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Steuerrecht
03.11.2016
Steuerrecht
EuGH: Mutter-Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten– KSt-Befreiung (Schlussantrag)

GA CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA, Schlussanträge vom 26.10.2016 – C-448/15, Belgischer Staat gegen Wereldhave Belgium u. a.

ECLI:EU:C:2016:808

Schlussanträge

Die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist auf einen Rechtsstreit über den in Belgien auf die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden vorgenommenen Quellenabzug nicht anwendbar, wenn die Muttergesellschaft ein niederländischer Anlageorganismus ist, der im Rahmen der Körperschaftsteuer den Nullsatz in Anspruch nimmt.

Aus den Gründen

1. Der Gerichtshof sieht sich erneut vor eine Situation gestellt, in der die von einer (im vorliegenden Fall belgischen) Tochtergesellschaft an ihre (niederländische) Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden einem Mobiliensteuervorabzug an der Quelle unterliegen, der von den Steuerbehörden des Königreichs Belgien erhoben wird.

2. Der erste Zweifel des vorlegenden Gerichts betrifft die Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG(2). In Anbetracht des besonderen Status der Muttergesellschaft in den Niederlanden muss zuallererst geklärt werden, ob sie unter die „Gesellschaften eines Mitgliedstaats“, auf die diese Richtlinie angewandt wird (Art. 2), gefasst werden kann.

3. Sollte die Frage bejaht werden, stellt sich die Frage, ob ein Vorsteuerabzug an der Quelle mit Art. 5 der Richtlinie 90/435 vereinbar ist, der die Gewinne, die eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausschüttet, grundsätzlich von diesem Abzug befreit.

4. Sollte die Richtlinie 90/435 hingegen nicht auf den Fall anwendbar sein, fragt das vorlegende Gericht, ob die belgischen Vorschriften zur Besteuerung der streitgegenständlichen Dividenden mit den Art. 49 AEUV und 63 AEUV vereinbar sind.

I –   Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

Richtlinie 90/435

5.        Der erste Erwägungsgrund lautet:

„Zusammenschlüsse von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten können notwendig sein, um binnenmarktähnliche Verhältnisse in der Gemeinschaft zu schaffen und damit die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten. Sie dürfen nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden. Demzufolge müssen wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen für diese Zusammenschlüsse geschaffen werden, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen.“

6.        Der dritte Erwägungsgrund hat folgenden Wortlaut:

 „Die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen weisen von einem Staat zum anderen erhebliche Unterschiede auf und sind im Allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wird auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung ist durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, wodurch Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtert werden.“

7.        Art. 2 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie ist ‚Gesellschaft eines Mitgliedstaats‘ jede Gesellschaft:

a)      die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist;

b)      die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Staat ansässig und aufgrund eines mit einem dritten Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz nicht als außerhalb der Gemeinschaft ansässig betrachtet wird;

c)      die ferner ohne Wahlmöglichkeit einer der nachstehenden Steuern

–        vennootschapsbelasting in den Niederlanden,

… unterliegt, ohne davon befreit zu sein.“

8.        Art. 3 Abs. 1 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a)      ‚Muttergesellschaft‘ wenigstens jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Artikels 2 erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats, die die gleichen Bedingungen erfüllt, besitzt;

b)      ‚Tochtergesellschaft‘ die Gesellschaft, an deren Kapital eine andere Gesellschaft den unter Buchstabe a) genannten Anteil besitzt.“

9.        Art. 5 Abs. 1 sieht vor:

„Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind, zumindest wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25 % besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit.“

10.      Anhang: Liste der unter Artikel 2 Buchstabe a) fallenden Gesellschaften:

 „a)      [d]ie Gesellschaften belgischen Rechts mit der Bezeichnung: naamloze vennootschap/société anonyme, commenditaire vennootschap op aandelen/société en commandite par actions, besloten vennootschap mit beperkte aansprakelijkheid/société privée à responsabilité limitée sowie öffentlich-rechtliche Körperschaften, deren Tätigkeit unter das Privatrecht fällt;

j)      die Gesellschaften niederländischen Rechts mit der Bezeichnung: naamloze vennootschap, besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid;

…“

B –    Belgisches Recht

Wetboek van de inkomstenbelastingen 1992(3)

11.      Art. 266 sieht vor:

„Der König kann unter den Bedingungen und in den Grenzen, die Er bestimmt, ganz oder teilweise von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf Einkünfte aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern und auf verschiedene Einkünfte absehen, sofern es sich um Einkünfte handelt, die von Empfängern bezogen werden, deren Identität festgestellt werden kann, oder von Instituten für gemeinsame Anlagen ausländischen Rechts, die ein ungeteiltes Vermögen darstellen, das von einer Verwaltungsgesellschaft für Rechnung der Teilnehmer verwaltet wird, wenn ihre Anteile in Belgien nicht öffentlich ausgegeben werden und in Belgien nicht gehandelt werden, oder um Einkünfte aus Inhaberpapieren einer der nachstehenden Kategorien:

1.      Einkünfte aus Wertpapieren, die vor dem 1. Dezember 1962 ausgegeben wurden, die laut Gesetz von der Mobiliensteuer oder von Realsteuern befreit sind oder die einem Steuersatz von weniger als 15 Prozent unterliegen,

2.      Einkünfte aus Zertifikaten von belgischen Instituten für gemeinsame Anlagen,

3.      Emissionsagien in Bezug auf Schuldverschreibungen, Kassenbons oder andere Wertpapiere, die Anleihen darstellen, die ab dem 1. Dezember 1962 ausgegeben wurden.

Er kann keinesfalls absehen von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs auf Einkünfte aus Wertpapieren, die Anleihen darstellen, deren Zinsen kapitalisiert werden, oder aus Wertpapieren, die nicht zu einer periodischen Zahlung von Zinsen führen und mit einem Diskont ausgegeben wurden, der den bis zum Fälligkeitstermin des Wertpapiers kapitalisierten Zinsen entspricht.

Absatz 2 ist nicht anwendbar auf Wertpapiere, die aus der Zerlegung von linearen Schuldverschreibungen, die vom Belgischen Staat ausgegeben wurden, hervorgehen.“

Koninklijk Besluit van 27 augustus 1993 tot uitvoering van het Wetboek van de inkomstenbelastingen 1992(4)

12.      Art. 106 § 5 schreibt vor:

„Von der Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs wird im Zusammenhang mit Dividenden, deren Schuldner eine belgische Tochtergesellschaft und deren Empfänger eine Muttergesellschaft eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist, vollständig abgesehen.

Der Verzicht [auf die Erhebung des Mobiliensteuervorabzugs] findet gleichwohl keine Anwendung, wenn der Aktienbesitz der Muttergesellschaft, für den die Dividenden ausgeschüttet werden, nicht einer Beteiligung von wenigstens 25 % am Kapital der Tochtergesellschaft entspricht und diese Mindestbeteiligung von 25 % nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von wenigstens einem Jahr gehalten wird oder wurde.

Für die Zwecke der Absätze 1 und 2 bezeichnen die Ausdrücke ‚Tochtergesellschaft‘ und ‚Muttergesellschaft‘ Tochter- und Muttergesellschaften im Sinne der Richtlinie vom 23. Juli 1990 (90/435/EWG) über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten.“

C –    Abkommen zwischen der Regierung Belgiens und der Regierung der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern(5)

13.      In Art. 10 heißt es:

(1)      Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, können in dem anderen Staat besteuert werden.

(2)      Diese Dividenden können jedoch auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; die Steuer darf aber … 5 vom Hundert des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen, wenn der Dividendenempfänger eine Aktiengesellschaft ist, der unmittelbar mindestens 25 vom Hundert des Kapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft gehören …“

II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

14.      Wereldhave Belgium ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien nach belgischem Recht, an der die Gesellschaften nach niederländischem Recht Wereldhave International und Wereldhave, deren Tochtergesellschaft Erstere ist (zu 35 % bzw. 45 %), beteiligt sind.

15.      Wereldhave International und Wereldhave sind Anlageorganismen(6) in Form einer Aktiengesellschaft(7), die ihre Gewinne unmittelbar an ihre Anteilseigner ausschütten und die nach niederländischem Recht der Körperschaftsteuer (vennootschapsbelasting in den Niederlanden) unterliegen, aber zu einem „Nullsatz“ veranlagt werden.

16.      1999 und 2000 schüttete Wereldhave Belgium Gewinne an Wereldhave International und Wereldhave aus und nahm einen Mobiliensteuervorabzug zu einem Satz von 5 % vor(8).

17.      Die genannten Gesellschaften reichten jeweils einen Schriftsatz bei der belgischen Steuerverwaltung ein und beantragten die Befreiung von dem Abzug von den ausgeschütteten Dividenden. Sie beriefen sich hierzu auf Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 und Art. 106 § 5 KE/EStGB 1992, mit dem die Richtlinie in belgisches Recht umgesetzt wurde.

18.      In Ermangelung einer ausdrücklichen Entscheidung der belgischen Verwaltung in den folgenden sechs Monaten erhoben Wereldhave Belgium, Wereldhave International und Wereldhave Klage vor der Rechtbank van eerste aanleg te Brussel (Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien).

19.      Am 20. November 2012 erließ die Rechtbank van eerste aanleg te Brussel (Gericht erster Instanz) zwei Urteile, mit denen sie für Recht erkannte, dass von den in den Steuerjahren 1999 und 2000 von Wereldhave Belgium an die niederländischen Gesellschaften Wereldhave International und Wereldhave ausgeschütteten Dividenden kein Mobiliensteuervorabzug vorgenommen werden durfte, und den Belgischen Staat verurteilte, die abgeführten Beträge zuzüglich Zinsen zu erstatten.

20.      Die belgische Verwaltung focht beide Urteile beim Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) an und brachte im Wesentlichen vor, bei den Dividendenempfängern handele es sich um niederländische AO, die nicht vom Mobiliensteuervorabzug befreit werden könnten, da sie die in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Art. 106 § 5 KE/EStGB 1992 aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllten, da sie in den Niederlanden dem Nullsatz unterlägen.

21.      Wereldhave Belgium, Wereldhave International und Wereldhave machen beim Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel) geltend, dass AO mit der Rechtsform einer Aktiengesellschaft grundsätzlich der niederländischen Körperschaftsteuer unterlägen (Art. 1 des niederländischen Körperschaftsteuergesetzes von 1969), was ihrer Auffassung nach ausreiche, damit der streitige Abzug nicht statthaft sei. Sie berufen sich zu ihren Gunsten auf Art. 266 EStGB 1992, Art. 106 § 5 KE/EStGB 1992 sowie Art. 5 der Richtlinie 90/435 und vertreten die Ansicht, dass für die Besteuerung, auf die sich letztgenannte Vorschrift beziehe, keine tatsächliche Erhebung der Steuer erforderlich sei.

22.      Hilfsweise machen sie für den Fall, dass die Richtlinie 90/435 nicht anwendbar ist, geltend, dass die Art. 49 AEUV und 63 AEUV den belgischen Rechtsvorschriften, die auf sie angewandt worden seien, entgegenstünden. Dies ergebe sich aus dem Beschluss des Gerichtshofs vom 12. Juli 2012, Tate & Lyle Investments (C384/11, EU:C:2012:463).

23.      In diesem Kontext hat der Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten dahin auszulegen, dass diese Richtlinie einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die nicht auf den belgischen Mobiliensteuervorabzug auf Dividendenausschüttungen durch eine belgische Tochtergesellschaft an eine Muttergesellschaft mit Sitz in den Niederlanden verzichtet, die das Erfordernis der Mindestbeteiligung und des Besitzes dieser Beteiligung deshalb erfüllt, weil es sich bei ihr um einen steuerlichen Anlageorganismus handelt, der seine Gewinne vollständig an seine Anteilseigner ausschütten muss, und unter dieser Voraussetzung im Rahmen der Körperschaftsteuer den Nullsatz in Anspruch nehmen kann?

2.      Sofern die erste Frage verneint wird: Sind die Art. 49 (ex-Art. 43) und 63 (ex-Art. 56) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (in der seit der Änderung und Umnummerierung durch den Vertrag von Lissabon gültigen Fassung) dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, die nicht auf den belgischen Mobiliensteuervorabzug auf Dividendenausschüttungen durch eine belgische Tochtergesellschaft an eine Muttergesellschaft mit Sitz in den Niederlanden verzichtet, die das Erfordernis der Mindestbeteiligung und des Besitzes dieser Beteiligung deshalb erfüllt, weil es sich bei ihr um einen steuerlichen Anlageorganismus handelt, der seine Gewinne vollständig an seine Anteilseigner ausschütten muss, und unter dieser Voraussetzung im Rahmen der Körperschaftsteuer den Nullsatz in Anspruch nehmen kann?

III – Zusammenfassung der Erklärungen der Parteien

A –    Zur ersten Vorlagefrage

24.      Wereldhave Belgium, Wereldhave International und Wereldhave vertreten die Ansicht, dass die niederländischen Unternehmen der Körperschaftsteuer in den Niederlanden unterlägen und die in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 geregelte Voraussetzung erfüllten, obwohl sie zum Nullsatz besteuert würden, da sie AO seien, die ihre Dividenden an die Anteilseigner ausschütteten. Zur Stützung ihrer Ansicht führen sie verschiedene Lehrmeinungen an(9), aus denen sie folgern, dass die Steuerpflicht keine tatsächliche Besteuerung erfordere. Es handele sich um eine subjektive Voraussetzung, die an die Gesellschaft und nicht an die erzielten Gewinne oder ihre steuerliche Behandlung anknüpfe, so dass eine vollständige oder teilweise Befreiung von der Steuer die Steuerpflicht nicht berühre. Nach der niederländischen Lehre seien die AO nicht von der Körperschaftsteuer befreit, sondern unterlägen ihr vollständig, wenn auch zum Nullsatz(10).

25.      Es sei unerheblich, dass die niederländischen AO nach den Vorarbeiten zur Richtlinie 90/435 nicht in deren Anwendungsbereich fielen: Die Erklärungen des Rates seien rechtlich ohne Bedeutung, wenn sie, wie es hier der Fall sei, in den angenommenen Rechtsvorschriften keinen Ausdruck gefunden hätten(11).

26.      Wereldhave Belgium, Wereldhave International und Wereldhave sind daher der Auffassung, dass die Richtlinie 90/435 dahin auszulegen sei, dass sie einer nationalen Bestimmung wie der streitigen entgegenstehe.

27.      Die belgische, die tschechische, die französische und die italienische Regierung sowie die Kommission stimmen im Grundsatz darin überein, dass die Richtlinie 90/435 auf diesen Rechtsstreit nicht anwendbar sei, denn:

–        Ihr Art. 2 Buchst. c verlange nicht nur, dass die Gesellschaft der Steuer unterliege, sondern auch, dass sie tatsächlich besteuert werde, wie der Gerichtshof im Urteil Aberdeen Property Fininvest Alpha(12) festgestellt habe.

–        Zweck der Richtlinie 90/435 sei die Vermeidung der Doppelbesteuerung, was zwingend eine tatsächliche Besteuerung voraussetze. Die Befreiung vom Abzug an der Quelle ohne eine effektive Besteuerung im Sitzstaat sei diesem Zweck nicht dienlich und könnte ein Mittel zur Umgehung jeglicher Besteuerung sein. Die Richtlinie 90/435 sei nicht dazu bestimmt, auf sämtliche Dividendenausschüttungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften angewandt zu werden, sondern nur auf die in ihr geregelten Fälle, die Situationen einer doppelten Nichtbesteuerung nicht erfassten.

28.      Die italienische Regierung und die Kommission heben darüber hinaus hervor, dass das Nichtvorhandensein einer Befreiung (von der Körperschaftsteuer) im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 dauerhaft sein müsse und kein konkretes Steuerjahr oder besonderes Ereignis, das dazu führe, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der Steuer nicht entstehe, betreffen dürfe.

29.      Zu der in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzung, nach der die Besteuerung „ohne Wahlmöglichkeit“ erfolgen muss, führt die italienische Regierung aus, dass im Vorlagebeschluss nicht klargestellt werde, ob die Anwendung des Nullsatzes auf die niederländischen AO auf eine Wahl ihrer Gesellschaftsorgane oder unmittelbar auf die Gründungssatzung der Gesellschaften zurückgehe. In beiden Fällen sei das Ergebnis dasselbe, denn die Befreiung und die Besteuerung zum Nullsatz ließen sich nicht voneinander unterscheiden. Die Kommission meint, dass die Gründung eines AO eine spezifische Wahl beinhalte, diese Regelung in Anspruch zu nehmen und ihre Voraussetzungen zu beachten.

30.      Darüber hinaus enthielten die Vorarbeiten zur Richtlinie 90/435 eine Erklärung, nach der die niederländischen AO von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen seien. Auch wenn diese Erklärung keine eigene rechtliche Bedeutung habe, komme in ihr der Wille des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck: Durch sie würden nicht nur ausdrücklich die AO ausgeschlossen, sondern alle Gesellschaften, die zwar der Körperschaftsteuer unterlägen, aber dauerhaft von ihrer Zahlung befreit seien. Dass die AO in der Endfassung nicht ausdrücklich genannt würden, obwohl sie in den vorbereitenden Arbeiten auftauchten, sei erklärbar, denn nachdem sie befreit seien, fielen sie gemäß Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 bereits nicht mehr in deren Anwendungsbereich.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

31.      Die französische Regierung hat zu diesem Teil des Vorabentscheidungsersuchens nicht Stellung genommen. Wohl haben dies die italienische und die tschechische Regierung sowie die Kommission getan, die sich für die Unzulässigkeit der zweiten Frage aussprechen, da im Vorlagebeschluss weder der nationale rechtliche Rahmen dargestellt werde noch, worin die Ungleichbehandlung zwischen den in Belgien ansässigen und den gebietsfremden AO bestehe.

32.      Wereldhave Belgium, Wereldhave International und Wereldhave konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf die Untersuchung des belgischen Rechts und gelangen zu der Feststellung, dass eine Ungleichbehandlung zwischen gebietsansässigen und gebietsfremden Gesellschaften bestehe, die dazu führe, dass Letztere eine mehrfache Besteuerung nicht vermeiden könnten. Die Ungleichbehandlung, die den gebietsfremden Gesellschaften zuteilwerde, verstoße gegen den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit.

33.      Die belgische Regierung meint, dass der im Vorabentscheidungsersuchen erwähnte Beschluss Tate & Lyle Investments(13) und das Urteil Aberdeen Property Fininvest Alpha(14) nicht auf den Fall angewandt werden könnten. Ihre Prüfung der eigenen Steuergesetzgebung veranlasst sie zu der Behauptung, dass in Belgien gebietsfremde Gesellschaften nicht weniger günstig behandelt würden als gebietsansässige. Der Vergleich zwischen den bei den belgischen und den niederländischen Gesellschaften zu erhebenden Steuern sei mit der steuerlichen Behandlung der belgischen AO in Bezug zu setzen, die übermäßig begünstigt würden, und nicht mit der der belgischen Gesellschaften, für die die allgemeine Steuerregelung gelte.

34.      Die italienische Regierung und die Kommission führen hilfsweise aus, dass die im Beschluss Tate & Lyle Investments(15) zitierte Rechtsprechung anwendbar sei, wenn nachgewiesen werde, dass die in Belgien gebietsfremden AO ungünstiger behandelt würden. Dann läge ein Verstoß gegen den freien Kapitalverkehr vor, wenngleich geprüft werden müsse, ob die auferlegten Beschränkungen aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt seien, und auch, ob sie geeignet seien, um das angestrebte Ziel zu gewährleisten und nicht über die Grenzen dessen, was zu seiner Erreichung unverzichtbar sei, hinausgingen.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

35.      Der Vorlagebeschluss ist am 19. August 2015 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

36.      Wereldhave Belgium, Wereldhave International, Wereldhave, die belgische, die tschechische, die französische und die italienische Regierung sowie die Europäische Kommission haben ihre schriftlichen Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung war nicht statthaft.

V –    Würdigung

A –    Zur ersten Vorlagefrage

37.      Mit der Richtlinie 90/435 soll die Doppelbesteuerung der Ausschüttung von Dividenden zwischen Tochter- und Muttergesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten vermieden werden, die als Hindernis für die Gründung von Unternehmen oder Zusammenschlüssen von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene angesehen wird. Nach ihren Erwägungsgründen 1 und 3(16) ‒ gemeinsam gelesen ‒ dürfen zur Erleichterung der Bildung dieser Zusammenschlüsse von Gesellschaften die „besondere[n] Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten“, die die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften, die ihren Sitz nicht in demselben Staat haben, diskriminieren oder „bestrafen“, nicht aufrechterhalten werden.

38.      Zu diesem Zweck sieht die Richtlinie 90/435 zwei Arten von eigenständigen Maßnahmen vor. Auf der einen Seite darf der Staat der Muttergesellschaft die von der Tochtergesellschaft erhaltenen Gewinne entweder nicht besteuern oder muss im Fall einer Besteuerung zulassen, dass „die Gesellschaft auf die Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne entrichtet, … anrechnen kann“(17). Auf der anderen Seite befreit sie die von der Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne oder Dividenden von der Quellensteuer, sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen(18). Im Ausgangsverfahren dreht sich die Debatte um diese zweite Regelung.

39.      Dieses „gemeinsame Steuersystem“(19) findet aber nicht immer und auch nicht auf sämtliche Beziehungen zwischen Tochter- und Muttergesellschaften Anwendung. Die Richtlinie 90/435 grenzt ihren Anwendungsbereich ein, indem sie definiert (Art. 2), welche „Gesellschaft[en] eines Mitgliedstaats“ sie betrifft. Konkret stellt sie eine Reihe von Voraussetzungen auf, die für diese Einstufung unverzichtbar sind, u. a., dass die Gesellschaft „ohne Wahlmöglichkeit einer der nachstehenden Steuern … vennootschapsbelasting in den Niederlanden … unterliegt, ohne davon befreit zu sein“ (Art. 2 Buchst. c).

40.      Der Streit entzündet sich daran, dass die Muttergesellschaften des Ausgangsverfahrens im Rahmen der vennootschapsbelasting in den Niederlanden zum Nullsatz besteuert werden. Bedeutet dieser Umstand, dass sie von der Zahlung dieser Steuer in ihrem Sitzstaat „befreit“ sind? Wäre dies der Fall, brächte die Anwendung von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 ohne Weiteres mit sich, dass die in dieser Richtlinie enthaltene Regelung nicht den vorliegenden Fall betrifft, denn diese Vorschrift verlangt nicht nur, dass die Gesellschaft der Körperschaftsteuer unterliegt, sondern darüber hinaus, dass sie nicht von ihr befreit ist(20).

41.      Nach der These der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens wird die streitige Voraussetzung durch den bloßen Umstand erfüllt, dass sie der Steuer unterliegen. Die Besteuerung erfordere nicht notwendig die tatsächliche Erhebung der Abgabe und sei auch dann gegeben, wenn sie mit einer Befreiung oder einer Besteuerung zu einem ermäßigten Satz einhergehe.

42.      Der Standpunkt der in dem Rechtsstreit klagenden Unternehmen könnte zutreffen, wenn Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 nur von Besteuerung spräche. Dem ist jedoch nicht so: Die Vorschrift sieht eine positive Voraussetzung (der Steuer unterliegen) und eine weitere, negative (ohne davon befreit zu sein), vor, die beide zwingend und gleichzeitig erfüllt sein müssen. Bezeichnenderweise konzentriert sich das Vorbringen dieser Unternehmen auf die Besteuerung, während die Befreiung fast völlig außer Acht bleibt(21). Die Befreiung impliziert, dass trotz der Erfüllung des Steuertatbestands (also der Besteuerung) nicht auf der Verpflichtung zur Zahlung der entsprechenden Steuer bestanden wird, da der Gesetzgeber es für angebracht hielt, eine besondere Kategorie von Gesellschaften von der Steuerzahlungspflicht freizustellen.

43.      Wenn das niederländische Steuerrecht bestimmte Unternehmen (in diesem Fall die AO) der Körperschaftsteuer unterstellt und unmittelbar im Anschluss abstrakt bestimmt, dass sie zum Nullsatz besteuert werden, befreit es sie meines Erachtens in Wirklichkeit von der Steuerzahlungspflicht. In demselben Umfang entzieht es sie dem Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435.

44.      Ich glaube nicht, dass dieser Einschätzung überzeugende Argumente entgegengehalten werden können. Definitionsgemäß kommt ein „Nullsatz“ bei der Körperschaftsteuer dem vollständigen Fehlen einer Besteuerung gleich, also der vollständigen Befreiung von ihr. Wenn man zu diesem Ergebnis aufgrund einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung gelangt, die dies von vornherein und dauerhaft für eine bestimmte Kategorie von Unternehmen unabhängig von den Gewinnen, die sie erzielt haben, vorsieht, ist mir nicht ersichtlich, wie verneint werden kann, dass es sich um eine wahrhaftige Befreiung von dieser Abgabe im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 90/435 handelt.

45.      Eine zusätzliche Überlegung bestätigt, dass die an diesem Fall beteiligten niederländischen Unternehmen nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435 unterliegen. Mit ihr soll, wie bereits ausgeführt worden ist, vermieden werden, dass dieselbe Steuerart (die auf die Gewinne von Gesellschaften erhoben wird) im Rahmen der Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften durch zwei Mitgliedstaaten doppelt erhoben wird. Sie wird, wie auch die übrigen Beteiligten vorgebracht haben, gerade um dieses Ziel der Richtlinie 90/435 zu erreichen, nicht auf die der genannten Steuer nicht unterliegenden oder von ihr befreiten Unternehmen angewandt. Sowohl durch die Nichtbesteuerung als auch die vollständige Befreiung ihrer Erträge (in diesem Fall aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern) wird die Gefahr neutralisiert, dass die Gesellschaft, bei der einer dieser Umstände vorliegt, doppelt mit der Körperschaftsteuer belastet wird, womit die Notwendigkeit entfällt, das in der Richtlinie vorgesehene gemeinsame Steuersystem anzuwenden(22).

46.      In ihren Erklärungen beschreibt die Kommission, wie in der Tagung des Rates vom 11. Juni 1990 vor der Annahme der Richtlinie 90/435 auf Antrag verschiedener Regierungen mehrere in das Protokoll aufzunehmende Erklärungen formuliert wurden, mit denen bestimmte Kategorien von Unternehmen ausdrücklich vom Anwendungsbereich jener Richtlinie ausgenommen wurden (u. a. die niederländischen AO)(23). Diese Erklärungen haben zwar keine Bindungswirkung, sind aber für die Auslegung von Interesse. Dass die Vorschläge schließlich nicht in den Text aufgenommen wurden, lag nicht daran, dass ihr Inhalt abgelehnt wurde, sondern an der Gewissheit, dass diese Ausschlüsse bereits vom Wortlaut des Art. 2 Buchst. c, soweit er sich auf die Befreiung von der Steuer bezieht, erfasst wurden.

47.      Nach alledem ist die Richtlinie 90/435 auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar, da die Muttergesellschaften nicht als „Gesellschaft[en] eines Mitgliedstaats“ im Sinne ihres Art. 2 Buchst. c eingestuft werden können. Folglich lässt sich kein Konflikt feststellen zwischen der Richtlinie und den belgischen Vorschriften, nach denen von den Dividenden, die die Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaften ausschüttet, Körperschaftsteuer (zu einem Satz von 5 %) an der Quelle abgezogen wird.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

48.      Mit der Antwort auf die erste Vorlagefrage wird jedoch die Beantwortung der zweiten nicht vorweggenommen. Wie der Gerichtshof u. a. bereits im Urteil Aberdeen Property Fininvest Alpha(24) entschieden hat, kommt es für nicht von der Richtlinie 90/435 erfasste Situationen (bei denen es „den Mitgliedstaaten obliegt, festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden soll, und dazu einseitig oder durch mit anderen Mitgliedstaaten geschlossene Abkommen Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung einzuführen“) nicht in Betracht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen. Bei der folgenden Frage des vorlegenden Gerichts geht es genau um dieses Problem.

49.      Die Regierungen Italiens und der Tschechischen Republik sowie die Kommission sind der Ansicht, dass die zweite Frage unzulässig sein könnte, da das vorlegende Gericht in ihrem Rahmen den Sachverhalt und den rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits nicht ausreichend dargestellt habe. Die Regierung Frankreichs hat zu dieser Frage nicht einmal Erklärungen abgegeben.

50.      Es trifft zu, dass der Vorlagebeschluss diesen Mangel aufweist. Auf der einen Seite wird in ihm nicht dargelegt, in welcher Weise das belgische Steuerrecht gebietsfremde Gesellschaften im Vergleich zu den gebietsansässigen benachteiligt und dadurch eine der durch den AEUV garantierten Freiheiten verletzt wird. Auf der anderen Seite wird insbesondere unterlassen, die nationalen und vertraglichen Bestimmungen, die bei der Prüfung der möglichen Verletzung dieser Freiheiten einschlägig wären, näher darzustellen.

51.      Diese Auslassungen sind besonders relevant, wenn sie im Licht der Methode untersucht werden, mit der der Gerichtshof ein ums andere Mal Vorlagefragen in ähnlichen Rechtssachen, die den Bereich der direkten Besteuerung betreffen, prüft. Sein phasen- oder abschnittsweises Vorgehen ist darauf gerichtet, zunächst die einschlägige Freiheit und die Beschränkung, die sie möglicherweise erfahren hat, zu identifizieren. In einem zweiten Schritt vergleicht er die streitigen Situationen, um festzustellen, ob sie unterschiedlich behandelt wurden, was eine detaillierte Prüfung der innerstaatlichen Vorschriften, durch die die Ungleichbehandlung eingeführt wurde, erfordert. Schließlich prüft er die möglichen, auf zwingende Gründe des Allgemeinwohls gestützten Rechtfertigungen und die Verhältnismäßigkeit der nationalen Maßnahme, die die auf dem Spiel stehende Freiheit beschränkt.

52.      Für jeden dieser Abschnitte ist es unverzichtbar, dass der Gerichtshof über hinreichende Informationen über das anzuwendende nationale Recht verfügt, die ihm das vorlegende Gericht zur Verfügung gestellt hat, was vorliegend nicht der Fall ist. Um beispielsweise beurteilen zu können, ob im Ausgangsverfahren im Hinblick auf die Körperschaftsteuer eine Benachteiligung festgestellt werden kann, muss der Vergleich nicht zwischen den in Belgien gebietsansässigen und den gebietsfremden Gesellschaften im Allgemeinen, sondern zwischen den niederländischen AO und ihren belgischen Pendants (Investmentgesellschaften) vorgenommen werden, auf deren konkrete gesetzliche Regelung der Vorlagebeschluss nicht eingeht.

53.      Auch enthält der Beschluss weder im einen noch im anderen Sinne rechtliche Bezugnahmen, aus denen klar hervorgeht, dass das belgische Steuerrecht Mechanismen vorsieht, die es ausschließlich den in Belgien ansässigen Gesellschaften des Typs AO, nicht aber dem Rest ermöglichen, die Mehrfachbesteuerung abzuschwächen oder die Besteuerung zu verlagern. Zudem lässt das vorlegende Gericht das zwischen Belgien und den Niederlanden geschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unberücksichtigt, dessen Bestimmungen(25) die nachteiligen Auswirkungen für die niederländischen Gesellschaften, die sich mutmaßlich aus der durch die belgischen Steuergesetze verursachten Einschränkung des freien Kapitalverkehrs (Art. 56 AEUV) ergeben, gegebenenfalls neutralisieren oder abmildern könnten(26). Schließlich enthält der Vorlagebeschluss weder eine Bezugnahme auf die möglichen Rechtfertigungen aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls noch auf die fehlende Verhältnismäßigkeit dieser mutmaßlichen Einschränkung.

54.      Insbesondere sind die unzureichenden Informationen in der Vorlage hervorzuheben, die durch das bloße Vorbringen der Parteien zu der zum Zeitpunkt des Sachverhalts auf die belgischen Investmentgesellschaften anwendbaren Steuerregelung im Vergleich zu derjenigen, die für die niederländischen AO galt, nicht ersetzt werden können. Dabei handelt es sich schließlich um die Schlüsselfrage des Rechtsstreits. In den Erklärungen der Regierung Belgiens und der klagenden Gesellschaften sind insoweit sehr unterschiedliche Standpunkte feststellbar, und der Gerichtshof kann diesen Streit nicht entscheiden, da die Identifizierung, Auslegung und Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften ausschließlich Sache des nationalen Gerichts ist.

55.      Konkret trägt die Regierung Belgiens vor, dass nach der Steuerregelung ihres Landes für gebietsansässige Investmentgesellschaften (eine Regelung, die über das allgemeine Recht hinausgeht) der Quellenabzug eine „endgültige Steuer darstellt, da sie weder auf die von diesen Gesellschaften zu tragende Steuer angerechnet noch erstattet werden konnte“(27). Sie verteidigt diese These unter Berufung auf Art. 123 KE/EStGB 1992 in Verbindung mit Art. 143 §§ 1 und 2 des Gesetzes vom 4. Dezember 1990. Außerdem ähnele das aufgeworfene Problem zwar demjenigen, das dem Urteil vom 25. Oktober 2012, Kommission/Belgien(28), zugrunde gelegen habe, doch unterscheide sich die Steuerregelung für Investmentgesellschaften ohne feste Niederlassung in Belgien, über die der Gerichtshof damals entschieden habe, von derjenigen, die auf die von Wereldhave Belgium an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden angewandt worden sei, da Erstere den Abzug oder die Erstattung des einbehaltenen Betrags gestatte, Letztere hingegen nicht.

56.      Sollte dieses Vorbringen der Regierung Belgiens den Tatsachen entsprechen (was das vorlegende Gericht feststellen muss), wäre der Nachweis erbracht, dass die in Belgien ansässigen Investmentgesellschaften hinsichtlich der aus Kapitalvermögen und beweglichen Gütern erzielten Einkünfte die sich für sie aus dem Mobiliensteuervorabzug ergebende Steuerlast nicht neutralisieren konnten. Mit anderen Worten wäre nachgewiesen worden, dass die niederländischen AO und die belgischen Investmentgesellschaften in Belgien in Bezug auf die Erhebung der Körperschaftsteuer an der Quelle gleich behandelt werden. Da die Belastung endgültig und nicht erstattungsfähig wäre, wären weder die einen noch die anderen von ihr freigestellt, so dass die Diskriminierung der niederländischen AO ausgeschlossen wäre.

57.      Ich betone: Wäre dies der Fall, stünde die Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften, nach denen bei den Investmentgesellschaften der Mobiliensteuervorabzug vorgenommen wird, mit den Art. 49 AEUV und 56 AEUV nicht in Frage. Der Gerichtshof hat bereits gerade in Bezug auf das Königreich Belgien festgestellt(29), dass vom Sitzstaat der Gesellschaft, die Gewinne ausschüttet, nicht verlangt werden kann, „dafür zu sorgen, dass die an einen gebietsfremden Anteilseigner ausgeschütteten Gewinne nicht einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung unterworfen werden – indem er entweder der ausschüttenden Gesellschaft hinsichtlich dieser Gewinne Steuerfreiheit oder dem betreffenden Anteilseigner eine Steuervergünstigung gewährt, die der von der ausschüttenden Gesellschaft auf diese Gewinne entrichteten Steuer entspricht“. Er fügt hinzu, dass eine solche Forderung bedeuten würde, „dass dieser Staat auf sein Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde, verzichten muss“(30).

58.      Es könnte jedoch sein, dass die in diesem Fall auf die Investmentgesellschaften angewandte gesetzliche Regelung nicht genau der Fassung entspricht, die das Königreich Belgien in seinen Erklärungen anführt. Sollte das vorlegende Gericht auf diese Regelung zurückgegriffen haben, könnte es die Prüfung ihres Inhalts hypothetisch zu der Feststellung veranlasst haben, dass der in den Steuerjahren 2009 und 2010 geltende rechtliche Rahmen sich nicht von dem unterscheidet, den der Gerichtshof im Beschluss vom 12. Juli 2012, Tate & Lyle Investments(31), oder im Urteil vom 25. Oktober 2012, Kommission/Belgien(32), geprüft hat; beide Entscheidungen sind zu einem vor der Vorlage liegenden Zeitpunkt ergangen und betreffen spezifisch die belgischen Steuergesetze, die die Körperschaftsteuer regeln.

59.      Unter diesen Umständen kann vom Gerichtshof nicht verlangt werden, dass er den Streit (zwischen Wereldhave und der Regierung Belgiens) darüber, nach welchem innerstaatlichen Rechtsrahmen die auf die niederländischen AO und die belgischen Investmentgesellschaften anwendbaren Steuerregelungen verglichen werden müssen, entscheidet. Diese Aufgabe obliegt dem vorlegenden Gericht, und der Gerichtshof kann es hierbei weder ersetzen noch von Vermutungen ausgehen, um eine sachdienliche Antwort auf die Vorlagefrage geben zu können.

60.      In Anbetracht dieser Umstände glaube ich, dass nichts anderes übrig bleibt, als die zweite Vorlagefrage für unzulässig zu erklären, da sie nicht die Mindestanforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs erfüllt.

61.      Sollte der Gerichtshof indessen entscheiden, die Frage in der Sache zu prüfen, und feststellen, dass die steuerliche Behandlung der niederländischen AO im Hinblick auf den Abzug der auf die Dividenden erhobenen Steuer an der Quelle ungünstiger war als die der belgischen Investmentgesellschaften, befürchte ich, dass er wenig mehr tun kann, als sehr allgemein seine frühere Rechtsprechung auf diesem Gebiet zu wiederholen oder konkret auf den Beschluss vom 12. Juli 2012, Tate & Lyle Investments (C384/11, EU:C:2012:463)(33), zu verweisen und seinen Inhalt an den Sachverhalt anzupassen, der Gegenstand der Prüfung ist.

62.      Tatsächlich hat sich die belgische Regierung ebenso wie in der Rechtssache Tate & Lyle Investments(34) entschieden, ihre Steuerhoheit hinsichtlich der von ihren gebietsansässigen Gesellschaften an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden wahrzunehmen. Folglich befinden sich die gebietsfremden begünstigten Gesellschaften und die gebietsansässigen Gesellschaften im Hinblick auf die Gefahr einer mehrfachen Belastung der ausgeschütteten Dividenden in einer vergleichbaren Lage, so dass sie insoweit eine Behandlung erfahren müssen, die derjenigen entspricht, die den gebietsansässigen Gesellschaften zuteilwird(35).

63.      Auf derselben Linie müsste der Gerichtshof das vorlegende Gericht darauf hinweisen, dass eine Ungleichbehandlung die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften davon abhalten könnte, in Belgien zu investieren, und folglich eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt, die Art. 63 AEUV grundsätzlich verbietet(36).

64.      Da aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Mitgliedstaat die Einhaltung seiner sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten gewährleisten kann, indem er mit einem anderen Mitgliedstaat ein auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung gerichtetes Abkommen schließt, dessen Anwendung es ermöglicht, die Folgen der Ungleichbehandlung durch das nationale Recht zu kompensieren(37), müsste das vorlegende Gericht die Auswirkungen des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Belgien und den Niederlanden, auf das bereits Bezug genommen wurde, prüfen und entscheiden, ob es gewährleistet, dass die gebietsfremden Gesellschaften nach belgischem Recht genauso behandelt werden wie die gebietsansässigen.

65.      In Übereinstimmung mit den auf diesem Gebiet bereits ergangenen Entscheidungen müsste der Gerichtshof schließlich das vorlegende Gericht daran erinnern, dass es, wenn es der Ansicht sein sollte, dass eine Ungleichbehandlung der gebietsfremden Gesellschaften fortbesteht, obwohl die Besteuerung durch die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens gemildert ist, prüfen müsste, ob zwingende Gründe des Allgemeinwohls diese Regelung rechtfertigen(38). Selbst wenn diese Gründe vorlägen, müsste schließlich in ähnlicher Weise wie im Urteil vom 25. Oktober 2012, Kommission/Belgien(39), geprüft werden, ob die nationalen Maßnahmen, die den freien Kapitalverkehr beschränken, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

VI – Ergebnis

66.      Aufgrund der dargestellten Überlegungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Frage des Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) für unzulässig zu erklären und die erste Frage wie folgt zu beantworten:

Die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist auf einen Rechtsstreit über den in Belgien auf die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden vorgenommenen Quellenabzug nicht anwendbar, wenn die Muttergesellschaft ein niederländischer Anlageorganismus ist, der im Rahmen der Körperschaftsteuer den Nullsatz in Anspruch nimmt.

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