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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
26.03.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster: Steuerneutrale Realteilung bei Übertragung eines Teilbetriebs und Fortführung der Personengesellschaft

FG Münster, Urteil vom 29.1.2015 – 12 K 3033/14 F, Rev. zugelassen

Nicht amtliche Leitsätze

1. Eine steuerneutrale Realteilung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Personengesellschaft mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgeführt wird.

2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der ausscheidende Gesellschafter einen Teilbetrieb übernimmt und fortführt.

EStG § 16 Abs. 3, § 18 Abs. 3

Sachverhalt

Der Kläger war zu 18,38 % an der zum Verfahren beigeladenen T GbR (GbR, Beigeladene zu 1), einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit Niederlassungen in O, S und A, beteiligt. Die Niederlassung A wurde vom Kläger geführt.

Die GbR ermittelte ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich; im Jahr 2006 wechselte sie zur Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, wobei zwischen den Beteiligten strittig ist, ob der Wechsel bereits zum 1. Januar oder erst nach Ausscheiden des Klägers erfolgte.

Der Kläger schied gemäß Vereinbarung vom 7. April / 20. April 2006 zum 31. Mai 2006 aus der GbR aus.  Die GbR wurde von den verbliebenen fünf Gesellschaftern fortgeführt. Im Jahr 2005 schieden zwei Gesellschafter aus der GbR aus; nach 2006 schied der Beigeladene zu 2 aus der GbR aus.

Das Ausscheiden des Klägers sollte gegen Sachwertabfindung steuerneutral gemäß § 6 Abs. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) erfolgen. Der dem Kläger zustehende Abfindungsanspruch wurde auf X EUR berechnet; wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 15. August 2014 (Eingang beim Finanzgericht) Bezug genommen.

Der Kläger übernahm mit seinem Ausscheiden sämtliche Aktiva, Passiva sowie den Kundenstamm der von ihm geführten Niederlassung A. Der Kundenstamm wurde von den Gesellschaftern und dem Kläger nach Verhandlungen mit X EUR angesetzt.

Nach einer am 07. November 2007 erstellten Abrechnung zum 31. Mai 2006 ergab sich unter Berücksichtigung des Abfindungsanspruchs sowie der übernommenen Aktiva und Passiva der Niederlassung A sowie des Kundenstamms mit dem Ausscheiden des Klägers eine Ausgleichsverbindlichkeit des Klägers i. H. v. X EUR; auf die Abrechnung (Anlagenhefter zum Schriftsatz des Bekl. vom 15. August 2014, Bl. 84 GA) wird insoweit wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten zur Auseinandersetzungsvereinbarung wird auf die Vereinbarung vom 7. April/20. April 2006 sowie den Inhalt des Gesellschaftsvertrags 2002 Bezug genommen.

In 2009 wurde bei der GbR durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung O eine Betriebsprüfung durchgeführt, deren Ergebnisse im Bericht vom 27. Oktober 2009 zusammengefasst sind.

Die Prüfer waren der Auffassung, dass der Kläger gegen Sachwertabfindung ausgeschieden sei und dass dabei ein steuerpflichtiger Aufgabegewinn entstanden sei.

Da die GbR nach dem Ausscheiden des Klägers fortgeführt worden sei und der Abfindungsanspruch des Klägers durch Übertragung eines Teilbetriebs (Niederlassung A) erfüllt worden sei, liege weder eine Realteilung (§ 16 Abs. 3 EStG) vor, noch könne § 6 Abs. 5 EStG angewendet werden. Die Betriebsprüfer gingen von einem nach § 34 Abs. 1 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn i. S. v. § 16 EStG i.H.v. X EUR aus.

Zudem gingen die Prüfer von einem Übergangsgewinn wegen des Wechsels von der Einnahmen-Überschuss-Rechnung zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich zum 31. Mai 2006 aus.

Für 2005 nahmen die Prüfer weitere, nicht im Streit stehende Gewinnkorrekturen vor.

Mit geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden stellte der Beklagte für 2005 Einkünfte aus selbständiger Arbeit der GbR i. H. v. X EUR und für den Kläger Einkünfte aus selbständiger Arbeit i. H. v. X EUR fest. Für 2006 stellte der Beklagte Einkünfte aus selbständiger Arbeit der GbR i. H. v.X EUR und für den Kläger einen Anteil am Gesamtgewinn i. H. v. X EUR sowie die darin enthaltenen laufenden Einkünften i. H. v. X EUR und einen Veräußerungsgewinn i. H. v. X EUR fest.

Der Einspruch des Klägers gegen die Änderungsbescheide wurde mit Einspruchsentscheidung vom 16. September 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Die Gesellschafter der GbR waren zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden.

Die Einspruchsentscheidung wurde an den Kläger gemäß Absendevermerk am 16. September 2011 (Freitag) abgesandt.

Die dagegen gerichtete Klage wurde beim Beklagten am 20. Oktober 2011 angebracht. Mit der Klagebegründung machte der Kläger geltend, die Einspruchsentscheidung erst am 20. Oktober 2011 erhalten zu haben. Im Erörterungstermin am 4. September 2014 hat der Kläger geltend gemacht, die Einspruchsentscheidung am 20. September 2011 erhalten zu haben. Die Datumsangabe in der Klageschrift sei Folge eines Schreibfehlers. Er könne den Briefumschlag zur Einspruchsentscheidung sowie das Posteingangsbuch vorlegen.

Das Klagebegehren zielte nach der Klageschrift auf eine Minderung des Gewinnanteils X um X EUR. Beim Gewinnfeststellungsbescheid 2006 wendete sich der Kläger gegen die Feststellung des Veräußerungsgewinns i. H. v. X EUR.

Mit nach Ablauf der Klagefrist eingegangenen Schriftsätzen erweiterte der Kläger sein Klagebegehren für 2005 und 2006 jeweils hinsichtlich der Feststellung seines Anteils am laufenden Gewinn.

Der Senat hat die Klage betreffend das Jahr 2006 durch Beschluss vom 08. September 2014 (Bl. 1 GA) vom Verfahren 12 K 3833/11 F (Gewinnfeststellung 2005) abgetrennt.

Für 2006 machte der Kläger zuletzt geltend, sein Anteil am laufenden Gewinn 2006 sei unzutreffend festgestellt worden. Die im Rahmen der Betriebsprüfung erfolgte Erhöhung des Gewinns der GbR um X EUR sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen sei der Gewinn aus dem Übergang von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zur Ermittlung durch Betriebsvermögensvergleich unzutreffend ermittelt worden. Wegen Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 11. Juni 2012 und 24. August 2012 Bezug genommen.

Mit seinem Ausscheiden aus der GbR sei kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstanden. Nach dem Erlass der Senatsverwaltung Berlin vom 28. Dezember 2009 sei von einer steuerneutralen Sachwertabfindung auszugehen, da die übernommenen Wirtschaftsgüter in der Einzelpraxis fortgeführt würden, so dass eine spätere Besteuerung der stillen Reserven gesichert sei.

Der Kläger hat keinen bezifferten Antrag gestellt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Übernahme der Niederlassung A sei dem Kläger ein Teilbetrieb übertragen worden. Ein Teilbetrieb liege bei einer abgeschlossenen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten Organisationseinheit vor, mit deren Hilfe von der übrigen freiberuflichen Tätigkeit abgrenzbare freiberufliche Leistungen am Markt angeboten und erbracht werden (BFH BStBl. II 1990, 373; 1994, 373; 1994, 352; 1995, 403; 1996, 409). Eine Personengesellschaft könne mehrere Teilbetriebe unterhalten. Die Abgrenzung zu einem unselbständigen Betriebsteil könne sich aus sachlichen oder örtlichen Gesichtspunkten nach dem Gesamtbild der Verhältnisse ergeben. Für das Vorliegen eines Teilbetriebs sprächen folgende Umstände:

-       für die Niederlassung A sei eine Mandantenstamm mit einem Wert von X EUR festgestellt worden, was für einen abgrenzbaren Kundenkreis spreche;

-       neben dem Mandantenstamm sei das vollständige Anlagevermögen und Personal der Niederlassung vom Kläger übernommen worden; die Beendigung des Mietvertrags sei insoweit ohne Bedeutung;

-       die Telefonnummern der Niederlassung seien vom Kläger übernommen worden;

-       die Niederlassung A sei räumlich und organisatorisch von den Niederlassungen O und S getrennt;

-       die Niederlassung sei vom Kläger ab dem 01. Juni 2006 als Einzelpraxis fortgeführt worden.

Die Beigeladene zu 1. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene zu 2. hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Steuerakten Bezug genommen.

Der Berichterstatter hat die GbR sowie den zwischenzeitlich aus der GbR ausgeschiedenen Gesellschafter E durch Beschlüsse vom 19. September 2014 zum Verfahren notwendig beigeladen.

Der Berichterstatter hat die Sache am 04. September 2014 (Bl. 102 ff. 12 K 3833/11 F) mit dem Kläger und dem Beklagten erörtert. Der Senat hat in der Sache am 29. Januar 2015 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

Zulässigkeit der Klage

I. Zulässigkeit der Klage

Die Klage ist überwiegend zulässig.

Erhebung der Klage innerhalb der Klagefrist

1. Die Klage wurde innerhalb der Klagefrist erhoben.

Die Einspruchsentscheidung wurde gemäß Absendevermerk am 16. September 2011 (Freitag) zur Post gegeben, so dass nach der sog. Dreitagesfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) von einer Bekanntgabe am 19. September 2011 auszugehen wäre. Die Klagefrist wäre danach am 19. Oktober 2011 abgelaufen und die Klage um einen Tag verspätet beim Beklagten angebracht worden. Nach den - zwischen den Beteiligten unstrittigen - Feststellungen des Senats wurde die Einspruchsentscheidung allerdings tatsächlich erst am 20. September 2011 bekannt gegeben, so dass die Klagefrist im Ergebnis gewahrt wurde.

Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass bereits jedes beliebige Bestreiten des Zugangszeitpunktes die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO außer Kraft setzt. Dies gilt vielmehr nur dann, wenn der Empfänger substantiiert Tatsachen vorträgt, die schlüssig auf den verspäteten Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen (BFH-Beschlüsse vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; vom 16. Mai 2007 V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454 m. w. N.).

Der Kläger hat im Erörterungstermin zum einen nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei der Datumsangabe in der Klageschrift um einen Schreibfehler handelte. Zum anderen hat er erläutert, die Einspruchsentscheidung erst am 20. September 2011 erhalten zu haben und wegen des Bekanntgabezeitpunktes noch mit einem Kollegen über die von ihm zu treffenden Beweisvorkehrungen gesprochen zu haben. Die Zeitangabe deckt sich mit dem Eintrag im Posteingangsbuch sowie dem Posteingangsstempel auf der dem Kläger übermittelten Einspruchsentscheidung. Der Vortrag des Klägers wurde vom Beklagten im Erörterungstermin nicht zuletzt wegen der Erfahrungen des Beklagtenvertreters zu den Postlaufzeiten in der Praxis des Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Eine Postlaufzeit von vier Tagen stellt auch nach den Erfahrungen des Senats keine ungewöhnlich lange Postlaufzeit dar.

Da der tatsächliche Bekanntgabezeitpunkt unstrittig einen Tag nach Ablauf der Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO lag, ist es unschädlich, dass der Kläger den Briefumschlag zur Einspruchsentscheidung nicht aufbewahrt und vorlegt hat. Soweit eine derartige Obliegenheit zur Beweisvorsorge in der Rechtsprechung des BFH gefordert wurde, betrifft dies Fälle – soweit ersichtlich – Fälle mit einer ungewöhnlich langen Postlaufzeit (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Mai 2007 V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454 (14 Tage).

Mit dem Eingang der Klage beim Beklagten am 20. Oktober 2011 wurde die Klage dort rechtzeitig angebracht i. S. v. § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO. Für die Fristwahrung ist allein der rechtzeitige Eingang beim Finanzamt maßgebend.

Nichtzulässigkeit der Erweiterung der Klage, da nach Ablauf der Klagefrist

2. Die Erweiterung der Klage auf die Feststellung des Anteils des Klägers am laufenden Gewinn war hingegen nicht zulässig, da sie erst nach Ablauf der Klagefrist erfolgte.

Im Zeitpunkt der Klageerhebung wandte sich der Kläger ausschließlich gegen die Feststellung des Veräußerungsgewinns i. H. v. X EUR. Der Klagegegenstand entsprach dem Einspruchsgegenstand. Mit Schriftsätzen vom 22. Februar 2012 (Bl. 25 GA) und vom 11. Juni 2012, Bl. 53 GA) machte der Kläger erstmals eine Herabsetzung des für ihn festgestellten Anteils am laufenden Gewinn geltend.

Die Klageschrift kann nicht dahin ausgelegt werden, dass neben Feststellung des Veräußerungsgewinns auch weitere Feststellungen – namentlich die Feststellung des Gewinnanteils des Klägers am laufenden Gewinn der Gesamthand – angegriffen werden sollten. Die Erweiterung auf den laufenden Gewinn erfolgte erst nach Ablauf der am 20. Oktober 2011 abgelaufenen Klagefrist. Es handelt sich um eine unzulässige Erweiterung des Klagebegehrens (Klageänderung).

Bei einer Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid führt jedes nachträglich gestellte Rechtsschutzbegehren, das nicht mit der Klage angegriffene Feststellungen betrifft, zu einer Klageänderung i.S. des § 67 FGO, die nur innerhalb der Klagefrist zulässig ist (vgl. im Einzelnen: BFH-Urteil vom 09. Februar 2011 IV R 15/08, BFHE 233, 290, BStBl II 2011, 764, [BB-Entscheidungsreport Geuenich, BB 2011, 2598]).

Bei Gewinnfeststellungsbescheiden ist Streitgegenstand die einzeln festgestellte Besteuerungsgrundlage; dies gilt z.B. für Aussagen zur Qualifikation der Einkünfte, zum Vorliegen einer Mitunternehmerschaft, zur Höhe des Gesamtgewinns, des laufenden Gewinns, eines Veräußerungsgewinns oder eines Sondergewinns (vgl. BFH-Urteil vom 09. Februar 2011 IV R 15/08, BFHE 233, 290, BStBl II 2011, 764, [BB-Entscheidungsreport Geuenich, BB 2011, 2598], m. w. N.). Insoweit stellen der vom Kläger angefochtene festgestellte Veräußerungsgewinn und der vom Kläger erst nach Ablauf der Klagefrist angefochtene Anteil am laufenden Gewinn einzeln anzufechtende Besteuerungsgrundlagen im Sinne dieser Rechtsprechung dar.

Begründetheit der Klage

II. Begründetheit der Klage

Zulässiger Teil der Klage ist auch begründet

1. Der zulässige Teil der Klage ist auch begründet. Die angefochtene Feststellung des Veräußerungsgewinns ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Entgegen der Ansicht des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. ist beim Kläger mit seinem Ausscheiden aus der GbR kein zu versteuernder Veräußerungsgewinn entstanden.

Sachwertabfindung bei Ausscheiden eines Gesellschafters mit Teilbetrieb gehört zu Einkünften aus selbständiger Arbeit

a. Nach § 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch die Gewinne, die bei der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils erzielt werden

Die Zahlung der dem Ausscheidenden nach dem Gesellschaftsvertrag zustehenden Abfindung ist in diesem Zusammenhang als ein Entgelt anzusehen (BFH-Urteile vom 26. Juli 1984 IV R 10/83, BFHE 141, 488, BStBl II 1984, 786, [BB 1985, 256 m. Anm. Woerner]; vom 10. November 1988 IV R 70/86, BFH/NV 1990, 31; vom 28. Juli 1994 IV R 53/91, BFHE 175, 353, BStBl II 1995, 112, 114, [BB 1994, 2473]; vom 14. Dezember 1994 X R 128/92, BFHE 176, 515, BStBl II 1995, 465, 467, [BB 1995, 1451]; vom 12. Dezember 1996 IV R 77/93, BFHE 183, 379, BStBl II 1998, 180, [BB 1997, 2578]).

Scheidet ein Gesellschafter aus einer Personengesellschaft in der Weise aus, dass sein Gesellschaftsanteil allen verbleibenden Gesellschaftern anwächst, erlangt der Ausgeschiedene einen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft, der auf Geld gerichtet ist (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Im Streitfall erhielt der Kläger auf der Grundlage der Vereinbarung vom 7. April/20. April 2006 als Entgelt eine Sachwertabfindung in Gestalt der Niederlassung A mit sämtlichen Aktiva und Passiva sowie dem Kundenstamm.

Anwendbarkeit der Realteilungsgrundsätze bei Fortsetzung der Mitunternehmerschaft ist umstritten

b. Das Ausscheiden des Klägers gegen Sachwertabfindung erfolgte steuerneutral entsprechend § 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG.

Werden im Zuge der Realteilung einer Mitunternehmerschaft Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile oder einzelne Wirtschafsgüter in das jeweilige Betriebsvermögen der einzelnen Mitunternehmer übertragen, so sind bei der Ermittlung des Gewinns der Mitunternehmerschaft die Wirtschaftsgüter mit den Buchwerten anzusetzen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist; der übernehmende Mitunternehmer ist an diese Werte gebunden (§ 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG).

Umstritten ist, ob eine Realteilung in diesem Sinne erfordert, dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit insgesamt einstellt (so die Auffassung der Finanzverwaltung, BMF-Schreiben vom 28.02.2006, Abschn. II, BStBl I 2006, 228; s. auch BMF-Schreiben vom 08.12.2011, BStBl I 2011, 1279, Beispiel zu Tz. 17; ebenso Hörger in Littmann/Blitz/Pust, EStG, § 16 Rz. 197n; Musil, DB 2005, 1291; Schell, BB 2006, 1026; instruktiv zum Meinungsstand: FG Hamburg, Urteil vom 18. April 2012 3 K 89/12, EFG 2012, 1744, Rev. BFH III R 49/13).

Teilweise wird im Schrifttum vertreten, dass Realteilungsgrundsätze grundsätzlich beim Ausscheiden eines Mitunternehmers gegen Gewährung von Sachwerten anwendbar seien, unabhängig davon, ob die Mitunternehmerschaft aufgelöst oder von den verbleibenden Mitunternehmern fortgeführt wird (so unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zur vorherigen Fassung des § 16 Abs. 3 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, BT-Drs. 14/23, S. 178, Kauffmann in Frotscher, EStG, § 16 Rz. 202b; Stahl in Korn, EStG, § 16 Rz. 171; Stuhrmann, DStR 2005, 1355).

Nach einer vermittelnden Auffassung soll § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG bei einer Fortsetzung der Mitunternehmerschaft unter den übrigen Mitunternehmern nur bei Sachwertabfindungen mit Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen gelten, nicht hingegen bei einer Abfindung mit Einzelwirtschaftsgütern (FG Hamburg, Urteil vom 18. April 2012 3 K 89/12, EFG 2012, 1744, Rev. BFH III R 49/13; Wacker in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 16 Rz. 536 m. w. N.; Dietz, DStR 2009, 1352; Stuhrmann, DStR 2005, 1355; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 16 EStG Rz. 441; Rogall/Stangl, FR 2006, 345; Sonneborn, DStZ 2001, 579; für analoge Anwendung Reiß in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 16 Rz. 233).

Teilweise wird vertreten, dass die Sachwertabfindung mit Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen von § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG erfasst werde (so Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Rz. 1446).

Ferner wird eine „reziprok-analoge“ Anwendung von § 24 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) vorgeschlagen (so Hageböke, Ubg 2009, 105; Rogall, DStR 2005, 992; a. A. mangels planwidriger Regelungslücke Patt in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KSt, § 24 UmwStG Rz. 83; Rasche in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, § 24 Rz. 11).

Senat schließt sich der vermittelnden Ansicht an, dass § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG bei einer Fortsetzung der Mitunternehmerschaft unter den übrigen Mitunternehmern nur bei Sachwertabfindungen mit Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen gelten soll

c. Der Senat schließt sich der vorgenannten vermittelnden Ansicht an.

Gegen eine Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG spricht, dass - wie im Streitfall - neben den Aktiva auch Passiva vom Kläger übernommen wurden; bei der Mitübertragung von Verbindlichkeiten ist jedoch von einem entgeltlichen Geschäft auszugehen, so dass eine steuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 ausscheidet (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 18. April 2012 3 K 89/12, EFG 2012, 1744, Rev. BFH III R 49/13; BMF-Schreiben vom 08.12.2011, BStBl I 2011, 1279, Tz. 15; Kulosa in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 6 Rz. 696). Zudem kann gegen einen Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG angeführt werden, dass der Wortlaut auf die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern abzielt und nicht auf die Übertragung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen bzw. betrieblichen Sachgesamtheiten (vgl. Ehmcke in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 6 EStG Rz. 1286).

Die "reziprok-analoge" Anwendung des § 24 UmwStG erscheint wegen des dort eingeräumten Wahlrechts gegenüber der bei einer Realteilung zwingenden Buchwertfortführung nicht sachgerecht (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 18. April 2012 3 K 89/12, EFG 2012, 1744, Rev. BFH III R 49/13).

Für eine entsprechende Anwendung des § 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG spricht, dass eine unterschiedliche steuerliche Behandlung zweigliedriger und mehrgliedriger Personengesellschaften beim Ausscheiden eines Mitunternehmers bei Übernahme und Fortführung eines Teilbetriebs nicht gerechtfertigt ist. In beiden Fällen wird das unternehmerische Engagement fortgeführt und die Besteuerung der stillen Reserven ist sichergestellt. Als ausreichend für eine Anwendung der Realteilungsgrundsätze ist eine Teilaufgabe der Mitunternehmerschaft, die in anderer personeller Besetzung und nach Ausgliederung eines Teilbetriebs fortgesetzt wird, anzusehen (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 18. April 2012 3 K 89/12, EFG 2012, 1744, Rev. BFH III R 49/13).

Voraussetzungen für eine Realteilung gem. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG liegen vor, weil der Klägerin ein Teilbetrieb übertragen wurde und die Besteuerung der stillen Reserven gesichert ist

d. Danach liegen die Voraussetzungen für eine Realteilung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG vor, weil der Klägerin ein Teilbetrieb übertragen wurde und die Besteuerung der stillen Reserven gesichert ist.

Ein Teilbetrieb i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist ein organisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebes, der - für sich betrachtet - alle Merkmale eines Betriebes im Sinne des EStG aufweist und als solcher lebensfähig ist. Maßgebend für die Annahme einer gewissen Selbständigkeit ist das Gesamtbild der Verhältnisse beim Veräußerer. Den Abgrenzungsmerkmalen - z. B. räumliche Trennung vom Hauptbetrieb, gesonderte Buchführung, eigenes Personal, eigene Verwaltung, selbständige Organisation, eigenes Anlagevermögen, ungleichartige betriebliche Tätigkeit, eigener Kundenstamm - kommt je nachdem, ob es sich um einen Fertigungs-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb handelt, unterschiedliches Gewicht zu. Eine völlig selbständige Organisation mit eigener Buchführung ist für die Annahme eines Teilbetriebs nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 04.07.2007 X R 44/03, BFH/NV 2007, 2093).

Bei Dienstleistungsbetrieben ist in Abgrenzung zum Betriebsteil notwendig, dass eine organisatorische Trennung und eine örtlich abgrenzbare Zuständigkeit gegeben ist. Eine Teilpraxis eines Freiberuflers an einem entfernten Ort mit getrenntem Kundenkreis im Rahmen eines selbständigen Büros mit besonderem Personal ist danach regelmäßig als Teilbetrieb zu werten (vgl. BFH-Urteile vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S, BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120; vom 6. Dezember 1963 IV 268/63 U, BFHE 78, 346, BStBl III 1964, 135; vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566; vom 26. Juni 1975 – VIII R 39/74 –, BFHE 116, 391, BStBl II 1975, 832).

Die vom Kläger übernommene Niederlassung A mit ihren Aktiva und Passiva ist als Teilbetrieb in diesem Sinne zu qualifizieren. Insoweit bestand zwischen dem Kläger und Beklagten nach dem Erörterungstermin auch Einvernehmen.

Die GbR war in drei selbständige Standorte aufgeteilt, wobei die in Rede stehende Niederlassung A von den beiden übrigen Standorten mit mehr als 200 km räumlich weit entfernt lag. Die Niederlassung A verfügte über eine eigenständige Büroorganisation, Büroeinrichtung und einen eigenständigen, von den beiden anderen Niederlassungen abgrenzbaren Kundestamm. Die von dem Kläger betreuten Mandate wurden in der Niederlassung A abgerechnet. Die Niederlassung A konnte vom Kläger nach seinem Ausscheiden aus der GbR als Einzelpraxis fortgeführt werden.

Buchwerte der Wirtschaftsgüter des Teilbetriebes sind fortzuführen

e. Folge einer Realteilung ist, dass die Buchwerte der Wirtschaftsgüter des Teilbetriebes fortzuführen sind. Stille Reserven werden nicht aufgedeckt und ein Veräußer-   rungs-/Aufgabegewinn fällt nicht an.

Die Fortführung der in der steuerrechtlichen Stichtagsbilanz der Personengesellschaft angesetzten Buchwerte hat zur Folge, dass in den Fortführungsbilanzen der Realteiler die Kapitalkonten erfolgsneutral den Buchwerten der übernommenen Wirtschaftsgüter anzupassen - also auf- oder abzustocken - sind, soweit Differenzen bestehen. Die Kapitalkontenanpassung führt zu einer Verlagerung von stillen Reserven von einem Realteiler auf den anderen; diese Verlagerung wird hingenommen, da die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt bleibt (BFH-Urteil vom 18.05.1995 IV R 20/94, BFHE 178, 390, BStBl II 1996, 70, [BB 1995, 2576]; Musil, DB 2005, 1291; Schell, BB 2006, 1026; a. A. Buchwertanpassung: Richard/Engl, DStR 2002, 119).

Sind allerdings die Verkehrswerte der übernommenen Wirtschaftsgüter höher oder niedriger als die Verkehrswerte der untergegangenen Gesellschaftsanteile und wird deshalb ein Wertausgleich aus dem Eigenvermögen eines Gesellschafters gezahlt (sog. Spitzenausgleich), so steht dies der gewinnneutralen Realteilung des Gesellschaftsvermögens nicht entgegen; allerdings entsteht hierdurch ein steuerpflichtiger, nicht nach § 16 Abs. 4, § 34 EStG begünstigter Gewinn (BFH-Urteil vom 01.12.1992 VIII R 57/90, BFHE 170, 320, BStBl II 1994, 607, [BB 1993, 1178]).

Im Streitfall kann insoweit mit Blick auf den allein der gerichtlichen Prüfung unterliegenden Streitgegenstand (begünstigter Veräußerungsgewinn) dahin stehen, ob von einem Spitzenausgleich zu Gunsten des Klägers oder zu Lasten des Klägers hätte ergeben müssen. Nach der Abrechnung per 31. Mai 2006 (Stand: 07.11.2007) ergab sich eine Verbindlichkeit des Klägers i. H. v. X EUR, was der Kläger bestritten hat. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers ein Spitzenausgleich zu leisten gewesen wäre, beträfe ein solcher den laufenden Gewinn, der jedoch nicht Klagegegenstand ist (s. o).

Entscheidungen zu Kosten, vorläufiger Vollstreckbarkeit und Revision

III. 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Der Kläger ist mit seinem eine unzulässige Klageänderung betreffenden Begehren auf Änderung der Feststellung seines Anteils am laufenden Gewinn unterlegen.

2. Die Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen folgt aus § 139 Abs. 4 FGO. Der Beigeladene zu 2. hat im Unterschied zur Beigeladenen zu 1. keinen Sachantrag gestellt oder das Verfahren wesentlich gefördert (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 29. Mai 2009 IV B 143/08, BFH/NV 2009, 1452).

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

4. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob bei einer Fortsetzung der Mitunternehmerschaft unter den übrigen Mitunternehmern im Falle einer Sachwertabfindungen durch einen Teilbetrieb Realteilungsgrundsätze (§ 18 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) Anwendung finden.

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