hat und zu auffälligen Testergebnissen schriftliche Befunde für die einsenden Therapeuten gefertigt hat.

Nach allem sind die streitigen Umsätze nach § 4 Nr. 14 a) UStG steuerbefreit. Auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 15. März 2007 V R 55/03 wird  verwiesen.

Da über den Umfang der hier streitigen Laborumsätze zwischen den Beteiligten Einigkeit besteht, war die Steuer entsprechend dem Klagantrag der Klägerin und der für das Streitjahr eingereichten Umsatzsteuererklärung auf ….. herabzusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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