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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
29.05.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Baden-Württemberg: Voraussetzungen für den Ansatz einer Rückstellung wegen einer Schadensersatzverpflichtung

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.3.2015 – 13 K 540/13, rkr.

EStG § 5 Abs. 1

Aus den Gründen

[…] 1. a) Der Ansatz einer Rückstellung wegen einer vertraglich begründeten Schadensersatzverpflichtung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) --unter weiteren Voraussetzungen-- nur dann steuerrechtlich zulässig, wenn und soweit der Steuerpflichtige nach den am Bilanzstichtag objektiv gegebenen und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren Verhältnissen ernsthaft damit rechnen musste, dass eine Verbindlichkeit besteht oder entstehen wird und eine Inanspruchnahme aus der Verbindlichkeit wahrscheinlich ist (s. Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 33. Aufl., § 5 Rz 376, m.w.N.; s. zusammenfassend BFH-Urteil vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BStBl II 2006, 371, m.w.N. [BB 2006, 543 m. BB-Komm. Moxter, StB 2006, 122 Ls]). Die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Schuldners reicht nicht aus. Die Inanspruchnahme muss vielmehr wahrscheinlich sein. Nach ständiger Rechtsprechung müssen für die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme mehr Gründe dafür als dagegen sprechen und der Steuerpflichtige darf im Hinblick auf seine Inanspruchnahme nicht die pessimistischste Annahme wählen. Das Wahrscheinlichkeitsurteil kann sich auf betriebsindividuelle oder branchenübliche Erfahrungen der Vergangenheit stützen. Bedeutsam können insbesondere auch die für den Schuldner erkennbaren Vorstellungen des Anspruchsberechtigten sein. Die Feststellung der Wahrscheinlichkeit ist im Wesentlichen einzelfallbezogen. Der Steuerpflichtige ist gehalten, zur Rechtfertigung der von ihm begehrten Rückstellung konkrete Tatsachen darzulegen; der Steuerpflichtige trägt die Feststellungslast. Bei fehlender Wahrscheinlichkeit besteht ein Passivierungsverbot (s. BFH-Urteil vom 25. April 2006 VIII R 40/04, BStBl II 2006, 749, unter 2., m.w.N. [BB 2006, 2295 m. BB-Komm. Hommel, StB 2006, 404 Ls).

b) Nach diesen Maßstäben war der Ansatz einer Rückstellung im Streitfall nicht geboten. Es kann insoweit offen gelassen werden, ob zum Bilanzstichtag am 31. Dezember 2009 überhaupt hinreichend wahrscheinlich war, dass der Kläger nach englischem Recht gegenüber der Fa. D Ltd. zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet war (unter aa). Das Gericht wäre insoweit ggf. gehalten, den maßgeblichen Inhalt des englischen Rechts und dessen konkrete Ausgestaltung in der englischen Rechtspraxis von Amts wegen zu ermitteln (s. § 293 ZPO i.V.m. §§ 155 FGO; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. Juni 2013 III R 10/11, BFHE 241, 562, BStBl II 2014, 706). Im Streitfall war indes unabhängig vom Bestehen einer derartigen Verpflichtung jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger aus einer solchen Verpflichtung in Anspruch genommen würde (unter bb).

aa) Es kann als zweifelhaft angesehen werden, ob der Kläger nach englischem Recht gegenüber der D Ltd. überhaupt zum Schadensersatz verpflichtet sein könnte. Der Kläger hat eine solche Verpflichtung zwar stets behauptet, das Bestehen der Verpflichtung jedoch nicht näher dargetan. Der Kläger hat sich insbesondere nicht mit dem nahe liegenden Einwand auseinandergesetzt, dass die D Ltd. den Hauptauftrag letztlich gar nicht erhalten hat und daher den mit dem Kläger abgeschlossenen Subunternehmervertrag ihrerseits gar nicht erfüllen konnte. Nach deutschem Recht hätte sich der Kläger bei dieser Sachlage wieder von dem Subunternehmervertrag lösen und sich dabei jedenfalls auf die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen können (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofes --BGH-- vom 29. Juli 2004 III RZR 293/03, NJW-- RR 2004, 1498, unter I.2.b; s. ferner § 313 BGB). Denn nach der Rechtsprechung des BGH in NJW--RR 2004, 1498 wirken sich etwaige Leistungsstörungen auf der Ebene des Hauptauftrages bei derartig gestuften Vertragsverhältnissen grundsätzlich auch auf den Subunternehmervertrag aus und der Subunternehmer kann sich bei einem Wegfall des Hauptvertrages grundsätzlich auch ohne ausdrückliche entsprechende Vereinbarung von dem Subunternehmervertrag lösen, sei es unter Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. § 313 BGB), sei es ggf. über ein Kündigungsrecht nach § 626 BGB.

Es kann (zwar) angenommen werden, dass es sich insoweit um allgemeingültige Rechtsmaßstäbe handelt, die im Zweifel auch im englischen Recht zur Anwendung gelangen dürften. Denn es wäre unbillig und würde gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen, wenn die D Ltd. den Kläger an einem Vertragsverhältnis wirksam festhalten könnte, obwohl sie selbst den eingegangen Vertrag gar nicht erfüllen kann. Der Vertreter des FA hat insoweit in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sich die D Ltd. durch ein Festhalten an dem Vertrag gegenüber dem Kläger ggf. selbst schadensersatzpflichtig machen würde. Im Hinblick darauf, dass das Gericht den maßgeblichen Inhalt des englischen Rechts jedoch gemäß § 293 ZPO i. V. m. § 155 FGO von Amts wegen ermitteln müsste (ggf. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, vgl. BGH-Urteil vom 14. Januar 2014 II ZR 192/13, NJW 2014, 1244 [RIW 2014, 235]), wird die Frage, ob nach englischem Recht überhaupt ein Schadensersatzanspruch der D Ltd. entstanden sein könnte, im Ergebnis offen gelassen.

bb) Denn unabhängig vom Bestehen einer Verpflichtung zum Schadensersatz musste der Kläger bei Würdigung der im Streitfall maßgeblichen Umstände zum Bilanzstichtag am 31. Dezember 2009 nicht ernstlich damit rechnen, aus der (behaupteten) Verpflichtung in Anspruch genommen zu werden. Das Gericht stützt diese Würdigung vor allem auf eine Auslegung des Schreibens des englischen Rechtsanwaltes P vom 4. Dezember 2009 […].

Der Kläger erhielt das Schreiben im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Entscheidung der Stadtwerke X über die Vergabe des Auftrags entweder an die D Ltd. oder an die B Ltd.. Aufgrund des erfolgreich verlaufenen Bewerbungsinterviews konnte der Kläger zwar davon ausgehen, dass er den Programmierungsauftrag durchführen sollte. Es war jedoch für den Kläger und möglicherweise auch für die beiden konkurrierenden Consulting-Unternehmen bis zuletzt unklar, wer den Zuschlag der Stadtwerke X erhalten würde und für welches der beiden Unternehmen der Kläger überhaupt tätig werden konnte. Dem Kläger war es dabei gleichgültig, ob die B Ltd.. oder die D Ltd. den Auftrag erhielten, da die für ihn maßgeblichen Konditionen gleich waren (s. Erklärungen des Klägers im Erörterungstermin; s. FG-A. Bl. 112). Um sich Klarheit zu verschaffen, hat der Kläger daher auf Empfehlung des von ihm eingeschalteten deutschen Rechtsanwaltes die beiden Agenturen aufgefordert, ihm mitzuteilen, wer nun tatsächlich den Auftrag erhalten hatte. Der Kläger hatte sich zwar gegenüber der D Ltd. bereits vertraglich gebunden und er war insoweit jedenfalls zu vertragstreuem Verhalten verpflichtet. Es durfte aber seitens des Klägers bezweifelt werden, ob diese Verpflichtung auch dann gleichsam eine Knebelung oder „Blockierung“ des Klägers bewirken konnte, wenn die Stadtwerke X den Auftrag nicht der D Ltd., sondern --wie dann tatsächlich geschehen-- der B Ltd.. erteilen sollten. Diese Würdigung steht letztlich auch nicht in Widerspruch zu der Einschätzung des vom Kläger hinzugezogenen deutschen Rechtsanwaltes. Nach dessen E-Mail vom 3. Dezember 2009 musste der Kläger zwar im „schlimmsten“ Fall mit Schadensersatzansprüchen der Partei rechnen, die den Hauptauftrag nicht erhalten hat. Der deutsche Rechtsanwalt hat jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass nur die Agentur, die den Hauptauftrag tatsächlich erhalten hat und ihrerseits überhaupt in der Lage ist, den Vertrag gegenüber dem Kläger zu erfüllen, „redlicherweise damit rechnen (könne)“, dass der Kläger für sie tätig werde (s. FG-A. Bl. 30).

Bei dieser noch unklaren Sachlage war das Schreiben des englischen Rechtsanwaltes für den Kläger in erster Linie dahin zu verstehen, dass er zu vertragstreuem Verhalten angehalten und ihm Sanktionen für den Fall angedroht werden sollten, dass er gegen seine Vertragspflichten aus dem mit der D Ltd. bereits geschlossenen Vertrag verstoßen sollte. Das Schreiben des (gegnerischen) Rechtsanwaltes diente bei dieser Würdigung vor allem dazu, das Verhalten des Klägers im Interesse der D Ltd. so zu beeinflussen, dass es möglichst doch (noch) zu einem Vertragsabschluss zwischen den Stadtwerken X und der D Ltd. kommen konnte. Das Zustandekommen eines solchen Vertrages sollte jedenfalls nicht aus Gründen scheitern, auf die der Kläger einen Einfluss ausüben konnte. Das Schreiben des englischen Rechtsanwaltes war für den Kläger bei dieser Sachlage daher noch nicht als konkrete Geltendmachung eines Ersatzanspruches zu verstehen, sondern diente in der Endphase des Wettbewerbs um die Vergabe eines Auftrages aus Sicht der D Ltd. gleichsam als Mittel, den Kläger zu „disziplinieren“. Dem Kläger sollte verdeutlich werden, dass die D Ltd. noch entschieden um den Auftrag kämpft und es nicht hingenommen würde, wenn der Kläger etwa versuchen sollte, über die B Ltd.. „ein besseres Geschäft“ abzuschließen, und er dadurch den Vertragsabschluss zwischen der D Ltd. und den Stadtwerken X zu Fall bringen sollte (s. Schreiben vom 4. Dezember 2009, FG-A. Bl. 83 f).

c) Dieser Beurteilung, dass das Schreiben des englischen Rechtsanwaltes noch nicht als außergerichtliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches, sondern nur als Ankündigung oder Androhung zu werten ist, stehen auch keine etwaigen wertaufhellenden Umstände entgegen, die beim Bilanzstichtag bereits vorlagen, aber erst bis zur Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. […]

2. […] 3. […]

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