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Steuerrecht
16.06.2017
Steuerrecht
FG Köln: Schätzung der Einkünfte bei eBay-Verkäufen

FG Köln, Urteil vom 30.11.2016 – 3 K 1617/14

ECLI:DE:FGK:2016:1130.3K1617.14.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2017-1429-4

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung über die Höhe der im Schätzungswege ermittelten Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.

Der Kläger war seit 2006 Gesellschafter und Geschäftsführer der A GmbH, die sich unter anderem mit dem Handel von ... befasste. Sitz der Gesellschaft war das Wohnhaus B-Straße ... in P, wo der Kläger auch wohnte. Die GmbH wurde 2010 aufgelöst und 2011 im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht.

 

Der Kläger war außerdem selbstständig tätig. Auf seinen Antrag eröffnete das Amtsgericht P am ....2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte die Rechtsanwältin F zur Insolvenzverwalterin. Durch Beschluss vom ....2012 hob das Amtsgericht das Insolvenzverfahren mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung auf. Hinsichtlich etwaiger, aus der Durchführung der Einkommensteuerveranlagung (anteilig) bis zur Aufhebung des Verfahrens entstehender bzw. entstandener Erstattungsansprüche des laufenden Kalenderjahres wurde die Nachtragsverteilung angeordnet.

 

Ebenfalls am ....2012 leitete das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung P gegen den Kläger wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer für 2010 und 2011 sowie Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis September 2012 das Strafverfahren ein.

 

Der Einleitung des Strafverfahrens waren unter anderem eine Anzeige von Herrn R, dem Bruder des Klägers, sowie eine anonyme Anzeige vorausgegangen. Auf Ersuchen der Steuerfahndung ordnete das Amtsgericht P durch Beschluss vom ....2012 die Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume des Klägers in der B-Straße ... sowie der Geschäftsräume und des Arbeitsplatzes in der Garage in der W-Straße ... an. Die Durchsuchung wurde am ....2013 durchgeführt.

 

Die Prüfung führte zu folgenden Feststellungen. Der Kläger hatte in den Jahren 2010 und 2011 bei öffentlichen Versteigerungen regelmäßig ... erworben und diese anschließend über das Internet ... verkauft. Der Kläger war dort unter verschiedenen Benutzernamen (z. B. ...) mit seinem Namen und der Anschrift B-Straße ... in P angemeldet. Er verfügte über mehrere Mailadressen (z. B. ...). Die Daten über die eBay abgewickelten Geschäfte ließen auf Umsätze von bis zu 120.000 € pro Jahr schließen. Die Zahlung erfolgte bei Übergabe jeweils in bar. Ferner hatte der Kläger in den Streitjahren Einnahmen aus der Reparatur und dem Handel mit ... erzielt.

 

Der Kläger räumte die vorbezeichneten Geschäfte dem Grunde nach ein, bestritt aber die Höhe der Einnahmen. Die Internet-Geschäfte seien zu einem großen Teil seinem Bruder zuzurechnen, dem es immer wieder gelungen sei, seinen, des Klägers, Account zu hacken. Der Kläger hatte bereits vor Einleitung des Steuerstrafverfahrens seinen Bruder wegen Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) und Datenveränderung (§ 303a StGB) angezeigt. Das Ermittlungsverfahren war jedoch von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Abgesehen von den Einnahmen aus den Internet-Geschäften in 2012 machte der Kläger keine Angaben zur Höhe seiner Einnahmen.

 

Die Steuerfahndung schätzte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb für 2010 i.H.v. 35.000 €, für 2011 i.H.v. 38.300 € und für 2012 i.H.v. 37.500 €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht der Steuerfahndung vom 29.11.2013 verwiesen.

 

Gestützt auf den Prüfungsbericht setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2010 und 2011 durch die (erstmaligen) Bescheide vom 13.1.2014 auf 6.076 € und auf 6.551 € sowie durch Bescheid vom 7.10.2014 für 2012 auf 6.377 € gegen den Kläger fest.

 

Den Einspruch gegen die Bescheide für 2010 und 2011 begründete der Kläger nicht. Für 2012 begehrte er, lediglich Einkünfte in Höhe von 9.633 € zu erfassen. Die Einnahmen aus den Internet-Geschäften hätten nur 14.036 € betragen. Das ergebe sich aus den von seinem Konto bei der T-Bank abgebuchten Internet-Gebühren. Nach Abzug dieser Gebühren (1.403,69 €) und der Miete für das Lager in der W-Straße (3.000 € =12 X 250 €) ergäben sich Einkünfte i.H.v. 9.633 €.

 

Der Beklagte wies die Einsprüche durch Einspruchsentscheidungen vom 12.5.2014 und vom 15.9.2015 als unbegründet zurück. Für die Jahre 2010 und 2011 verwies er darauf, dass der Kläger seine Einsprüche nicht begründet habe und die Bescheide einer neuerlichen Überprüfung standgehalten hätten. Für das Jahr 2012 führte der Beklagte aus, dass die Auflistung der Internet-Gebühren eine vollständige und eigenhändig unterschriebene Steuererklärung nebst Gewinnermittlung nicht ersetzen könne.

 

Hiergegen richtet sich die Klage, die im Termin zur mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden ist.

 

Der Kläger erklärt, dass jeweils der gesamte Verwaltungsakt bzw. die in den Einkommensteuerbescheiden erfassten Beträge in der Art und Höhe angefochten würden. Auslöser der Verfahren seien Strafanzeigen seines Bruders und anderer Personen, die als Racheakte zu bewerten seien.

 

In der Zeit seiner Selbstständigkeit seien aus seinem, des Klägers, Lager 85 % aller Güter gestohlen worden. Dies habe zu der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt. Danach habe er beabsichtigt, mit seinem Bruder einen ... zu betreiben. Er, der Kläger, habe die Kenntnisse und sein Bruder das Kapital dazu gehabt. Daran habe der Bruder sich aber nicht gehalten.

 

Der Kläger räumt ein, ...verkauft zu haben. Seine Verkäufe im Internet seien dort erfasst und könnten anhand der Gebühren (9,5% des verkauften Betrages) nachvollzogen werden.

 

Es sei nicht nachvollziehbar, auf welche Art und Weise das Finanzamt die hier angegriffenen Steuerbescheide zugrunde lege. Die Steuerfahndung habe sämtliche Konten, Überweisungen und Räumlichkeiten durchsucht, aber keine verwertbaren Beweise gefunden. Aus seinen, des Klägers, Kontoauszügen habe sich die Steuerfahndung selbst überzeugen können, welche Einnahmen erzielt worden seien.

 

Die von seinem Bruder über das Internet angebahnten Verkäufe seien zwar später annulliert worden, aber die Verkaufssummen würden auf den Internet-Konten nach wie vor gespeichert bleiben. Es handele sich um ein Softwareproblem des Internets, das nach wie vor nicht beseitigt sei.

 

Der Kläger hat für 2010 und 2011 keinen Antrag gestellt. Für 2012 verfolgt der Kläger das Begehren aus dem Einspruch weiter.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er ist der Auffassung, dass die Ausführungen des Klägers keine Erkenntnisse ergeben hätten, die zu einer geänderten Steuerfestsetzung führen würden. Der Einwand, der Bruder habe die Internet-Konten gehackt, sei eine bloße Schutzbehauptung. Steuererklärungen seien bis heute nicht eingereicht worden. Es werde davon ausgegangen, dass der Kläger sämtliche Erlöse bar vereinnahmt habe. Aus diesem Grunde seien keine Zahlungseingänge auf den der Steuerfahndung vorliegenden Bankkonten zu verzeichnen gewesen. Der Sachvortrag, aus der Höhe der Provisionen könnten Schlüsse auf die Höhe der insgesamt erzielten Erlöse gezogen werden, überzeuge nicht. Es sei sehr wahrscheinlich, dass der Kläger auch abseits vom Internet ... verkauft habe.

 

Die vom Kläger vorgelegten Kontoauszüge für das Jahr 2012 seien lückenhaft. Außerdem gehe aus ihnen hervor, dass der Kläger neben den von ihm behaupteten Einnahmen im Internet weitere Erlöse erzielt haben müsse.

 

Der Kläger ist erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erschienen und hat deren Wiedereröffnung beantragt.

 

Aus den Gründen

 

Die Klage, über die das Gericht entscheiden kann, ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

 

1. a) Das Gericht kann entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Auf diese Rechtsfolge ist er gemäß § 91 Abs. 2 FGO bei der Ladung hingewiesen worden.

 

b) Dem Antrag des Klägers, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wird nicht entsprochen. Von den Fällen, in denen die Wiedereröffnung gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 156 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 155 FGO), liegt keiner vor. Im Übrigen steht die Wiedereröffnung im Ermessen des Gerichts (§ 92 Abs. 3 Satz 2 FGO). Das Gericht sieht keinen Anlass für eine Wiedereröffnung.

 

Dass der Kläger zum Termin nicht erschienen ist, beruht auf einem von ihm selbst verschuldeten Irrtum über den Zeitpunkt des Beginns. Dies ist ebenso wie im Fall einer Vertagung (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO) kein erheblicher Grund. Die Uhrzeit (9:30 Uhr) war in der Ladung unmissverständlich angegeben. Das Gericht konnte vom Kläger erwarten, dass er pünktlich erscheinen würde.

 

Da die Vertreterin des Beklagten den Saal nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung (10:15 Uhr) verlassen hatte und für eine mündliche Verhandlung nicht mehr verfügbar war, als der Kläger um 10:20 Uhr eintraf, würde die Wiedereröffnung sogleich zu einer Vertagung führen und die Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits unnötig verzögern. Die Vertagung wäre gemäß § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO geboten, denn dem Beklagten würde bei sofortiger Durchführung der – wieder eröffneten – mündlichen Verhandlung kein rechtliches Gehör mehr gewährt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO), obwohl seine Vertreterin das Gericht zu Recht verlassen hatte. Zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beim Kläger kommt es dagegen nicht, wenn die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet wird. Er hat nämlich erklärt, dass er über sein schriftsätzliches Vorbringen hinaus, das dem Gericht bekannt ist und ohne weiteres berücksichtigen wird, nichts weiter vortragen wolle.

 

2. Die Klage ist zulässig.

 

a) Die für die Klage nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderliche Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens ergibt sich für die Streitjahre 2010 und 2011 aus dem Vorbringen des Klägers, „der gesamte Verwaltungsakt bzw. die im Einkommensteuerbescheid erfassten Beträge in der Höhe und Art“ werde angefochten, da die im Bericht der Steuerfahndung festgestellte Tätigkeit nicht er, der Kläger, sondern sein Bruder ausgeübt habe. Wäre das der Fall, hätte das Gericht die Einkommensteuern für diese Jahre in Ermangelung von Einkünften auf 0 € festzusetzen. Für das Jahr 2012 hat der Kläger das Klagebegehren durch die Bezifferung der zu versteuernden Einkünfte aus Gewerbebetrieb (= 9.633 €) bezeichnet.

 

b) Der Kläger ist prozessführungsbefugt.

 

Das über sein Vermögen am ....2009 eröffnete Insolvenzverfahren ist durch Beschluss vom ...2012 - und damit noch vor Klageerhebung - gemäß § 200 Abs. 1 InsO aufgehoben worden. Dadurch hat der Kläger die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) zurückerhalten und ist wieder prozessführungsbefugt - auch im Hinblick auf Steuerbescheide, welche die Insolvenzmasse und die Zuordnung der Einkommensteuern als Masseverbindlichkeiten betreffen (vgl. BFH, Urteil vom 6.7.2011 II R 34/10, BFH/NV 2012, 10, vom 28.2.2012 VII R 36/11, BStBl II 2012, 451 und jüngst vom 3.8.2016 X R 25/14, bei juris). Die zugleich angeordnete Nachtragsverteilung (§ 203 Abs. 2 InsO) ändert daran nichts, da sie sich nach dem Wortlaut des Beschlusses nur auf (anteilige) „Erstattungsansprüche“ bezieht, die aus Einkommensteuerveranlagungen für Kalenderjahre innerhalb der Dauer des Insolvenzverfahrens entstehen.

 

§ 37 Abs. 1 AO unterscheidet bei den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis unter anderem „den Steueranspruch“ und die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Dazu gehört der Anspruch auf Auszahlung an den Steuerpflichtigen nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG. Im Streitfall geht es um die Änderung von rechtswidrigen Verwaltungsakten, die Steuerbeträge in der Weise festsetzen, dass das Gericht den jeweiligen Betrag in anderer Höhe festsetzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Streit betrifft also die Höhe des Steueranspruchs im Sinne des § 37 Abs. 1 AO. Auch mittelbar können die begehrten Änderungen nicht zu einem Erstattungsanspruch gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG führen, weil keine anrechnungsfähigen Vorauszahlungen bzw. Abzugssteuern vorliegen, durch die sich ein Überschuss zugunsten des Klägers ergeben könnte.

 

3. Die Klage ist nur teilweise begründet.

 

Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als der Beklagte der Festsetzung der Einkommensteuern für die Streitjahre höhere Einkünfte aus Gewerbebetrieb als 24.000 € zugrunde gelegt hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 7 EStG). Das Gericht ändert diese Bescheide und setzt die Steuerbeträge in der entsprechend niedrigeren Höhe fest (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Berechnung dieser Steuerbeträge wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Soweit der Kläger darüber hinaus eine Herabsetzung der Einkommensteuern für 2010 und 2011 auf 0 € sowie für 2012 auf den Betrag, der sich bei Erfassung von Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 9.633 € ergibt, beantragt, ist die Klage abzuweisen, da die Verwaltungsentscheidungen in diesem Umfang nicht rechtswidrig sind (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

 

a) Der Beklagte hat die Einkommensteuern zu Recht nicht gegen die Insolvenzverwalterin, sondern gegen den Kläger festgesetzt.

 

Steuerbescheide müssen an den Steuerschuldner gerichtet werden und ihm bekannt gegeben werden (§§ 122 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 2,157 Abs. 1 Satz 2 AO). Zwar fielen die Streitjahre 2010 und 2011 ganz und 2012 zum überwiegenden Teil in die Zeit des Insolvenzverfahrens. Das Amt der Insolvenzverwalterin endete jedoch mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens am ....2012. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Bescheide – am 13.1.2014 bzw. am 7.10.2014 – durfte der Beklagte die Einkommensteuern deshalb nur noch gegen den Kläger festsetzen.

 

Das Gleiche würde indessen gelten, wenn das Insolvenzverfahren in 2014 noch nicht aufgehoben gewesen wäre. Nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche sind nur dann gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen, wenn sie als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind (BFH, Urteil vom 16.4.2015 III R 21/11, BStBl II 2016, 29). Die Einkommensteueransprüche für die Streitjahre sind keine Masseverbindlichkeiten. Es handelt sich insbesondere nicht um Verbindlichkeiten, die im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet worden sind.

 

Insolvenzmasse ist das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs. 1 InsO). Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO). Übt der Schuldner jedoch – wie der Kläger im Streitfall – ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aus und gelangen die entsprechenden Erträge tatsächlich nicht zur Masse, wird eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht begründet (BFH, Urteil vom 16. 4. 2015 III R 21/11, BStBl II 2016, 29). Etwaige Steuern gehören dann zum insolvenzfreien Vermögen und sind – wie hier – unmittelbar gegenüber dem Schuldner festzusetzen.

 

b) Der Kläger hat in allen Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist. Diese Voraussetzungen hat der Kläger in allen Streitjahren erfüllt.

 

aa) Der Kläger hat durchgehend bei öffentlichen Versteigerungen ... erworben und diese über Internetportale – jedenfalls bei eBay – in bar verkauft. Nach seinen Angaben hat er bereits 2006, seinerzeit noch als Geschäftsführer der A GmbH, damit begonnen, mit ... zu handeln. Geschäftsadresse der GmbH war das Haus B-Straße ... in P, wo der Kläger bis heute wohnt. Der Kläger hat ferner vorgetragen, dass er mit seinem Bruder einen handel habe betreiben wollen, weil er, der Kläger, über die dafür nötigen Fachkenntnisse verfüge. Außerdem habe er, der Kläger, ... verkauft bzw. repariert. Zu diesem Zweck unterhielt er in der W-Straße eigens ein Lager. Für das Jahr 2012 hat der Kläger selbst erklärt, aus den Internet-Geschäften Einnahmen in Höhe von 14.036 € erzielt zu haben. Für die Streitjahre 2010 bis 2012 hat die Steuerfahndung durch Nachforschungen bei den Stellen, welche die ... versteigert haben (Bl. 54 bis 83 und 96 bis 138 Steufa-Akte Band 1) und durch Auskunftsersuchen bei eBay (Bl. 29 bis 41 Steufa-Akte Band 1) diverse Einzelnachweise über die Aktivitäten des Klägers zusammengetragen.

 

bb) Das Gericht folgt nicht dem unsubstantiierten Einwand des Klägers, die Verkäufe seien „zu einem großen Teil“ seinem Bruder zuzurechnen, dem es immer wieder gelungen sei, seinen, des Klägers, Account im Internet zu hacken. Das Gericht ist ebenso wie der Beklagte davon überzeugt, dass es möglich wäre, derartige Manipulationen durch Vorlage von vollständigen Internet-Abrechnungen für alle Streitjahre aufzudecken. Der entsprechenden Aufforderung des Beklagten ist der Kläger nicht nachgekommen. Die aufgrund der Strafanzeigen des Klägers wegen Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) und Datenveränderung (§ 303a StGB) gegen den Bruder eingeleiteten Ermittlungsverfahren sind mangels hinreichenden Tatverdachts allesamt eingestellt worden.

 

c) Als Einkünfte aus Gewerbebetrieb ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG der Gewinn zugrunde zu legen. Da der Kläger nicht verpflichtet war, Bücher zu führen und regelmäßige Abschlüsse zu machen und dies auch nicht freiwillig getan hat, ist als Gewinn der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben anzusetzen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG). Diese müssen gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 AO geschätzt werden, weil der Kläger Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hatte, nicht vorlegen konnte.

 

Der Kläger war als Unternehmer gemäß § 22 UStG verpflichtet, seine Einnahmen und Ausgaben vollständig aufzuzeichnen. Für die Jahre 2010 und 2011 hat der Kläger keinerlei Aufzeichnungen vorgelegt. Die im Klageverfahren für das Streitjahr 2012 eingereichte Anlage zur Einkommensteuererklärung (Bl. 13 FG Akte 3 K 2728/15), die mit Einkünften aus Gewerbebetrieb i.H.v. 9.633 € schließt, verhält sich nur zu den Internet-Gebühren. Der Kläger hat die ersteigerten ... aber grundsätzlich gegen Barzahlung verkauft. Dazu hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht.

 

Das Gericht ist nicht an die Schätzung des Beklagten gebunden, sondern hat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Befugnis, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Es orientiert sich dabei an den von der Steuerfahndung angefertigten Auswertungen zu den Internet-Verkäufen (Bl. 52/53 Steufa-Akte Band 1). Danach lagen die Einnahmen im Jahr 2011 bei 120.000 €. Das Gericht legt einen Betriebsausgabenabzug von 80 % (=96.000 €) zu Grunde, so dass ein Gewinn von 24.000 € verbleibt. Diesen setzt das Gericht jeweils in allen Streitjahren an. Die gegen die Geldverkehrsrechnung des Beklagten erhobenen Einwände des Klägers spielen hier keine Rolle.

 

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136 Abs. 1 Satz 1, 137 Satz 1 FGO.

 

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