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Steuerrecht
08.02.2024
Steuerrecht
EuGH-Schlussanträge: Niederlassung einer inländischen Konzerngesellschaft als feste Niederlassung einer ausländischen Konzerngesellschaft

 – Begründung einer festen Niederlassung mittels eines Dienstleistungsvertrages (Rumänisches Vorabentscheidungsersuchen)

GAin Kokott, Schlussanträge vom 1.2.2024 – C-533/22; SC Adient Ltd & Co. KG gegen Agenţia Naţională de Administrare Fiscală u.a.; ECLI:EU:C:2024:106

Volltext BB-Online BBL2024-341-1

Schlussanträge

1. Da dieselbe Ausstattung nicht gleichzeitig für die Erbringung und für den Empfang derselben Dienstleistungen verwendet werden kann, würde selbst bei Annahme einer festen Niederlassung hier kein steuerbarer Umsatz nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vorliegen.

2. Eine eigenständige Konzerngesellschaft (in einem anderen Mitgliedstaat) ist nicht allein aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Verflechtung die feste Niederlassung im Sinne von Art. 44 Satz 2 der Richtlinie 2006/112 einer anderen Konzerngesellschaft. Auch ein komplexer Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen kann grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Dienstleistungserbringer einen steuerbaren Umsatz an eine dadurch entstehende feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers erbringt. Der Leistungsort dieser Dienstleistungen ist dabei ebenso unabhängig von der Art der Ausgangsumsätze (Lieferung oder Dienstleistung) des Leistungsempfängers wie von dem Ort des „Verbrauchs“ der konkreten Verarbeitungsdienstleistungen.

3. Eine feste Niederlassung im Sinne von Art. 44 Satz 2 der Richtlinie 2006/112 liegt erst vor, wenn diese das in einem anderen Mitgliedstaat belegene Stammhaus ersetzt. Mithin kann ein Vertrag mit einem Dienstleistungserbringer nur dann eine feste Niederlassung begründen, wenn er sich nicht allein auf die Erbringung von Dienstleistungen an Gegenständen des Leistungsempfängers bezieht. Vielmehr muss er auf die Überlassung des notwendigen Personals und/oder auf die Überlassung der nötigen Sachmittel gerichtet sein, damit der Leistungsempfänger ähnliche Dienstleistungen oder Lieferungen vor Ort (d. h. am Ort der festen Niederlassung) wie von einem Stammhaus aus erbringen kann.

 

Aus den Gründen

I.          Einführung

1.         Dies ist mittlerweile das fünfte(2) Vorabentscheidungsersuchen seit 2018, welches die Kriterien für die Bestimmung einer festen Niederlassung im Mehrwertsteuerrecht zum Gegenstand hat. Davon ist es schon das dritte(3), das seit der Entscheidung Dong Yang(4) aus dem Jahr 2020 im Wesentlichen danach fragt, ob eine beherrschte Gesellschaft bzw. eine Konzerngesellschaft als feste Niederlassung der Muttergesellschaft bzw. einer anderen Konzerngesellschaft zu betrachten ist. Diese Entwicklung ist erstaunlich, denn bis dahin gab es zu dieser Frage seit Einführung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (d. h. seit mehr als 40 Jahren) nur insgesamt sechs(5) vergleichbare Vorabentscheidungsersuchen.

2.         Der Gerichtshof war an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt. So hat er in der Entscheidung DFDS in einem Fall künstlicher Steuergestaltung ausgeführt, dass eine Gesellschaft, die als bloße Hilfsperson des Veranstalters handelt, aber über die Personal- und Sachmittel verfügt, die eine feste Niederlassung kennzeichnen, eine feste Niederlassung des Veranstalters sein könne.(6) Später urteilte er in der Entscheidung Dong Yang, dass es nicht ausgeschlossen werden könne, dass die von der Muttergesellschaft gehaltene Tochtergesellschaft eine feste Niederlassung dieser Muttergesellschaft sei.(7) Anschließend begannen offenbar viele Finanzverwaltungen, in Konzernstrukturen nach festen Niederlassungen in Gestalt von Tochter- oder auch nur anderen Konzerngesellschaften zu suchen.

3.         Die Folge ist nun, dass bereits zum zweiten Mal(8) ein rumänisches Gericht danach fragt, ob eine Konzerngesellschaft in Rumänien zugleich die feste Niederlassung ihres Vertragspartners (eine andere Konzerngesellschaft aus Deutschland) sein könne. Dann könnte der Leistungsort der erbrachten Dienstleistung nicht in Deutschland (dort wurde der Umsatz wohl ordnungsgemäß versteuert), sondern in Rumänien liegen. Da alle betroffenen Unternehmen jedoch zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, geht es Rumänien bei Lichte betrachtet nicht um die Sicherung des Steueraufkommens (die Höhe dessen verändert sich hier in keiner Weise), sondern offenbar allein um Zinsen und um Strafzuschläge.

4.         Der Gerichtshof erhält daher erneut die Gelegenheit, die grundsätzliche Frage, ob und wann eine eigenständige Gesellschaft zugleich die feste Niederlassung ihres Vertragspartners, d. h. einer anderen eigenständigen Gesellschaft, sein kann, grundsätzlich zu klären und so die Rechtssicherheit sowohl für die Finanzverwaltungen als auch die davon betroffenen Steuerpflichtigen wieder etwas zu erhöhen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.         Unionsrecht

5.         Den unionsrechtlichen Rahmen bestimmt die Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).(9) Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält einen der beiden Grundtatbestände und lautet:

„(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c)         Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

6.         Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie regelt den Leistungsort einer Dienstleistung und lautet wie folgt:

„Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers.“

7.         Art. 11 Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 (im Folgenden: MwSt-DVO)(10) präzisiert den Begriff der festen Niederlassung:

„Für die Anwendung des Artikels 44 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] gilt als ‚feste Niederlassung‘ jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Artikel 10 dieser Verordnung, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden.“

8.         Art. 192a der Mehrwertsteuerrichtlinie regelt:

„Für die Zwecke der Anwendung dieses Abschnitts gilt ein Steuerpflichtiger, der im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem die Steuer geschuldet wird, über eine feste Niederlassung verfügt, als nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a)          [E]r liefert steuerpflichtig Gegenstände oder erbringt steuerpflichtig eine Dienstleistung im Gebiet dieses Mitgliedstaats;

b)          eine Niederlassung des Lieferers oder Dienstleistungserbringers im Gebiet dieses Mitgliedstaats ist nicht an der Lieferung oder Dienstleistung beteiligt.“

9.         Art. 53 Abs. 2 der MwSt-DVO konkretisiert insoweit:

„Verfügt ein Steuerpflichtiger über eine feste Niederlassung in dem Gebiet des Mitgliedstaats, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, gilt diese feste Niederlassung als nicht an der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen im Sinne des Artikels 192a Buchstabe b der Richtlinie 2006/112/EG beteiligt, es sei denn, der Steuerpflichtige nutzt die technische und personelle Ausstattung dieser Niederlassung für Umsätze, die mit der Ausführung der steuerbaren Lieferung dieser Gegenstände oder der steuerbaren Erbringung dieser Dienstleistungen vor oder während der Ausführung in diesem Mitgliedstaat notwendig verbunden sind.

Wird die Ausstattung der festen Niederlassung nur für unterstützende verwaltungstechnische Aufgaben wie z. B. Buchhaltung, Rechnungsstellung und Einziehung von Forderungen genutzt, so gilt dies nicht als Nutzung bei der Ausführung der Lieferung oder der Dienstleistung.

Wird eine Rechnung jedoch unter der durch den Mitgliedstaat der festen Niederlassung vergebenen Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer ausgestellt, so gilt diese feste Niederlassung bis zum Beweis des Gegenteils als an der Lieferung oder Dienstleistung beteiligt.“

B.         Rumänisches Recht

10.       Rumänien hat die Mehrwertsteuerrichtlinie für die Streitjahre durch das Legea nr. 227/2015 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 227/2015 über das Steuergesetzbuch – im Folgenden: Steuergesetzbuch) umgesetzt.

11.       Art. 266 Abs. 2 Buchst. b des Steuergesetzbuchs lautet:

„Im Sinne dieses Titels

b)         gilt ein Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit außerhalb Rumäniens hat, als in Rumänien ansässig, wenn er eine feste Niederlassung in Rumänien hat, d. h. in Rumänien über eine ausreichende technische und personelle Ausstattung verfügt, um regelmäßig steuerbare Lieferungen von Gegenständen vorzunehmen und/oder Dienstleistungen zu erbringen.“

12.       Art. 278 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs regelt:

„Als Ort der einem Steuerpflichtigen als solchem geleisteten Dienstleistungen gilt der Ort, an dem der Steuerpflichtige, dem gegenüber die Dienstleistungen erbracht werden, den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an eine feste Niederlassung des Steuerpflichtigen, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung des Steuerpflichtigen, dem gegenüber die Dienstleistungen erbracht werden. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängers.“

III. Sachverhalt und Vorabentscheidungsverfahren

13.       Die im Ausgangsverfahren in Rumänien klagende Gesellschaft ist die in Deutschland ansässige Adient Ltd & Co. KG (im Folgenden: Adient DE). Sie gehört zur Adient-Unternehmensgruppe. Der Hauptsitz der Gruppe ist in Europa. Die Gruppe ist ein globaler Zulieferer für Hersteller der Automobilindustrie und verfügt über ein weltweites Netz von Produktions- und Montagewerken, die Erstausrüster mit kompletten Sitzsystemen, Modulen und Komponenten beliefern.

14.       Am 1. Juni 2016 beauftragte Adient DE die SC Adient Automotive România SRL (im Folgenden: Adient RO) – eine andere Gesellschaft der Adient-Unternehmensgruppe – mit einer komplexen Dienstleistung, die sowohl Verarbeitungs- und Montagedienstleistungen für Polsterkomponenten als auch Hilfs- und Verwaltungsdienstleistungen umfasst. Die Verarbeitungsdienstleistungen bestehen im Zuschneiden und Nähen von Rohstoffen zur Herstellung von Autositzbezügen. Die Hilfsdienstleistungen bestehen in der Lagerung von Rohstoffen und Fertigprodukten sowie der Annahme, Kontrolle und Verwaltung der Rohstoffe. Adient RO verfügt insoweit über zwei Niederlassungen in Pitești und Ploiești (Rumänien), in denen die entsprechenden Waren für Adient DE hergestellt werden.

15.       Alle Kosten, die Adient RO für die Durchführung der oben genannten Tätigkeiten entstehen, sind in der Gebühr enthalten, die sie der Adient DE in Rechnung stellt. Letztere kauft das Rohmaterial und schickt es zur Verarbeitung an Adient RO. Adient DE ist während des gesamten Verarbeitungsprozesses Eigentümerin der Rohstoffe, Halbfertigprodukte und Fertigprodukte.

16.       In Anbetracht der im rumänischen Hoheitsgebiet vorgenommenen Tätigkeiten ist Adient DE eine nicht in Rumänien ansässige Person mit Sitz in Deutschland. Sie ist seit dem 16. März 2016 in Rumänien unmittelbar für die Zwecke der Mehrwertsteuer registriert und hat eine Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erhalten. Adient DE verwendet die rumänische Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer sowohl für inländische und innergemeinschaftliche Erwerbe der Waren in Rumänien als auch für die Lieferung der von Adient RO hergestellten Produkte an ihre Kunden. Für den Empfang der von Adient RO auf der Grundlage des Vertrags erbrachten Dienstleistungen (Verarbeitung‑, Montage‑, Lagerungs- und Verwaltungsdienstleistungen) hat sie ihre deutsche Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer verwendet.

17.       Die Leistende (Adient RO) war hinsichtlich ihrer Dienstleistungen der Ansicht, dass der Ort dort liege, wo der Leistungsempfänger (Adient DE) ansässig ist, d. h. in Deutschland. Sie hat daher keine rumänische Mehrwertsteuer berechnet und abgeführt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Umsätze in Deutschland entsprechend besteuert worden sind.

18.       Im Anschluss an die bei Adient RO durchgeführte Steuerprüfung, die sich auf die Mehrwertsteuer für den Zeitraum vom 18. Februar 2016 bis zum 31. Juli 2018 bezog, stellte die Finanzverwaltung fest, dass Adient RO verpflichtet gewesen sei, die Mehrwertsteuer gegenüber der Adient DE zu erheben, da sich der Ort der Dienstleistungen in Rumänien befunden habe. Sie stellte ferner fest, dass Adient DE über die Niederlassungen von Adient RO in Pitești und Ploiești und damit über eine technische und personelle Ausstattung in Rumänien verfügt habe, so dass sie die Voraussetzungen für eine feste Niederlassung für Mehrwertsteuerzwecke in Rumänien erfüllt habe. Die in Rede stehenden Dienstleistungen von Adient RO an Adient DE seien somit in Rumänien mehrwertsteuerpflichtig und Adient RO zur Erhebung der rumänischen Mehrwertsteuer verpflichtet gewesen. Am 29. März 2019 erließ die Finanzverwaltung einen Steuerbescheid gegen Adient RO, mit dem sie zusätzliche Zahlungsverpflichtungen festsetzte. Dieser Bescheid ist angefochten und vor Gericht in einem anderen Verfahren noch anhängig.

19.       Die Finanzverwaltung war darüber hinaus der Ansicht, dass die von den deutschen Behörden ausgestellte Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer durch Adient DE missbräuchlich verwendet worden sei. Mit Bescheid vom 4. Juni 2020 wurde daher Adient DE von Amts wegen mit einer festen Niederlassung in Rumänien unter einer Adresse, die mit der Adresse der Niederlassung von Adient RO in Piteşti nahezu identisch war, steuerrechtlich registriert. Gegen diesen Bescheid legte Adient DE Einspruch ein. Die Finanzverwaltung wies mit Bescheid vom 28. August 2020 diesen als unbegründet zurück. Dagegen klagte Adient DE vor dem vorlegenden Gericht.

20.       Adient DE ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine feste Niederlassung in Rumänien nicht erfüllt seien. Adient RO nehme Kundenreklamationen entgegen, analysiere sie, beantworte sie und sorge für Korrekturmaßnahmen, verwalte und fülle Kundenberichte in der Datenbank aus, sorge für die Beschaffung von Daten und Informationen von Lieferanten, erstelle Kontrollpläne für die erhaltenen Produkte usw. Adient RO erfülle mit diesen Aktivitäten ihre Verpflichtungen als Verarbeiter. Die gemeinsame Nutzung des Buchhaltungssystems von Adient DE erfolge lediglich, da beide Gesellschaften Teil einer Unternehmensgruppe seien. Auch eine personelle Ausstattung stehe der Adient DE in Rumänien nicht zur Verfügung, da die Mitarbeiter bei Adient RO angestellt sind und ihre Einstellung und ihr Gehalt dort ausgehandelt werden. Ebenso entscheide Adient DE weder darüber, welche Geräte für die Verarbeitungstätigkeit verwendet würden, noch über die Zeiträume für die Wartung, den Austausch oder die Modernisierung dieser Geräte.

21.       Die Lieferung der Waren aus den Niederlassungen von Adient RO in Rumänien erfolge hingegen durch Adient DE, auch wenn Adient RO die Transportaufträge für Adient DE auslöse. Die Erteilung des Versandauftrags sei lediglich eine verwaltungstechnische Aufgabe zur Übermittlung von Informationen an den Spediteur, da der Verarbeiter aus objektiven Gründen die Ware zur Verladung bereithalten und natürlich mit dem Spediteur zusammenarbeiten müsse, um die Übergabe zum vereinbarten Zeitpunkt sicherzustellen. Die Mitarbeiter von Adient RO träfen jedoch keine Entscheidungen über den tatsächlichen Verkauf/Einkauf von Waren durch Adient DE. Sie führten auch keine Tätigkeiten aus, die mit der Lieferung von Fertigprodukten verbunden seien, und seien nicht berechtigt, Entscheidungen über Mengen, Preise oder beteiligte Parteien zu treffen.

22.       Die Finanzverwaltung geht hingegen davon aus, dass Adient DE über die personelle und technische Ausstattung verfüge, um regelmäßig steuerbare Umsätze in Rumänien auszuführen. Die Mitarbeiter der Qualitätsabteilung von Adient RO stellen durch ihre Aufgaben und Zuständigkeiten und die durchgeführten Tätigkeiten die Kommunikation mit Kunden und Lieferanten sicher und verträten die Adient DE gegenüber Dritten. Sie seien sowohl an der Organisation und Durchführung der jährlichen Inventur der der Adient DE gehörenden Waren und der Bewertung des Ergebnisses als auch an den von den Kunden von Adient DE gewünschten Audittätigkeiten beteiligt. Folglich handle es sich bei den rumänischen natürlichen Personen die für Adient RO arbeiten, faktisch um eine ständige personelle Ausstattung, über die Adient DE in Rumänien verfüge. Die Finanzverwaltung ist daher der Auffassung, dass Adient DE in Rumänien feste Niederlassungen (in Gestalt der beiden Niederlassungen von Adient RO in Pitești und Ploiești) hat.

23.       Das für die Klage der Adient DE zuständige Tribunalul Argeş (Regionalgericht Argeş, Rumänien) hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV acht Fragen vorgelegt:

1.         Sind Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 10 und 11 der MwSt-DVO dahin auszulegen, dass sie einer Praxis der nationalen Steuerverwaltung entgegenstehen, wonach eine eigenständige gebietsansässige juristische Person allein deshalb als feste Niederlassung einer gebietsfremden Einheit eingestuft wird, weil beide Unternehmen zur selben Unternehmensgruppe gehören?

2.         Sind Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 10 und 11 der MwSt-DVO dahin auszulegen, dass sie einer Praxis der nationalen Steuerverwaltung entgegenstehen, wonach das Vorliegen einer festen Niederlassung einer gebietsfremden Einheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausschließlich in Bezug auf die Dienstleistungen festgestellt wird, die die gebietsansässige juristische Person für die gebietsfremde Einheit erbringt?

3.         Sind Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 10 und 11 der MwSt-DVO dahin auszulegen, dass sie nationalen steuerrechtlichen Vorschriften und einer Praxis der nationalen Steuerverwaltung entgegenstehen, wonach das Vorliegen einer festen Niederlassung einer gebietsfremden Einheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Berücksichtigung dessen festgestellt wird, dass die betreffende feste Niederlassung nur Gegenstände liefert und keine Dienstleistungen erbringt?

4.         Sind Art. 192a Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 11 und 53 Abs. 2 der MwSt-DVO in dem Fall, dass eine gebietsfremde Person im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bei einer gebietsansässigen juristischen Person über eine personelle und technische Ausstattung verfügt, mit der sie die Erbringung notwendiger Dienstleistungen zur Verarbeitung der Gegenstände gewährleistet, die von der gebietsfremden Einrichtung zu liefern sind, dahin auszulegen, dass es sich bei den betreffenden, mittels der technischen und personellen Ausstattung der gebietsfremden juristischen Person erbrachten Verarbeitungsdienstleistungen handelt um (i) Dienstleistungen, die die gebietsfremde juristische Person von der gebietsansässigen Person mittels dieser personellen und technischen Ausstattung erhält, oder gegebenenfalls um (ii) Dienstleistungen, die die gebietsfremde juristische Person selbst mittels dieser personellen und technischen Ausstattung erbringt?

5.         Wie ist der Ort der Dienstleistung im Hinblick auf Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 10 und 11 der MwSt-DVO nach Maßgabe der Antwort auf Frage 4 zu bestimmen?

6.         Sind in Anbetracht von Art. 53 Abs. 2 der MwSt-DVO Tätigkeiten, die mit den Dienstleistungen der Verarbeitung der Gegenstände zusammenhängen, wie die Entgegennahme, die Inventarisierung, die Erteilung von Aufträgen an Lieferanten, die Bereitstellung von Lagerraum, die Verwaltung der Bestände im EDV-System, die Bearbeitung von Kundenaufträgen, die Angabe der Adresse auf Transportpapieren und Rechnungen, die Unterstützung von Qualitätsaudits usw. bei der Feststellung des Vorliegens einer festen Niederlassung außer Acht zu lassen, da es sich bei diesen Tätigkeiten um verwaltungstechnische Unterstützungstätigkeiten handelt, die für die Verarbeitung der Gegenstände zwingend erforderlich sind?

7.         Ist es in Anbetracht der Grundsätze über den Ort der Besteuerung am Ort des Verbrauchs bzw. der Bestimmung für die Feststellung des Ortes der Verarbeitungsdienstleistungen von Bedeutung, dass die aus der Verarbeitung hervorgegangenen Gegenstände vom Dienstleistungsempfänger überwiegend außerhalb Rumäniens verkauft werden (dort ihren Bestimmungsort haben) und dass die in Rumänien verkauften Gegenstände der Mehrwertsteuer unterliegen, mithin das Ergebnis der Verarbeitungsdienstleistungen nicht in Rumänien „verbraucht“ wird oder, wenn es in Rumänien „verbraucht“ wird, der Mehrwertsteuer unterliegt?

8.         Liegt, wenn die technische und personelle Ausstattung der festen Niederlassung, die die Dienstleistungen empfängt, praktisch dieselbe ist wie die des Dienstleistungserbringers, mit der die Dienstleistungen tatsächlich erbracht werden, noch eine Dienstleistung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie vor?

24.       Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben Adient DE, Rumänien und die Kommission schriftlich Stellung genommen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung abgesehen.

IV.    Rechtliche Würdigung

A.         Zu den Vorlagefragen, deren Zulässigkeit und dem Gang der Untersuchung

25.       Die acht Fragen des vorlegenden Gerichts können in drei Gruppen unterteilt werden. Mit der letzten Frage, die zuerst beantwortet wird, will das Gericht wissen, ob überhaupt ein steuerbarer Umsatz vorliegt, wenn die sachlichen und personellen Mittel der einen Konzerngesellschaft (Adient RO), die eine feste Niederlassung der anderen Konzerngesellschaft (Adient DE) darstellen sollen, sowohl die Leistung erbringen als auch empfangen (dazu unter B.).

26.       Mit den Fragen 1, 2, 3 und 7 fragt das Gericht im Kern danach, wie innerhalb eines Konzerns eine feste Niederlassung zu bestimmen ist, die als Empfänger einer Dienstleistung anzusehen ist, so dass sich der Ort der Dienstleistung nach dem Ort der festen Niederlassung und nicht nach dem Ort des Stammhauses (dem Sitz des Leistungsempfängers) richtet (dazu unter C.).

27.       Mit den Fragen 4, 5 und 6 fragt das Gericht nach der Anwendung von Art. 192a Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie, um zu erfahren, ob Adient DE als eine in Rumänien ansässige oder nicht ansässige Person zu betrachten ist. Dies setzt voraus, dass Adient DE dort über eine feste Niederlassung verfügt, was gegebenenfalls losgelöst von einer Konzernstruktur zu ermitteln ist (dazu unter D.).

28.       Rumänien bestreitet die Zulässigkeit der Vorlagefragen. Grundsätzlich hat aber allein das innerstaatliche Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, die Aufgabe, sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Der Gerichtshof ist daher im Prinzip gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen. Für solche Fragen gilt eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines innerstaatlichen Gerichts daher nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.(11)

29.       Unter Anwendung dieser Vermutung sind alle Fragen, mithin auch die siebte Frage, zulässig, selbst wenn – wie Rumänien in seinem Schriftsatz betont – das vorlegende Gericht dort nicht im Detail erläutert, wo die Umsätze mit den Lieferungen von Adient DE erzielt werden. Dies ist nicht nötig, denn es existieren bei den hier in Betracht kommenden Lieferungen eines Zulieferers nur zwei Möglichkeiten. Bei einer Lieferung an einen Unternehmer kann entweder eine grenzüberschreitende (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferung in Betracht kommen, deren (steuerpflichtiger) innergemeinschaftlicher Erwerb eine Besteuerung am Ort des Leistungsempfängers im Ausland (Ähnliches gilt bei einer Lieferung in einen Drittstaat, sofern dieser einen Einfuhrtatbestand kennt) bewirkt. Oder es liegt eine „normale“ inländische Lieferung vor, die in Rumänien besteuert wird. Folglich kann auch der siebten Frage ihre vermutete Relevanz nicht abgesprochen werden.

B.         Steuerbare Dienstleistung eines Steuerpflichtigen (achte Frage)

30.       Mit der achten Frage will das Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein steuerbarer Umsatz vorliegt, wenn die sachlichen und personellen Mittel der einen Konzerngesellschaft (Adient RO), die eine feste Niederlassung der anderen Konzerngesellschaft (Adient DE) darstellen sollen, sowohl die Leistung erbringen als auch empfangen.

31.       Hintergrund dieser Frage ist die Tatsache, dass die Mehrwertsteuer eine allgemeine Verbrauchsteuer ist, die den Aufwand des Empfängers eines Verbrauchsgutes besteuert,(12) den dieser trägt und als Gegenleistung an den Steuerpflichtigen zahlt. Folglich setzt ein steuerbarer Umsatz im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Mehrwertsteuerrichtlinie immer zwei Personen voraus, wovon mindestens einer, nämlich der Leistende, ein Steuerpflichtiger sein muss.

32.       Die grundsätzliche Notwendigkeit von zwei Personen – die auch Adient DE ausdrücklich in ihrem Schriftsatz betont – zeigt sich auch im Wege eines Umkehrschlusses aus den Art. 16 und 26 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Diese fingieren eine Lieferung oder Dienstleistung, wenn der Steuerpflichtige einen Gegenstand selbst entnimmt oder verwendet, mithin der „Leistende“ und der „Leistungsempfänger“ in einer Person zusammenfallen.

33.       Gleiches bestätigt Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Dieser ermöglicht es den Mitgliedstaaten, unter bestimmten Voraussetzungen zwei (oder mehrere) Personen zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, um das Vorliegen eines Umsatzes zwischen diesen Personen im Innenverhältnis zu vermeiden. Dies dient der Gewährung einer gewissen „Organisationsneutralität“. Es soll mehrwertsteuerrechtlich keinen Unterschied machen müssen, ob ein Unternehmen (z. B. ein Krankenhaus) alle Leistungen (z. B. auch die Reinigung des Krankenhauses) selbst ausführt oder eine Gesellschaft gründet und mittels dieser beherrschten Gesellschaft dieselben Leistungen (d. h. die Reinigung des Krankenhauses) erbringt.(13) Auch hier folgt im Umkehrschluss, dass außerhalb von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie zwei Personen nötig sind, um einen steuerbaren Umsatz annehmen zu können.

34.       Die achte Frage spiegelt womöglich die Tatsache wider, dass einige Mitgliedstaaten(14) versuchen, den Ort der Dienstleistungen einer Tochter- bzw. Konzerngesellschaft an eine im Ausland ansässige Mutter- bzw. andere Konzerngesellschaft in das Inland zu verlegen, weil die leistende Tochter- bzw. die andere Konzerngesellschaft zugleich die feste Niederlassung des ausländischen Leistungsempfängers sei. Diese Qualifizierung und die Annahme eines steuerbaren und dann steuerpflichtigen Umsatzes schließen sich aber aus.

35.       Wenn die betreffenden Dienstleistungen von Adient RO tatsächlich mittels einer Niederlassung in Rumänien ausgeführt werden und diese Niederlassung insofern zugleich eine feste Niederlassung von Adient DE ist, dann ist der Leistende (d. h. derjenige, der die Dienstleistungen ausführt) ebenfalls die Adient DE. Eine feste Niederlassung (von Adient DE) würde in einem solchen Fall eine Dienstleistung an eine feste Niederlassung (von Adient DE) „erbringen“. Feste Niederlassungen sind aber nur unselbständige Teile ein und desselben Steuerpflichtigen, wie der Gerichtshof schon klargestellt hat.(15) Mithin würden „Leistender“ und „Leistungsempfänger“ in diesem Fall identisch sein, so dass es bereits an einem steuerbaren Umsatz fehlt. Es läge ein nichtsteuerbarer Innenumsatz innerhalb eines Unternehmens vor, ohne dass der Mitgliedstaat von der Möglichkeit von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie Gebrauch gemacht haben muss.

36.       Ein solcher Innenumsatz wäre nicht steuerbar, weil keine Versorgung einer anderen Person mit einem Verbrauchsgut stattfindet. Folglich stellt sich die Frage nach dem Leistungsort, der Steuerpflicht und der Steuerschuld nicht mehr. Dies meint offenbar auch der Gerichtshof, wenn er unlängst zweimal klargestellt hat, dass dieselbe Ausstattung nicht gleichzeitig für die Erbringung und für den Empfang derselben Dienstleistungen verwendet werden kann.(16)

37.       Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass selbst bei der Annahme einer festen Niederlassung von Adient DE im vorliegenden Fall keine rumänische Mehrwertsteuer aufgrund der von dieser festen Niederlassung erbrachten Dienstleistungen entsteht, da es an einem steuerbaren Umsatz fehlt. Leistender und Leistungsempfänger wäre ein und dieselbe Person. Für eine mögliche Verpflichtung zur Registrierung von Adient DE in Rumänien sind die folgenden Fragen jedoch noch von Bedeutung.

C.        Konzerngesellschaft als feste Niederlassung einer anderen Konzerngesellschaft?

38.       Mit den Fragen 1, 2, 3 und 7 fragt das Gericht im Kern danach, wie innerhalb eines Konzerns eine feste Niederlassung zu bestimmen ist, die als Empfänger einer Dienstleistung anzusehen ist, so dass sich der Ort der Dienstleistung nach dem Ort der festen Niederlassung und nicht nach dem Ort des Stammhauses (dem Sitz des Leistungsempfängers) richtet.

1.         Irrelevanz gesellschaftsrechtlicher Verbindungen

39.       Die erste Frage zielt darauf ab, ob es für die Annahme einer festen Niederlassung ausreicht, auf die gesellschaftsrechtlichen Verbindungen abzustellen (hier die Zugehörigkeit zur selben Unternehmensgruppe). Dies ist eindeutig zu verneinen.

40.       Bereits aus dem Wortlaut der Mehrwertsteuerrichtlinie folgt, dass eine abhängige, aber juristisch selbständige Gesellschaft nicht zugleich als feste Niederlassung einer anderen Konzerngesellschaft betrachtet werden kann. Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie spricht nämlich von einem Steuerpflichtigen, der einen Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit an einem Ort und eine feste Niederlassung an einem anderen Ort hat. Zwei Konzerngesellschaften – so wie hier – sind aber nicht ein Steuerpflichtiger, sondern zwei Steuerpflichtige.

41.       Nur der bereits oben (Nr. 33) angesprochene Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten, unter gewissen Umständen mehrere Steuerpflichtige, die eng miteinander verbunden sind, als „einen Steuerpflichtigen [zu] behandeln“ (sogenannte Mehrwertsteuergruppe). Allerdings ist diese Möglichkeit auf das Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaats („in seinem Gebiet ansässige Personen“) beschränkt. Da Adient DE ihren Sitz unstreitig in Deutschland hat, scheidet eine Mehrwertsteuergruppe mit einer Konzerngesellschaft in Rumänien von vornherein aus. Es bleiben zwei Steuerpflichtige, auch wenn sie – wie es Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie formuliert – „eng miteinander verbunden“ wären.

42.       Auch die weiteren materiellen Kriterien von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie, die in Art. 11 Abs. 1 MwSt-DVO näher konkretisiert werden, lassen nicht den Schluss zu, dass die gesellschaftsrechtliche Verbindung mit einem anderen Steuerpflichtigen das Vorliegen einer festen Niederlassung erleichtern würde. Art. 11 Abs. 1 MwSt-DVO erwähnt im Gegenteil Kriterien wie die hinreichende Beständigkeit der Niederlassung und eine Struktur, die es dieser erlaubt, Dienstleistungen zu empfangen und zu verwenden. Keines dieser Kriterien ist gesellschaftsrechtlicher Natur. Für die Annahme, dass die Infrastruktur eines anderen Steuerpflichtigen (hier dessen festen Niederlassungen) auch eine feste Niederlassung eines davon zu unterscheidenden Steuerpflichtigen begründen könnte, lassen sich aus Art. 11 Abs. 1 MwSt-DVO keine Anhaltspunkte entnehmen.

43.       Daher kann aus dem bloßen Umstand, dass eine Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat und eine Gesellschaft im Inland zur selben Unternehmensgruppe gehören, nicht auf eine feste Niederlassung im Sinne von Art. 44 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Inland geschlossen werden. Für eine feste Niederlassung sind andere Kriterien nötig.

44.       Daran ändert auch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache DFDS nichts. Zwar könnte diese so interpretiert werden, dass es möglich sei, dass eine Tochtergesellschaft als bloße Hilfsperson der Muttergesellschaft als solche eine feste Niederlassung der Muttergesellschaft begründen könne.(17) Allerdings betraf diese Entscheidung den speziellen Bereich der Reiseveranstalter, die ohnehin einem mehrwertsteuerrechtlichen Sonderregime unterfallen (nunmehr Art. 306 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie). Schon deshalb ist diese Entscheidung nicht ohne Weiteres auf andere Konstellationen übertragbar. Außerdem war die Entscheidung DFDS von der Frage geprägt, wer bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Reiseleistungen erbracht (und nicht empfangen) hat. Schließlich hatte sich der Gerichtshof selbst bereits von der Entscheidung DFDS distanziert und klargestellt, dass auch eine 100%ige Tochtergesellschaft eine selbständige steuerpflichtige juristische Person darstellt.(18)

45.       Unglücklicherweise meinte der Gerichtshof jedoch in der Rechtssache Dong Yang(19) – darauf beruft sich Rumänien explizit –, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Muttergesellschaft … für die Zwecke der Ausübung einer solchen Tätigkeit gehaltene Tochtergesellschaft eine feste Niederlassung dieser Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat der Union im Sinne von Art. 44 … darstellt“. Diese Aussage ist jedoch zumindest missverständlich und der nötigen Rechtssicherheit bei der Bestimmung des Orts der Leistung abträglich. Zudem ist sie auf bloße Konzerngesellschaften ohnehin nicht übertragbar.

46.       Wohl aus diesem Grund hat der Gerichtshof in den letzten beiden einschlägigen Entscheidungen explizit ausgeführt, dass die Einstufung als „feste Niederlassung“, die anhand der wirtschaftlichen und geschäftlichen Gegebenheiten zu beurteilen ist, nicht allein von der Rechtsform der betreffenden Einrichtung abhängen darf und dass der Umstand, dass eine Gesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat besitzt, für sich genommen nicht bedeutet, dass sie dort auch eine feste Niederlassung hat.(20) Letztere Aussage findet sich auch in einem Fall, der lediglich eine Konzerngesellschaft betraf,(21) so dass die Aussage wohl auch auf Konzerngesellschaften erstreckt werden kann.

47.       Zudem hat der Gerichtshof in der Rechtssache Welmory(22) ausgeführt, dass der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit als Anknüpfungspunkt ein objektives, einfaches und praktisches Kriterium ist, das eine große Rechtssicherheit bietet, da es sich leichter überprüfen lässt als beispielsweise das Bestehen einer festen Niederlassung. Bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Welmory(23) habe ich auf die überragende Bedeutung der Rechtssicherheit für den Dienstleistungserbringer bei der Ermittlung seiner steuerlichen Pflichten hingewiesen. Ich habe daraus abgeleitet, dass eine rechtlich eigenständige juristische Person nicht zugleich die feste Niederlassung einer anderen juristischen Person sein kann.

48.       Kombiniert man den Aspekt der Rechtssicherheit mit der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs (Nr. 46), dann kann die gesellschaftsrechtliche Verbindung zu einer anderen selbständigen Person keine feste Niederlassung begründen. Eine selbständige Gesellschaft kann daher nicht zugleich als feste Niederlassung einer anderen selbständigen Gesellschaft betrachtet werden, auch wenn sie zum selben Konzern gehört (Antwort auf Frage 1).

2.         Andere Kriterien für eine durch eine Konzerngesellschaft vermittelte feste Niederlassung?

49.       Dies schließt aber nicht aus, dass eine Gesellschaft B einer anderen Gesellschaft A sachliche und personelle Ressourcen derart zur Verfügung stellt, dass damit eine feste Niederlassung der Gesellschaft A begründet wird. Dann bilden diese Ressourcen die feste Niederlassung der Gesellschaft A und können folglich der Gesellschaft B nicht mehr zugerechnet werden. Maßgeblich ist insoweit aber, ob diese überlassenen Ressourcen eine hinreichende Qualität und Quantität aufweisen, und nicht, ob die Gesellschaften A und B Teile einer Unternehmensgruppe sind.

50.       Ein Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen zwischen zwei Konzerngesellschaften ist jedoch kein Vertrag über die Zurverfügungstellung von Ressourcen. Denn die Pflichten aus diesem Vertrag erfüllt der Dienstleistungserbringer in seinem eigenen Namen und wirtschaftlichen Interesse als selbständiger Vertragspartner und nicht als unselbständiger Teil der anderen Vertragspartei. Insofern hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass bei einer juristischen Person, auch wenn sie nur einen einzigen Kunden hat, davon auszugehen ist, dass sie die ihr zur Verfügung stehende technische und personelle Ausstattung für ihren eigenen Bedarf einsetzt.(24)

51.       Daher kann ein Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Dienstleistungserbringer einen steuerbaren Umsatz an eine feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers erbringt (Antwort auf Frage 2).

3.         Irrelevanz, ob der Leistungsempfänger Dienstleistungen erbringt oder „nur“ Lieferungen ausführt und wo die Waren letztendlich verbraucht werden

52.       Die Frage 3 indiziert, dass es für die Feststellung einer festen Niederlassung entscheidend sein könne, ob der konzernzugehörige Dienstleistungsempfänger (Adient DE) anschließend Dienstleistungen erbringt oder „nur“ Gegenstände liefert. Für eine solche Unterscheidung ist jedoch kein Grund ersichtlich. Die Frage, ob der Leistungsort der Dienstleistungen von Adient RO in Rumänien oder in Deutschland liegt, ist völlig unabhängig von der Art der Ausgangsumsätze (Lieferung oder Dienstleistung) von Adient DE (Antwort auf Frage 3).

53.       Frage 7 zielt auf die Bedeutung des Ortes des konkreten Verbrauchs der in Rumänien hergestellten Waren für die Annahme einer festen Niederlassung. Im Mehrwertsteuerrecht ist es aber ohne Bedeutung, wo letztendlich die Ware „verbraucht“ wird. Denn die Mehrwertsteuer besteuert nicht den tatsächlichen Verbrauch, sondern den (finanziellen) Aufwand für ein Verbrauchsgut. Letztendlich entscheidet in einer Umsatzkette mit mehreren vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen (so wie hier) allein der Leistungsort des letzten Umsatzes – diesen bestimmt der Richtliniengeber nach unterschiedlichen Kriterien – über die Zuweisung des Mehrwertsteueraufkommens zu einem Mitgliedstaat.

54.       Mit anderen Worten: Ob im Rahmen einer Leistungskette das Ergebnis der einzelnen Verarbeitungsdienstleistungen (z. B. Erfindung in Deutschland; Herstellung in Rumänien, Veredelung in Frankreich, Verkauf in Luxemburg) auch im jeweiligen Mitgliedstaat „verbraucht“ wird, ist für die Bestimmung des Ortes der Besteuerung irrelevant (Antwort auf Frage 7).

4.         Ausnahme wegen des Verbots missbräuchlicher Praktiken?

55.       Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die gewählten vertraglichen Beziehungen (hier die zwischen Adient DE und Adient RO) eine missbräuchliche Praxis darstellen würden.(25)

56.       Im vorliegenden Fall liegt aber offensichtlich keine missbräuchliche Praxis von Adient DE aufgrund eines Lohnveredelungsauftrags mit mehreren Zusatzkomponenten vor. Der komplexe Dienstleistungsvertrag wurde nicht nur auf dem Papier geschlossen, sondern offenbar entsprechend durchgeführt. Auch unter Betrachtung der wirtschaftlichen Realität (sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise), die ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems(26) darstellt, kann hier nichts Gegenteiliges angenommen werden. Selbst wenn Adient RO in den Verkauf der Waren an weitere Unternehmen eingeschaltet war, blieb Adient DE die Vertragspartnerin dieser Unternehmen. Sie blieb Eigentümerin der Rohstoffe und der daraus hergestellten Waren und lieferte diese an ihre Kunden. Auch die gemeinsame Nutzung des gruppeninternen Buchhaltungssystems ändert an dieser Beurteilung nichts.

57.       Ich sehe auch – anders als in der Konstellation, die der Entscheidung DFDS(27) zugrunde lag – kein Steuersparmodell in dieser vertraglichen Abrede. Selbst wenn der Leistungsort in Rumänien gewesen wäre und Adient RO einen steuerbaren Umsatz an Adient DE in Rumänien ausgeführt hätte, wäre die rumänische Mehrwertsteuer (wie die deutsche Umsatzsteuer) im Wege des Vorsteuerabzugs (oder im Wege der Vorsteuervergütung) zu neutralisieren gewesen. Eine künstliche Steuergestaltung ist hier daher ebenso wenig erkennbar.

58.       Insofern geht auch der Vorwurf einer missbräuchlichen Verwendung der Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer durch die rumänische Finanzverwaltung ins Leere. Die Verwendung der deutschen Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer dient lediglich dem Nachweis des Sitzes in Deutschland.(28) Da dieser dort besteht und die bislang erteilte Mehrwertsteuernummer aus Rumänien weder eine feste Niederlassung begründet noch nachweist, kommt eine missbräuchliche Verwendung der deutschen Mehrwertsteueridentifikationsnummer nicht in Betracht.

5.         Zwischenergebnis

59.       Eine selbständige Gesellschaft kann grundsätzlich nicht zugleich eine feste Niederlassung einer anderen selbständigen Gesellschaft darstellen. Auch ein komplexer Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen kann per se nicht dazu führen, dass der Dienstleistungserbringer einen steuerbaren Umsatz an eine dadurch entstehende feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers erbringt. Der Leistungsort dieser Dienstleistungen ist dabei ebenso unabhängig von der Art der Ausgangsumsätze (Lieferung oder Dienstleistung) des Leistungsempfängers wie von dem Ort des „Verbrauchs“ der einzelnen Verarbeitungsdienstleistungen.

D.        Zur Ansässigkeit eines Steuerpflichtigen

60.       Mit den Fragen 4, 5 und 6 möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, wann ein Steuerpflichtiger, der im Inland über eine feste Niederlassung verfügt, dennoch als nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig zu betrachten ist. Art. 192a der Mehrwertsteuerrichtlinie schließt dies nämlich aus, wenn der Steuerpflichtige zwar Umsätze in diesem Mitgliedstaat erbringt (d. h. der Leistungsort in Rumänien liegt), aber seine feste Niederlassung in Rumänien nicht an der Lieferung beteiligt war. Der Hintergrund dieser Regelung ist primär in der Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger zu sehen, die bei Dienstleistungen von im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen (vgl. z. B. Art. 196 der Mehrwertsteuerrichtlinie) eingreift. Art. 192a der Mehrwertsteuerrichtlinie stellt klar, dass allein die Existenz einer festen Niederlassung nicht ausreichend ist, um von einem im Inland ansässigen Steuerpflichtigen zu sprechen. Vielmehr muss diese feste Niederlassung an den Umsätzen im Inland auch beteiligt sein.

61.       Diese Fragen setzen allerdings voraus, dass Adient DE in Rumänien überhaupt über eine feste Niederlassung verfügt. Wie oben ausgeführt (Nrn. 39 ff.), kann dies weder aus dem Vorliegen eines Dienstleistungsvertrages zur Verarbeitung von Gegenständen noch daraus hergeleitet werden, dass Adient RO eine Gesellschaft desselben Konzerns ist. Der Gerichtshof kann aber weitere Hinweise zu den Voraussetzungen geben, um eine feste Niederlassung von Adient DE in Rumänien annehmen zu können. Dafür sind die allgemeinen Kriterien zur Bestimmung des Leistungsortes, losgelöst von gesellschaftsrechtlichen Verbindungen (d. h. unabhängig von einer Konzernzugehörigkeit), maßgeblich.

62.       Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der zweckdienlichste und damit der vorrangige Anknüpfungspunkt(29) für die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung aus steuerrechtlicher Sicht der Ort, an dem der Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Die Berücksichtigung einer anderen Niederlassung ist nur dann von Interesse, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat.(30)

63.       Der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit als Anknüpfungspunkt erscheint – so der Gerichtshof ausdrücklich – als ein objektives, einfaches und praktisches Kriterium, das eine große Rechtssicherheit bietet, da es sich leichter überprüfen lässt als beispielsweise das Bestehen einer festen Niederlassung. Außerdem ermöglicht es die Vermutung, dass Dienstleistungen an dem Ort erbracht werden, an dem der steuerpflichtige Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, sowohl den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten als auch den Dienstleistungserbringern, komplizierte Nachforschungen zur Bestimmung des steuerlichen Anknüpfungspunkts zu vermeiden.(31)

64.       Überdies – so der Gerichtshof – wird der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit im ersten Satz von Art. 44 der Mehrwertsteuerrichtlinie erwähnt, während die feste Niederlassung erst im nächsten Satz Erwähnung findet. Dieser Satz, der das Adverb „jedoch“ enthält, kann nur so aufgefasst werden, dass er eine Ausnahme von der im vorangegangenen Satz aufgestellten allgemeinen Regel vorsieht.(32)

65.       Bekanntlich sollen Ausnahmen im Unionsrecht eng ausgelegt werden.(33) Die Begriffe sollen aber zugleich nicht so eng ausgelegt werden, dass sie der Ausnahme die Wirkung nehmen.(34) Bei näherer Betrachtung fordert der Gerichtshof damit im Ergebnis eine teleologische Auslegung von Ausnahmen.

66.       Insofern muss nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs eine feste Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweisen, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort für autonome Umsätze zu verwenden.(35) Diese Auslegung wird durch Art. 11 MwSt-DVO – der als Durchführungsverordnung die Mehrwertsteuerrichtlinie nur präzisieren, aber nicht verändern kann(36) – zutreffend (mithin deklaratorisch) wiederholt.

67.       Ob eine feste Niederlassung dabei immer zugleich über eine personelle und technische Ausstattung verfügen muss,(37) ist eher nachrangig. Denn es geht bei der Bestimmung einer festen Niederlassung im Mehrwertsteuerrecht allein darum, auf einen genauso sicher bestimmbaren Anknüpfungspunkt für den Leistungsort abzustellen, wie ihn der Sitz des Steuerpflichtigen (mithin das Stammhaus) vermittelt, wenn und weil die Anknüpfung an den Sitz ausnahmsweise(38) nicht zu einer steuerrechtlich sinnvollen Lösung führt.(39)

68.       Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die feste Niederlassung im konkreten Fall an die Stelle des Stammhauses tritt und dessen Funktion (in einem anderen Mitgliedstaat) in einer vergleichbaren Art und Weise übernimmt.(40) Dann führt die alleinige Anknüpfung an den Sitz (d. h. das Stammhaus) nicht mehr zu einer steuerrechtlich sinnvollen Lösung. Voraussetzung ist, dass die feste Niederlassung vergleichbare Leistungen ausführt wie das Stammhaus, wenn sie mithin das Stammhaus substituiert. Benötigt das Stammhaus für vergleichbare Leistungen z. B. kein Personal mehr (weil alle Leistungen automatisiert ausgeführt werden), dann benötigt auch die feste Niederlassung kein eigenes Personal(41) und es ist ausreichend, dass die entsprechende technische Ausstattung vor Ort bereitgehalten wird.

69.       Daher ist es hier nicht entscheidend, ob sich der Dienstleistungsvertrag auf unterstützende Hilfsleistungen bezieht oder nicht. Unterstützende Hilfsleistungen in den Räumen des Leistenden mit Personal des Leistenden begründen keine feste Niederlassung des Leistungsempfängers. Entscheidend ist vielmehr, ob der betreffende Vertrag es dem Leistungsempfänger ermöglicht, insoweit eine feste Niederlassung vor Ort zu etablieren und vergleichbare Leistungen wie von einem Stammhaus aus vor Ort zu erbringen. In diese Richtung scheint mir auch die Argumentation der Kommission in ihrem Schriftsatz zu gehen.

70.       Wenn eine feste Niederlassung im Sinne des Mehrwertsteuerrechts aber immer erst dann vorliegt, wenn dadurch das Stammhaus in einem anderen Mitgliedstaat in einem gewissen Grad substituiert wird, dann muss der Vertrag auch dies zum Gegenstand haben. Mit anderen Worten: Der Vertrag muss auf die Überlassung des dafür notwendigen Personals und/oder auf die Überlassung der dafür nötigen Sachmittel gerichtet sein,(42) damit der Leistungsempfänger ähnliche Umsätze vor Ort (d. h. am Ort der festen Niederlassung) wie (in der Regel zuvor) an seinem Sitz – d. h. unter Nutzung der Ressourcen in eigenem Namen und auf eigenes Risiko – erbringen kann.

71.       Dies ist aber ein anderer Leistungsgegenstand als bei einem bloßen Dienstleistungsvertrag. Der Vertrag hier bezieht sich – soweit dies beurteilt werden kann – auf mehrere Dienstleistungen von Adient RO in eigenem Namen und auf eigenes Risiko an Produkten der im Ausland ansässigen Adient DE, die anschließend damit eigene Umsätze ausführt. Adient DE und Adient RO agieren mithin selbständig in ihren jeweiligen Bereichen, ohne dass durch diese vertraglichen Bestimmungen das Stammhaus von Adient DE, welches über die Fertigung und den Verkauf der Waren vor Ort entscheidet, substituiert werden würde.

V.         Ergebnis

72.       Somit schlage ich vor, wie folgt auf die Vorlagefragen des Tribunalul Argeş (Regionalgericht Argeş, Rumänien) zu antworten:

1.         Da dieselbe Ausstattung nicht gleichzeitig für die Erbringung und für den Empfang derselben Dienstleistungen verwendet werden kann, würde selbst bei Annahme einer festen Niederlassung hier kein steuerbarer Umsatz nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vorliegen.

2.         Eine eigenständige Konzerngesellschaft (in einem anderen Mitgliedstaat) ist nicht allein aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Verflechtung die feste Niederlassung im Sinne von Art. 44 Satz 2 der Richtlinie 2006/112 einer anderen Konzerngesellschaft. Auch ein komplexer Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen kann grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Dienstleistungserbringer einen steuerbaren Umsatz an eine dadurch entstehende feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers erbringt. Der Leistungsort dieser Dienstleistungen ist dabei ebenso unabhängig von der Art der Ausgangsumsätze (Lieferung oder Dienstleistung) des Leistungsempfängers wie von dem Ort des „Verbrauchs“ der konkreten Verarbeitungsdienstleistungen.

3.         Eine feste Niederlassung im Sinne von Art. 44 Satz 2 der Richtlinie 2006/112 liegt erst vor, wenn diese das in einem anderen Mitgliedstaat belegene Stammhaus ersetzt. Mithin kann ein Vertrag mit einem Dienstleistungserbringer nur dann eine feste Niederlassung begründen, wenn er sich nicht allein auf die Erbringung von Dienstleistungen an Gegenständen des Leistungsempfängers bezieht. Vielmehr muss er auf die Überlassung des notwendigen Personals und/oder auf die Überlassung der nötigen Sachmittel gerichtet sein, damit der Leistungsempfänger ähnliche Dienstleistungen oder Lieferungen vor Ort (d. h. am Ort der festen Niederlassung) wie von einem Stammhaus aus erbringen kann.


1          Originalsprache: Deutsch.


2             Die anderen vier sind: Urteile vom 7. Mai 2020, Dong Yang Electronics (C‑547/18, EU:C:2020:350), vom 3. Juni 2021, Titanium (C‑931/19, EU:C:2021:446), vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291), und vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530).


3             Die beiden anderen waren: Urteile vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291), und vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530).


4             Urteil vom 7. Mai 2020, Dong Yang Electronics (C‑547/18, EU:C:2020:350).


5             Urteile vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298), vom 7. Mai 1998, Lease Plan (C‑390/96, EU:C:1998:206), vom 17. Juli 1997, ARO Lease (C‑190/95, EU:C:1997:374), vom 20. Februar 1997, DFDS (C‑260/95, EU:C:1997:77), vom 2. Mai 1996, Faaborg-Gelting Linien (C‑231/94, EU:C:1996:184), und vom 4. Juli 1985, Berkholz (168/84, EU:C:1985:299). Hinzu kommen noch zwei Urteile, die zur Achten Mehrwertsteuerrichtlinie ergangen sind: Urteile vom 25. Oktober 2012, Daimler (C‑318/11 und C‑319/11, EU:C:2012:666), und vom 28. Juni 2007, Planzer Luxembourg (C‑73/06, EU:C:2007:397).


6             Urteil vom 20. Februar 1997, DFDS (C‑260/95, EU:C:1997:77, Rn. 26 ff.).


7             Urteil vom 7. Mai 2020, Dong Yang Electronics (C‑547/18, EU:C:2020:350, Rn. 30.


8             Zuvor bereits: Urteil vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291).


9             Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der für die Streitjahre (2016 bis 2018) geltenden Fassung.


10           Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2011, L 77, S. 1).


11           Urteile vom 6. Oktober 2021, Sumal (C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 27 und 28), und vom 9. Juli 2020, Santen (C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


12           Vgl.: Urteile vom 3. Mai 2012, Lebara (C‑520/10, EU:C:2012:264, Rn. 23 – „eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer“), vom 11. Oktober 2007, KÖGÁZ u. a. (C‑283/06 und C‑312/06, EU:C:2007:598, Rn. 37 – „Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält“), und vom 18. Dezember 1997, Landboden-Agrardienste (C‑384/95, EU:C:1997:627, Rn. 20 und 23 – „Entscheidend ist allein die Natur der eingegangenen Verpflichtung: Damit eine solche Verpflichtung unter das gemeinsame Mehrwertsteuersystem fällt, muss sie einen Verbrauch implizieren“).


13           Neben der damit verbundenen Verwaltungsvereinfachung (keine meldepflichtigen Innenumsätze) erlangt dies eine materielle Bedeutung nur für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmen (wie z. B. Krankenhäuser). Diese werden, wenn sie entweder alle Leistungen allein oder mittels eines beherrschten Unternehmens ausführen, nicht mit einer zusätzlichen Mehrwertsteuer durch den sogenannten Innenumsatz belastet. In beiden Fällen fällt – wenn die Mitgliedstaaten von Art. 11 Gebrauch gemacht haben – keine zusätzliche Mehrwertsteuerbelastung z. B. für das Krankenhaus an, so dass die steuerfreien Leistungen an die Patienten nicht – auch nicht mittelbar – mit dieser Mehrwertsteuer belastet werden.


14           So Belgien – vgl. Urteil vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530) – oder Rumänien – vgl. Urteil vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291).


15           Deutlich: Urteil vom 23. März 2006, FCE Bank (C‑210/04, EU:C:2006:196, Rn. 41 – eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, ist kein von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedenes Rechtssubjekt).


16           Urteile vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530, Rn. 41), und vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 54).


17           Urteil vom 20. Februar 1997, DFDS (C‑260/95, EU:C:1997:77, Rn. 26).


18           Urteil vom 25. Oktober 2012, Daimler (C‑318/11 und C‑319/11, EU:C:2012:666, Rn. 48).


19           Urteil vom 7. Mai 2020, Dong Yang Electronics (C‑547/18, EU:C:2020:350, Rn. 30.


20           Urteile vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530, Rn. 36), und vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 40).


21           Urteil vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530).


22           Urteil vom 16. Oktober 2014 (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 55).


23           C‑605/12, EU:C:2014:340, Nrn. 29, 30 und 36.


24           Urteile vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530, Rn. 37), und vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 48).


25           In diesem Sinne Urteil vom 22. November 2017, Cussens u. a. (C‑251/16, EU:C:2017:881, Rn. 31), unter Zitierung des Urteils vom 15. Oktober 2009, Audiolux u. a. (C‑101/08, EU:C:2009:626, Rn. 50).


26           So ausdrücklich Urteile vom 20. Januar 2022, Apcoa Parking Danmark (C‑90/20, EU:C:2022:37, Rn. 38), vom 22. Februar 2018, T – 2 (C‑396/16, EU:C:2018:109, Rn. 43), und vom 28. Juni 2007, Planzer Luxembourg (C‑73/06, EU:C:2007:397, Rn. 43).


27           Urteil vom 20. Februar 1997, DFDS (C‑260/95, EU:C:1997:77).


28           Vgl. insoweit Art. 20 Abs. 3 MwSt-DVO zum Ort des Dienstleistungsempfängers: „Die Information kann auch eine von dem Mitgliedstaat, in dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist, zugeteilten Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer beinhalten.“


29           Noch zur alten Rechtslage: Urteile vom 20. Februar 1997, DFDS (C‑260/95, EU:C:1997:77, Rn. 19), vom 2. Mai 1996, Faaborg-Gelting Linien (C‑231/94, EU:C:1996:184, Rn. 16), und vom 4. Juli 1985, Berkholz (168/84, EU:C:1985:299, Rn. 17).


30           Urteile vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 53), vom 2. Mai 1996, Faaborg-Gelting Linien (C‑231/94, EU:C:1996:184, Rn. 16), und vom 4. Juli 1985, Berkholz (168/84, EU:C:1985:299, Rn. 17).


31           Urteil vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 55).


32           Urteil vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 56). In diesem Sinne auch Urteile vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530, Rn. 29), und vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 29).


33           Vgl. nur Urteile vom 5. September 2019, Regards Photographiques (C‑145/18, EU:C:2019:668, Rn. 43), vom 9. November 2017, AZ (C‑499/16, EU:C:2017:846, Rn. 24), und vom 6. Mai 2010, Kommission/Frankreich (C‑94/09, EU:C:2010:253, Rn. 29).


34           Urteil vom 5. September 2019, Regards Photographiques (C‑145/18, EU:C:2019:668, Rn. 32). Ähnlich: Urteile vom 29. November 2018, Mensing (C‑264/17, EU:C:2018:968, Rn. 22 und 23, zu Sonderregimen), und vom 21. März 2013, PFC Clinic (C‑91/12, EU:C:2013:198, Rn. 23, zu Befreiungstatbeständen).


35           Vgl. in diesem Sinne: Urteile vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 58), und vom 28. Juni 2007, Planzer Luxembourg (C‑73/06, EU:C:2007:397, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).


36           Urteil vom 28. Februar 2023, Fenix International (C‑695/20, EU:C:2023:127, Rn. 51 a. E. – die Vorschrift der Richtlinie „in keiner Weise ergänzt oder ändert“).


37           So Urteile vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530, Rn. 35), und vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 41).


38           Ausdrücklich: Urteil vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 56).


39           Urteile vom 16. Oktober 2014, Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 53), vom 17. Juli 1997, ARO Lease (C‑190/95, EU:C:1997:374, Rn. 15), und vom 4. Juli 1985, Berkholz (168/84, EU:C:1985:299, Rn. 17).


40           Bereits das Urteil vom 17. Juli 1997, ARO Lease (C‑190/95, EU:C:1997:374, Rn. 18 und 19), ging in diese Richtung, wenn es darauf abgestellt hat, was die eigentliche Tätigkeit des Unternehmens (mithin des Stammhauses) ist. Dieser Ansatz wurde bestätigt durch Urteil vom 7. Mai 1998, Lease Plan (C‑390/96, EU:C:1998:206, Rn. 25 und 26).


41           Andere Ansicht – aber ohne nähere Begründung – möglicherweise Urteil vom 3. Juni 2021, Titanium (C‑931/19, EU:C:2021:446, Rn. 42).


42           In diesem Sinne auch: Urteile vom 29. Juni 2023, Cabot Plastics Belgium (C‑232/22, EU:C:2023:530, Rn. 37 a. E.), und vom 7. April 2022, Berlin Chemie A. Menarini (C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 41 a. E. und Rn. 48).

 

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