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Steuerrecht
17.01.2013
Steuerrecht
FG Münster: EuGH-Vorlagebeschluss zum Ursprungsnachweis bei fehlerhafter Teilwarenverkehrsbescheinigung

FG Münster, Beschluss vom 12.12.2012 - 4 K 4355/11 Z

Sachverhalt

Die Klägerin kaufte eine Partie von 9.300 mt Harnstoff ägyptischen Ursprungs von der A-Co., in ....... /Ägypten. Für den Transport der Ware von Ägypten charterte die Klägerin ein Schiff, das die Ware am 29./30.01.2009 in ......../Ägypten aufnahm, einen Teil nach ......../Niederlande und den Rest nach ........../Deutschland bringen sollte. Für gesamte Sendung stellten die ägyptischen Zollbehörden am 02.02.2009 eine Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 Nr. 072620 aus.

Am 11.02.2009 übermittelte die Klägerin den niederländischen Zollbehörden die Warenverkehrsbescheinigung und bat um Teilung dieser Bescheinigung.

Am 12.02.2009 kam das Schiff in ........./Niederlande an und löschte dort von 17:00 bis 22:45 Uhr 4.331,472 mt Harnstoff. Am 13.02.2009 verließ das Schiff um 3:45 Uhr den Hafen und erreichte ........../Deutschland. Dort wurde die restliche Ladung von 4.968,528 mt Harnstoff vom 16.02.2009 8.30 Uhr bis zum 17.02.2009 22:50 Uhr gelöscht.

Am 13.02.2009 beantragte die Klägerin im Rahmen des ihr bewilligten vereinfachten Zollverfahrens beim Zollamt ........./Deutschland die Abfertigung des Harnstoffs zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr. Die Zollstelle entsprach dem Antrag am 16.02.2009.

Am 24.02.2009 stellte die niederländische Zollstelle über 4.968,528 mt Harnstoff die Warenverkehrsbescheinigung BA 1915698 mit dem Hinweis auf die nachträgliche Ausstellung aus.

In ihrer ergänzenden Zollanmeldung für Februar 2009 vom 02.03.2009 schrieb die Klägerin die Ware als Harnstoff mit einem Gehalt an Stickstoff von mehr als 45 GHT unter der Unterposition 3102 10 10 der Kombinierten Nomenklatur an. Sie beließ die Ware unter Vorlage der Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 BA 1915698 zollfrei.

Am 15.04.2009 veranlasste der Beklagte eine Überprüfung der Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 BA 1915698 durch die niederländischen Behörden, die durch den Kantoor .........., Afdeling Oorsprongszaken am 01.10.2010 mitteilen ließen, es handele sich um ein Ersatzursprungszeugnis, das nachträglich am 24.02.2009 ausgestellt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Waren, die sich zuvor unter zollamtlicher Überwachung befunden hätten, schon das Land verlassen. Dies habe nicht Art. 20 des Protokolls Nr. 4 über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen, das hier in der Fassung des Beschlusses Nr. 1/2006 des Assoziationsrates EU-Ägypten vom 17. Februar 2006 (ABl. EU Nr. L 73, 1) anzuwenden ist und im weiteren als Protokoll Nr. 4 bezeichnet wird, entsprochen.

Auf Anfrage der Zentralstelle Ursprungsnachprüfung (ZUN), ob eine Rücknahme oder ein Widerruf des Präferenznachweises erfolgen werde, antworteten die niederländischen Behörden zunächst nicht.

Daraufhin erhob der Beklagte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 19.11.2010 von der Klägerin 68.382,54 EUR Zoll nach, da die Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 BA 1915698 den Ursprung der Ware nicht bestätigen könne.

Auf die Anfrage der ZUN teilte der Kantoor ..........., Afdeling Oorsprongszaken mit Schreiben vom 24.02.2011 mit, die Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 BA 1915698 sei zutreffend und von der zuständigen Stelle korrekt ausgestellt worden. Die nachträgliche Ausstellung widerspreche zwar Art. 20 Protokoll Nr. 4. Man könne aber die Warenverkehrsbescheinigung nicht für ungültig erklären oder widerrufen, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gebe. Vielmehr liege es im Ermessen des Beklagten, die Präferenz zu gewähren.

Zur Begründung des dagegen fristgerecht eingelegten Einspruchs trug die Klägerin vor, die Richtigkeit der Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 BA 1915698 hätten die niederländischen Zollbehörden bestätigt, zumal sie deren nachträgliche Ausstellung angegeben hätten.

Auch könne eine Präferenz nicht allein aus formalen Gründen versagt werden (EuGH-Urteile v. 07.12.1993, C-12/92 und v. 23.02.1995, C-334/93). Der objektive Ursprungsnachweis lasse sich durch die ursprüngliche Warenverkehrsbescheinigung nebst den vorgelegten Unterlagen führen.

Schließlich sei der internationale Handel auf die schnellstmögliche Abwicklung der Seetransporte angewiesen. Dem könne das vorgesehene Verfahren zur Ausstellung der Warenverkehrsbescheinigungen nicht immer entsprechen. Für sie als Einführerin sei ein Festhalten des Schiffs bis zur Ausstellung einer Teil-Warenverkehrsbescheinigung schon aus finanziellen Gründen unzumutbar gewesen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2011 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte dazu aus: Nach Art. 16 Protokoll Nr. 4 sei die Präferenzberechtigung einer aus Ägypten gelieferten Ware durch Vorlage einer Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 nachzuweisen. Die Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 BA 1915698 als Ersatz für die in Ägypten ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung könne nicht der Präferenzgewährung dienen, denn sie entspreche nicht den Bestimmungen des Europa-Mittelmeer-Abkommens. Die durch die niederländische Zollstelle nachträglich ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung sei entgegen Art. 20 Protokoll Nr. 4 nicht ausgestellt worden, als sich die Ware unter zollamtlicher Überwachung befunden habe. Vielmehr sei die Ware in diesem Zeitpunkt schon in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt gewesen. Eine nachträgliche Ausstellung der Warenverkehrsbescheinigung ließen weder Art. 20 noch Art. 18 des Protokolls Nr. 4 zu.

Zur Begründung ihrer fristgerecht erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, die ursprüngliche Warenverkehrsbescheinigung könne nach Art. 20 Satz 1 Protokoll Nr. 4 durch eine andere Warenverkehrsbescheinigung ersetzt werden, sobald eine Ursprungssendung der Überwachung einer Zollstelle unterstellt werde. Damit werde nur klargestellt, welche Zollstelle zur Ausstellung der Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung zuständig sei. Zugleich bestimme die Vorschrift einen Anspruch auf Ausstellung einer Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung.

Dieser Anspruch sei nicht auf die Zeit beschränkt, in der die Zollstelle die Ware überwachen könne.

Zudem widerspreche die Nacherhebung dem Grundprinzip des Präferenzrechts, nach dem die Behörden des Ausfuhrlandes ausschließlich darüber zu entscheiden hätten, ob eine Ware eine begünstigte Ursprungsware sei. Daher sei auch zwischen der EU und Ägypten ein System administrativer Zusammenarbeit vereinbart worden. In diesem System sei die Beurteilung des Behörde des Ausfuhrlandes verbindlich. Das gelte um so mehr, als der ägyptische Ursprung der Ware unstreitig sei.

Zwar sei die niederländische Zollstelle keine Behörde des Ausfuhrlandes. Stelle sie aber eine Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung aus, sei sie genauso zu behandeln. Dafür spreche auch, dass die Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelung keine gegenteilige Regelung enthalte. Zudem habe die niederländische Behörde auf Rückfrage ausdrücklich die Richtigkeit der Warenverkehrsbescheinigung bestätigt.

Auf das Identitätsprinzip komme es nicht an, da Warenverkehrsbescheinigungen nachträglich ausgestellt werden dürften. Auch sei nicht erkennbar, warum eine nachträgliche Ausstellung nicht auch bei Ersatz-Warenverkehrsbescheinigungen möglich sein könne.

Die Klägerin beantragt,

den Einfuhrabgabenbescheid des Beklagten vom 19.11.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2011 aufzuheben,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Begründung wiederholt er die Argumentation in seiner Einspruchsentscheidung und führt weiter aus, im Protokoll Nr. 4 sei die nachträgliche Ausstellung einer Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung nach dem Versand sämtlicher Teile eines Erzeugnisses nicht vorgesehen.

Da die Ausstellung der Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung erst nach Teilung der Ware nachträglich vorgenommen worden sei und den Voraussetzungen des Art. 20 Protokoll Nr. 4 widerspreche, seien auch die übrigen Voraussetzungen des Protokolls Nr. 4 nicht erfüllt, so dass eine Präferenzgewährung ausscheide.

Insoweit sei auch unerheblich, ob die die Ersatz-Warenverkehrsbescheinigung ausstellende Behörde ihre Bescheinigung für zutreffend halte, da der vorliegende Verstoß gegen das Nämlichkeitsprinzip die Präferenzgewährung verhindere.

Aus den Gründen

II.

Für den eingeführten Harnstoff ist die Zollschuld nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung - hier nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3 2. Halbsatz ZK mit der Anschreibung in der Buchführung - in der Person der Klägerin entstanden. Der Abgabensatz, der nach Art. 20 Abs. 1 ZK durch den Zolltarif bestimmt wird, umfasst nach Art. 20 Abs. 3 Buchst. d ZK auch Zollpräferenzmaßnahmen aufgrund von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und bestimmten Ländern oder Ländergruppen. Hierzu gehört auch das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Republik Ägypten andererseits (ABl. EU 2004 Nr. L 304/39).

Die Einzelheiten der Präferenzbegünstigung sind in dem insoweit maßgebenden Protokoll Nr. 4 geregelt.

Danach ergeben sich die maßgebenden Eigenschaften für "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" aus den Art. 2 ff. des Protokolls Nr. 4.

Dass der Harnstoff ägyptischen Ursprungs ist und als solcher auch als "Erzeugnis mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnis" Ägyptens angesehen werden kann, hält der vorlegende Senat für gegeben. Für die gesamte Schiffsladung, die unmittelbar von Ägypten nach ........./Niederlande befördert wurde (s. Art. 13 Protokoll Nr. 4), hatten die ägyptischen Behörden ein Ursprungszeugnis ausgestellt. Anhaltspunkte dafür, dass dieses Ursprungszeugnis inhaltlich unrichtig oder gefälscht ist oder von einer unzuständigen ägyptischen Behörde ausgestellt wurde, bestehen nicht und sind nicht substantiiert vorgetragen worden. Nunmehr bestreitet der Beklagte auch den ägyptischen Ursprung der Ware nicht mehr.

Zweifelhaft ist nur, ob das von der Klägerin vorgelegte Ursprungszeugnis den Ursprung im Sinne der Art. 16 ff. Protokoll Nr. 4 nachweisen kann. Das Ursprungszeugnis ist nämlich nach Art. 20 Protokoll Nr. 4 ausgestellt worden, erfüllt aber die Voraussetzungen der Vorschrift ebenso wenig wie die für eine nachträgliche Ausstellung nach Art. 18 Protokoll Nr. 4.

Nach Art. 20 Satz 1 Protokoll Nr. 4 kann der ursprüngliche Ursprungsnachweis, wenn Ursprungserzeugnisse in der Gemeinschaft der Überwachung einer Zollstelle unterstellt werden, im Hinblick auf den Versand eines Teils dieser Erzeugnisse zu anderen Zollstellen in der Gemeinschaft durch eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 ersetzt werden. Diese Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 wird nach Art. 20 Satz 2 Protokoll Nr. 4 von der Zollstelle ausgestellt, unter deren Überwachung sich die Erzeugnisse befinden.

Nach dem insoweit weder im Deutschen, noch im Englischen, Französischen und Niederländischen abweichenden Wortlaut der Vorschrift findet eine Ausstellung der Warenverkehrsbescheinigung nur statt, wenn sich die Ware unter der Überwachung der Zollstelle befindet. Damit kann die Zollstelle die Ware tatsächlich daraufhin überprüfen, ob sie mit der im ursprünglichen Ursprungszeugnis bezeichneten Ware - jedenfalls hinsichtlich der Teilmenge, für die ein Ursprungszeugnis beantragt wird - identisch ist.

Diese Prüfungsmöglichkeit erscheint auch sinnvoll. Anders als die Behörden, die das ursprüngliche Ursprungszeugnis ausgestellt haben, haben die Zollstellen, die Ursprungszeugnisse nach Art. 20 Protokoll Nr. 4 ausstellen, kaum Möglichkeiten, nachträglich Erkenntnisse über den Warenursprung zu gewinnen oder sonst die Identität der Waren mit denen im ursprünglichen Ursprungszeugnis genannten Waren festzustellen.

Da das vorgelegte Ursprungszeugnis zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, zu dem sich die Waren, auf die es sich bezog, nicht mehr der zollamtlichen Überwachung unterlagen, sondern sich bereits im zollrechtlich freien Verkehr befanden, war im Streitfall eine Prüfung der tatsächlichen Identität von vornherein unmöglich.

Gleichwohl bestehen Zweifel an der Richtigkeit dieser Auslegung, denn der Gerichtshof hat mit Urteilen vom 07.12.1993, C-12/92, und vom 23.02.1995, C-334/93, Ausnahmen von dem Grundsatz gemacht, dass die Präferenzbegünstigung die Vorlage eines wirksamen Präferenznachweises verlangt. Vielmehr konnte in den beiden entschiedenen Ausnahmefällen auch in anderer Weise der erforderliche Ursprungsnachweis erbracht werden.

Im Streitfall hingegen ist der Ursprung der Ware in Ägypten unstreitig. Dafür haben die ägyptischen Behörden auch eine Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 ausgestellt, an deren Richtigkeit keine Zweifel geäußert wurden.

Zudem wird die Ablehnung der Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 als Ursprungsnachweis im angefochtenen Bescheid nur damit begründet, dass dieser Ursprungsnachweis zu dem Zeitpunkt, als er erstellt wurde, nicht hätte erstellt werden dürfen. Damit beruht diese Ablehnung auf einer rein formellen Begründung, die im Streitfall selbst die Annahme, die Ware sei unbekannten Ursprungs, nicht rechtfertigen kann.

Andererseits dürfte der Beklagte entgegen den Ausführungen der Klägerin nicht an die Beurteilung der niederländischen Zollbehörden gebunden sein. Zwar hat der Gerichtshof erstmals im Urteil vom 12.07.1984, Rs. 218/83, Rz. 26, und danach in ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil v. 08.11.2012, C-438/11 Rz. 34) entschieden, dass die Bestimmung des Ursprungs der Waren auf einer Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Zollbehörden der Parteien des Abkommens beruht, als der Ursprung von den Behörden des Ausfuhrstaats bestimmt wird und das Funktionieren dieser Regelung im Wege der Zusammenarbeit zwischen den auf beiden Seiten beteiligten Verwaltungen kontrolliert wird. Allerdings ist diese Erwägung dadurch gerechtfertigt, dass die Behörden des Ausfuhrstaats am besten in der Lage sind, die Tatsachen, von denen der Ursprung abhängt, unmittelbar festzustellen. Hiervon ist aber im Verhältnis des Beklagten zu den niederländischen Behörden, die erst nach Überführung der Ware in den zollrechtlich freien Verkehr tätig wurden, nicht auszugehen.

Der Senat hat sich auch deshalb zur Vorlage entschlossen, weil - neben der für die Praxis erheblichen Bedeutung dieses Rechtsstreits auch im Hinblick auf vergleichbare Vorschriften im Rahmen anderer Präferenzregelungen - das Vorabentscheidungsverfahren anders als ein Urteil eines nationalen Gerichts eine einheitliche Handhabung des Unionsrechts gewährleisten kann.

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