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Steuerrecht
04.07.2019
Steuerrecht
FG Münster: Ermäßigte Besteuerung von Überstundenvergütungen für mehrere Jahre

FG Münster, Urteil vom 23.5.2019 – 3 K 1007/18 E

ECLI:DE:FGMS:2019:0523.3K1007.18E.00

Volltext BB-Online BBL2019-1622-6

Leitsatz der Redaktion

Der ermäßigte Steuersatz für außerordentliche Einkünfte (die sog. „Fünftel-Regelung“) ist auf eine Überstundenvergütung anwendbar, die aufgrund eines Aufhebungsvertrags für mehrere zurückliegende Jahre in einer Summe ausbezahlt wird.

Sachverhalt

Streitig ist, ob die im Rahmen eines Aufhebungsvertrages vereinbarte Vergütung von Überstunden zu außerordentlichen Einkünften im Sinne des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führt.

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war bei der E GmbH (E GmbH) als Arbeitnehmer nichtselbständig tätig. Er erbrachte in den Jahren 2013 bis 2015 rund 330 Überstunden. Davon entfielen 115,75 Stunden auf das Jahr 2013, 114,5 Stunden auf das Jahr 2014 und 99,5 Stunden auf das Jahr 2015. Im Einzelnen entwickelten sich die Überstunden wie folgt:

 

2013

 

2014

 

2015

 

Übertrag aus 2012

0,00

Übertrag aus 2013

115,75

Übertrag aus 2014

230,25

Januar

0,00

Januar

115,75

Januar

230,25

Februar

0,00

Februar

115,75

Februar

230,25

März

0,00

März

127,50

März

230,25

April

7,50

April

156,50

April

230,25

Mai

21,25

Mai

141,75

Mai

230,25

Juni

58,75

Juni

152,75

Juni

269,00

Juli

82,25

Juli

180,25

Juli

295,00

August

79,75

August

180,25

August

319,25

September

79,75

September

181,25

September

329,75

Oktober

107,00

Oktober

209,00

Oktober

329,75

November

115,75

November

221,50

November

329,75

Dezember

115,75

Dezember

230,25

Dezember

329,75

 

Die Kläger erzielten in den Jahren 2013 bis 2015 folgende Einkünfte:

 

2013

2014

2015

Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit

34.121 EUR (Kläger)

31.852 EUR (Kläger)

14.288 EUR (Kläger)

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung

-

- 32 EUR (Kläger) und - 32 EUR (Klägerin)

757 EUR (Kläger) und 757 (Klägerin)

Lohnersatzleistungen nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG

362 EUR (Kläger)

2.492 EUR (Kläger)

11.278 EUR (Kläger)

 

Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheiddaten für die Jahre 2013 bis 2015 Bezug genommen (Bl. 45 bis 52 der Gerichtsakte).

Mit Aufhebungsvertrag vom 16.08.2016 vereinbarte der Kläger mit der E GmbH, dass der Arbeitsvertrag zum 30.11.2016 aufgehoben wird. In der Präambel heißt es, der Kläger sei seit dem 17.09.2015 ununterbrochen erkrankt. Es sei davon auszugehen, dass er aufgrund der Schwere der Krankheit nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückkehren werde. Als Ergebnis einer ausführlichen Besprechung und zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung sowie eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens werde einvernehmlich ein Aufhebungsvertrag geschlossen. Der Aufhebungsvertrag sah vor, dass die E GmbH mit der Lohnabrechnung für August 2016 rückwirkend für die Vorjahre insgesamt 330 geleistete und bislang nicht ausgezahlte Überstunden mit einem Betrag von insgesamt 6.000 EUR brutto vergütet (Abschnitt 2 des Aufhebungsvertrages). Zudem zahlte die E GmbH einen Betrag von 18.000 EUR für nicht genommene und bislang nicht ausgezahlte Urlaubstage (Abschnitt 3 des Aufhebungsvertrages). Nach Abschnitt 4 des Aufhebungsvertrages waren sich die Parteien darüber einig, dass mit Erfüllung dieser Vereinbarungen sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung erledigt sind. Wegen der Einzelheiten wird auf den Aufhebungsvertrag Bezug genommen.

Weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte der Kläger im Jahr 2016 nicht. Ab dem 01.06.2016 bezog der Kläger eine Rente der R-Versicherung, wobei der in 2016 gezahlte Betrag 10.814 EUR betrug. Zudem erhielt der Kläger Lohnersatzleistungen in Höhe von 12.999 EUR. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrugen 610 EUR (Kläger) und 611 EUR (Klägerin).

Die Kläger gaben die für die Überstunden und Urlaubstage erhaltene Zahlung von insgesamt 24.000 EUR in der Anlage N unter „Entschädigungen / Arbeitslohn für mehrere Jahre“ an.

Der Beklagte berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 14.12.2017 einen Bruttoarbeitslohn von 24.000 EUR, ohne dabei die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG zu gewähren. Zudem setzte er die Rente von insgesamt 10.814 EUR mit einem steuerfreien Teil in Höhe von 3.028 EUR und einem steuerpflichtigen Teil von 7.786 EUR an. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrugen insgesamt 1.221 EUR. Es ergab sich eine Summe der Einkünfte von 31.905 EUR. Die Lohnersatzleistungen in Höhe von 12.999 EUR wurden nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG dem Progressionsvorbehalt unterworfen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Einkommensteuerbescheid Bezug genommen.

Den gegen die Nichtgewährung der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 EStG gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 05.03.2018 als unbegründet zurück. Er führte an, bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen könnten außerordentliche Einkünfte nur dann angenommen werden, sofern eine Entschädigung nach § 24 Nr. 1 EStG (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG) oder eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) gezahlt werde. Nach dem BMF-Schreiben vom 01.11.2013, BStBl. I 2013, 1326, Rz. 3 sei eine Zahlung des Arbeitgebers, die bereits erdiente Ansprüche abgelte (wie z. B. rückständiger Arbeitslohn, anteiliges Urlaubsgeld, Urlaubsabgeltung, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Tantiemen oder bei rückwirkender Beendigung des Dienstverhältnisses bis zum steuerlich anzuerkennenden Zeitpunkt der Auflösung noch zustehende Gehaltsansprüche) keine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG. Eine Entschädigung nach § 24 Nr. 1b EStG sei zu verneinen, da die Zahlungen nicht für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit in der Zukunft geleistet worden seien. Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1b EStG erfassten – in gewisser Weise zukunftsgerichtet – Gegenleistungen für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit. Das Eigeninteresse des Leistenden müsse gerade auf die Unterlassung der künftigen Einkunftserzielung durch den Empfänger gerichtet sein. Ein solches Eigeninteresse liege insbesondere Zahlungen von Karenzentschädigungen für Wettbewerbsverbote zugrunde. Nach einer Entscheidung des FG Hamburg liege eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG nicht schon dann vor, wenn Vergütungen für Überstunden, die in mehreren Jahren geleistet worden seien, nachgezahlt würden (FG Hamburg, Urteil vom 02.07.2002 II 83/01, EFG 2002, 1530). Die Entlohnung von Überstunden sei eine Erschwerniszulage und damit Teil des laufenden Arbeitslohns, für den es keine steuerliche Vergünstigung gebe (Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, „Mehrarbeitsentlohnung“).

Mit der dagegen gerichteten Klage verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter, wobei sie im Laufe des Verfahrens ihr Begehren dahingehend eingeschränkt haben, dass sie nur noch die Anerkennung der Überstundenvergütung in Höhe von 6.000 EUR als außerordentliche Einkünfte nach § 34 EStG geltend machen. Die Kläger führen unter Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 02.08.2016 VIII R 37/14, BStBl. II 2017, 258 an, bei der Überstundenvergütung handele es sich um eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, da der Nachzahlungszeitraum über zwölf Monate hinausgehe und sich über mindestens zwei Kalenderjahre erstrecke. Es sei unschädlich, dass insoweit verdiente Einkünfte nachgezahlt worden seien, da derartige Vergütungen typischerweise von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfasst würden. Lediglich §§ 34 Abs. 2 Nr. 2, 24 Nr. 1a EStG sei auf verdiente Einkünfte nicht anwendbar. Eine Zusammenballung von Einkünften sei zu bejahen, da die Vergütung in einem Veranlagungszeitraum zugeflossen sei und der Bruttoarbeitslohn zuzüglich Lohnersatzleistungen in 2016 höher gewesen sei als in 2015. Die vom Beklagten zitierte Literaturauffassung (Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, „Mehrarbeitsentlohnung“) enthalte keine Aussage zur Behandlung von Überstunden, die sich auf mehrere Veranlagungszeiträume bezögen. Hinzuweisen sei vielmehr auf die dortigen Ausführungen zum „Arbeitszeitkonto“ (Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, „Arbeitszeitkonto“, Tz. 28), wonach ein Zeitguthaben, welches über zwölf Monate hindurch angespart worden sei, der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG unterliege.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 14.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2018 dahingehend zu ändern, dass für Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 6.000 EUR die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG gewährt wird.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen,

              hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er macht unter Bezugnahme auf seine Einspruchsentscheidung vom 05.03.2018 geltend, das BFH-Urteil vom 02.08.2016 VIII R 37/14, BStBl. II 2017, 258 betreffe Nachzahlungen einer Kassenärztlichen Vereinigung und sei damit nicht auf den Streitfall übertragbar. Die Literaturauffassung (Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, „Mehrarbeitsentlohnung“), nach der es für die Entlohnung von Überstunden keine steuerliche Vergünstigung gebe, enthalte eine allgemeingültige Aussage und beziehe sich nicht – wie die Kläger meinten – nur auf § 3b EStG.

Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Vergütung für die in den Jahren 2013 bis 2015 erbrachten Überstunden unterfällt der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG.

I. Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass die Vergütungen für die Überstunden bei dem Kläger als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassen sind.

Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 LStDV sind Arbeitslohn alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen; es ist unerheblich, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form die Einnahmen gewährt werden. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist. Kein Arbeitslohn liegt allerdings vor, wenn die Zuwendung wegen anderer Rechtsverhältnisse oder aufgrund sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird. Daher führen Schadensersatzleistungen des Arbeitgebers nicht zu steuerbarem Arbeitslohn. Dagegen können Entschädigungszahlungen für rechtswidrig geleistete Mehrarbeit Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sein. Die Beantwortung der Frage, ob eine Zuwendung durch das Dienstverhältnis veranlasst ist, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht (BFH-Urteil vom 14.06.2016 IX R 2/16, BStBl. II 2016, 901).

Die streitbefangene Vergütung wurde dem Kläger – ausweislich des Abschnitts 2 des Aufhebungsvertrages vom 16.08.2016 – für „geleistete und bislang nicht ausgezahlte Überstunden“ gezahlt. Nach Abschnitt 4 des Aufhebungsvertrages sollten mit Erfüllung dieser Vereinbarung „sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ erledigt sein. Aus diesen Regelungen ergibt sich, dass die Vergütung als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft gezahlt wurde und damit durch das Dienstverhältnis des Klägers veranlasst war.

II. Die Vergütungen unterfallen der Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG.

Nach § 34 Abs. 1 EStG sind außerordentliche Einkünfte ermäßigt zu besteuern. Als außerordentliche Einkünfte kommen gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht. Die Vergütung muss darüber hinaus als außerordentliche Einkünfte zu qualifizieren sein und dem Steuerpflichtigen „zusammengeballt“ zufließen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

1. Die streitbefangene Vergütung stellt eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar.

a) Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 HS. 2 EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Die Entlohnung muss für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein. Diese mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 07.05.2015 VI R 44/13, BStBl. II 2015, 890). Der Vergütungsbegriff umfasst alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart für die Tätigkeit erzielt (BFH-Beschluss vom 09.10.2018 VIII B 49/18, BFH/NV 2019, 17).

Demnach kann auch eine Honorarnachzahlung durch die Kassenärztlichen Vereinigung, die insgesamt mehrere Jahre betrifft, eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit sein (BFH-Urteil vom 02.08.2016 VIII R 37/14, BStBl. II 2017, 258). Entsprechendes gilt für Lohnnachzahlung für vorangegangene Veranlagungszeiträume (BFH-Urteile vom 14.10.2004 VI R 46/99, BStBl. II 2005, 289 und vom 22.07.1993 VI R 104/92, BStBl. II 1993, 795). Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass auch bloße Nachzahlungen verdienter Vergütungen zu außerordentlichen Einkünften führen können, wenn der Nachzahlungszeitraum sich auf zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und länger als zwölf Monate gedauert hat (Wacker in: Schmidt, EStG, 38. Auflage 2019, § 34 Rn. 40). Der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, steht der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen (BFH-Urteile vom 02.08.2016 VIII R 37/14, BStBl. II 2017, 258 und vom 14.12.2006 IV R 57/05, BStBl. II 2007, 180). Eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit liegt dagegen nicht vor, wenn lediglich die im Vorjahr verdienten Vergütungen nachgezahlt werden (BFH-Urteil vom 14.10.2004 VI R 46/99, BStBl. II 2005, 289).

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger mit der Zahlung in Höhe von 6.000 EUR eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit erhalten. Der Kläger hat die Vergütung für die Überstunden nicht nur für das Vorjahr, sondern für die Jahre 2013 bis 2015 und damit für mehrere Jahre erhalten. Der Nachzahlungszeitraum erstreckt sich auf (mehr als) zwei Veranlagungszeiträume und dauert länger als zwölf Monate. Es liegt ein zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit vor, da gerade die über mehrere Jahre geleisteten Überstunden abgegolten werden sollten. Nach Auffassung des Senats kann die Nachzahlung einer Überstundenvergütung nicht anders beurteilt werden als die Nachzahlung von Lohn für die reguläre Arbeitsleistung. Denn auch mit einer Überstundenvergütung werden Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers vergütet. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers kann dabei sowohl auf arbeitsvertraglicher Vereinbarung, tarifvertraglicher Verpflichtung oder § 612 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches beruhen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.04.2013, 5 AZR 122/12, DB 2013, 2089). Nichts anderes kann gelten, wenn der Arbeitgeber die Vergütung – wie im Streitfall – auf der Grundlage einer gesonderten Vereinbarung wie beispielsweise eines Aufhebungsvertrages zahlt. Auch durch eine solche Vereinbarung wird eine Arbeitsleistung vergütet, wie sich vorliegend auch aus der verwendeten Formulierung ergibt („Der Arbeitgeber vergütet […] geleistete […] Überstunden […]“).

Soweit das FG Hamburg (Urteil vom 02.07.2002 II 83/01, EFG 2002) Vergütungen für in mehreren Jahren geleistete Überstunden für nicht tarifbegünstigt hält, weil lediglich Vergütungsbestandteile nachgezahlt worden seien und keine Tätigkeit entlohnt werde, die als einheitliches Ganzes in mehrere Veranlagungszeiträume falle, so kann dem nicht gefolgt werden. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann der Umstand, dass der Arbeitgeber mit der Überstundenvergütung lediglich Vergütungsbestandteile nachzahlt, nicht zum Ausschluss der Tarifbegünstigung führen, da § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG nach der – eingangs dargestellten – Rechtsprechung des BFH auch dann einschlägig sein kann, wenn sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können. Die Nachzahlung einer einheitlichen Vergütung ist demnach gerade nicht erforderlich. Wenn es nach der Rechtsprechung des BFH unschädlich ist, dass die Vergütung bestimmten Einzeljahren zugerechnet werden kann, so kann nichts anderes gelten, wenn wie bei Überstunden auch eine Zuordnung zu einzelnen Monaten möglich ist. Ferner kann § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG nicht mit der Begründung verneint werden, dass es sich bei der Erbringung von Überstunden um keine einheitliche Tätigkeit handelt. Es trifft zwar zu, dass Überstunden nicht durchgängig, sondern punktuell – d. h. an bestimmten Tagen – erbracht werden. Entscheidend ist aber vielmehr, dass sämtliche Überstunden auf der Grundlage des Arbeitsvertrages und damit auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage erbracht werden.

b) Darüber hinaus müssen wirtschaftlich vernünftige Gründe für die zusammengeballte Entlohnung vorliegen. Diese können sowohl in der Person des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers vorliegen. Das Merkmal der wirtschaftlich vernünftigen Gründe dient der Verhütung von Missbräuchen. Deshalb schließt nur eine willkürliche, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen die Anwendung der Tarifbegünstigung auf mehrjährigen Arbeitslohn aus (BFH-Urteil vom 07.05.2015 VI R 44/13, BStBl. II 2015, 890).

Vorliegend hat der Kläger die Vergütung mit seinem Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses vereinbart. Insofern ist ein wirtschaftlich vernünftiger Grund gegeben, da die Überstunden andernfalls ersatzlos verfallen wären. Anhaltspunkte für eine willkürliche, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen sind nicht ersichtlich.

2. Bei der Vergütung handelt es sich um außerordentliche Einkünfte.

Im Grundsatz ist auch bei Vorliegen einer der in § 34 Abs. 2 EStG genannten Tatbestände im Einzelfall zu prüfen, ob die betroffenen Einkünfte außerordentlich sind (Mellinghoff in: Kirchhof, EStG, 18. Auflage 2019, § 34 EStG Rn. 6). Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist allerdings – anders als bei Einkünften aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Tätigkeit – nicht erforderlich, dass die Vergütung für eine abgrenzbare Sondertätigkeit gezahlt wird. Die einschränkende Auslegung bei den Gewinneinkunftsarten resultiert daraus, dass es im Rahmen dieser Einkunftsarten nicht außergewöhnlich ist, dass in den laufenden Einkünften neben gleichmäßigen auch zufällige und schwankende Einnahmen enthalten sind. Dies trifft allerdings auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht zu. Dementsprechend ist bei Arbeitnehmern jede Vergütung für eine Tätigkeit, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst, atypisch zusammengeballt und damit „außerordentlich“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG (BFH-Urteil vom 07.05.2015 VI R 44/13, BStBl. II 2015, 890). Diese Voraussetzungen sind hier – wie bereits dargestellt – erfüllt, da die E GmbH die Überstunden des Klägers aus den Jahren von 2013 bis 2015 vergütet hat.

3. Die Vergütung ist dem Kläger „zusammengeballt“ zugeflossen.

Das Erfordernis einer „Zusammenballung“ ergibt sich aus dem Zweck des § 34 EStG, Progressionsnachteile auszugleichen. Deshalb sind außerordentliche Einkünfte grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind (BFH-Urteile vom 21.04.2009 VIII R 65/06, BFH/NV 2009, 1973 und vom 14.12.2006 IV R 57/05, BStBl. II 2007, 180). Die Tarifermäßigung setzt allerdings nicht voraus, dass es infolge der Zusammenballung im Vergleich mit der steuerlichen Belastung bei verteiltem Zufluss tatsächlich nachweisbar zu einer Verschärfung der Steuerprogression kommt (BFH-Urteil vom 17.12.1982 III R 136/79, BStBl. II 1983, 221). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da dem Kläger die gesamte Vergütung im Streitjahr zugeflossen ist.

Auch wenn die Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit – wie im Streitfall – anlässlich der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, setzt § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG – anders als §§ 34 Abs. 2 Nr. 2, 24 Nr. 1 EStG (dazu BFH-Urteile vom 27.01.2010 IX R 31/09, BStBl. II 2011, 28 und vom 08.04.2014 IX R 33/13, BFH/NV 2014, 1358) – nicht voraus, dass der Steuerpflichtige infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten würde. Denn im Rahmen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG ergibt sich die mögliche Progressionssteigerung bereits daraus, dass die über mehrere Veranlagungszeiträume erwirtschaftete Vergütung in einem Veranlagungszeitraum zufließt. Zudem knüpft § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG – anders als §§ 34 Abs. 2 Nr. 2, 24 Nr. 1 EStG – bereits tatbestandlich nicht daran an, dass Einnahmen weggefallen bzw. eine Tätigkeit aufgegeben wird. Es fehlt damit auch an einer normativen Grundlage für die im Rahmen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG gebotene Vergleichsrechnung.

III. Die außerordentlichen Einkünfte sind in Höhe von 6.000 EUR anzusetzen. Die Kläger haben keine Werbungskosten im Zusammenhang mit der Überstundenvergütung geltend gemacht. Eine Kürzung um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) EStG ist nicht vorzunehmen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Arbeitnehmer-Pauschbetrag bei der Ermittlung der außerordentlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nur insoweit abzuziehen, als tariflich voll zu besteuernde Einnahmen dieser Einkunftsart dafür nicht zur Verfügung stehen (BFH-Urteil vom 29.10.1998 XI R 63/97, BStBl. II 1999, 588). Vorliegend betragen die tariflich voll zu besteuernde Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit 18.000 EUR. Der Arbeitnehmer-Pauschbetrag ist dort in voller Höhe abzuziehen.

IV. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts und mit Blick auf das Urteil des FG Hamburg vom 02.07.2002 II 83/01, EFG 2002 zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Der BFH hat die Frage, ob Zahlungen für geleistete Mehrarbeit tarifbegünstigt sind, bisher ausdrücklich offen gelassen (vgl. BFH-Urteil vom 14.06.2016 IX R 2/16, BStBl. II 2016, 901).

V. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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