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Steuerrecht
05.12.2014
Steuerrecht
FG Köln: Rechtsnachwirkungen einer Verlustfeststellung

FG Köln, Urteil vom 4.9.2014 – 13 K 2600/14

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist im hier vorliegenden, aus dem einheitlich für 1996 und 1997 geführten (vgl. Az 13 K 2837/12) und sodann abgetrennten Verfahren für 1996 streitig, ob ein Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes – EStG – nach der Regelung des § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes („Mantelkauf“) in der für das Streitjahr 1996 geltenden Fassung („KStG 1996“) untergegangen ist.

Die Klägerin ist eine in 1984 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH; siehe Blatt 194 der Betriebsprüfungshandakten – BpHA). Sie firmierte zunächst unter „A GmbH“, seit 1991 (Blatt – Bl. – 57 BpHA) unter „B GmbH“ und sodann unter der heutigen Firma „C GmbH“. Im Streitjahr wich ihr Wirtschaftsjahr vom Kalenderjahr ab (1. September bis 31. August des Folgejahres).

Ausweislich des Handelsregisters war Gegenstand der A GmbH die Planung, Projektierung und Entwicklung sowie der Verkauf von fernseh- und nachrichtentechnischen Systemen, insbesondere in ....

Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 10. Dezember 1992 war Gegenstand der B GmbH der Handel mit Geräten der Haus- und Medientechnik, insbesondere mit Gemeinschaftsantennenanlagen, Sprechanlagen und Datennetzen unter dem Warenzeichen B1 sowie die Planung, Projektierung, Entwicklung, Produktion, Installation, das Betreiben, die Vermietung und Verpachtung und Wartung solcher Anlagen.

Ausweislich des für das Streitjahr erstellten Jahresabschlusses war und ist Unternehmensgegenstand der Klägerin die Konstruktion, Fertigung und der Vertrieb von Stellantrieben, Getrieben und Steuerungen.

Alleinige Anteilseignerin (= Mutter der Klägerin) der Klägerin war jedenfalls seit dem Jahre 1991 zunächst die „D Beteiligungsgesellschaft mbH“, deren alleinige Anteilseignerin (= Großmutter der Klägerin) war die „D Systemtechnik AG & Co. KG“ (vgl. Bl. 81 f. d.A.; siehe auch Bl. 194 f. BpHA; demnach seit 1. Januar 1991: 100%-Beteiligung).

Mit Vertrag vom 30. August 1993 und Wirkung zum 1. September 1993 – nachfolgend „Kaufvertrag C“ genannt – erwarb die Klägerin 100 % der Anteile an der „C GmbH“ – nachfolgend „C GmbH alt“ genannt – von ihrer damaligen Muttergesellschaft, der D Beteiligungsgesellschaft mbH. Die Beteiligung wurde mit den Anschaffungskosten von ca. 5,3 Mio.DM bei der Klägerin bilanziert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag und die Jahresabschlüsse verwiesen.

Wegen der Gesellschaftsstruktur ab dem 1. September 1993 wird auf die Darstellung auf Seite 3 (unter 3.) der Klagebegründung verwiesen. Im Jahresabschluss 1993 wies die Klägerin einen steuerlichen Verlustvortrag von ca. 7.868.000 DM aus.

Ausweislich eines Schreibens der Klägerin (seinerzeit als B GmbH) an das Finanzamt E vom 16. März 1994 (Körperschaftsteuerakte) stellte die Klägerin am 1. Januar 1994 ihren Geschäftsbetrieb ein und beschäftigte keine Arbeitnehmer mehr. Zum Ende des Jahres 1994 bestand ein Verlustvortrag von 7.246.377 DM.

Mit Vertrag vom 16. Juni 1995 (UR Nr. 1 des Notars F aus M) – nachfolgend Verschmelzungsvertrag C genannt – übertrug die „C GmbH alt“ ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten auf ihre Muttergesellschaft, die Klägerin („Verschmelzung zur Aufnahme“; Aufwärtsverschmelzung). Die Verschmelzung erfolgte zu Buchwerten ohne Kapitalerhöhung und ohne Gegenleistung (§ 2 des Vertrages) und mit steuerlicher Rückwirkung zum Ablauf des 31. März 1995 (§ 1 Abs. 3 des Vertrages). Gleichzeitig nahm die Klägerin die Firma des übertragenden Rechtsträgers an (§ 5 des Vertrages) und verlegte ihren Sitz von E nach G. Der Verschmelzungsvertrag weist auf den am gleichen Tage erfolgten Anteilseignerwechsel (siehe nachfolgenden Absatz) hin. Zugleich wurde der Gesellschaftsvertrag neugefasst. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag verwiesen. Ausweislich der Verschmelzungsbilanz zum 31. März 1995 (siehe Blatt 198 BpHA) ging durch die Verschmelzung ein Eigenkaptal von ca. 1,1 Mio. DM auf die Klägerin über. Auf der Aktivseite gingen Anlagevermögen von ca. 270.200 DM, Vorräte von ca. 344.000 DM und Forderungen sowie sonstige Vermögensgegenstände i.H.v. ca. 1.649.000 DM auf die Klägerin über. Die vor der Verschmelzung als B GmbH firmierende Klägerin hatte hingegen – basierend auf der Bilanz zum 31. August 1994 – außer der Beteiligung an der „C GmbH alt“ im Zeitpunkt der Verschmelzung kein anderes Anlagevermögen. Zum 31. August 1994 wies sie einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 2.144.000 DM auf.

Mit am gleichen Tag geschlossenem Vertrag vom 16. Juni 1995 (UR Nr. 3 des Notars F aus M; Blatt 232 ff. BpHA) – nachfolgend „Anteilsübertragung I“ genannt – wurden die Anteile an der Klägerin von ihrer unmittelbaren Gesellschafterin (D Beteiligungsgesellschaft GmbH) mit sofortiger Wirkung an ihre bisherige mittelbare Gesellschafterin (D Systemtechnik AG & Co. KG) übertragen. Die Übertragung erfolgte zu einem Kaufpreis von 6.169.045,60 DM und damit zu handelsrechtlichen Buchwerten, wodurch sich steuerlich – da die Beteiligung an der Klägerin in der Steuerbilanz der D Beteiligungsgesellschaft mbH mit ca. 1,5 Mio. DM höher bewertet worden war – ein entsprechender Verlust ergab. Der Übertragungsvertrag bewirkte im Ergebnis eine Verkürzung der Beteiligungskette (= Veräußerung der Klägerin von ihrer Muttergesellschaft an ihre Großmuttergesellschaft). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag verwiesen.

Mit Vertrag vom 22. März 1996 (UR Nr. 2 des Notars F aus M) – nachfolgend „Anteilsübertragung II“ genannt – veräußerte die D Systemtechnik AG & Co. KG die Beteiligung an der Klägerin an ihre zeitgleich gegründete und hinsichtlich der Kommanditisten (Komplementärin jeweils ohne Kapitalbeteiligung) in diesem Zeitpunkt beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft, die D Energietechnik AG & Co. KG (vgl. Anlage 9 zum Schriftsatz der Klägerin vom 5. August 2014). Die D Energietechnik AG & Co. KG war kurz zuvor gegründet worden (vgl. Anlage 1 zum Schriftsatz). Der Kaufpreis war mit dem Preis im Vertrag vom 16. Juni 1995 (Anteilsübertragung I) identisch. Zeitgleich wurden weitere Gesellschaften der D-Gruppe veräußert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag verwiesen.

Ausweislich Textziffer 20 des Betriebsprüfungsberichts – Bp-Bericht – vom 23. Januar 2001 wurden die Anteile an der D Systemtechnik AG & Co. KG Anfang 1997 veräußert.

Hinsichtlich der Mitunternehmer der D Systemtechnik AG & Co. KG sowie der D Energietechnik AG & Co. KG wird auf die Darstellung im Schriftsatz der Klägerin vom 5. August 2014 verwiesen. In den Jahren 1996 und 1997 fanden in der D Energietechnik AG & Co. KG und der D Systemtechnik AG & Co. KG mehrere Mitunternehmerwechsel statt.

Die Klägerin reichte u.a. ihre Körperschaftsteuererklärung 1995 (= Vorjahr zu den Streitjahren) im Juni 1996 beim Finanzamt E ein. Dieses veranlagte die Klägerin antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit einer Körperschaftsteuer von 0 € sowie einem verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1995 i.H.v. 6.813.835 DM. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob das Finanzamt E mit Bescheid vom 27. Januar 1999 auf. Anhand der BpHA ist erkennbar, dass der Beklagte in der Folgezeit erkannte, dass eine Änderung des festgestellten Verlustabzugs für dieses Jahr verfahrensrechtlich nicht mehr möglich war (siehe Aktenvermerke Blatt 208, 313 BpHA).

Für das Streitjahr 1996 wurde die Klägerin ebenfalls zunächst antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt. Nach den rechnerisch unstreitigen Ausführungen des Beklagten wurde in 1996 ein Teil des Verlustvortrags i.H.v. 1.374.056 DM mit positiven Einkünften verrechnet. Der körperschaftsteuerliche Verlustabzug zum 31. Dezember 1996 wurde zunächst mit 5.439.779 DM festgestellt.

In den Jahren 2000 und 2001 fand bei der Klägerin eine steuerliche Betriebsprüfung des Finanzamtes für Großbetriebsprüfung H – GKBP H – u.a. für die Jahre 1996 und 1997 statt. Ausweislich Tz. 20 des Bp-Berichts sowie einer späteren Stellungnahme im Rechtsbehelfsverfahren vom 13. Juli 2001, auf die hinsichtlich der Einzelheiten jeweils verwiesen wird, vertrat die Betriebsprüfung die Ansicht, dass bisher verrechnete Verluste der früheren B GmbH zu stornieren sowie der festgestellte Verlustvortrag zum 31. Dezember 1996 ersatzlos aufzuheben seien. Zur Begründung führte sie aus, die „C GmbH alt“ habe stets Gewinne erzielt, während die B GmbH erhebliche Verluste erzielt hatte. Sie sei überschuldet gewesen, habe ihren Geschäftsbetrieb eingestellt sowie keine stillen Reserven oder anderweitigen positiven Werte mehr gehabt.

Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG 1996 (Fassung für das Streitjahr) und auch § 8 Abs. 4 KStG 1997 (Neufassung für das Folgejahr, welches unter dem Az. 13 K 2837/12 geführt wird) seien erfüllt. Eine wirtschaftliche Identität liege nicht vor. Aufgrund des Vertrages vom 16. Juni 1995, hilfsweise aufgrund des Vertrages vom 22. März 1996 seien mehr als 50 bzw. 75 % der Anteile an der Klägerin veräußert worden. Auch Übertragungen zwischen verbundenen Unternehmen seien schädlich. Es gelte eine zivilrechtliche, nicht eine wirtschaftliche Betrachtung. Auch die Verkürzung von Beteiligungsketten könne ein schädlicher Anteilserwerb sein.

Ferner habe eine Zuführung wesentlich neuen Betriebsvermögens stattgefunden. Entsprechend Tz. 10 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen – BMF-Schreiben – vom 16. April 1999 sowie Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – gelte eine gegenständliche Betrachtungsweise, da ein Branchenwechsel von „...technik“ zu „... und Steuerungen“ stattgefunden habe. In jenen Fällen sei die Zuführung wesentlichen neuen Betriebsvermögens bereits dann anzunehmen, wenn zahlenmäßig überwiegend neue Wirtschaftsgüter (Aktiva) zugeführt würden. Dies sei hier geschehen. Im Streitfall habe auch eine spätere Wiederaufnahme bzw. Fortführung des Geschäftsbetriebs stattgefunden.

Eine Sanierung entsprechend der Sanierungsklausel in § 8 Abs. 4 Sätze 3-4 KStG 1997 sei nicht anzunehmen, da der Geschäftsbetrieb der verlustverursachenden B GmbH infolge des Branchenwechsels nicht mehr bestehe. Ergänzend führte die Betriebsprüfung aus, die B GmbH habe seinerzeit die Verluste im Bereich der Telehospitaltechnik erlitten und bereits längere Zeit vor der Verschmelzung keinen aktiven Geschäftsbetrieb mehr gehabt.

Der Beklagte folgte den Feststellungen der GKBP H mit Bescheiden vom 28. Mai 2001 (KSt und Feststellungen hierzu) bzw. 7. Juni 2001 (Gewerbeverlust; später geändert durch Bescheid vom 5. September 2001), in welchem er die Festsetzungen bzw. Feststellungen jeweils gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – änderte und die Vorbehalte der Nachprüfung aufhob. Die Körperschaftsteuer 1996 setzte er mit 624.104 DM fest, das Einkommen nach § 47 Abs. 2 Nr. 3 KStG 1996 stellte er mit 1.386.898 DM fest (Blatt 4 der Gerichtsakte), Beträge nach § 47 Abs. 1 KStG auf den 31. August 1996 stellte er mit den in Blatt 27 der Gerichtsakte aufgeführten Beträgen fest. Der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer auf den 31. Dezember 1996 wurde mit jeweils 0 DM festgestellt.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit fristgerecht erhobenen Einsprüchen, welche mehrere Jahre wegen anhängiger Verfahren beim BFH und beim Bundesverfassungsgericht – BVerfG – ruhten.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13. August 2012 (Blatt 15 ff. der Gerichtsakte) wies der Beklagte die Einsprüche für die Jahre 1996 und 1997 als unbegründet zurück. In der abgekürzten Entscheidung verwies er auf den Bp-Bericht vom 23. Januar 2001 sowie Erläuterungsschreiben vom 19. März 2008 und 14. Juni 2012.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Klage, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Bescheide seien rechtswidrig, sie sei zum Verlustabzug nach § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 4 KStG 1996 und KStG 1997 berechtigt. Die rechtliche Identität sei unstreitig gegeben. Auch bestehe wirtschaftliche Identität.

Zu dem ursprünglich im einheitlichen Verfahren betroffenen Jahr 1997 trägt sie vor: Im Jahre 1997 (= Geltung KStG 1997) habe keine Übertragung von mehr als der Hälfte der Anteile sowie Fortführung mit überwiegend neuem Betriebsvermögen stattgefunden. Unter Verweis auf eine Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil 8 K 8311/10 zu § 8c KStG) und entgegen der Rechtsprechung des BFH (I R 81/02) dürfe eine Verkürzung der Beteiligungskette nicht schädlich sein. Unabhängig davon sei der Verlust aber nicht untergegangen, da keine Zuführung von überwiegend neuem Betriebsvermögen stattgefunden habe. Nach Rechtsprechung des BFH sei auf die Teilwerte des Aktivvermögens abzustellen. Hier habe eine Verschmelzung der Tochtergesellschaft (C GmbH alt) auf ihre Muttergesellschaft (Klägerin; seinerzeit B GmbH) stattgefunden. Die zuvor im Rahmen einer Beteiligung gehaltenen Wirtschaftsgüter seien anschließend unmittelbar der Klägerin zuzurechnen. Es habe praktisch ein neutraler Aktivtausch (vorher: Beteiligungsbuchwert; nachher: unmittelbare Buchwerte der Wirtschaftsgüter) stattgefunden.

Die vom Beklagten angestellte gegenständliche Betrachtungsweise gehe fehl. Die Klägerin sei seinerzeit die Muttergesellschaft der „C GmbH alt“ gewesen. Als Branche wäre sowohl die Holdingtätigkeit als auch die Tätigkeit der früheren B GmbH oder die Tätigkeit der „C GmbH alt“ denkbar. Das BMF-Schreiben enthalte keine klaren Kriterien zur Branchenbestimmung. Dies verursache erhebliche praktische Schwierigkeiten, eine gesetzliche Grundlage für die gegenständliche Betrachtungsweise sei insoweit nicht ersichtlich. Die gegenständliche Betrachtungsweise sei nur in Extremfällen anzunehmen, etwa in den vom BFH entschiedenen Fällen. Ein solcher Extremfall liege hier nicht vor, insbesondere da die Tätigkeit der Holdinggesellschaft der Branche der Tochtergesellschaft zuzuordnen sei und daher im Streitfall kein Branchenwechsel stattgefunden habe. Dieses Ergebnis werde auch durch den Sinn und Zweck der Regelung des § 8 Abs. 4 KStG bestätigt. Anteilsübertragung und Verschmelzung seien nicht zur Verlustnutzung eingesetzt worden. Die in der B GmbH enthaltenen Verluste hätten auch ohne Verschmelzung durch Ausschüttungen der Tochtergesellschaft oder durch Begründung einer Organschaft genutzt werden können.

Im Streitfall entfalle der Verlustabzug auch nicht dadurch, dass ein dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1997 vergleichbarer Fall vorliege. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei bei Annahme eines mit dem Regelbeispiel vergleichbaren Falls Vorsicht geboten. Erforderlich sei eine ungewöhnliche Gestaltung, für die wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlten. Dies sei etwa bei der Übernahme von Bürgschaften oder der Einräumung von Sicherheiten für Bankkredite der Fall. Ein solcher Fall liege hier nicht vor.

Auch scheide ein Untergang des Verlustabzugs nach § 42 AO aus. Unabhängig von der Frage, ob die Norm möglicherweise schon durch die Existenz des § 8 Abs. 4 KStG in ihrer Anwendung gesperrt sei, liege hier eine konzernübliche Maßnahme vor.

Zum Streitjahr 1996 (= Geltung KStG 1996) führt die Klägerin aus, die Regelung habe seinerzeit eine Übertragung von über 75 % der Anteile verlangt. Entsprechend den Ausführungen zum Jahr 1997 habe auch hier kein schädlicher Anteilseignerwechsel stattgefunden. Anders als die Regelung für 1997 habe die Rechtslage 1996 überdies verlangt, dass die Zuführung neuen Betriebsvermögens zeitlich nach der Anteilsübertragung erfolge. Vorliegend sei die vom Beklagten behauptete Betriebsvermögenszuführung (durch Verschmelzung) aber vor den möglichen Anteilsübertragungen (am 16. Juni 1995 und 22. März 1996) erfolgt. Die Anteilsübertragung am 22. März 1996 liege unstreitig nach der Verschmelzung (als Anknüpfungszeitpunkt für die Betriebsvermögenszuführung), bei der mit der Verschmelzung zeitgleichen Anteilsübertragung vom 16. Juni 1995 sei zu berücksichtigen, dass die Verschmelzung steuerlich auf den 31. März 1995 zurückgewirkt habe. Überdies habe in 1996 keine „Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs“ stattgefunden, da eine begriffsnotwendige vorherige Einstellung des Geschäftsbetriebs, hier der „C GmbH alt“, nicht stattgefunden habe. Auch könne die Einstellung der Holdingtätigkeit nicht als Einstellung des Geschäftsbetriebs gewertet werden. Ebenso liege für das Jahr 1996 kein anderer mit dem Regelbeispiel vergleichbarer Fall und auch kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO vor.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Bescheide über Körperschaftsteuer 1996, gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1996, gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1996 sowie die Bescheide über Feststellungen nach § 47 Abs. 2 KStG 1996 sowie nach § 47 Abs. 1 KStG auf den 31. August 1996, allesamt in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. August 2012, dahingehend zu ändern, dass kein Wegfall des Verlustabzugs (bisher entsprechend Tz. 20 des Betriebsprüfungsberichts vom 23. Januar 2001) nach § 8 Abs. 4 KStG in der für das Streitjahr 1996 geltenden Fassung eintritt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen im außergerichtlichen Verfahren. Ergänzend trägt er vor, die Klägerin weiche von der BFH-Rechtsprechung ab. Bei Anteilsübertragungen gelte auch im Konzern eine zivilrechtliche Betrachtungsweise. Bei der Übertragung von Anteilen zwischen Tochtergesellschaften sei zudem nicht auf die Tätigkeit der Konzernmutter als Holdinggesellschaft abzustellen. Vielmehr sei die Branche der jeweiligen Tochtergesellschaft relevant. Bei der Klägerin (früher: B GmbH) habe zunächst ein Wechsel von werbender Tätigkeit (Unternehmensgegenstand der B GmbH) zur Vermögensverwaltung stattgefunden, der unschädlich sei. Mit der Verschmelzung habe aber eine schädliche Änderung des Geschäftszweigs von „...- und Datennetzen“ in „... und Steuerungen“ stattgefunden. Dies stelle einen Branchenwechsel dar, wodurch bei der Betriebsvermögenszuführung eine gegenständliche Betrachtungsweise greife.

Für das Jahr 1996 sei er – der Beklagte – der Ansicht, eine Vermögenszuführung vor der Verschmelzung sei nicht ersichtlich. Es sei auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, nicht auf die in den Verträgen vorgesehenen steuerlichen Rückwirkungsmöglichkeiten abzustellen.

Es besteht Einvernehmen zwischen allen Beteiligten, dass sich die Einspruchsentscheidung und die Klage auch auf die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes und auf die Feststellungen gem. § 47 Abs. 2 KStG der Jahre 1996 und 1997 beziehen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. September 2014 verwiesen.

Der erkennende Senat hat die zunächst unter dem Aktenzeichen 13 K 2837/12 für die Streitjahre 1996 und 1997 geführte Klage gemeinsam verhandelt. Mit Beschluss vom 4. September 2014 wurden die Streitgegenstände des Jahres 1996 im Hinblick auf die unterschiedlichen Gesetzesfassungen für 1996 und 1997 zur gesonderten Entscheidung unter dem Aktenzeichen 13 K 2600/14 abgetrennt. Die Streitgegenstände des Jahres 1997 verblieben unter dem Aktenzeichen 13 K 2837/12, über sie ist mit Urteil vom 4. September 2014 ebenfalls entschieden worden.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide des Jahres 1996 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat zu Unrecht die Berücksichtigung des nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG gesondert festgestellten verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1995 nach § 8 Abs. 4 KStG in der für den Veranlagungszeitraum 1996 geltenden Fassung versagt. Infolgedessen erweisen sich auch die Festsetzung zur Körperschaftsteuer, die Feststellungen gem. § 47 Abs. 1 und Abs. 2 KStG sowie die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes 1996 als rechtswidrig.

Der Beklagte ist aus verfahrensrechtlichen Gründen an einer Versagung des Verlustabzuges nach § 8 Abs. 4 KStG 1996 gehindert.

Nach der für die VZ 1995 und 1996 geltenden Fassung des § 8 Abs. 4 KStG ist Voraussetzung für den Verlustabzug nach § 10d EStG bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Wirtschaftliche Identität liegt insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als drei Viertel der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnimmt. Entsprechendes gilt für den Ausgleich des Verlustes vom Beginn des Wirtschaftsjahrs bis zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung.

Der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer und der vortragsfähige Gewerbeverlust werden gemäß § 10d Abs. 4 EStG gesondert festgestellt. Durch Urteil des BFH vom 22. Oktober 2003 (I R 18/02, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2004, 468), welchem sich der erkennende Senat anschließt und auf welches er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, ist geklärt, dass sich die Feststellung nicht bloß in der Höhe des verbleibenden Verlustvortrages erschöpft, sondern auch die steuerliche Abzugsfähigkeit dieses Betrages nach Maßgabe der im Feststellungszeitpunkt geltenden Rechtslage für spätere Abzugsjahre verbindlich festlegt.

Im Streitfall hat der Beklagte – wie er ausweislich der Vermerke in den Steuerakten selbst erkannt hat – im Veranlagungszeitraum 1995 einen verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer sowie einen vortragsfähigen Gewerbeverlust bestandskräftig festgestellt. Hierdurch ist dem Beklagten eine Versagung des Verlustabzugs im Streitjahre 1996 verwehrt.

§ 8 Abs. 4 KStG ist in der für die Jahre 1995 und 1996 geltenden Fassung identisch. Anknüpfungspunkt des Beklagten für eine Versagung des Verlustabzuges ist der am 16. Juni 1995 abgeschlossene und mit steuerlicher Rückwirkung durchgeführte „Verschmelzungsvertrag C“, welcher nach Auffassung des Beklagten eine Betriebsvermögenszuführung bewirkte. Auch wurde die „Anteilsübertragung I“, welche nach Auffassung des Beklagten einen nach § 8 Abs. 4 KStG schädlichen Anteilseignerwechsel bewirkte, am 16. Juni 1995 abgeschlossen und durchgeführt. Da beide Verträge im Wirtschaftsjahr 1994/1995 verwirklicht wurden, ist über diese Vorgänge bereits verbindlich mit Feststellung des Verlustabzuges zum 31. Dezember 1995 entschieden worden.

Auch ermöglicht die am 22. März 1996 (= Wirtschaftsjahr 1995/1996) abgeschlossene und durchgeführte „Anteilsübertragung II“ keine erneute Überprüfung des Verlustabzuges im Jahre 1996. Jene Anteilsübertragung ist – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – nach dem Verschmelzungsvertrag C erfolgt. Da § 8 Abs. 4 KStG in der im VZ 1996 geltenden Fassung einen Anteilseignerwechsel und eine zeitlich erst danach vorgenommene Betriebsvermögenszuführung verlangt, kann ein späterer Anteilseignerwechsel ohne gleichzeitige oder nachfolgende Betriebsvermögenszuführung keinen Wegfall des Verlustabzuges bewirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die verfahrensrechtliche Umsetzung von § 8 Abs. 4 KStG ist durch das BFH-Urteil vom 22. Oktober 2003, welches die Finanzverwaltung ausweislich der Veröffentlichung im Bundessteuerblatt sowie in BMF-Schreiben auch über den Einzelfall hinaus anwendet, höchstrichterlich geklärt.

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