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Steuerrecht
19.01.2012
Steuerrecht
FG Münster: Rechtsweg bei Klage gegen Arbeitgeber auf Änderung von Angaben in LSt-Bescheinigung

FG Münster, Urteil vom 14.12.2011 - 10 K 811/11 L

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Lohnsteuerbescheinigung der Klägerin für das Jahr 2009 zu ändern ist.

Die Klägerin schloss am 29.10.2009 mit dem Beklagten einen Arbeitsvertrag. Sie wurde mit Wirkung vom 01.11.2009 in der Fachärztlichen Gemeinschaft des Beklagten in F als Assistentin der Geschäftsleitung eingestellt. Das monatliche Gehalt der Klägerin betrug brutto 4.500 EUR.

Bereits am 08.12.2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Nach der am 23.04.2010 ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung erhielt die Klägerin für ihre Tätigkeit vom 01.11.2009 bis zum 08.12.2009 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 5.700 EUR. Lohnsteuer ist nach der Lohnsteuerbescheinigung in Höhe von 1.350,15 EUR, Solidaritätszuschlag in Höhe von 74,22 EUR und Kirchensteuer des Arbeitnehmers und seines Ehegatten in Höhe von jeweils 60,72 EUR einbehalten worden. Der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung betrug im Jahre 2009 nach der Lohnsteuerbescheinigung 567,15 EUR, der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag betrug 504,58 EUR.

Die Anschrift des Beklagten lautete nach der Lohnsteuerbescheinigung H-straße ... in I.

Unter dieser Anschrift hat die Klägerin gegen den Beklagten wegen der Eintragungen in der Lohnsteuerbescheinigung Klage erhoben (Aktenzeichen: ... Ca .../10).

Die Klägerin meint, es sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet, weil es um die ordnungsgemäße Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflicht des Arbeitgebers gehe, den Erhalt und den Nichterhalt von Arbeitsentgelt zu bestätigen. Es gehe um die Korrektur einer Willenserklärung gemäß § 894 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Sie behauptet zudem in der Sache, sie habe von dem Beklagten kein Gehalt erhalten. Erhalten habe sie lediglich einen Teilbetrag als Aufwendungsersatz für Pkw- und Fahrtkosten, die ihr für zahlreiche Fahrten zwischen F und E entstanden seien.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, dem Finanzamt I gegenüber seine Angaben in der von ihm ausgestellten elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2009 dahingehend zu korrigieren, dass er der Beklagten im Jahr 2009 keinerlei Lohn oder Gehalt gezahlt hat.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Mit Beschluss vom 19.01.2011 hat das Arbeitsgericht F den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt. Den Rechtsstreit verwies es an das Finanzgericht Münster. Der Beschluss vom 19.01.2011 wurde dem Beklagten am 29.01.2011 unter seiner Adresse in I zugestellt.

Das Einwohnermeldeamt F hat auf die Nachfrage des Gerichts vom 04.07.2011 mitgeteilt, dass der Kläger nunmehr auf dem J-weg ... in F wohnt. Unter der H-straße ... in I sei der Beklagte nur mit seinem zweiten Wohnsitz gemeldet. Die dort unterhaltene Praxis sei allerdings inzwischen geschlossen.

In der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2011 ist der Beklagte nicht erschienen. Seine ordnungsgemäße Ladung ist festgestellt worden.

Aus den Gründen

II.

Die Klage, über die der Senat trotz seiner sachlichen Unzuständigkeit entscheiden muss, ist unzulässig.

1. Obwohl das Finanzgericht sachlich unzuständig ist, muss der Rechtsstreit nicht an die sachlich zuständige Arbeitsgerichtsbarkeit verwiesen werden.

a) Gemäß § 33 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Finanzrechtsweg ausschließlich in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten eröffnet. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist gegeben, wenn das in Streit stehende Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich ist. Ein Rechtsverhältnis ist die Beziehung zwischen zwei Personen oder einer Person zu einer Sache, die sich aus einem konkreten Lebenssachverhalt durch die Anwendung von Rechtsnormen ergibt; ergibt sich das Rechtsverhältnis aus öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen, ist seine Natur öffentlich-rechtlich. Nach der Sonderrechtstheorie ist eine Rechtsnorm öffentlich-rechtlich, wenn sie Sonderrecht für einen Hoheitsträger regelt, wenn nach ihr also Berechtigter oder Verpflichteter nur ein Hoheitsträger sein kann (Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 18.05.2005 5 K 612/05, juris). Dagegen gehören Rechtsstreitigkeiten, die das bürgerlich-rechtliche Verhältnis zwischen Rechtspersonen des Privatrechts betreffen und in denen es um bloße Reflexwirkungen von steuerrechtlichen Vorschriften im Bereich des Privatrechts geht, vor die ordentlichen Gerichte, soweit nicht besondere Gerichtsbarkeiten (z.B. Arbeitsgerichte) eingerichtet sind (Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 01.08.2008 11 K 239/08, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 2008, 1987; Finanzgericht München, Beschluss vom 20.07.2007 1 K 1376/07, EFG 2007, 1707).

Bei Streitigkeiten über die Erteilung einer Lohnsteuerbescheinigung und - wie im vorliegenden Fall - die zutreffenden Eintragungen von Daten in der Lohnsteuerbescheinigung handelt es sich um einen Zivilrechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, für den ausschließlich die Arbeitsgerichte zuständig sind (Finanzgericht München, Beschluss vom 09.06.2004 1 K 1234/04, EFG 2004, 1704; Finanzgericht Münster, Beschluss vom 04.07.2005 10 K 640/05 S, EFG 2006, 283; Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 01.08.2008 11 K 239/08, EFG 2008, 1987; Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 18.05.2005 5 K 612/05, juris; Drenseck in: Schmidt, EStG, Kommentar, 30. Aufl. 2011, § 41b Rz. 1). Die einkommensteuerrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Lohnsteuerabzugsverfahren bestehen gegenüber dem Fiskus und stellen gegenüber dem Arbeitnehmer lediglich einen Rechtsreflex dar, begründen aber keine Rechtsansprüche des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer kann einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf ordnungsgemäße Durchführung des Lohnsteuerabzugverfahrens allenfalls aus einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht (Fürsorgepflicht, Treu und Glauben) herleiten (Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 18.05.2005 5 K 612/05, juris). Dass die arbeitsvertragliche Nebenpflicht durch einkommensteuerrechtliche Bestimmungen ausgestaltet wird, ist für eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht ausreichend (a.A. Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 11.06.2003 5 AZB 1/03, Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts -- BAGE -- 106, 269).

b) Trotz seiner Unzuständigkeit ist der Senat zur Entscheidung des Rechtsstreits befugt.

Gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist das Finanzgericht an einen Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts hinsichtlich des Rechtswegs gebunden.

Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Verweisung offensichtlich fehlerhaft war (vgl. BFH-Beschluss vom 20.12.2004 VI S 7/03, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- II 2005, 573). Obwohl überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass es sich bei dem Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt, für die der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist, ist die Verweisung im vorliegenden Fall nicht offensichtlich fehlerhaft, weil das BAG einen gegenteiligen Standpunkt vertritt (vgl. BFH-Beschluss vom 14.10.2005 VI S 17/05, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -- BFH/NV -- 2006, 329).

2. Das Finanzgericht Münster ist gemäß § 155 FGO in Verbindung mit §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig (vgl. Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 31.01.2006 II 202/05, EFG 2006, 992), weil der Beklagte im Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz in I hatte. Unter der Anschrift F-straße ... in I ist er immer noch mit seinem zweiten Wohnsitz gemeldet. Ob er diesen Wohnsitz auch tatsächlich noch unterhält oder ob dies - insbesondere weil die dort befindliche Praxis geschlossen ist - nicht mehr der Fall ist, kann dahinstehen. Die durch die Erhebung der Klage begründete örtliche Zuständigkeit des Finanzgerichts wird nach § 70 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG grundsätzlich durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände nicht berührt (sogenannte perpetuatio fori) (BFH-Beschluss vom 19.05.2008 VI B 29/07, BFH/NV 2008, 1501).

3. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage (vgl. BFH-Beschluss vom 14.10.2005 VI S 17/05, BFH/NV 2006, 329) ist unzulässig.

Der Klägerin fehlt es für eine Änderung der Lohnsteuerbescheinigung am Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30.12.2010 III R 50/09, BFH/NV 2011, 786 und vom 07.02.2008 VI B 110/07, BFH/NV 2008, 944 sowie Urteil vom 19.10.2001 VI R 36/96, BFH/NV 2002, 340).

Bei Beendigung des Dienstverhältnisses oder am Ende des Kalenderjahres hat der Arbeitgeber das Lohnkonto des Arbeitnehmers - nach einem eventuellen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b EStG) - abzuschließen und die Eintragungen bis zum 28.02. des Folgejahres der Steuerverwaltung zu übermitteln (elektronische Lohnsteuerbescheinigung). Damit wird gemäß § 41b EStG der Lohnsteuerabzug - auch hinsichtlich der danach zu bemessenden Zuschlagsteuern - abgeschlossen. Die Bescheinigung enthält die für eine etwaige Einkommensteuerveranlagung erforderlichen Angaben. Nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung ist eine Änderung des Lohnsteuerabzugs sowie der danach zu bemessenden Zuschlagsteuern nicht mehr zulässig (§ 41c Abs. 3 EStG, § 42b Abs. 3 EStG). Kann der Lohnsteuerabzug nicht mehr geändert werden, verliert auch die Änderung der diesem zugrunde zu legenden Lohnsteuerbescheinigung ihre rechtliche Bedeutung mit der Folge, dass für eine auf deren Änderung gerichtete Klage das Rechtsschutzbedürfnis entfällt (vgl. BFH-Beschluss vom 30.12.2010 III R 50/09, BFH/NV 2011, 786). Die Lohnsteuerbescheinigung ist nur ein Beweismittel für den Lohnsteuerabzug, wie er tatsächlich stattgefunden hat (BFH-Urteil vom 30.10.2008 VI R 10/05, BStBl. II 2009, 354). Sie dient aber nicht dem Nachweis des Lohnsteuerabzuges, wie er hätte durchgeführt werden müssen. Aus der Dokumentations- und Beweisfunktion für einen abgeschlossenen Sachverhalt folgt, dass mit Einwendungen gegen die Lohnsteuerbescheinigung ein unzutreffender Lohnsteuerabzug nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann (BFH-Urteil vom 13.12.2007 VI R 57/04, BStBl. II 2008, 434). Etwaige Fehler beim Lohnsteuerabzug können dann nur noch im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berichtigt werden (BFH-Urteil vom 19.10.2001 VI R 36/96, BFH/NV 2002, 340 und Beschluss vom 07.02.2008 VI B 110/07, BFH/NV 2008, 944). Eine abweichende Einkommensteuerveranlagung ist durch eine unrichtige Lohnsteuerbescheinigung nicht ausgeschlossen, da dieser lediglich eine widerlegbare Beweiswirkung bei der Veranlagung zukommt (BFH-Beschlüsse vom 18.08.2011 VII B 9/11, BFH/NV 2011, 2042 und vom 07.02.2008 VI B 110/07, BFH/NV 2008, 944); eine Bindungswirkung kommt ihr nicht zu (BFH-Beschluss vom 30.12.2010 III R 50/09, BFH/NV 2011, 786).

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist im Streitfall eine Änderung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr möglich; die Klägerin muss eine abweichende steuerliche Festsetzung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2009 verfolgen. Die Lohnsteuerbescheinigung schrieb der Beklagte am 23.04.2010 aus und übermittelte sie anschließend der Klägerin, die erst im Anschluss daran - also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Lohnsteuerabzug nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG nicht mehr geändert werden durfte - Klage erhob.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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