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Steuerrecht
14.03.2024
Steuerrecht
EuGH: EuGH: Recht auf Vorsteuerabzug – Begriff des Steuerpflichtigen – Grundsatz der steuerlichen Neutralität – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

– nicht operatives Unternehmen – nationale Regelung, die das Recht auf Abzug, Erstattung oder Verrechnung der Vorsteuer versagt (Italienisches Vorabentscheidungsersuchen)

EuGH, Urteil vom 7.3.2024 – C-341/22; Feudi di San Gregorio Aziende Agricole SpA gegen Agenzia delle Entrate

ECLI:EU:C:2024:210

Volltext BB-Online BBL2024-661-1

Tenor

1. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er nicht dazu führen kann, einer Person die Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger zu versagen, die während eines bestimmten Besteuerungszeitraums für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze bewirkt, deren wirtschaftlicher Wert den in einer nationalen Regelung festgelegten Schwellenwert, der dem Ertrag entspricht, der bei den dieser Person zur Verfügung stehenden Vermögenswerten vernünftigerweise erwartet werden kann, nicht erreicht.

2. Art. 167 der Richtlinie 2006/112 sowie die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund des als unzureichend angesehenen Betrags seiner für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanten Ausgangsumsätze versagt wird.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 und Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie), sowie der Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer, der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit.

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Feudi di San Gregorio Aziende Agricole SpA (im Folgenden: Feudi) und der Agenzia delle Entrate (Steuerverwaltung, Italien) (im Folgenden: Steuerbehörde) wegen der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          In Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

4          Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“

5          Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

6          Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)         die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.

7          In Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.

…“

Italienisches Recht

8          Art. 30 („Ruhende Unternehmen, Bewertung von Wertpapieren“) der Legge n. 724 – Misure di razionalizzazione della finanza pubblica (Gesetz Nr. 724 – Maßnahmen zur Rationalisierung der öffentlichen Finanzen) vom 23. Dezember 1994 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 174 vom 30. Dezember 1994, im Folgenden: Gesetz Nr. 724/1994) bestimmt in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung:

„1.        Für die Zwecke dieses Artikels werden Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften sowie gebietsfremde Unternehmen und Einheiten aller Art mit einer Betriebsstätte im nationalen Hoheitsgebiet als nicht operativ angesehen, wenn das Gesamtaufkommen der Einnahmen, der Bestandsmehrungen und der Erträge (mit Ausnahme der außerordentlichen), die sich aus der Gewinn- und Verlustrechnung, soweit diese vorgeschrieben ist, ergeben, unter der Summe der Beträge liegt, die sich bei Anwendung folgender Prozentsätze ergeben: …

4.         Für nicht operative Unternehmen und Einheiten ist der sich aus der Mehrwertsteuererklärung ergebende Guthabenüberschuss weder erstattungsfähig noch kann er verrechnet … oder übertragen … werden. Bewirkt das nicht operative Unternehmen oder die nicht operative Einheit während drei aufeinanderfolgender Besteuerungszeiträume keine für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanten Umsätze mindestens in Höhe des Betrags, der sich aus der Anwendung der in Abs. 1 genannten Prozentsätze ergibt, kann der Guthabenüberschuss nicht zur Verrechnung mit der für die folgenden Besteuerungszeiträume zu zahlenden Mehrwertsteuer vorgetragen werden.

4a.       Liegen objektive Umstände vor, die die Erzielung von Einnahmen, Bestandsmehrungen, Erträgen und Einkünften im Sinne dieses Artikels unmöglich gemacht haben oder die Bewirkung für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanter Umsätze gemäß Abs. 4 nicht zugelassen haben, kann das betreffende Unternehmen beantragen, dass die einschlägigen Vorschriften zur Bekämpfung der Steuerumgehung nicht angewandt werden. …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9          Die Vigna Ottieri s.r.l. (im Folgenden: Vigna) war eine Gesellschaft italienischen Rechts, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte, die in der Erzeugung und Vermarktung von Wein in der Region Kampanien (Italien) bestand.

10        Am 22. Dezember 2010 stellte die Steuerbehörde Vigna einen Steuerbescheid zu, in dem u. a. darauf hingewiesen wurde, dass sie für den Besteuerungszeitraum 2008 als nicht operatives Unternehmen (sogenanntes ruhendes Unternehmen) betrachtet werde, weil der Wert der von ihr angegebenen mehrwertsteuerpflichtigen Ausgangsumsätze unter dem Schwellenwert liege, bis zu dem Unternehmen für die Anwendung von Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 als nicht operativ angesehen würden. Dem Steuerbescheid war auch zu entnehmen, dass Vigna diesen Schwellenwert während drei aufeinanderfolgender Besteuerungszeiträume, nämlich 2006, 2007 und 2008, nicht erreicht hatte. Infolgedessen lehnte die Steuerverwaltung den von Vigna für den Besteuerungszeitraum 2009 geltend gemachten Abzug des Mehrwertsteuerguthabens in Höhe von 42 108 Euro ab.

11        Vigna erhob gegen den Steuerbescheid Klage bei der Commissione tributaria provinciale di Avellino (Provinzfinanzkommission Avellino, Italien). Mit Urteil vom 18. April 2012 wies diese die Klage ab.

12        Feudi, die Vigna ab dem 27. September 2012 übernahm, legte gegen dieses Urteil bei der Commissione tributaria regionale della Campania, sezione distaccata di Salerno (Regionale Finanzkommission Kampanien, Außenstelle Salerno, Italien) Berufung ein, die zurückgewiesen wurde.

13        Am 27. März 2014 legte Feudi Kassationsbeschwerde bei der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), dem vorlegenden Gericht, ein. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei, ihr das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen.

14        Das vorlegende Gericht weist im Wesentlichen darauf hin, dass die in Rede stehende italienische Regelung von der Gründung ruhender Unternehmen abhalten und dadurch verhindern solle, dass juristische Personen, die formal eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten, ohne jedoch tatsächlich operativ zu sein, Steuervorteile hätten. Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 sehe zu diesem Zweck einen Abschreckungsmechanismus vor, der auf der Vermutung beruhe, dass die Nichtoperativität eines Unternehmens daraus abgeleitet werden könne, dass die Einnahmen, die bei den dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Vermögenswerten vernünftigerweise erwartet werden könnten, geringer unter einer in dieser Bestimmung festgesetzten Einnahmeschwelle lägen. Ein Unternehmen könne diese Vermutung jedoch widerlegen, indem es nachweise, dass es diese Einnahmeschwelle während eines bestimmten Zeitraums aufgrund objektiver Umstände nicht habe erreichen können.

15        Dem Vorabentscheidungsersuchen ist zu entnehmen, dass sich nach der genannten Vorschrift nicht operative Unternehmen ein in ihrer Erklärung ausgewiesenes Mehrwertsteuerguthaben, das sich u. a. aus einem abzugsfähigen Mehrwertsteuerbetrag ergibt, der die vereinnahmte Mehrwertsteuer übersteigt, nicht erstatten lassen können. Auch eine Verrechnung oder Übertragung dieses Guthabens scheide aus. Das Guthaben könne dann auf die für die folgenden Besteuerungszeiträume geschuldete Mehrwertsteuer angerechnet werden. Erziele ein nicht operatives Unternehmen jedoch in drei aufeinanderfolgenden Besteuerungszeiträumen keine für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanten Umsätze mindestens in Höhe der genannten Einnahmeschwelle, könne das Guthaben nicht mehr vorgetragen werden. Das Unternehmen verliere damit das Recht auf Vorsteuerabzug.

16        Unter diesen Umständen fragt sich das vorlegende Gericht erstens, ob einem Unternehmen, das für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze bewirkt, ohne jedoch die in der in Rede stehenden italienischen Regelung vorgesehene Einnahmeschwelle zu erreichen, die Eigenschaft als Steuerpflichtiger und damit das Recht auf Vorsteuerabzug versagt werden kann, wenn dieses Unternehmen nicht nachweist, dass objektive Umstände die Erzielung von über diesem Schwellenwert liegenden Einnahmen unmöglich gemacht haben. Das Gericht hegt insoweit Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Praxis mit Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dem im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass sich die Eigenschaft als Steuerpflichtiger daraus ergibt, dass das Rechtssubjekt, das sich auf diese Eigenschaft beruft, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

17        Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die in Rede stehende italienische Regelung mit Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie mit dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Es weist darauf hin, dass zwar die Bekämpfung von Betrug, Steuerhinterziehung und etwaigen Missbräuchen ein Ziel sei, das von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt und gefördert werde, dass die von den Mitgliedstaaten erlassenen Maßnahmen aber nicht über das hinausgehen dürften, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei, und insbesondere nicht so eingesetzt werden dürften, dass sie systematisch den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellten.

18        Drittens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die in Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 vorgesehenen Beschränkungen des Rechts auf Vorsteuerabzug als Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes anzusehen sind. Ein Steuerpflichtiger könnte nämlich, wenn er eine wirtschaftliche Tätigkeit ausführe, nicht mit Sicherheit wissen, ob dieser Umsatz ein Recht auf Vorsteuerabzug oder auf Mehrwertsteuererstattung begründen könne, da die Ausübung dieser Rechte davon abhängen werde, dass er in einem bestimmten Besteuerungszeitraum eine Einnahmenhöhe erzielt habe, die den in der fraglichen italienischen Regelung vorgesehenen Schwellenwert übersteige.

19        Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Kann Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin ausgelegt werden, dass er die Steuerpflichtigeneigenschaft und damit das Recht auf Abzug oder Erstattung der entrichteten Mehrwertsteuer der Person versagt, die für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante aktive Umsätze in einem Umfang bewirkt, der im Verhältnis zu dem, was von den ihr zur Verfügung stehenden Vermögenswerten für drei aufeinanderfolgende Jahre nach gesetzlich im Voraus festgelegten Kriterien vernünftigerweise erwartet werden konnte, als nicht kohärent – weil viel zu gering – anzusehen ist, und die nicht in der Lage ist, zur Rechtfertigung dieses Umstands das Vorliegen objektiver Hinderungsgründe darzutun?

2.         Falls die erste Frage verneint wird: Stehen Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie und die allgemeinen Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug einer nationalen Regelung entgegen, die mit Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 das Recht auf Abzug der auf Erwerbe entrichteten Mehrwertsteuer, auf ihre Erstattung oder ihre Verwendung in einem folgenden Besteuerungszeitraum dem Steuerpflichtigen versagt, der für drei aufeinanderfolgende Besteuerungszeiträume für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante aktive Umsätze in einem Umfang bewirkt, der im Verhältnis zu dem, was von den ihm zur Verfügung stehenden Vermögenswerten für drei aufeinanderfolgende Jahre nach gesetzlich im Voraus festgelegten Kriterien vernünftigerweise erwartet werden konnte, als nicht kohärent – weil viel zu gering – anzusehen ist, und der nicht in der Lage ist, zur Rechtfertigung dieses Umstands das Vorliegen objektiver Hinderungsgründe darzutun?

3.         Falls die zweite Frage verneint wird: Stehen die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer nationalen Regelung entgegen, die mit Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 das Recht auf Abzug der auf Erwerbe entrichteten Mehrwertsteuer, auf ihre Erstattung oder ihre Verwendung in einem folgenden Besteuerungszeitraum dem Steuerpflichtigen versagt, der für drei aufeinanderfolgende Besteuerungszeiträume für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante aktive Umsätze in einem Umfang bewirkt, der im Verhältnis zu dem, was von den ihm zur Verfügung stehenden Vermögenswerten für drei aufeinanderfolgende Jahre nach gesetzlich im Voraus festgelegten Kriterien vernünftigerweise erwartet werden konnte, als nicht kohärent – weil viel zu gering – anzusehen ist, und der nicht in der Lage ist, zur Rechtfertigung dieses Umstands das Vorliegen objektiver Hinderungsgründe darzutun?

Zur ersten Frage

20        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er dazu führen kann, einer Person die Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger zu versagen, die während eines bestimmten Besteuerungszeitraums für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze bewirkt, deren wirtschaftlicher Wert den in einer nationalen Regelung festgelegten Schwellenwert, der dem Ertrag entspricht, der bei den dieser Person zur Verfügung stehenden Vermögenswerten vernünftigerweise erwartet werden kann, nicht erreicht, es sei denn, die Person weist nach, dass objektive Umstände das Erreichen dieses Schwellenwerts verhindert haben.

21        Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als „Steuerpflichtiger“, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie dahin definiert, dass er alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe umfasst. Zudem gilt danach als solche Tätigkeit „die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen“.

22        Die Prüfung des Wortlauts von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zeigt also nicht nur deutlich den Umfang des Anwendungsbereichs des Begriffs der „wirtschaftlichen Tätigkeit“, sondern zugleich auch seinen objektiven Charakter, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird (Urteil vom 25. Februar 2021, Gmina Wrocław [Umwandlung des Nießbrauchsrechts], C‑604/19, EU:C:2021:132, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23        Folglich hängt die Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger nicht von der Einhaltung einer Bedingung ab, nach der eine Person für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze bewirkt, deren wirtschaftlicher Wert eine zuvor festgelegte Einnahmeschwelle übersteigt, die dem Ertrag entspricht, der bei den dieser Person zur Verfügung stehenden Vermögenswerten vernünftigerweise erwartet werden kann. Insofern kommt es nämlich allein darauf an, ob diese Person tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und, wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt, körperliche oder nicht körperliche Gegenstände zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen nutzt.

24        Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht festzustellen, ob Vigna während der streitigen Besteuerungszeiträume, also dem Besteuerungszeitraum 2008 und den beiden vorangegangenen Besteuerungszeiträumen, für die die Steuerbehörde von der Nichtoperativität der Gesellschaft ausgegangen ist, eine solche wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie in seiner Auslegung durch die in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung ausgeübt hat.

25        Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er nicht dazu führen kann, einer Person die Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger zu versagen, die während eines bestimmten Besteuerungszeitraums für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze bewirkt, deren wirtschaftlicher Wert den in einer nationalen Regelung festgelegten Schwellenwert, der dem Ertrag entspricht, der bei den dieser Person zur Verfügung stehenden Vermögenswerten vernünftigerweise erwartet werden kann, nicht erreicht.

Zur zweiten Frage

26        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund des als unzureichend angesehenen Betrags seiner für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanten Ausgangsumsätze versagt wird.

27        In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die Gegenstände und Dienstleistungen, die sie für eine steuerbare Tätigkeit erworben oder empfangen haben, als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt. Das in den Art. 167 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug ist somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Es kann für die gesamte Mehrwertsteuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Steuerpflichtige nämlich vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet demnach die völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von deren Zweck und deren Ergebnis sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich ihrerseits der Mehrwertsteuer unterliegen. Soweit ein Steuerpflichtiger zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands oder einer Dienstleistung als solcher handelt und den Gegenstand bzw. die Dienstleistung für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, ist er berechtigt, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung abzuziehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. November 2021, Amper Metal, C‑334/20, EU:C:2021:961, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 27 und 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

28        Insbesondere geht aus Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie hervor, dass für die Inanspruchnahme des Rechts auf Vorsteuerabzug zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Erstens muss der Betroffene ein „Steuerpflichtiger“ im Sinne dieser Richtlinie sein. Zweitens müssen die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet werden und auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2022, Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C‑98/21, EU:C:2022:645, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29        In Bezug auf die zweite dieser Voraussetzungen, um die es in der vorliegenden Frage allein geht, ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen muss, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer setzt voraus, dass die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (Urteil vom 8. September 2022, Finanzamt R [Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag], C‑98/21, EU:C:2022:645, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30        Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Gegenstände und Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2020, Sonaecom, C‑42/19, EU:C:2020:913, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31        Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nach keiner Bestimmung der Mehrwertsteuerrichtlinie einer Anforderung unterliegt, dass der Betrag der von einem Steuerpflichtigen während eines bestimmten Besteuerungszeitraums bewirkten für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanten Ausgangsumsätze einen bestimmten Schwellenwert erreichen muss. Vielmehr ergibt sich aus der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass das Recht auf Vorsteuerabzug vorbehaltlich der Erfüllung der erforderlichen Bedingungen, die das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird, unabhängig vom Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen gewährleistet ist.

32        Zweitens ist jedoch festzustellen, dass dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt werden kann, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt.

33        Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt und gefördert wird, und dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist. Auch wenn die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, haben die nationalen Behörden und Gerichte dieses Recht daher zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass es in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. März 2005, Fini H, C‑32/03, EU:C:2005:128, Rn. 34 und 35, sowie vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34        Da die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts eine Ausnahme von dem Grundprinzip ist, das dieses Recht darstellt, obliegt es den Steuerbehörden, die objektiven Umstände rechtlich hinreichend nachzuweisen, die den Schluss zulassen, dass der Steuerpflichtige eine Mehrwertsteuerhinterziehung begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Es obliegt sodann den nationalen Gerichten, zu prüfen, ob die betreffenden Steuerbehörden diese objektiven Umstände nachgewiesen haben (Urteil vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35        In Bezug auf Rechtsmissbrauch setzt nach ständiger Rechtsprechung die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zum einen voraus, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe. Zum anderen muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird (Urteile vom 21. Februar 2006, Halifax u. a., C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 74 und 75, sowie vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36        Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verbietet der im Bereich der Mehrwertsteuer geltende Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken somit rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, dessen Gewährung den Zielen der Mehrwertsteuerrichtlinie zuwiderliefe (Urteile vom 16. Juli 1998, ICI, C‑264/96, EU:C:1998:370, Rn. 26, sowie vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37        Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlassen dürfen, um eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen dürfen. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie systematisch das Recht auf Vorsteuerabzug und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen (Urteile vom 9. Dezember 2021, Kemwater ProChemie, C‑154/20, EU:C:2021:989, Rn. 28, sowie vom 25. Mai 2023, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie [Mehrwertsteuer – Fiktiver Erwerb], C‑114/22, EU:C:2023:430, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38        Im vorliegenden Fall führt das vorlegende Gericht aus, dass mit Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 Steuerhinterziehung dadurch bekämpft werden solle, dass er von der Gründung ruhender Unternehmen abhalte. Der durch Art. 30 des Gesetzes Nr. 724/1994 eingeführte Mechanismus beruht daher auf der Vermutung, dass ein Unternehmen, wenn der Betrag seiner in einem bestimmten Besteuerungszeitraum bewirkten Ausgangsumsätze einen anhand der in diesem Artikel vorgesehenen Kriterien berechneten Schwellenwert nicht erreicht, kein operatives Unternehmen ist, es sei denn, es kann dartun, dass die Unmöglichkeit, diesen Schwellenwert zu erreichen, durch objektive Umstände gerechtfertigt ist. Wird ein Unternehmen als nicht operativ angesehen, kann es sein Recht auf Vorsteuerabzug für Ausgangsumsätze, die es während des streitigen Besteuerungszeitraums bewirkt hat, nicht mehr ausüben.

39        Eine solche Vermutung stützt sich auf ein Kriterium, das einer Einnahmeschwelle, das nichts mit den für den Nachweis einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs erforderlichen Kriterien zu tun hat, wie sie sich aus der in den Rn. 33 bis 36 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergeben. Diese Vermutung beruht nämlich nicht auf der Beurteilung, ob für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevante Umsätze in einem bestimmten Besteuerungszeitraum tatsächlich bewirkt wurden, und auch nicht auf der Beurteilung, ob sie tatsächlich für die Bewirkung von Ausgangsumsätzen verwendet wurden, sondern nur auf der Bewertung ihres Umfangs. Im Hinblick auf die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung kann diese Vermutung daher nicht als zum Nachweis dafür geeignet angesehen werden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in einer Weise geltend gemacht wurde, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt.

40        Das Recht auf Vorsteuerabzug kann nämlich nur versagt werden, wenn die zum Nachweis einer solchen Steuerhinterziehung oder eines solchen Missbrauchs geltend gemachten Tatsachen auf andere Weise als durch Vermutungen rechtlich hinreichend nachgewiesen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2021, Ferimet, C‑281/20, EU:C:2021:910, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41        Überdies hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine allgemeine Vermutung für das Vorliegen von Steuerhinterziehung und Missbrauch keine Steuermaßnahme rechtfertigen kann, die die Ziele einer Richtlinie beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2017, Eqiom und Enka, C‑6/16, EU:C:2017:641, Rn. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso kann nicht angenommen werden, dass eine solche Vermutung, selbst wenn sie widerlegbar ist, dazu führt, das Recht auf Vorsteuerabzug aus Gründen zu versagen, die nichts mit der Feststellung einer betrügerischen oder missbräuchlichen Geltendmachung dieses Rechts zu tun haben.

42        Folglich geht eine Vermutung wie die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils beschriebene über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, Steuerhinterziehung und Rechtsmissbrauch zu verhindern, erforderlich ist.

43        Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund des als unzureichend angesehenen Betrags seiner für die Zwecke der Mehrwertsteuer relevanten Ausgangsumsätze versagt wird.

Zur dritten Frage

44        Die dritte Frage ist in Anbetracht der Antwort auf die zweite Frage und da sie nur für den Fall gestellt wurde, dass diese verneint wird, nicht zu beantworten.

Kosten

45        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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