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Steuerrecht
17.08.2017
Steuerrecht
FG Münster: Stellt die Lieferung von Pflanzen eine unselbstständige Nebenleistung zu Einpflanz-, Pflege- und Anwachsgarantieleistungen dar?

FG Münster, Urteil vom 1.12.2016 – 5 K 1145/16 U

ECLI:DE:FGMS:2016:1201.5K1145.16U.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2017-1941-4

Sachverhalt

Streitig ist, ob eine Pflanzenlieferung eine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende selbstständige Leistung oder eine unselbstständige Nebenleistung zu dem Regelsteuersatz unterliegende Einpflanz-, Pflege- und Anwachsgarantieleistungen darstellt.

Der Kläger war im Streitjahr 2010 unstreitig umsatzsteuerlicher Organträger der T L GmbH (im Folgenden: GmbH), die Garten- und Landschaftsbau betreibt.

Mit Vertrag vom 13.05.2009/15.06.2009 zwischen der GmbH und der G GmbH (im Folgenden: G), auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Leitz Ordner II Bl. 188 ff), wurde die GmbH beauftragt, für das Bauvorhaben „XYZ“ sämtliche Bauleistungen des Gewerkes Garten- und Landschaftsbau durchzuführen. Als Pauschalvergütung waren netto 731.771,00 € zuzüglich Umsatzsteuer i. H. v. 139.036,49 € (brutto: 917.036,49 €) vereinbart. Der Vertrag nimmt Bezug auf ein Auftragsleistungsverzeichnis vom 20.04.2009. Im Auftragsleistungsverzeichnis war unter Ordnungszahl 01.08.002 unter anderem geregelt „… Wichtig: Die neu gelieferten Pflanzen werden vom Bauherren zur Verfügung gestellt, der AN erhält 15 % der Pflanzenliefersumme vom Lieferanten. Der AN übernimmt damit dem Bauherren gegenüber die Gewährleistung für das An- und Weiterwachsen der Pflanzen…“. Es wird wegen der weiteren Einzelheiten auf das Auftragsleistungsverzeichnis Bezug genommen (Leitz Ordner I Bl. 174, 186).

Am 06.08.2009 gab eine Firma M ein Angebot zur Lieferung von Pflanzen an die G ab. Am 11.12.2009 bot die GmbH der G gemäß dem Angebot der Firma M die Pflanzenlieferung an. Am 21.12.2009 schlossen die GmbH und die G die Vertragsergänzung Nr. 3 zum Bauvertrag vom 13.05.2009/15.06.2009. In § 2 Nr. 1 der vorgenannten Vertragsergänzung wurde als gesonderte und/oder zusätzliche Leistung der GmbH unter anderem das „Liefern und Einsetzen der Pflanzen, inkl. Anwachsgarantie gemäß geprüftem Angebot…abzgl. 3 % vereinbarter Nachlass gemäß Angebot Firma M…“ vereinbart. Der Nettopreis dafür betrug 99.775,00 €. Es wird wegen der Einzelheiten auf die vorgenannte Vertragsergänzung (Leitz Ordner I Bl. 135) verwiesen.

Die GmbH gab am 09.06.2010 ein Angebot zur Lieferung weiterer Pflanzen an die G ab. Sämtliche Pflanzen erwarb die GmbH bei der Firma M. Diese gewährte der GmbH einen Nachlass von 15 % für die Übernahme der Gewährleistung und für das An- und Weiterwachsen der Pflanzen. Die Lieferungen der Pflanzen durch die GmbH an die G erfolgten im Wesentlichen im Streitjahr 2010. Mit Schlussrechnung vom 07.04.2011 an die G rechnete die GmbH ihre Leistungen in Höhe von insgesamt netto 1.129.248,81 € ab. Auf die Pflanzenlieferungen entfielen netto 129.940,00 €, für die die GmbH Umsatzsteuer zu 7 % aufschlug. Für die übrigen Leistungen berechnete die GmbH Umsatzsteuer zu 19 %. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schlussrechnung verwiesen (Bp-Handakte II Bl. 168 ff).

Der Kläger behandelte die streitbefangene Pflanzenlieferung an G in seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2010 als eine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Leistung.

In 2014 begann eine Betriebsprüfung des Beklagten bei der GmbH unter anderem für das Streitjahr. Die Prüferin war der Auffassung, die Pflanzenlieferungen seien als Bestandteil einer einheitlichen Leistung dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Sie unterwarf das Entgelt für die Pflanzenlieferungen für das Streitjahr 2010 in Höhe von brutto 135.941,00 € dem Regelsteuersatz zu 19 % (Umsatzsteuer: 21.633,12 €; rechnerisch richtig: 21.704,87 €). Unter Abzug der 7%igen, erklärten Umsatzsteuer i. H. v. 8.863,94 € errechnete die Prüferin für das Streitjahr mehr Umsatzsteuer i. H. v. 12.769,18 €. Es wird wegen der Einzelheiten auf Tz 2.2 des Betriebsprüfungsberichts vom 07.10.2014 verwiesen.

Es sind weitere Prüfungsfeststellungen erfolgt, die hier aber nicht streitig sind.

Der Beklagte erließ nach Maßgabe des Prüfungsberichts gemäß § 164 Abs. 2 AO einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 13.11.2014 gegen den Kläger und setzte die Umsatzsteuer auf 29.484,80 € fest. Gleichzeitig wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10.12.2014 Einspruch ein.

Während des Einspruchsverfahrens verböserte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung und setzte die Umsatzsteuer für 2010 mit Bescheid vom 05.06.2015 auf 29.851,12 € fest. Mit Einspruchsentscheidung vom 15.03.2016, auf die wegen des Inhalts Bezug genommen wird, wurde die Umsatzsteuer für das Streitjahr wieder auf 29.484,80 € festgesetzt.

Am 15.04.2016 erhob der Kläger Klage. Er trägt vor, im ursprünglichen Bauvertrag sei die Pflanzenlieferung nicht Leistungsgegenstand gewesen, was sich ausdrücklich aus Seite 56 des Auftragsleistungsverzeichnisses (Gerichtsakte Bl. 78 R) und aus dem Bauvertrag Ziff. 1.2 Seite 3 (Gerichtsakte Bl. 34) ergebe. Erst mit Vertrag vom 14.12.2009, also 8 Monate später, sei in der 3. Vertragsergänzung die Pflanzenlieferung vereinbart worden. Die Formulierung im Nachtrag „Liefern und Einsetzen der Pflanzen“ sei nicht korrekt, denn das Honorar für das Einpflanzen und die Pflege sei bereits im ursprünglichen Vertrag enthalten gewesen. In der Lieferung der Pflanzen sei lediglich eine Anwachsgarantie enthalten. Die GmbH habe eine Pflanzenlieferung zu 7 % gegenüber der G abgerechnet. Die Firma M habe einen Abschlag von 15 % gewährt, weil die GmbH die Firma M von der Anwachsgarantie freigestellt habe. Die von der GmbH an G berechneten Leistungen beinhalteten somit nur die Pflanzenlieferung sowie die Übernahme der Anwachsgarantie durch die GmbH. Die Pflege und das Einpflanzen seien bereits im ursprünglichen Vertrag vereinbart gewesen und von der GmbH auch zum Regelsteuersatz abgerechnet und erklärt worden. Unter Beachtung der vom Bundesfinanzhof und dem Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze sei die Pflanzenlieferung als eigenständige Leistung zu behandeln.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

              den Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 13.11.2014 in Gestalt des Änderungs-              bescheids vom 05.06.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 15.03.2016               dergestalt zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 12.979,58 € herabgesetzt               wird.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen,

              hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.

Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, die Pflanzenlieferung gehöre zur Ausführung sämtlicher Bauleistungen des Gewerkes „Garten- und Landschaftsbau“. Die Pflanzenlieferungen dienten dem Hauptzweck, der Erstellung der Gartenanlage, und seien somit unselbständige Nebenleistungen, die dem Regelsteuersatz unterlägen. Er verweist zudem auf das BMF-Schreiben vom 04.02.2010, Bundessteuerblatt I 2010, 214.

Aus den Gründen

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 13.11.2014 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 05.06.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 15.03.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

Zwischen dem Kläger und der GmbH liegt unstreitig eine umsatzsteuerliche Organschaft vor, so dass die Umsätze der GmbH gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG dem Kläger zuzurechnen sind.

Die streitbefangenen Pflanzenlieferungen sind ermäßigt zu besteuern (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Anl. 2 Nr. 6-9, in der für das Streitjahr geltenden Fassung, im Folgenden: UStG). Die Pflanzenlieferungen und die sonstigen von der GmbH ausgeführten gartenbaulichen Arbeiten stellen keine einheitliche Leistung dar.

Nach der jüngeren BFH-Rechtsprechung, die auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH ergangen ist und der der erkennende Senat folgt (BFH-Urteile vom 25.06.2009, V R 25/07, Bundessteuerblatt II 2010, 239; vom 01.03.2016, XI R 11/14, juris, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) ist grundsätzlich jeder Umsatz als eigenständige, selbstständige Leistung zu betrachten. Allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Leistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistung sind, die das Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern nur das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gilt, wenn der Unternehmer für den Leistungsempfänger zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

Das Liefern von Pflanzen und das Einpflanzen bildet regelmäßig keine untrennbare wirtschaftliche Einheit, vielmehr können diese Leistungen getrennt voneinander durchgeführt werden. Nur wenn der Unternehmer neben der Pflanzenlieferung weitere Dienstleistungen erbringt (z.B. Planungsleistungen, Grabpflegeleistungen), die das Lieferungselement qualitativ überwiegen und der Gesamtleistung das Gepräge geben, handelt es sich um eine einheitliche sonstige Leistung, die dem Regelsteuersatz unterliegt (BFH-Urteil vom 26.06.2009, V R 25/07, Bundessteuerblatt II 2010, 239). Ob eine solche einheitliche sonstige Leistung vorliegt, beurteilt sich im Wesentlichen nach dem Interesse des Leistungsempfängers (Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 12 Rn. 392.1).

Nach den vorgenannten Grundsätzen liegt nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens keine einheitliche sonstige Leistung vor. Es fehlt schon am Merkmal der Einheitlichkeit, denn die gartenbaulichen Arbeiten und die Pflanzenlieferungen sind in getrennten Verträgen und zeitversetzt vereinbart und durchgeführt worden. Anders als bei Grabpflegeleistungen oder bei der Erstellung einer Gartenanlage hatte der Leistungsempfänger (G) im Streitfall zunächst kein Interesse, von der GmbH ein Gesamtleistungspaket zu erhalten. Die GmbH sollte nach den vertraglichen Vereinbarungen zunächst ausschließlich die gartenbaulichen Arbeiten ohne Pflanzenlieferung durchführen. Erst ca. 6 Monate nach Abschluss des Bauvertrags kamen die GmbH und die G überein, dass die Pflanzenlieferungen auch von der GmbH ausgeführt werden sollten. Diese Pflanzenlieferungen sollten ursprünglich von der Firma M an die G erfolgen. Wenn es bei diesem Lieferverhältnis geblieben wäre, bestünden keine Zweifel am ermäßigten Steuersatz der Pflanzenlieferung. Der Umstand, dass nunmehr die GmbH anstatt der Firma M die Pflanzenlieferungen durchgeführt hat, kann am steuerlichen Charakter der Leistung nichts ändern.

Dem vorgenannten Ergebnis steht auch nicht das vom Beklagten herangezogene BMF-Schreiben vom 04.02.2010, Bundessteuerblatt I 2010, 214 entgegen. Dort wird eine einheitliche sonstige Leistung angenommen, wenn neben der Lieferung von Pflanzen weitere wesentliche Dienstleistungselemente hinzukommen, die aus der Sicht des Leistungsempfängers dem Leistungsbündel das Gepräge geben. Im Streitfall liegt aber gar kein Leistungsbündel vor. Vielmehr hat die GmbH verschiedene selbständige Leistungen an die G erbracht, die zunächst auch von verschiedenen Unternehmern erbracht werden sollten und die in getrennten Verträgen zeitlich versetzt vereinbart wurden.

Die Höhe der steuerlichen Auswirkung ist unstreitig geworden. Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 06.09.2016 (Kläger, Gerichtsakte Bl. 100) und 21.09.2016 (Beklagter, Gerichtsakte Bl. 101) einvernehmlich den streitigen Steuerbetrag mit 12.769,18 € beziffert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Der Kläger ist nur zu ca. 1,6 % unterlegen (Klageantrag: Minderung der Umsatzsteuer um 12.979,58 €, Stattgabe i. H. v. 12.769,18 €).

Gründe für eine Zulassung der Revision i. S. v. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Der Senat sieht keine Abweichung vom vorgenannten BMF-Schreiben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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