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Steuerrecht
15.08.2016
Steuerrecht
FG Münster: Polizeiwache als regelmäßige Arbeitsstätte einer Streifenpolizistin

FG Münster, Urteil vom 19.2.2016 – 12 K 1620/15 E

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen und Verpflegungsmehraufwendungen im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.

Die ledige Klägerin erzielt als Polizeibeamtin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie versah im Streitjahr ihren Dienst bei der Polizeiwache E im Wach- und Wechseldienst. Ein eigenes Büro stand ihr dort nicht zur Verfügung. Sie fuhr im Streitjahr arbeitstäglich mit dem eigenen PKW zur Polizeiwache. Von dort nahm sie ihren Streifendienst im Streifenwagen mit einem Kollegen auf.

Im Rahmen ihrer Einkommensteuer-Erklärung 2013 beantragte sie die Berücksichtigung der Fahrten von der Wohnung zur Polizeiwache nach Reisekostengrundsätzen in Höhe von 1.872,00 € (195 Tage x 32 km x 0,30 €) und darüber hinaus Verpflegungsmehraufwand für 195 Tage mit mindestens achtstündiger Abwesenheit in Höhe von 1.170,00 € (6,00 € x 195 Tage). Sie ging davon aus, dass sie keine regelmäßige Arbeitsstätte habe.

Im Einkommensteuer-Bescheid 2013 vom 23.06.2014 berücksichtigte der Beklagte die geltend gemachten Fahrtkosten zur Wache als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (195 Tage x 16 km x 0,30 €). Die Verpflegungsmehraufwendungen erfasste er nicht. Die Klägerin habe die dafür erforderliche mehr als achtstündige Abwesenheit von der Polizeiwache als regelmäßige Arbeitsstätte nicht nachgewiesen.

Zur Begründung des dagegen mit Schreiben vom 24.06.2014 erhobenen Einspruches machte sie geltend, sie habe keine regelmäßige Arbeitsstätte. Die Fahrtkosten seien daher nach Reisekostengrundsätzen abzurechnen und der erklärte Verpflegungsmehraufwand zu berücksichtigen. Zu ihren Arbeiten gehöre es Streife zu fahren und Einsätze im Wachbereich E wahrzunehmen. Die Wache fahre sie nur an, wenn sie schriftliche Arbeiten erledigen müsse und zu Toilettengängen, wenn es die Einsatzlage ermögliche. Im Normalfall sei sie als Polizistin im Streifendienst stets draußen auf der Straße zu finden. Anders als die Kollegen der Feuerwehr hielte sie sich nicht auf der Wache auf und warte auf den nächsten Einsatz.

Der Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 05.05.2015 zurück. Die Polizeiwache sei die regelmäßige Arbeitsstätte der Klägerin. Dort und nicht an den Einsatzorten liege der qualitative Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Insoweit berufe er sich auf das Urteil des Finanzgerichts Schleswig-Holstein vom 24.06.2013 (5 K 233/12, EFG 2013, 1657). Die Rechtsauffassung des Beklagten werde auch durch das Urteil des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg vom 19.11.2014 (3 K 3087/14, EFG 2015, 285) bestätigt.

Die für den Ansatz des Verpflegungsmehraufwandes erforderliche mehr als achtstündige Abwesenheit von der Polizeiwache als regelmäßiger Arbeitsstätte habe die Klägerin nicht nachgewiesen.

Mit Schreiben vom 19.05.2015 erhob die Klägerin gegen den Einkommensteuer-Bescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 05.05.2015 Klage und verfolgt ihr Begehren weiter. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sei eine Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers. Erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer in der Arbeitsstätte seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgehe.

Die Klägerin sei als Polizeibeamtin im Wach- und Wechseldienst tätig. Zu Beginn ihres jeweiligen Schichtdienstes fahre sie von zu Hause zur Wache, ziehe sich dort um und nehme die Dienstwaffe und sonstige Einsatzgegenstände auf. Anschließend erfolge regelmäßig eine nur kurze Dienstbesprechung, der Dienstplan  und dienstliche Mails würden eingesehen. In der Regel sei die Klägerin etwa eine halbe Stunde später im Einsatzfahrzeug auf Streifendienst. Nach den Weisungen der Dienstvorgesetzten an die Beamten des Wach- und Wechseldienstes sollten sie sich nicht länger als nötig auf der Wache aufhalten, sondern polizeiliche Präsenz auf der Straße zeigen.

Der Schwerpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit liege bei der Klägerin zweifelsfrei in ihrer Dienstverrichtung außerhalb der Wache im Streifendienst und in der Wahrnehmung von Einsätzen, die über den Notruf von der Leitstelle bzw. dem Wachabenden an die Einsatzfahrzeuge zur Ausführung übermittelt würden. Feste Pausen habe die Klägerin nicht. Außer zu Dienstbeginn käme sie in Unterbrechung des Streifendienstes nur dann zur Wache, wenn Anzeigen geschrieben werden müssten. Selbst zur Nahrungsaufnahme oder für den Toilettengang könne nicht immer die Wache angefahren werden.

Von ihrer neunstündigen Dienstschicht verbringe die Klägerin im Regelfall nicht mehr als 60 Minuten, in Ausnahmefällen allenfalls 90 Minuten, auf der Dienstwache. Sie verbringe deutlich mehr als 80 % ihrer Arbeitszeit im Einsatzfahrzeug.

Die Klägerin verfüge also nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte, weil der qualitative Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in der ihr zugewiesenen ortsfesten Dienstwache in E nicht festgestellt werden könne und es daher an einem ortsgebundenen Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit fehle. Ihr qualitativer Tätigkeitsschwerpunkt liege vielmehr in der mobilen Teilnahme am Streifendienst außerhallb der Wache.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Einkommensteuer-Bescheid 2013 vom 23.06.2014 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 05.05.2015 zu ändern und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der erklärten Fahrtkosten von 1.872,00 € (195 Fahrten x 32 km x 0,30 €) und des erklärten Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 1.170,00 € (195 Tage x 6,00 €/Tag) als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit niedriger festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er auf die Einspruchsentscheidung Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsakte verwiesen.

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Berichterstatter anstelle des Senats (§ 79a Abs. 3, 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

Aus den Gründen

Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die geltend gemachten Fahrtkosten von der Wohnung zur Wache nach Reisekostengrundsätzen und Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

Verpflegungsmehraufwand kann im Rahmen der Reisekosten bei einer Auswärtstätigkeit mit mindestens achtstündiger Abwesenheit von der regelmäßigen Arbeitsstätte als Werbungskosten mindernd erfasst werden.

Regelmäßige Arbeitsstätte der Klägerin ist die Polizeiwache.

Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG ist jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht. Auf diese mit den immer gleichen Wegen verbundene Arbeitsstätte kann sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise einstellen und insbesondere auch, etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Wohnsitznahme, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken (BFH, Urteile vom 17.06.2010 VI R 20/09, BStBl II 2012, 32; vom 09.06.2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34).

Regelmäßige Arbeitsstätte in diesem Sinn ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat. Für eine regelmäßige Arbeitsstätte ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann (BFH, Urteile vom 09.06.2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; VI R 58/09, BStBl II 2012, 34). Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht der dort verrichteten Tätigkeit. Die regelmäßige Arbeitsstätte liegt am Betriebssitz des Arbeitgebers oder an einer sonstigen ortsfesten dauerhaften betrieblichen Einrichtung, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist, wenn er diesen Ort nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht und dort schwerpunktmäßig tätig wird. Es ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht und den Betriebssitz des Arbeitgebers nicht lediglich nur zu Kontrollzwecken aufsucht (BFH, Urteile vom 09.06.2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34; vom 19.01.2012 VI R 32/11, BFH/NV, 2012, 936).

Unter Anwendung dieser Grundsätze geht das Gericht bei Würdigung der Gesamtumstände des Falles davon aus, dass die Dienststelle in E die regelmäßige Arbeitsstätte der Klin. ist. Sie ist der Dienststelle dienstrechtlich zugeordnet. Diese Dienststelle fährt sie arbeitstäglich an. Hier zieht sie ihre Dienstkleidung an, erhält Einsatzbefehle und übernimmt den Streifenwagen. In der Wache erledigt sie die verwaltungsmäßige Bearbeitung der sich im Streifendienst ergebenden Vorfälle, erstellt Berichte und nimmt Anzeigen auf. Hier beginnt und beendet sie regelmäßig ihre tägliche Tätigkeit.

Bei dieser Beurteilung ist es unerheblich, dass die Klin. den überwiegenden Teil ihrer beruflichen Arbeitszeit mit Tätigkeiten außerhalb der Dienststelle ableistet. Nach der o.g. Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes bestimmt sich der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit nicht nach quantitativen, sondern nach qualitativen Merkmalen der Arbeitsleistung.

Selbst wenn die qualitative Bestimmung des Tätigkeitsschwerpunktes anders ausfiele, wären die streitigen Kosten nicht in dem geltend gemachten Umfang zu berücksichtigen.

Nach Sinn und Zweck der Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG kann es bei der Auslegung des Begriffs „regelmäßige Arbeitsstätte“ allein darauf ankommen, ob der Einsatzort regelmäßig aufgesucht wird. Eine Erweiterung um das zusätzlich vom BFH aufgestellte Auslegungskriterium des „qualitativen Schwerpunkts“ ist weder zwingend noch sachgerecht und bedeutet einen Verstoß gegen den sich aus dem Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 Abs. 1 GG ergebenden Grundsatz der Folgerichtigkeit (s.  auch Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 22.05.2014, 10 K 109/13, EFG 2014, 1474; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.11.2014, 3 K 3087/14, EFG 2015, 288).

Sowohl bei der Abgrenzung der regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. der beruflichen Mobilitätskosten als auch bei der Abgrenzung des Mittelpunkts der betrieblichen Tätigkeit für die im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehenden Verpflegungsmehraufwendungen erfolgen abweichend vom objektiven Nettoprinzip Einschränkungen der steuerlichen Absetzbarkeit,  weil sich der Steuerpflichtige auf die regelmäßigen Gegebenheiten einstellen kann. Nur bei einer Anfahrt zu einem regelmäßig gleichen Ort kann der Arbeitnehmer sich auf die immer gleichen Wege durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Erwerb von Zeitkarten für öffentliche Verkehrsmittel oder durch Wohnungssuche in der Nähe der Arbeitsstätte einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken.

Bei dieser Ausgangslage ist als maßgebliches Kriterium allein folgerichtig, ob die Fahrten mit einer gewissen Nachhaltigkeit regelmäßig von zuhause immer zum selben Einsatzort erfolgen. Es wäre nicht nachvollziehbar, weshalb die an jedem Arbeitstag die Wache aufsuchende Klägerin die tatsächlichen Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend machen könnte, der in der Wache tätige Verwaltungsbeamte jedoch nur den unter Ansatz der Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte berechneten, also halben, Aufwand. Beide fahren arbeitstäglich von der Wohnung zur Wache und können in gleicher Weise auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken.

Die erklärten Verpflegungsmehraufwendungen hat der Beklagte zutreffend nicht als Werbungskosten erfasst. Verpflegungsmehraufwand kann nur berücksichtigt werden, wenn die Klägerin mindestens acht Stunden von der regelmäßigen Arbeitsstätte abwesend ist (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 § EStG). Dafür liegen keine Nachweise vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

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