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Steuerrecht
14.12.2017
Steuerrecht
FG Baden-Württemberg: Behandlung einer GmbH als im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft einer anderen GmbH eingegliedert im Wege einer Billigkeitsentscheidung

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.5.2017 – 1 K 1543/16

Volltext:BB-ONLINE BBL2017-3030-1

Sachverhalt

Streitig ist, ob eine GmbH im Billigkeitswege --für die Kalenderjahre 2008 bis 2010-- so zu behandeln ist, als wäre sie im Rahmen einer Organschaft i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in das Unternehmen einer anderen GmbH eingegliedert.

Die Klägerin wurde als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im Jahr 1991 von den --zwischenzeitlich geschiedenen-- Eheleuten A und B C (nachfolgend: Eheleute oder Ehemann bzw. Ehefrau) errichtet. Gegenstand des Unternehmens ist die Belieferung von Alten- und Pflegeheimen mit Lebensmitteln, Hausverbrauchs- und Heimbedarfsgütern sowie aller damit verbundenen Dienstleistungen. Die Klägerin führte ihre Umsätze ausschließlich an ein Alten- und Pflegeheim aus, das der Ehemann zunächst als Einzelunternehmer betrieb. Der Betrieb des Alten- und Pflegeheims wird seit dem Jahr 2005 von der H GmbH (im folgenden H-GmbH) geführt. An dieser waren die Eheleute bis Ende 2010 je hälftig beteiligt (vgl. Gründungsvertrag vom 5. August 2005). Ebenfalls im Jahr 2005 veräußerten die Eheleute der H-GmbH je 25 % ihrer Geschäftsanteile an der Klägerin. Damit waren an der Klägerin die Eheleuten mit je 25 % und die H-GmbH zu 50 % beteiligt. Die Klägerin und die H-GmbH schlossen am 9. Dezember 2005 einen Bewirtschaftungsvertrag ab. Seither erbringt die Klägerin ihre Leistungen --wiederum ausschließlich-- gegenüber der H-GmbH. Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin und der H-GmbH ist der Ehemann.

Das beklagte Finanzamt (FA) behandelte die Klägerin umsatzsteuerlich erst als Organ des Einzelunternehmens des Ehemannes (bis 2005), dann der H-GmbH (ab 2006). Zwar hatte eine Außenprüfung bei der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2007 beanstandet, dass zwischen der Klägerin (Organgesellschaft) und der H-GmbH (Organträger) keine umsatzsteuerliche Organschaft mehr bestehe, weil die H-GmbH nur zu 50 % an der Klägerin beteiligt sei und es daher an einer finanziellen Eingliederung fehle (vgl. Bericht über die Außenprüfung vom 20. Dezember 2010 für die Jahre 2005 bis 2007). Den Einsprüchen der Klägerin gegen die entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 half das FA aber ab, weil nach der Übergangsregelung des Bundesfinanzministeriums (BMF) im Schreiben vom 5. Juli 2011 (IV D 2-S 7105/10/10001, BStBl I 2011, 703) die Organschaft noch bis einschließlich 31. Dezember 2011 anzuerkennen sei (Bl. 40 d. Rechtsbehelfsakte).

Für die Streitjahre 2008 bis 2010 kam das FA auf der Grundlage desselben BMF-Schreibens zu dem Ergebnis, dass die darin getroffene Übergangsregelung im Fall der Klägerin nicht anwendbar sei. Die Klägerin sei keine Organgesellschaft und daher als selbständige Unternehmerin verpflichtet, ihre Umsätze zu versteuern. Auf der Grundlage der Gewinn- und Verlustrechnungen der Klägerin schätzte das FA deren Umsätze und Vorsteuern und änderte --mit Bescheiden 2008 bis 2010 vom 3. August 2012-- die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Kalenderjahre 2008 bis 2010 (Streitjahre) entsprechend ab. Die Klägerin hatte für die Streitjahre jeweils Umsatzsteuererklärungen abgegeben, in denen ihre Umsätze und Vorsteuern mit 0,-- EUR ausgewiesen waren.

Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2012 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei zwar wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der H-GmbH eingegliedert. Es fehle aber an der finanziellen Eingliederung, weil die H-GmbH nur 50 % der Anteile an der Klägerin besitze. Ohne eigene Mehrheitsbeteiligung könne die H-GmbH ihren Willen bei der Klägerin nicht durchsetzen. Dass die restlichen Anteile an der Klägerin von ihren Gesellschaftern gehalten würden sei bedeutungslos, weil es allein auf die Beteiligung der H-GmbH selbst ankomme. Die Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 betreffe nur die Rechtsprechungsänderung bei Personengesellschaften als Organträger und sei im hier vorliegenden Fall einer Kapitalgesellschaft als Organträger nicht anwendbar.

Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und ausgeführt, das Merkmal der finanziellen Eingliederung sei erfüllt, weil sich der Ehemann in Person gegenüber der H-GmbH als Mitgesellschafter der Klägerin zu einem gleichgerichteten Stimmverhalten (Stimmbindungsvertrag) verpflichtet habe. Hintergrund der Stimmbindung seien die seit 2007 laufenden Verhandlungen der in Scheidung lebenden Eheleute gewesen. Diese hätten vermögensrechtlich erst mit den Anteilsübertragungen von der Ehefrau auf den Ehemann am 26. November 2010 ihr Ende gefunden. Deshalb sei der im März 2007 zwischen der H-GmbH und dem Ehemann mündlich geschlossene Stimmbindungsvertrag nochmals am 3. Dezember 2010 schriftlich bestätigt worden. Indem sich der Ehemann als Minderheitsgesellschafter (25 %) der Klägerin gegenüber der H-GmbH zu einem gleichgerichteten Stimmverhalten verpflichtet habe, habe die H-GmbH als Organträger ihren Willen kraft einer qualifizierten Mehrheit von 75 % bei der Klägerin durchsetzen können. Neben dem bestehenden Stimmbindungsvertrag ergebe sich die Beherrschung der Klägerin durch die H-GmbH aus der Personenidentität ihres jeweils einzigen alleinvertretungsberechtigten und von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) befreiten Geschäftsführers. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der H-GmbH hätte gegen den hälftig beteiligten Ehemann kein anderer Geschäftsführer bestellt werden können. Der Ehemann hätte sich nur dadurch blockieren können, dass er in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der H-GmbH anders gestimmt hätte als in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Klägerin. Selbst wenn mangels finanzieller Eingliederung keine Organschaft zwischen der Klägerin und der H-GmbH bestanden haben sollte, hätte diese wegen der Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 vom FA angenommen werden müssen.

Das FA ist der Klage, die bei dem erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen 1 K 432/13 anhängig ist, entgegengetreten. Es hat zur Begründung ergänzend ausgeführt, dass dem behaupteten Stimmbindungsvertrag für das Merkmal der finanziellen Eingliederung bereits deshalb keine Bedeutung zukomme, weil er nur mündlich vereinbart und nicht durchsetzbar gewesen sei. Die Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 greife im vorliegenden Fall nicht. Sie beziehe sich auf die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur finanziellen Eingliederung einer Organgesellschaft in eine Personengesellschaft. Die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung einer Organgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft seien bereits mit dem BFH-Urteil vom 18. Dezember 1996 XI R 25/94 (BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 44) geklärt gewesen. Soweit der der BFH mit seinen Entscheidungen vom 22. April 2010 V R 9/09 (BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597) und vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08 (BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600) aus Gründen der Rechtsformneutralität seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung einer Organgesellschaft in eine Personengesellschaft aufgegeben habe, sei der vorliegende Fall der Eingliederung in eine Kapitalgesellschaft nicht betroffen. Das auf diesen Urteilen beruhende BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 und die darin getroffene Übergangsregelung könne über ihren Wortlaut hinaus nicht auf den vorliegenden Fall einer Kapitalgesellschaft als Organträger angewandt werden.

In der Finanzstreitsache 1 K 432/13 fand am 25. Februar 2015 eine mündliche Verhandlung statt. In dieser beantragte die Klägerin, aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) für die Streitjahre keine Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin festzusetzen und das Klageverfahren bis zur Entscheidung über den Erlassantrag ruhen zu lassen. Das FA stimmte dem Ruhen des Verfahrens zu.

Den im vorliegenden Verfahren streitigen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen lehnte das FA mit Bescheid vom 29. Oktober 2015 ab und wies den Einspruch mit Bescheid vom 27. April 2016 als unbegründet zurück. Die Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 sei eine allgemeine Billigkeitsmaßnahme nach §§ 163, 227 AO. Hierauf könne sich die Klägerin aber nicht berufen. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht. Eine sachliche Unbilligkeit könne sich insbesondere daraus ergeben, dass ein Steuerpflichtiger im Vertrauen auf die Weitergeltung von Gesetzen oder Verwaltungsanweisungen oder einer bestimmten ständigen Rechtsprechung Dispositionen getroffen habe, der er nicht mehr rückgängig machen könne. Die Klägerin besitze kein schützenswertes Vertrauen für die Annahme, eine Organgesellschaft gewesen zu sein. Sie sei nicht finanziell in die H-GmbH (Organträger) eingegliedert gewesen, weil diese nicht die Mehrheit der Stimmrechte an der Klägerin gehalten habe. Es sei unmaßgeblich, ob der Organträger über keine oder nur über eine unmittelbare Beteiligung verfüge, die zur Durchsetzung seines Willens nicht ausreiche. Auf eine mittelbare Beteiligung der Gesellschafter komme es ebenso wenig an wie auf einen Stimmbindungsvertrag.

Hiergegen hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben und beantragt,

die Umsatzsteuerbescheide 2008 bis 2010 vom 3. August 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. April 2016 aufzuheben und aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO für die Streitjahre 2008 bis 2010 keine Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bleibt bei seiner Auffassung, dass auch im Billigkeitswege nicht von einer umsatzsteuerlichen Organschaft ausgegangen werden könne und die Umsätze der Klägerin von ihr selbst zu versteuern seien. Das FA habe den Fall der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vorgelegt, die das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg um Stellungnahme gebeten habe. Dieses habe nach bestätigender Rücksprache beim Bundesministerium für Finanzen die Auffassung des FA geteilt.

Aus den Gründen

15        Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

16        Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet (§ 101 FGO). Dabei geht der Senat davon aus, dass im Streitfall das Begehren der Klägerin gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 FGO darauf gerichtet (beschränkt) ist, den Ablehnungsbescheid vom 29. Oktober 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2016 aufzuheben und das FA zu einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO zu verpflichten. Dies entnimmt der Senat der Klagebegründung der Klägerin, die auf einen Erlass der Umsatzsteuer 2008 bis 2010 zielt. Die darüber hinaus beantragte Aufhebung der Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer 2008 bis 2010 kann nicht Gegenstand der vorliegenden Klage sein, weil die Steuerfestsetzung und die Entscheidung über die abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen in zwei gesonderten Verwaltungsverfahren zu prüfen und in zwei Verwaltungsakten vorzunehmen ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).

17        Der Ablehnungsbescheid vom 29. Oktober 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2008 bis 2010 im Billigkeitswege nach § 163 AO dahin, dass sie als Organgesellschaft in das Unternehmen der H-GmbH finanziell eingegliedert gilt und daher keine Umsatzsteuer schuldet.

18        1. Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlass von Steuern i.S. des § 163 AO ist eine Ermessensentscheidung, die nach § 102 FGO vom Gericht nur auf Ermessensfehler hin überprüft werden kann.

19        Es entspricht allgemeiner Übung, dass bei einer Verschärfung der bisherigen Rechtsprechung aufgrund der §§ 163, 227 AO gegebenenfalls allgemeine Übergangs- oder Anpassungsregelungen ergehen, um den Steuerpflichtigen im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einen Steuervorteil zu erhalten oder im Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung getätigte Dispositionen nicht zu enttäuschen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 87/87, BStBl II 1990, 261, 262 m. w. N.). Für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung ist es Sache der obersten Verwaltungsbehörden, auf der Grundlage der §§ 163, 227 AO unbillige Auswirkungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen zu vermeiden, die auch von den Steuergerichten grundsätzlich zu beachten sind (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BStBl II 1991, 610, 613).

20        Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, die unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) zur Selbstbindung der Verwaltung führen, sind bei der gerichtlichen Prüfung, ob die Finanzverwaltung ihre Ermessensentscheidung fehlerfrei, insbesondere willkürfrei getroffen hat, von den Finanzgerichten (FG) zu beachten (BFH-Urteile vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784 und vom 19. März 2009 V R 48/07, BFHE 225, 215, BStBl II 2010, 92). Hat die Verwaltung in Ausfüllung des ihr zustehenden Ermessensspielraums Richtlinien erlassen, so haben die Gerichte grundsätzlich nur zu prüfen, ob sich die Behörden an die Richtlinien gehalten haben und ob die Richtlinien selbst einer sachgerechten Ermessensausübung entsprechen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 I R 1/98, BFH/NV 2000, 691, m.w.N.). Dabei ist für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift nicht maßgeblich, wie das FG eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das FG darf daher Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf prüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 389, BStBl II 2005, 460 und vom 13. Januar 2011 V R 43/09, BFHE 233, 58, BStBl II 2011, 610).

21        2. Nach diesen Grundsätzen ist das FA auf der Grundlage der Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 verpflichtet, gegen die Klägerin als vermeintliche Organgesellschaft aus Billigkeitsgründen keine Umsatzsteuer festzusetzen.

22        a) Die im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 gewährte Übergangsregelung ist eine Billigkeitsmaßnahme der Finanzverwaltung. Sie sieht vor, dass es für vor dem 1. Januar 2012 ausgeführte Umsätze nicht beanstandet wird, wenn die am vermeintlichen Organkreis beteiligten Unternehmer unter Berufung auf Abschnitt 2.8 Abs. 5 UStAE (in der am 4. Juli 2011 geltenden Fassung) übereinstimmend eine finanzielle Eingliederung annehmen. Gleichzeitig wurde Abschnitt 2.8 Abs. 5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) zur finanziellen Eingliederung wie folgt neu gefasst (Hervorhebungen im Original, vgl. BStBl I 2011, 703):

23        „Finanzielle Eingliederung

24        (5) 1Unter der finanziellen Eingliederung ist der Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft zu verstehen, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. 2Entsprechen die Beteiligungsverhältnisse den Stimmrechtsverhältnissen, ist die finanzielle Eingliederung gegeben, wenn die Beteiligung mehr als 50 % beträgt, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für die Beschlussfassung in der Organgesellschaft erforderlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 1. 12. 2010, XI R 43/08, BStBl 2011 II S. 600). 3Eine finanzielle Eingliederung setzt eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft voraus. 4Es ist ausreichend, wenn die finanzielle Eingliederung mittelbar über eine unternehmerisch oder nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft des Organträgers erfolgt. 5Eine nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft wird dadurch jedoch nicht Bestandteil des Organkreises. 6Ist eine Kapital- oder Personengesellschaft nicht selbst an der Organgesellschaft beteiligt, reicht es für die finanzielle Eingliederung nicht aus, dass nur ein oder mehrere Gesellschafter auch mit Stimmenmehrheit an der Organgesellschaft beteiligt sind (vgl. BFH-Urteile vom 2. 8. 1979, V R 111/77, BStBl 1980 II S. 20, vom 22. 4. 2010, V R 9/09, BStBl 2011 II S. 597, und vom 1. 12. 2010, XI R 43/08, a. a. O.). 7In diesem Fall ist keine der beiden Gesellschaften in das Gefüge des anderen Unternehmens eingeordnet, sondern es handelt sich vielmehr um gleich geordnete Schwestergesellschaften. 8Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Kapitalgesellschaft ertragsteuerlich zu dessen Sonderbetriebsvermögen bei einer Personengesellschaft gehört. 9Das Fehlen einer eigenen unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung der Gesellschaft kann nicht durch einen Beherrschungsvertrag und Gewinnabführungsvertrag ersetzt werden (BFH-Urteil vom 1. 12. 2010, XI R 43/08, a. a. O.).“

25        b) Die H-GmbH (Organträger) und die Klägerin (Organgesellschaft) sind vom Bestehen einer zwischen ihnen bestehenden Organschaft ausgegangen. Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung könnte ihnen deren Anwendung nur verwehrt werden, wenn sie aufgrund der alten, bis 4. Juli 2011 geltenden Fassung von Abschnitt 2.8 Abs. 5 UStAE nicht hätten annehmen dürfen, dass eine Organschaft bestehe.

26        aa) Das ist weder nach dem Wortlaut noch der historischen Entwicklung der Verwaltungsanweisungen zur finanziellen Eingliederung der Fall. Zwar ist auch in der Fassung des UStAE vom 4. Juli 2011 eine Beteiligung von mehr als 50 % gefordert worden. Bei der Berechnung sind aber bis zur Änderung des UStAE nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Beteiligungen berücksichtigt worden. Die in der alten Fassung des UStAE genannte Entscheidung des BFH vom 18. Dezember 1996 (XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441) hat --unter Aufgabe einer älteren Rechtsprechung-- eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen einer Organträgerkapitalgesellschaft und einer Organkapitalgesellschaft nur ausgeschlossen, wenn deren Anteile „ausschließlich von natürlichen Personen im Privatvermögen gehalten werden.“

27        So liegt der Fall wegen der 50 %-Beteiligung der H-GmbH an der APS GmbH nicht. Der BFH hatte es in seiner von der Finanzverwaltung im Bundessteuerblatt II veröffentlichen Entscheidung vom 18. Dezember 1996 (XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441) für eine finanzielle Eingliederung vielmehr als ausreichend angesehen, wenn eine „unmittelbare, jedenfalls nicht unwesentliche Beteiligung an der Organgesellschaft“ besteht. Für den Fall einer unmittelbaren, aber nicht mehrheitlichen Beteiligung der Organträgerkapitalgesellschaft waren nach damaliger und von der Finanzverwaltung geteilter Auffassung des BFH zusätzlich bestehende Beteiligungen gemeinsamer Anteileigner für die Gesamtbeurteilung der finanziellen Eingliederung „sehr wohl bedeutsam“. Bei dieser Formulierung handelte es sich nicht nur um ein bloßes obiter dictum des BFH. Für den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt einer Kapitalgesellschaft als Organträgerin wurde deren „unmittelbare, jedenfalls nicht unwesentliche Beteiligung an der Organgesellschaft“ ausdrücklich vorausgesetzt, um das im Urteilsfall fehlende Merkmal einer finanziellen Eingliederung bei bloßen Schwesterkapitalgesellschaften zu begründen.

28        Die tragende Funktion der weiteren Urteilsausführungen zur Bedeutung zusätzlich bestehender Beteiligungen gemeinsamer Anteileigner für die Gesamtbeurteilung der finanziellen Eingliederung zeigt sich auch daran, dass der BFH am Ende seines Urteils vom 18. Dezember 1996 (XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441) nur offen ließ, ob eine ausschließlich mittelbare Beteiligung einer (Organträger-)Personen-gesellschaft an einer Kapitalgesellschaft über ihre Gesellschafter für deren finanzielle Eingliederung ausreichend sei. Demgegenüber waren die im Urteilsfall zu entscheidenden Voraussetzungen einer finanziellen Eingliederung einer Organgesellschaft in eine Organträgerkapitalgesellschaft dahin geklärt, dass diese unmittelbar, jedenfalls nicht unwesentlich an der Organgesellschaft beteiligt sein müsse.

29        Die offen gelassene Frage einer nur mittelbar beteiligten Personengesellschaft als Organträgerin wurde mit Urteil des BFH vom 20. Januar 1999 (XI R 69/97, BFH/NV 1999, 1136) dahin entschieden, dass eine mittelbare Beteiligung ausreichend sein kann. Hiervon rückte zunächst der V. Senat des BFH in seinem Urteil vom 22. April 2010 (V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597) für den Fall ab, dass nur mehreren Gesellschafter gemeinsam eine Mehrheitsbeteiligung an GmbH und Personengesellschaft zusteht. Dem folgte der XI. Senat mit Urteil vom 1. Dezember 2010 (XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600) im Fall einer Organträgerkapitalgesellschaft, die nicht unmittelbar an der Organgesellschaft (GmbH) beteiligt war. Nach dem Leitsatz dieser Entscheidung setzt eine finanzielle Eingliederung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG sowohl bei einer Kapitalgesellschaft als auch bei einer Personengesellschaft als Organträger eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der Kapitalgesellschaft oder Personengesellschaft an der Organgesellschaft voraus. Deshalb reicht es auch für die finanzielle Eingliederung einer GmbH in eine Personengesellschaft nicht aus, dass letztere nicht selbst, sondern nur ihr Gesellschafter mit Stimmenmehrheit an der GmbH beteiligt ist (Änderung der Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 20. Januar 1999 XI R 69/97, BFH/NV 1999, 1136).

30        Soweit in dem zu einer Organträgerkapitalgesellschaft ergangenen Urteil vom 1. Dezember 2010 (XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600) frühere Judikate für die Voraussetzung einer Stimmenmehrheit (mehr als 50 %) zitiert werden, handelt es sich um Entscheidungen, bei denen der Organträger eine Personengesellschaft und nicht wie hier eine Kapitalgesellschaft gewesen ist. Abgesehen davon ist nicht (bestätigend) entschieden worden, wie sich die schon immer notwendige Stimmenmehrheit von über 50 % berechnet. Dem Urteil vom 1. Dezember 2010 lag --wie dem Urteil vom 18. Dezember 1996-- ein Sachverhalt ohne eine unmittelbare Beteiligung der Organträgerkapitalgesellschaft an der Organgesellschaft zugrunde.

31        bb) Vor diesem Hintergrund hätte ein gewissenhafter Steuerpflichtiger bei Bestehen einer wie hier gegebenen unmittelbaren und mit 50 % nicht unwesentlichen Beteiligung der Organträgerkapitalgesellschaft an der Organgesellschaft davon ausgehen dürfen, dass eine umsatzsteuerliche Organschaft besteht, weil dies nach den von der Finanzverwaltung übernommenen und nicht anderweitig geregelten Voraussetzungen des BFH für eine finanziellen Eingliederung bis zur Rechtsprechungsänderung im Jahr 2010 durchaus möglich war. Hiervon ist das FA für die Jahre 2006 und 2007 ebenfalls ausgegangen und hat dem Einspruch der Klägerin abgeholfen.

32        Die Übergangsregelung ist nur an die Voraussetzung gebunden, dass die am vermeintlichen Organkreis beteiligten Unternehmer unter Berufung auf Abschnitt 2.8 Abs. 5 UStAE in der am 4. Juli 2011 geltenden Fassung übereinstimmend eine finanzielle Eingliederung annehmen. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Abschnitt 2.8 Abs. 5 UStAE a. F. forderte für eine finanzielle Eingliederung nur den Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit (in der Regel mehr als 50 %) an der Organgesellschaft, regelte aber nicht, wie sich diese Mehrheit errechnet. Für den Fall zweier Kapitalgesellschaften war nur der Fall ausgeschlossen, dass deren Anteile „ausschließlich von natürlichen Personen im Privatvermögen gehalten werden.“ Mit der Bezugnahme auf das bereits im Bundessteuerblatt veröffentlichte Urteil des BFH vom 18. Dezember 1996 (XI R 25/94, BStBl II 1997, 441) war aber klar, dass bereits eine nicht unwesentliche Beteiligung der Organträger-Kapitalgesellschaft an der Organgesellschaft ein Über- und Unterordnungsverhältnis begründet und zusätzliche Beteiligungen gemeinsamer Anteilseigner für die finanzielle Eingliederung zu berücksichtigen sind.

33        cc) Das ergibt sich auch aus dem Vergleich der alten und neuen Fassung von UStAE 2.8 Abs. 5 Satz 1 UStAE. Erst seit der Neufassung muss der Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft beim „Organträger“ liegen. Gleichzeitig wurde im neuen Satz 6 des UStAE 2.8 Abs. 5 eine Berücksichtigung von Beteiligungen gemeinsamer Anteilseigner ausdrücklich ausgeschlossen. Die Bezugnahme auf das BFH vom 18. Dezember 1996 (XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441) entfiel.

34        Eine abweichende Steuerfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit nach § 163 Satz 1 AO muss zwar nicht gewährt werden, wenn dem Steuerpflichtigen zumindest Zweifel an der ursprünglich vertretenen günstigeren rechtlichen Behandlung hätten kommen müssen und daher kein schützenswertes Vertrauen vorlag (BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2003 X B 75/02, BFH/NV 2004, 44). Das ist hier aus den vorstehend genannten Gründen nicht der Fall. Auch in der Literatur ist die Entscheidung des BFH vom 1. Dezember 2010 (XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600) dahin verstanden worden, dass erst hierdurch das Institut der mittelbaren finanziellen Eingliederung vollumfänglich aufgegeben wurde, während bisher eine finanzielle Eingliederung über die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft möglich war (vgl. Gotthardt/Boor, Umsatzsteuerliche Organschaft - Keine finanzielle Eingliederung durch Anteilszurechnung oder Beherrschungsvertrag, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2011, 1118, 1120). Die Finanzverwaltung kann daher keine Auslegung ihrer Übergangsregelung vornehmen, die einem rechtskundigen Adressaten der Billigkeitsregelung mit Blick auf die Alt- und Neufassung von UStAE 2.8 Abs. 5 ein schützenswertes Vertrauen in den vorläufigen Fortbestand einer vermeintlichen Organschaft entzieht.

35        Wäre die Finanzverwaltung schon vor Ergehen des BFH-Urteils vom 1. Dezember 2010 (XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600) der Auffassung gewesen, dass eine Kapitalgesellschaft nur dann Organträgerin sein kann, wenn sie selbst mehr als 50 % der Anteile an der Organgesellschaft hält, hätte sie dies entweder in der Übergangsregelung selbst oder bereits in einer früheren Änderung von UStAE 2.8 Abs. 5 zum Ausdruck bringen müssen. Nimmt die Finanzverwaltung durch eine Billigkeitsregelung Rücksicht auf eine Fehleinschätzung des Steuerpflichtigen, die auf einer vertretbaren Auslegung der alten Rechtslage beruht, ist nur eine Auslegung der Billigkeitsregelung vertretbar, die diesen Wertungsspielraum in sich aufnimmt. Die Finanzverwaltung trägt wegen des nur eingeschränkten Vertrauensschutzes in § 176 AO bei der Gewährung von Billigkeitsregelungen eine besondere Verantwortung für den Inhalt der von ihr formulierten Übergangsregelungen. Sie hat es in der Hand, ob und in welchem Umfang sie die bei geänderten Rechtsauffassungen auf die häufig nicht mehr änderbaren Dispositionen der Steuerpflichtigen Rücksicht nimmt. Eine Auslegung zu Lasten des Steuerpflichtigen ist daher nur vertretbar, wenn diese auf der Grundlage der ursprünglichen und veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung möglich ist. Die von der Finanzverwaltung selbst verursachten Auslegungsspielräume gehen zu ihren Lasten. Die Finanzverwaltung darf einer allgemeinen Billigkeitsregelung keine Bedeutung beimessen, die in ihr keinen hinreichenden Ausdruck findet.

36        3. Hat die Klage bereits auf Grundlage der auf die Klägerin anzuwendenden Übergangsregelung Erfolg, kann offen bleiben, ob die eine Billigkeitsmaßnahme ablehnende Entscheidung des FA auch deshalb rechtswidrig ist, weil es sich bei seiner Ermessensausübung nicht mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den verbundenen Rechtssachen „Larentia+Minerva“ und „Marenave“ auseinander gesetzt hat (EuGH-Urteil vom 16. Juli 2015 C-108/14 und C-109/14, DStR 2015, 1673). Darin hat der EuGH grundsätzliche Zweifel an der Europarechtskonformität der deutschen Eingliederungsvoraussetzungen für eine Organschaft aufgeworfen. Der Wortlaut der Sechsten Richtlinie und der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie verlange (nur) eine enge Verbindung durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen. Dies sei nicht notwendigerweise mit einer Über- und Unterordnung gleichzusetzen. Eine die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben einengende nationale Regelung könne daher lediglich auf die Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder die Vermeidung der Steuerhinterziehung und -umgehung gestützt werden. Da solche Gesichtspunkte im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind, sprechen auch gemeinschaftsrechtliche Erwägungen --jedenfalls im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme-- gegen die Vertretbarkeit einer einengenden Auslegung der Übergangsvorschrift.

37        4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

38        5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).

39        6. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 FGO.

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