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Steuerrecht
09.05.2012
Steuerrecht
BFH: Treaty-Override verfassungswidrig?

Der BFH hat im Beschluss vom 10.1.2012 – I R 66/09 – dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 50d Abs. 8 S. 1 EStG 2002 i. d. F. des StÄndG 2003 insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 sowie Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als hierdurch für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbstständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vereinbarte Freistellung der Einkünfte (hier: nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a S. 1 i. V. m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 i.V. m. dem dazu ergangenen Zustimmungsgesetz vom 27.11.1989) bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt wird, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.

Nach § 50d Abs. 8 EStG wird für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbstständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem DBA vereinbarte Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der steuerpflichtige Arbeitnehmer nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Das Gesetz setzt sich unter diesen Voraussetzungen im Ergebnis einseitig über die völkerrechtlich vereinbarte Freistellung der Arbeitslöhne hinweg; der Völkerrechtsvertrag wird gebrochen. Der BFH ist davon überzeugt, dass dies nicht in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Gleichheitssatz steht. Die herkömmliche, früher auch vom BVerfG vertretene Rechtsauffassung, wonach es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, den Völkerrechtsvertrag zu „überschreiben“, lasse sich nach zwischenzeitlich wohl gewandelter Sicht des BVerfG nicht länger aufrechterhalten: Zum einen laufe § 50d Abs. 8 EStG der in Art. 25 GG niedergelegten materiell-rechtlichen Wertentscheidung zum Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Ein solcher Rechtfertigungsgrund sei insbesondere nicht darin zu sehen, dass der Steuerpflichtige in beiden Vertragsstaaten unbesteuert bleiben und sog. weiße Einkünfte erzielen könne. Zum anderen sieht der BFH Gleichheitsverstöße darin, dass der betreffende Arbeitnehmer, der im Ausland arbeitet, infolge der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG unbeschadet des Abkommens so behandelt wird, wie ein Arbeitnehmer, der im Inland arbeitet, und überdies, dass das Gesetz ihn im Ergebnis gegenüber einem Steuerpflichtigen mit anderen Einkünften als solchen aus nichtselbstständiger Arbeit benachteiligt.

Der BFH macht in seiner PM ausdrücklich deutlich: Das Normenkontrollersuchen, über das das BVerfG nun zu entscheiden haben wird, betrifft unmittelbar nur die Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG. Mittelbar steht jedoch – und darin liegt letztlich die Brisanz des Ersuchens – eine Vielzahl einschlägiger Regelungen auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts: Der deutsche Gesetzgeber hat vor allem in der jüngeren Vergangenheit in erheblichem Maße von dem seit Langem umstrittenen Mittel des Treaty overriding Gebrauch gemacht, auch, um eine „Keinmalbesteuerung“ zu vermeiden. Erst in letzter Zeit geht Deutschland verstärkt dazu über, entsprechende Klauseln zum Rückfall des Besteuerungsrechts an den Wohnsitzstaat bei besagter „Keinmalbesteuerung“ in den jeweiligen Abkommen selbst zu verankern oder auch ein Abkommen zu kündigen. Ein Beispiel für eine solche Kündigung wie für solche abkommenseigenen Rckfallklauseln gibt gerade das DBA-Trkei a. F. aus dem Jahre 1985 und seiner nunmehr neuverhandelten Fassung vom 19.9.2011.
(Quelle: PM BFH vom 9.5.2012)

Volltext desBeschl.: // BB-ONLINE BBL2012-1249-1 unter www.betriebs-berater.de

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