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Steuerrecht
23.12.2015
Steuerrecht
EuGH: Schottisches Gesetz zur Einführung eines Mindestverkaufspreises pro Alkoholeinheit verstößt gegen Unionsrecht

2012 verabschiedete das schottische Parlament ein Gesetz über den Mindestpreis für alkoholische Getränke in Schottland. Dieses Gesetz schreibt einen Mindestpreis pro Alkoholeinheit (MPA) vor, der von jedermann einzuhalten ist, der in Schottland aufgrund einer Konzession alkoholische Getränke im Einzelhandel verkaufen darf. Dieser Mindestpreis errechnet sich anhand einer Formel, die den Alkoholgehalt und das Alkoholvolumen in dem Erzeugnis berücksichtigt.

Das schottische Gesetz soll die Gesundheit und das Leben von Menschen schützen. Ein Mindestpreis pro Alkoholeinheit hätte nämlich zur Folge, dass der zurzeit geringe Preis bestimmter stark alkoholhaltiger Getränke steigen würde. Diese Art von Getränken wird häufig von Verbrauchern mit Alkoholproblemen gekauft. Nach Ansicht des schottischen Gesetzgebers ließe sich dieses Ziel mit steuerlichen Maßnahmen nicht mit demselben Erfolg erreichen.

Die Scotch Whisky Association und andere Verbände von Herstellern alkoholischer Getränke haben gegen dieses Gesetz Klage erhoben, weil das schottische Gesetz eine mit dem Unionsrecht unvereinbare mengenmäßige Beschränkung des Handelsverkehrs sei und eine Verfälschung des Wettbewerbs zwischen Alkoholhändlern zur Folge habe. Ihrer Ansicht nach ließen sich die mit dem Gesetz verfolgten Ziele auf weniger einschränkende Weise durch steuerliche Maßnahmen verwirklichen.

In diesem Zusammenhang möchte der Court of Session, Inner House (Oberster Gerichtshof Schottlands), wissen, ob die Einführung eines Mindestpreises mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Er wirft insbesondere die Frage auf, ob das streitige Gesetz zur Folge hat, dass der freie Warenverkehr eingeschränkt wird, und, falls ja, ob diese Einschränkung mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden kann. Das schottische Gericht fragt außerdem, ob diese Maßnahme gerechtfertigt sein kann, wenn es dem Mitgliedstaat frei steht, steuerliche Maßnahmen zu ergreifen, die den freien Warenverkehr und den Wettbewerb weniger verfälschen, aber umfassendere Ziele verfolgen als die konkret angestrebten.

In seinem Urteil vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass sich die schottischen Rechtsvorschriften sehr einschränkend auf den Markt auswirken, was vermieden werden könnte, wenn anstelle einer Maßnahme, die einen Mindestverkaufspreis pro Alkoholeinheit vorschreibt, eine steuerliche Maßnahme mit dem Ziel einer Erhöhung des Preises für Alkohol eingeführt würde.

Der Gerichtshof betont zunächst, dass die Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Weine1 der Vorgabe eines MPA für den Verkauf von Wein im Einzelhandel nicht entgegensteht. Er (Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 (ABl. L 347, S. 671)) stellt fest, dass die Schaffung einer gemeinsamen Marktorganisation die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, nationale Regelungen anzuwenden, die ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel wie den Gesundheitsschutz verfolgen, sofern diese Regelungen verhältnismäßig sind.

Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass diese Maßnahme verhindert, dass sich niedrigere Gestehungskosten eingeführter Erzeugnisse im Verkaufspreis niederschlagen können, und somit geeignet ist, alkoholhaltigen Getränken aus anderen Mitgliedstaaten den Zugang zum britischen Markt zu erschweren. Dieser Umstand ist ausreichend, um sie als ein Hindernis für den freien Warenverkehr einzustufen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich eine solche Maßnahme nur mit Gründen des Gesundheitsschutzes rechtfertigen, wenn sie gemessen an dem mit ihr verfolgten Ziel verhältnismäßig ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 26. April 2012, ANETT C-456/10).

Der Gerichtshof verweist weiter darauf, dass die schottischen Rechtsvorschriften ein doppeltes Ziel verfolgen, nämlich eine Verringerung nicht nur des gefährlichen Alkoholkonsums, sondern auch ganz allgemein des Alkoholkonsums in der schottischen Bevölkerung. Auch wenn die Vorgabe eines MPA, der die Preise für billigen Alkohol erhöhen soll, geeignet ist, den Alkoholkonsum zu verringern, ist ein Vorgehen wie das in Schottland nicht gerechtfertigt, wenn die Gesundheit ebenso wirksam durch weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen geschützt werden kann.

Nach Auffassung des Gerichtshofs kann eine fiskalische Maßnahme, mit der die Steuern auf alkoholische Getränke erhöht werden, weniger einschränkend sein als eine Maßnahme, mit der ein MPA vorgegeben wird, da sie den Wirtschaftsteilnehmern, anders als ein Mindestpreis, die Freiheit belässt, ihre Verkaufspreise selbst festzulegen.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass es letztlich dem nationalen Gericht obliegt, festzustellen, ob andere Maßnahmen als die, die das schottische Gesetz vorsieht, wie etwa eine erhöhte Besteuerung alkoholischer Getränke, geeignet sind, die Gesundheit und das Leben von Menschen ebenso wirksam zu schützen wie die derzeitigen Rechtsvorschriften, gleichzeitig aber den Handel mit diesen Waren innerhalb der Union weniger einschränken. Dass sich mit steuerlichen Maßnahmen das Ziel des Gesundheitsschutzes möglicherweise in einem umfassenderen Sinne erreichen ließe, kann nach Ansicht des Gerichtshofs nicht rechtfertigen, dass von solchen Maßnahmen Abstand genommen wird. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass eine steuerliche Maßnahme eine allgemeine Anhebung der Getränkepreise nach sich zöge und dadurch zur Verwirklichung des allgemeinen Ziels der Bekämpfung von Alkoholmissbrauch beitrüge (weil sie nicht nur Verbraucher mit gefährdendem oder schädigenden Trinkverhalten beträfe, sondern auch mit gemäßigtem Alkoholkonsum), was in Anbetracht des doppelten Ziels, das der schottische Gesetzgeber verfolgt, eher für diese steuerliche Maßnahme als für einen MPA spräche. Das schottische Gericht ist dem Gerichtshof zufolge außerdem gehalten, sämtliche von der schottischen Regierung vorgelegten Beweise objektiv zu prüfen, wobei es sich insoweit nicht auf die Informationen beschränken darf, die zur Zeit der Verabschiedung der streitigen Rechtsvorschriften durch den Gesetzgeber verfügbar waren.

PM vom 23.12.2015 zum Urteil C-333/14

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