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Steuerrecht
09.10.2015
Steuerrecht
FG Köln: Kein vorläufiger Steuerrechtsschutz bei der Rückabwicklung des Reverse-Charge-Verfahrens in Bauträgerfällen

FG Köln, Beschluss vom 1.9.2015 – 9 V 1376/15

Aus den Gründen

I.

Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung von nach § 27 Abs. 19 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geänderten Umsatzsteuerbescheiden; der Antragsteller bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG und beruft sich auf Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO).

Der Antragsteller ist umsatzsteuerlicher Organträger der A GmbH i.L. Die Organgesellschaft erbrachte in den Streitjahren 2011 bis 2013 unstreitig Bauleistungen (...) im Sinne des § 13b UStG gegenüber der Firma B GmbH sowie im Jahr 2012 gegenüber der Firma C Immobilien GmbH, zwei Bauträgergesellschaften. Die – nach seinem Vorbringen standardisierten – Werkverträge zwischen dem Antragsteller und den beiden Leistungsempfängern enthielten jeweils die Klausel:

„Der Auftraggeber [=Leistungsempfänger] erklärt, dass er selbst Bauleistender im Sinne des § 13b UStG ist. Der Auftragnehmer [=Antragsteller bzw. Organgesellschaft] wird daher in seinen Rechnungen keine Umsatzsteuer ausweisen und zusätzlich in den Rechnungen folgenden Hinweis aufnehmen: „Die Umsatzsteuer für die in Rechnung gestellte umsatzsteuerpflichtige Werklieferung schuldet der Auftraggeber nach § 13b UStG.““

Die vereinbarten Entgelte („Vertragssummen“) wurden als Netto-Beträge bezeichnet; es handelte sich um „Festpreise für die Dauer der gesamten Ausführungszeit“. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Glaubhaftmachung vorgelegten Verträge vom 18./30. April 2012 und vom 21. Dezember 2012 (Bl. 40 ff. d.A.) verwiesen.

Der Antragsteller meldete in der Folgezeit keine Umsatzsteuer aus den Werklieferungen gegenüber der B GmbH und der C Immobilien GmbH an; diese führten die entsprechende Umsatzsteuer ab.

Das für die B GmbH örtlich zuständige Finanzamt D übersandte dem Antragsgegner am 2. September 2014 eine Kontrollmitteilung, wonach der Antragsteller gegenüber der B GmbH Lieferungen erbracht und die B GmbH nunmehr die Erstattung der darin enthaltenen Umsatzsteuer beantragt habe. Später bezifferte das Finanzamt D die Netto-Entgelte auf 65.872,38 € (2011), 90.601,17 € (2012) und 130.177,38 € (2013).

Der Antragsgegner wandte sich daraufhin am 18. September 2014 an den Antragsteller und wies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BStBl II 2014, 128) hin. Da die B GmbH die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt habe, bedeute dies für die Organgesellschaft, dass diese als leistender Unternehmer Steuerschuldner gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG sei. Sie sei verpflichtet, Rechnungen auszustellen, die den anzuwendenden Steuersatz und den Steuerbetrag auswiesen sowie die geschuldete Umsatzsteuer anzumelden. Eine Änderung von Umsatzsteuerfestsetzungen erfolge nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 2 AO stehe dem gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG nicht entgegen. Die Organgesellschaft könne – unter den näher bezeichneten Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG – ihre Steuerschuld durch Abtretung ihres sich aus den geänderten Rechnungen ergebenden zivilrechtlichen Zahlungsanspruchs gegenüber der B GmbH an den Antragsgegner erfüllen.

Am 17. November 2014 übersandte das für die C Immobilien GmbH ebenfalls örtlich zuständige Finanzamt D eine entsprechende Kontrollmitteilung an den Antragsgegner (2011: 45.050,33 €; USt: 6.559,57 €). Der Antragsgegner forderte den Antragsteller am 16. Dezember 2014 auch hinsichtlich dieser Umsätze zur Ausstellung von korrigierten Rechnungen und zur Anmeldung der Umsatzsteuer auf.

Mit Schreiben vom 6. und 7. Januar 2015 wandte der Antragsteller ein, dass § 27 Abs. 19 UStG wegen Verstoßes gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) folgenden Rückwirkungsverbots nichtig sei und berief sich auf § 176 AO. Nach damals gültiger Rechtslage seien richtigerweise Netto-Rechnungen gestellt worden.

Am 26. März 2015 erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller als Organträger der A GmbH i.L. nach § 27 Abs. 19 UStG geänderte Bescheide, in denen er die Umsätze gegenüber der B GmbH und der C Immobilien GmbH der Umsatzsteuer unterwarf. Die sich hieraus ergebenden Nachzahlungsbeträge betrugen 12.515,68 € (2011), 26.343,58 € (2012) und 24.733,44 € (2013).

Gegen die Änderungsbescheide legte der Antragsteller am 16. April 2015 Einsprüche ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Die Rechtmäßigkeit der Bescheide sei aufgrund der Verfassungswidrigkeit des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG und des damit verbundenen Ausschlusses des § 176 AO ernstlich zweifelhaft. Zudem seien die Umsatzsteuerbeträge bislang nicht an die Leistungsempfänger erstattet worden. Im Zeitpunkt der Rechnungserteilung und der Einreichung der Umsatzsteuererklärungen habe er sich an die damals gültige Rechtsauffassung der Finanzverwaltung (Abschn. 13b Abs. 3 UStAE) gehalten. Es greife daher § 176 Abs. 2 AO ein. § 27 Abs. 19 UStG verstoße gegen das Rückwirkungsverbot und sei nichtig. Schließlich seien mit den Leistungsempfängern Festpreise vereinbart worden, so dass von diesen keine Umsatzsteuer nachgefordert werden könne.

Der Antragsgegner lehnte den Aussetzungsantrag am 27. April 2015 ab. Eine Verfassungswidrigkeit des § 27 Abs. 19 UStG könne derzeit nicht angenommen werden, etwaige anhängige Verfahren seien nicht bekannt. Über die Einsprüche wurde noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 25. Mai 2015 beantragte der Antragsteller unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags im Verwaltungsverfahren die gerichtliche Vollziehungsaussetzung der geänderten Umsatzsteuerbescheide.

Die nachträgliche Erhebung der Umsatzsteuer sei rechtswidrig, da insoweit § 176 Abs. 2 AO eingreife. § 27 Abs. 19 UStG stehe der Anwendung des § 176 AO nicht entgegen, da diese Vorschrift verfassungswidrig sei. Gerade die Implementierung des Vertrauensschutzes als Grundpfeiler des Steuerrechts solle solche rückwirkenden willkürlichen Änderungen von Gesetzen zulasten der Steuerpflichtigen verhindern. Die durch die Neuregelung des § 27 Abs. 19 S. 2 UStG geschaffene Möglichkeit zur Aushebelung des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes zulasten des Steuerpflichtigen begegne ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sei zweifelhaft, ob der Gesetzgeber die Vorschrift des § 176 AO durch die einfachgesetzliche Regelung des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG in dessen Anwendungsbereich für nicht anwendbar erklären durfte. Im Anwendungsbereich des § 176 AO habe sich der Gesetzgeber klar für den Vorrang des Vertrauensschutzes vor der Rechtsrichtigkeit entschieden. Der Gesetzgeber halte die Interessen des Steuerpflichtigen im Anwendungsbereich dieser Vorschrift für besonders schutzwürdig und stelle sie über die Interessen der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen und zutreffenden Besteuerung. Könne diese Abwägung im Einzelfall nachträglich zulasten des Steuerpflichtigen wieder geändert werden, würde die Regelung zum Vertrauensschutz leerlaufen. Zwar könne der Steuergesetzgeber grundsätzlich Gesetze mit unechter Rückwirkung erlassen. Allerdings sei in einem solchen Fall stets zu prüfen, mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstigere Rechtslage schützenswert sei und ob die öffentlichen Belange dieses schutzwürdige Vertrauen überwögen. Ob § 176 AO gleichsam außer Kraft gesetzt werden konnte, erscheine fragwürdig und eines Rechtsstaats nicht würdig. Die Regelung in § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG sei ein einmaliger Vorgang in der Steuerrechtsgeschichte und offenbare lediglich die Angst des Fiskus von Steuerausfällen in Milliardenhöhe. Es sei unklar, ob die Regelung konstitutive oder nur deklaratorische Bedeutung habe und was der Gesetzgeber mit dieser Formulierung aussagen wollte. Bereits aus diesem Grund könne die Regelung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bestand haben. Jedenfalls aber handele es sich um eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung, da mit dieser Regelung in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingegriffen werde. Schließlich handele es sich bei der Regelung des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG um eine fiskalisch motivierte Durchbrechung des Gebots der systematisch folgerichtigen Umsetzung gesetzgeberischer Entscheidungen und damit um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Gebot der Folgerichtigkeit sei auch im Umsatzsteuerrecht und insbesondere im Verfahrensrecht anzuwenden.

Unzutreffend sei der Hinweis des Antragsgegners auf die Möglichkeit zur Abtretung zivilrechtlicher Ansprüche. Bei den abgeschlossenen Verträgen handele es sich um Festpreisverträge, so dass keine Umsatzsteuer mehr von den Bauträgergesellschaften nachgefordert werden könne. Die Möglichkeit zur Änderung dieser Werkverträge sei eine Frage des Zivilrechts und könne nicht durch Regelungen im UStG festgelegt werden. Im Streitfall stehe einer nachträglichen Inrechnungstellung von Umsatzsteuer bereits die eingetretene Verjährung entgegen. Zudem würde er – der Antragsteller – sich bei einer Rechnungsberichtigung dem Risiko eines Ausweises zu hoher Umsatzsteuer (§ 14c Abs. 1 UStG) aussetzen. Selbst für den Fall, dass er einen zivilrechtlichen Zahlungsanspruch gegen den Bauträger in Höhe der nachzuentrichtenden Umsatzsteuer habe, stünde keinesfalls fest, dass dieser Anspruch auch durchsetzbar sei. In der Konsequenz müsse er die Umsatzsteuer dann doch an das Finanzamt selbst nachentrichten.

Aus den ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG und der daraus folgenden Anwendbarkeit des § 176 Abs. 2 AO ergäben sich hinreichende ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide. Dies reiche für die beantragte Vollziehungsaussetzung aus. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sei für die Vollziehungsaussetzung auch aufgrund von verfassungsrechtlichen Zweifeln eines formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes darüber hinaus kein „berechtigtes Interesse“ erforderlich. Ein solches berechtigtes Interesse läge aber bereits darin, dass er – wie bereits vorgetragen – den Leistungsempfängern nachträglich keine Umsatzsteuer mehr in Rechnung stellen könne und er damit endgültig mit der Umsatzsteuer belastet werde. Zudem erscheine es im Streitfall ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht die streitentscheidende Vorschrift nur als unvereinbar mit dem Grundgesetz beurteile, da die Vorschrift ihren Regelungsgehalt ausschließlich in der Vergangenheit habe.

Der Antragsteller hat die streitigen Umsatzsteuerbeträge zwischenzeitlich entrichtet.

Der Antragsteller beantragt erkennbar,

die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2011, 2012 und 2013, alle vom 26. März 2015, in Höhe der jeweiligen Abschlusszahlungen aufzuheben,

hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen,

hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.

Hinsichtlich der vom Antragsteller geltend gemachten verfassungsrechtlichen Zweifel verweist er auf den Geltungsanspruch jeden formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes. Aus diesem Grunde müsse der Antragsteller ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geltend machen. Es sei eine Interessenabwägung zwischen der einer Vollziehungsaussetzung entgegenstehenden Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Vollziehungsaussetzung sprechenden individuellen Interessen des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmen. Würde eine Vollziehungsaus-setzung im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen, habe das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung Vorrang, wenn der durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretende Eingriff beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen ist und dieser Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen habe. Ein besonderes berechtigtes Interesse in diesem Sinne habe der Antragsteller nicht geltend gemacht.

Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide entsprächen im Übrigen den gesetzlichen Vorschriften der §§ 13a Abs. 1 Nr. 1, 27 Abs. 19 UStG.

Im Streitfall hätten die Leistungsempfänger die von der Organgesellschaft erbrachten Leistungen zur Ausführung eigener, gemäß § 4 Nr. 9a UStG steuerfreier Umsätze verwendet. Gemäß dem Urteil des BFH vom 22. August 2013 V R 37/10 sei § 13b UStG daher nicht anwendbar, so dass die Organgesellschaft bzw. der Antragsteller Steuerschuldner der Umsatzsteuer sei. Gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG müsse die Steuerfestsetzung beim Leistungserbringer geändert werden, wenn der Leistungsempfänger die Erstattung – wie im Streitfall – beantrage. Nicht erforderlich sei, dass es bereits zur Auszahlung der zu erstattenden Umsatzsteuer gekommen sei.

Gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG stehe der gegenüber dem Antragsteller zu erfolgenden Änderung der Umsatzsteuerbescheide § 176 Abs. 2 AO ausdrücklich nicht entgegen. Diese Regelung sei verfassungskonform und verstoße insbesondere nicht gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitende Rückwirkungsverbot. Es handele sich nicht um einen Fall der „echten“ Rückwirkung. Vergleichbar der Regelung des § 174 Abs. 2, 3 AO löse die Vorschrift einen Widerstreit, der darin bestehe, dass sich der Leistungsempfänger erfolgreich gegen den ihm gegenüber entstandenen Steueranspruch zur Wehr setzt und aus diesem Grunde ein unstreitig steuerbarer und steuerpflichtiger Vorgang nicht der Umsatzbesteuerung unterliegen würde. Auch mit einer Korrektur nach § 174 AO ginge stets auch eine Änderung eines bereits abgeschlossenen Besteuerungszeitraums einher. Würde eine solche Änderung am Vertrauensschutz scheitern, liefe die Korrekturmöglichkeit des § 174 AO, im Streitfall des § 27 Abs. 19 UStG, leer.

Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass der Leistungserbringer in seinem Vertrauen hinreichend geschützt sei, indem er seinen zivilrechtlichen Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer gegenüber dem Leistungsempfänger an Zahlungsstatt an den Fiskus abtreten könne. Der Leistungserbringer sei hierdurch so gestellt, wie vor dem Änderungsbescheid. Das Risiko der Durchsetzung dieses Anspruchs gegenüber dem Leistungsempfänger trage der Fiskus. Verweigere der Leistungserbringer aber die Abtretung des zivilrechtlichen Zahlungsanspruchs gegenüber dem Leistungsempfänger an den Fiskus, so entfalle die Schutzwürdigkeit seines zuvor bestehenden Vertrauens.

Dieser zivilrechtliche Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer bestehe auch regelmäßig. Der Irrtum der Vertragsparteien über die Steuerschuldnerschaft hinsichtlich der Umsatzsteuer führe zu einer ergänzenden Vertragsauslegung zur Frage, wer die Umsatzsteuer zu tragen habe. So verhalte es sich auch im Streitfall.

Dieser Anspruch sei auch zivilrechtlich nicht verjährt, da die Verjährung erst mit Kenntnis des Anspruchs beginne. Diese Kenntnis erlange der Leistungserbringer erst mit der Mitteilung des Finanzamts darüber, dass der Leistungsempfänger die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt habe.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Die Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide ist nicht aufzuheben, da im Rahmen der im Streitfall gebotenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Bescheide das individuelle Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung überwiegt.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 87, 447, Bundessteuerblatt – BStBl – III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156, und vom 26. August 2010 I B 85/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2011, 220).

Dies gilt auch dann, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm begründet werden. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (grundlegend BFH-Beschluss vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; weitere nachweise bei Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, Stand: Juli 2015, § 69 FGO Rn 96 m.w.N.). Es genügen auch in diesem Fall gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechende Gründe; die Beurteilung des Aussetzungsantrags erfolgt nicht anhand der – strengeren – Maßstäbe, wie sie das BVerfG für die einstweilige Anordnung gemäߠ§ 32 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) entwickelt hat (vgl. BFH in BStBl II 1984, 454).

2. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, so ist der Verwaltungsakt, von Ausnahmen in Sonderfällen abgesehen, trotz der gesetzlichen Formulierungen „kann ... aussetzen“ in § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO und „soll die Aussetzung erfolgen“ in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO von der Vollziehung auszusetzen (so grundlegend Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199). Das in § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO angelegte Ermessen des Finanzgerichts bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist in dem Sinne vorgeprägt bzw. gebunden, dass das Gericht bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen im Regelfall zur Aussetzung verpflichtet und nur ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel zugelassen ist (Gosch in Beermann/Gosch, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rn 179 m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814).

a) Ein solcher Ausnahmefall wird von der Rechtsprechung insbesondere in den Fällen angenommen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakt auf ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Rechtsnormen beruhen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFH/NV 2012, 874 m.w.N. sowie in BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (bspw. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).

Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BStBl II 2010, 558).

b) Diese einschränkende Rechtsprechung hat das BVerfG im Grundsatz gebilligt (Beschlüsse des BVerfG vom 6. April 1988 1 BvR 146/88, Deutsche Steuer-Zeitung / Eildienst – DStZ/E – 1988, 237 und vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, HFR 1992, 726; im Ergebnis offengelassen zuletzt Beschluss des BVerfG vom 24. Oktober 2011 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2012, 89). Das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses, welches gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts abzuwägen ist, ist kein zusätzliches, unbestimmtes Tatbestandsmerkmal, sondern eine zulässige Interpretation des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO als Soll-Vorschrift (Beschluss des BVerfG in DStZ/E 1988, 237) und verstößt nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (Beschlüsse des BVerfG in DStZE 1988, 237 und in HFR 1992, 726).

c) Hieran ist nach Auffassung des beschließenden Senats trotz der in der Literatur geäußerten Kritik (vgl. insbesondere Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rn 96 ff.; ders., Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, DStR 2012, 325; vgl. auch Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Rz 113; Schallmoser, Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm, DStR 2010, 297, alle m.w.N.; für eine Interessenabwägung dagegen z.B. Gosch, a.a.O., § 69 FGO Rn. 180f.) festzuhalten. Zwar ist die Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage uneinheitlich. Verschiedene Senate lassen die Frage, ob sie der bisherigen Rechtsprechung folgen wollen, dahingestellt, sofern bei der gleichwohl vorgenommenen Abwägung das individuelle Aussetzungsinteresse überwiegt (vgl. Beschluss des I. Senats in DStR 2012, 955; Beschluss vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BFHE 244, 320, BStBl II 2014, 947; Beschluss des VI. Senats vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 89, BStBl II 2009, 826). Dabei wird – zutreffend – darauf hingewiesen, dass der schlichte Hinweis auf die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte nicht ausreiche, um das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen zu überwiegen (Beschluss des VI. Senats vom 23. August 2007 VI B 42/07,BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799). Nicht erhebliche, rein fiskalisch begründete Interessen, seien keine schwerwiegenden öffentlichen Interessen an einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts (so die Beschlüsse des IX. Senats vom 5. März 2001 IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405 und vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367).

Allerdings ist nicht festzustellen, dass der BFH insgesamt von dem Erfordernis einer Interessenabwägung abgerückt wäre. Sowohl der II. Senat (Beschluss in BStBl II 2010, 558) als auch der VII. Senat (Beschluss in BFH/NV 2012, 874) haben auch in ihrer Jüngeren Rechtsprechung an dieser Abwägung festgehalten und die Aussetzung der Vollziehung aus Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses abgelehnt. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2011 (HFR 2012, 89) die Spruchpraxis des II. Senats des BFH nicht verworfen, sondern unter Bestätigung der Entscheidung lediglich im Ergebnis offen gelassen, ob diese Rechtsprechung in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Beide Senate (Beschlüsse vom 21. November 2013 II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263; vom 15. April 2014 II B 71/13, BFH/NV 2015, 7 und vom 25. November 2014 VII B 65/14, BFHE 247, 182, BStBl II 2015, 207) haben auch in ihren jüngsten Beschlüssen eine entsprechende Abwägung vorgenommen, auch einige Finanzgerichte sind dem gefolgt (zuletzt Beschluss des FG Berlin-Brandenburg vom 2. Juni 2015 5 V 10344/14, juris; Beschlüsse des FG Köln vom 20. Dezember 2013 4 V 2879/13, EFG 2014, 573, und vom 4. Juli 2012 13 V 1292/12, EFG 2012, 2036).

Der beschließende Senat schließt sich dieser Sichtweise an. Es ist nicht erkennbar, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Begründung für das Erfordernis einer Interessenabwägung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, die ihren Kern im Grundsatz der Gewaltenteilung und der hieraus folgenden Verwerfungskompetenz des BVerfG gemäߠ§ 32 Abs. 1 BVerfGG hat (vgl. zu dieser Begründung zuletzt BFH-Beschluss in DStR 2012, 605), heute keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Diese Interessenabwägung bietet hinreichende Möglichkeit, den berechtigten Interessen sowohl des Staates als auch dem rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen zu genügen. Zur weiteren Begründung wird auf die jüngeren Entscheidungen des II. und VII. Senats des BFH (a.a.O.) verwiesen.

3. Die hiernach vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der streitgegenständlichen Bescheide und dem individuellen Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fällt im Streitfall zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie an dem Vollzug eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes überwiegt das Interesse des Antragstellers, das allein darin besteht, die bereits gezahlte Umsatzsteuer - im Ergebnis - vorläufig wieder erstattet zu bekommen.

a) Die Vollziehungsaussetzung bzw. -aufhebung aller nach § 27 Abs. 19 UStG geänderten Umsatzsteuerbescheide hätte die faktische Außerkraftsetzung des formell ordnungsgemäß zustande gekommenen § 27 Abs. 19 UStG und damit eine erhebliche Breitenwirkung zur Folge. Letztlich bewirkte dies, dass die infolge des BFH-Urteils vom 22. August 2013 V R 37/10 (a.a.O.) an die betreffenden Bauträger zu erstattende Umsatzsteuer im Ergebnis gar nicht erhoben werden könnte und daher die Leistungen eines ganzen Wirtschaftszweigs über mehrere Jahre im Ergebnis nicht der Umsatzsteuer unterworfen würden, obwohl der umsatzsteuerliche Tatbestand durch diese Leistungen unstreitig erfüllt war. Das hierdurch für den öffentlichen Haushalt bestehende und als „fiskalisches Fiasko“ (Wäger, UR 2014, 81; Sterzinger, UR 2015, 293; Habammer/Schneider, BB 2015, 1108) bezeichnete fiskalische Risiko wurde in der Literatur auf mehreren Mrd. € geschätzt (so Widmann, DStR, Beih. 2014, 109: 7 Mrd. €; vgl. auch Immobilien-Zeitung vom 22. Mai 2014: „Das Milliarden-Urteil“: „Dieses Urteil ist wie ein Lottoschein, auf dem sechs Richtige angekreuzt sind. Man muss ihn nur noch abgeben.“, zitiert nach Hechtner, Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, vom 23. Juni 2014). Auch der Antragsteller äußert die Ansicht, dass die Einführung des § 27 Abs. 19 UStG der Angst vor Umsatzsteuerausfällen in Milliardenhöhe geschuldet sei. Der beschließende Senat teilt diese Ansicht und sieht jedenfalls ganz erhebliche Risiken für die öffentlichen Haushalte, sofern nach § 27 Abs. 19 UStG geänderte Umsatzsteuerbescheide wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift von der Vollziehung ausgesetzt werden. Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des drohenden Steuerausfalls können bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden Prüfung auf sich beruhen (BFH-Beschluss vom 25. November 2014 VII B 65/14, a.a.O.).

b) Dass der Antragsteller demgegenüber ohne die Erstattung der festgesetzten und von diesem auch bereits entrichteten Steuer nicht wiedergutzumachende Nachteile von erheblichem Gewicht erlitte oder nicht mehr gewinnbringend gewerblich tätig sein könnte, ist seinem Vortrag nicht schlüssig zu entnehmen und auch im Übrigen nicht ersichtlich.

Unabhängig von der Höhe der streitigen Umsatzsteuerbeträge und der Tatsache, dass der Antragsteller diese Beträge zwischenzeitlich entrichtet hat, ist bei der vorzunehmenden Interessenabwägung im Streitfall zu beachten, dass der Antragsteller nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht endgültig mit der nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG festzusetzenden Umsatzsteuer belastet ist. Vor diesem Hintergrund hat der Antragsteller sein besonderes Aussetzungsinteresse damit begründet, dass er zivilrechtlich keine Möglichkeit habe, die Umsatzsteuer gegenüber den Leistungsempfängern nachträglich in Rechnung zu stellen. Der beschließende Senat lässt offen, ob er die zivilrechtliche Einschätzung des Antragstellers insoweit teilt (zum Streitstand insoweit vgl. bspw. Habammer/Schneider, a.a.O. m.w.N.; für das Bestehen eines solchen Anspruchs bspw. Heuermann, DB 2015, 572). Jedenfalls aber hat der Antragsteller die Möglichkeit, gemäß § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG den – zumindest behaupteten – zivilrechtlichen Zahlungsanspruch gegenüber den Leistungsempfängern an den Fiskus an Zahlung statt abzutreten und damit auf Ebene der Steuererhebung das Erlöschen der Umsatzsteuerforderung herbeizuführen. Ein – dem Wortlaut des § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG zu vermutendes – Ermessen bei der Annahme der Abtretung durch die Finanzverwaltung dürfte dabei nach Auffassung des Senats nicht bestehen. Das Risiko der Durchsetzung des zivilrechtlichen Anspruchs trägt nach der gesetzgeberischen Konzeption der Fiskus als Zessionar.

Ob in jedem Einzelfall das Konzept des Gesetzgebers, im Nachgang des BFH-Urteils vom 22. August 2013 V R 37/10 (a.a.O.) die Bauleistenden unter ausdrücklichem gesetzlichen Ausschluss des § 176 Abs. 2 AO bei der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung in ihrem – ggfs. bestehenden – Vertrauen zu enttäuschen und Vertrauensschutz auf der Ebene der Steuererhebung zu gewähren, kann im Streitfall unentschieden bleiben. Insoweit bestehen Zweifel jedenfalls in Fällen der Leistungsstörung, der Insolvenz des Leistungsempfängers oder ähnlichem. Im Streitfall aber hat der Antragsteller von der in § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG gesetzlich vorgesehen Möglichkeit, Vertrauensschutz zu erlangen, keinen Gebrauch gemacht. Ein – die öffentlichen Belange überwiegendes – besonderes berechtigtes Interesse an der Vollziehungsaufhebung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide kann vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der erheblichen Breitenwirkung einer Vollziehungsaussetzung wegen einer möglichen Verfassungswidrigkeit des § 27 Abs. 19 UStG nicht angenommen werden.

Zwar kann einem rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen effektiver Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht unter Hinweis auf eine einfachgesetzliche Wahlmöglichkeit versagt werden, die eine unbillige Härte abmildern soll (vgl. BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263 zum vorläufigen Rechtsschutz wegen des Normenkontrollverfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs.1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und dem Wahlrecht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Anders als in diesem Sachverhalt handelt es sich aber nicht um eine mit Nachteilen für den Steuerpflichtigen verbundene Wahlmöglichkeit, eine unbillige Härte abzumildern, sondern um das gesetzgeberische Konzept, um das Vertrauen des einzelnen Steuerpflichtigen und das öffentliche Interesse der ordnungsgemäßen Umsatzbesteuerung der Leistungen zwischen Bauleistenden und Bauträgern gleichermaßen zur Geltung zu verhelfen. Nimmt der rechtsschutzsuchende Steuerpflichtige diese Möglichkeit nicht war, so vermindert sich die Berechtigung seines individuellen Interesses an der Vollziehungsaussetzung bzw. -aufhebung, mit der Folge, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Bescheide im Streitfall dessen Aussetzungsinteresse überwiegt.

c) Bei diesem Ergebnis der Interessenabwägung wäre die beantragte Vollziehungsaufhebung auch dann abzulehnen, wenn der beschließende Senat die vom Antragsteller und in der Literatur (z.B. Lippross, UR 2014, 717; ders., NWB 2015, 677) sowie vom FG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 3. Juni 2015 5 V 5026/15, DStR 2015, 1438) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einführung des § 27 Abs. 19 UStG insbesondere wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbots teilte (vgl. BFH-Beschluss vom 25. November 2014 VII B 65/14, a.a.O.). Aus diesem Grund lässt der Senat diese Frage offen. Er weist allerdings darauf hin, dass die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG teilweise auch ausdrücklich für verfassungskonform gehalten wird (vgl. bspw. Heuermann, DB 2015, 572; Sterzinger, UR 2015, 293; Habammer/Schneider, BB 2015, 1108) und jedenfalls bislang keine Vorlage an das BVerfG im Rahmen eines konkretes Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG erfolgte.

4. Für eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte der Vollziehung sind im Streitfall keine Gesichtspunkte vorgetragen und auch im Übrigen nicht ersichtlich.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war nicht zuzulassen.

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