R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Steuerrecht
20.10.2016
Steuerrecht
VG Gelsenkirchen: Bestätigung der Rechtmäßigkeit typisierter Zinshöhe für Steuernachforderungen

VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.3.2016 – 2 K 5510/15

Nicht amtliche Leitsätze

1. Gegen den für die Verzinsung von Ansprüchen aus einem Steuerverhältnis geltenden Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat bestehen auch mit Blick auf die Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Der für die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis geltende Zinssatz von 0,5 % pro Monat liegt auch in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase, in der Guthabenzinsen stark gefallen sind und Anleger eine Verzinsung von jährlich 6 % nur noch in Ausnahmefällen erreichen können, nicht außerhalb des Spielraums, der dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich bei der Ausgestaltung eines rechtsstaatlichen und zugleich praktikablen Besteuerungsverfahrens zusteht.

3. Daher kann offen bleiben, ob die Differenz zwischen den Zinsen am Kapitalmarkt und dem gesetzlichen Zinssatz von 0,5 % pro Monat (was 6 % pro Jahr entspricht) so groß werden kann, dass die Regelung der §§ 233a, 238 AO für solche Fälle mit den Vorgaben des Grundgesetzes nicht mehr vereinbar wäre, in denen ein Steuerpflichtiger Nachzahlungen zu leisten hat.

AO § 233a Abs. 1 S. 1, 238; GG Art. 3, Art. 20 Abs.. 3

Sachverhalt

Die Klägerin ist gewerblich tätig. … 2015 setzte das Finanzamt A. die Gewerbesteuermessbeträge für 2009 auf 1 697 Euro und für 2010 auf 1 179 Euro fest.

Mit Bescheid vom 00.00.2015 setzte die Beklagte die von der Klägerin für 2009 und 2010 zu entrichtende Gewerbesteuer auf 7 975,90 Euro und 5.659,20 Euro fest. Zugleich wurde die Klägerin zu Nachforderungszinsen von 1 523 Euro für 2009 und 1 243 Euro für 2010 herangezogen. Dabei legte die Beklagte einen Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde.

Am 00.00.2015 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Nachforderungszinsen insoweit wendet, als sie auf einem Zinssatz von mehr als 3 % pro Jahr beruhen. Zur Begründung führt sie aus, der gesetzliche Zinssatz von 0,5 % pro Monat für die Verzinsung von Steuernachforderungen sei verfassungswidrig. Angesichts der Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt sei der gesetzliche Zinssatz nicht mehr von der weitreichenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 00.00.2015 insoweit aufzuheben, als Nachzahlungszinsen von mehr als 761,50 Euro für 2009 und 621,50 Euro für 2010 festgesetzt werden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die gesetzliche Höhe der Nachforderungszinsen sei trotz der Zinsentwicklung am Kapitalmarkt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. …

Aus den Gründen

Die Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 00.00.2015 ist, soweit er angefochten wurde, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die von der Klägerin zu entrichtenden Nachforderungszinsen zur Gewerbesteuer auf Grundlage von § 233a Abgabenordnung (AO) zutreffend festgesetzt.

Verzinsung des sich bei der Festsetzung der GewSt ergebenden Betrags

Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Unterschiedsbetrag, der sich bei der Festsetzung der Gewerbesteuer ergibt, zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird (§ 233a Abs. 2 Satz 3 AO). Die Zinsen betragen gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für jeden Monat einhalb Prozent.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Zinsregelungen

Gegen diese gesetzliche Regelung und ihre Anwendung auf den vorliegenden Einzelfall bestehen auch mit Blick auf die Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es liegt weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG) noch gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Übermaßverbot (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) vor. Bezogen auf die Zinszahlungszeiträume 2003 bis 2006 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Regelung bejaht (Beschluss vom 3. September 2009 – 1 BvR 2539/07, NVwZ 2010, 902).

Zur Begründung hat es auf den weiten Spielraum verwiesen, der dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines rechtsstaatlichen und zugleich praktikablen Besteuerungsverfahrens zustehe.

Sinn und Zweck der Verzinsung

Mit der Verzinsung von Steuerforderungen und -erstattungen habe der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen wollen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zwar jeweils spätestens bis zum Jahresende entstehen, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Insoweit beruhe die Regelung auf der zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil habe. Es liege in der Konsequenz der Regelung, dass sie grundsätzlich unabhängig davon greife, aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen sei und ob und inwiefern tatsächlich die Liquiditätsvorteile genutzt worden seien.

Typisierende Zinsfestsetzung verfassungsgemäß

Wenn der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil und -nachteil typisierend auf 0,5 % pro Monat festgesetzt habe, sei dies verfassungsrechtlich unbedenklich und stelle insbesondere keinen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar. Nach der Absicht des Gesetzgebers solle der konkrete Zinsvorteil oder -nachteil für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. Eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) würde wegen dessen Schwankungen auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen, da im Einzelnen für die Vergangenheit festgestellt werden müsste, welche Zinssätze für den jeweiligen Zeitraum zugrunde zu legen wären. In vielen Fällen sei eine solche Ermittlung gar nicht möglich, weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhänge, in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziere oder das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende. Zudem sei bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, dass der hohe Zinssatz des § 233a i. V. m. § 238 AO gleichermaßen zugunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen wirke.

Niedrigzinsphase führt zu keinem anderen Ergebnis

Nach diesen Kriterien liegt der für die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis geltende Zinssatz von 0,5 % pro Monat auch in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase nicht außerhalb des Spielraums, der dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich bei der Ausgestaltung eines rechtsstaatlichen und zugleich praktikablen Besteuerungsverfahrens zusteht (OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 14 A 1196/13; BFH, Beschluss vom 29. Mai 2013 - X B 233/12, jeweils juris).

Zinssatz von 6 % überschreitet nicht den gesetzgeberischen Spielraum

Dabei kann offen bleiben, ob die Differenz zwischen den Zinsen am Kapitalmarkt und dem gesetzlichen Zinssatz von 0,5 % pro Monat (was 6 % pro Jahr entspricht) so groß werden kann, dass die Regelung der §§ 233a, 238 AO für solche Fälle mit den Vorgaben des Grundgesetzes nicht mehr vereinbar wäre, in denen ein Steuerpflichtiger Nachzahlungen zu leisten hat. Jedenfalls im hier interessierenden Zeitraum (00.00.2011 bis heute) überschreitet der Zinssatz von 6 % pro Jahr mit Blick auf die Zinsen am Kapitalmarkt den dem Gesetzgeber zustehenden Spielraum bei der Typisierung nicht. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Guthabenzinsen stark gefallen sind und Anleger eine Verzinsung von jährlich 6 % nur noch in Ausnahmefällen erreichen können, wenn sie sich etwa für riskante und/oder langfristige Anlageformen entscheiden. Bei der Beurteilung, ob eine verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbare Differenz zwischen den Zinsen am Kapitalmarkt und dem Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO besteht, sind jedoch nicht nur die Zinsen in den Blick zu nehmen, die für (insbesondere kurzfristige und sichere) Anlagen von Guthaben gezahlt werden. Denn mit der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen sollen nicht nur Guthabenzinsen ausgeglichen werden, die der Steuerschuldner bis zur Nachzahlung oder Erstattung hätte erzielen können. Der Liquiditäts- und Zinsvorteil, der nach dem Willen des Gesetzgebers durch die pauschale Verzinsung ausgeglichen werden soll, kann vielmehr auch in zusätzlich angefallenen oder ersparten Fremdfinanzierungskosten bestehen. Ein Steuerschuldner, der ständig Kredite in Anspruch nimmt oder eine Steuernachzahlung fremdfinanzieren müsste, hat bis zur Fälligkeit der Nachzahlung einen geringeren Fremdfinanzierungsbedarf und spart damit Darlehenszinsen. Bis zu einer Steuerrückzahlung entstehen für einen solchen Steuerschuldner zusätzliche Fremdfinanzierungskosten. Da die Nachforderungszinsen nach §§ 233, 238 AO auch solche Vor- und Nachteile pauschal ausgleichen sollen, sind bei der Beurteilung, ob ein Zinssatz von 6 % pro Jahr den dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich zustehenden weiten Spielraum überschreitet, auch die Darlehenszinsen in den Blick zu nehmen, die auch in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase vielfach um oder sogar deutlich über 6 % liegen. Während Schuldner mit guter Bonität eine Immobilie zu Zinsen von deutlich unter 6 % finanzieren können, sind für sonstige mittel- und langfristige Kredite Zinsen um oder über 6 % keine Seltenheit. Die Zinsen für Dispositionskredite liegen häufig sogar über 10 %.

Bei der Prüfung, ob sich der vom Gesetzgeber festgelegte Zinssatz noch innerhalb des ihm verfassungsrechtlich zustehenden weiten Spielraums liegt, die am Geldmarkt üblichen Darlehenszinsen in den Blick zu nehmen, ist insbesondere im Gewerbesteuerrecht geboten. Ein erheblicher Anteil von Gewerbetreibenden ist auf Darlehen angewiesen, um die für den Betrieb notwendigen Investitionen finanzieren zu können.

Keine Reduzierung des Zinssatzes im Wege einer verfassungskonformen Auslegung

Unterliegt die gesetzliche Regelung der Nachzahlungszinsen im Steuerrecht mithin keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, ist weder der Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu reduzieren, noch ist nach Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Ausgehend vom gesetzlichen Zinssatz von 0,5 % pro Monat sind Fehler der konkreten Festsetzung der Nachforderungszinsen nicht ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht.

stats