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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
16.01.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG München: Keine Rückstellung wegen Schadensersatz bei Androhung der Geltendmachung von Ansprüchen nur gegenüber Dritten

FG München, Urteil vom 30.7.2014 – 9 K 3048/13, rkr.

LEITSATZ (DES KOMMENTATORS)

Die Inanspruchnahme aus einer Verbindlichkeit ist nicht hinreichend wahrscheinlich, wenn die Geltendmachung von Ansprüchen lediglich gegenüber einem Dritten angedroht wurde.

HGB § 249 Abs. 1 S. 1, EStG § 5 Abs. 1 S. 1

Sachverhalt

Streitig sind die Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung, das Eingreifen der Festsetzungsverjährung sowie die Zulässigkeit einer Rückstellung wegen Schadensersatzes.

Der Kläger war in den Jahren 1984 bis 2010 als Unternehmensberater in Form eines Einzelunternehmens (F) tätig. Im Jahr 1991 gründete der Kläger die Entwicklungsgesellschaft Industriepark L Gesellschaft mit beschränkter Haftung (E). Er war zugleich zusammen mit Herrn J Geschäftsführer der E, die am 3.6.1991 mit der Stadt L einen Vertrag über die Projektierung, Erschließung und Vermarktung des Industrie- und Gewerbegebiets L-Süd abschloss. Mit Vertrag vom 15.6.1991, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, wurde das Einzelunternehmen F von der E u. a. mit der Übernahme der Projekt- und Ablaufkoordination für das Projekt L-Süd beauftragt.

Im weiteren Verlauf teilte die Stadt L mit Schreiben vom 4.7.1994 mit, dass sie beabsichtige, aus dem mit E im Juni 1991 abgeschlossenen Vertrag Schadensersatzansprüche wegen positiver Vertragsverletzung sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 Strafgesetzbuch geltend zu machen, den Geschäftsbesorgungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten und für noch nicht erbrachte Leistungen bereits in Anspruch genommene Honorare teilweise (57 %) zurückzufordern. Mit Schreiben vom 27.1.2000 teilte die Stadt weiter mit, dass E die gesetzlichen Bestimmungen für die Inanspruchnahme von Fördermitteln verletzt habe und forderte E auf, Fördermittel i. H. v. 4 491 062,57 DM zurückzuzahlen. Der rechtliche Vertreter der E wies die Forderungen in beiden Fällen zurück. In der Folgezeit erfolgten weder eine gerichtliche noch eine außergerichtliche Entscheidung.

Der Kläger stellte im Jahresabschluss der F zum 31.12.1993 eine Rückstellung i. H. v. 57 % der Honorare (1 154 286 DM) ein, die er in der Bilanz zum 31.12.2001 i. H. v. 869 714,50 DM auflöste. Der Gewinn 2000 der F wurde mit ./. 63 482 DM erklärt. Die Veranlagung 2000 erfolgte erklärungsgemäß mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO stehenden Einkommensteuer(ESt)-Bescheid vom 15.4.2000. Die festgesetzte ESt betrug 0 Euro, der Gesamtbetrag der Einkünfte ./. 127 632 DM. Unter dem gleichen Datum erging ein Verlustfeststellungsbescheid mit einem festgestellten Verlust i. H. v. 738 054 DM.

Für die Jahre 2000 bis 2002 fand eine Außenprüfung statt, bei der die Prüferin zu dem Ergebnis kam, dass die Rückstellung bei der F unzulässig gewesen, der falsche Bilanzansatz im Jahr 2000 erfolgswirksam richtigzustellen und die Rückstellung i. H. v. 1 154 138 DM aufzulösen sei. Im Einzelnen wird auf den Bericht über die Außenprüfung vom 10.10.2008, in dem als Prüfungsbeginn der 11.10.2006 angegeben war, sowie die Betriebsprüfungsakten Bezug genommen. Das zuständig gewordene FA C (Beklagter), schloss sich der Beurteilung an, änderte den ESt-Bescheid 2000 unter dem Datum vom 27.10.2008 nach § 164 Abs. 2 AO, setzte die ESt 2000 unter Anrechnung eines Verlustabzugs i. H. v. 738 000 DM mit 50 295,78 Euro fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrug nunmehr 1 026 506 DM. Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2000 erfolgte unter demselben Datum mit 0 DM.

Im Rahmen des dagegen geführten Einspruchsverfahrens stellte der Kläger einen Antrag auf Erörterung des Sach- und Rechtsstands nach § 364a AO wegen des Komplexes des § 823 BGB. Das FA ging in einer Stellungnahme der Prüferin vom 20.2.2009 und der Rechtsbehelfsstelle vom 10.1.2013 darauf ein. Auf die Stellungnahmen wird im Einzelnen Bezug genommen. Der Kläger nahm dazu seinerseits mit Schreiben vom 13.2. und 8.8.2013, auf die Bezug genommen wird, Stellung. Zudem stellte das FA am 26.3.2013 ein Auskunftsersuchen an die Stadt L. Die Stadt L teilte daraufhin unter dem Datum vom 23.5.2013 mit, dass Ansprüche auf Rückforderung von Fördermitteln der I-Bank des Landes B im Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen der Stadt L und der E vom 3. Juni 1991 nicht bestünden. Ansprüche seien in der Vergangenheit nicht realisiert worden. Recherchen hätten ergeben, dass ein direkter Rückgriff auf den Subunternehmer F nicht vorgesehen gewesen sei. Auf das Schreiben wird im Einzelnen Bezug genommen. Das FA wies den Einspruch ohne Durchführung eines Erörterungstermins mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2013 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger die Rechtswidrigkeit der Einspruchsentscheidung wegen Verletzung des Rechts auf Erörterung des Sach- und Rechtsstands sowie den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend macht und die Anerkennung der Rückstellung begehrt. Zur Begründung trägt er vor, das FA sei verpflichtet gewesen, vor Erlass einer Einspruchsentscheidung die beantragte Erörterung durchzuführen. Ein Ausnahmefall, der eine ermessensfehlerfreie Nichtdurchführung rechtfertigen würde, läge nicht vor. Im Rahmen einer Erörterung hätte er die Frage von möglichen Schadensersatzforderungen gegen die F erörtert. Dies hätte möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des FA geführt. Die Einspruchsentscheidung, die insoweit isoliert angefochten werde, sei daher rechtswidrig.

Die Festsetzungsfrist sei abgelaufen. Die Außenprüfung sei dann begonnen, wenn der Prüfer vor Ablauf der Festsetzungsfrist konkrete Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalles in einem Umfang aufnehme, der im Verhältnis zur Gesamtheit der zu prüfenden Sachverhalte von Gewicht sei. Die pauschale Behauptung des FA, der Prüfer habe sich an Amtsstelle mit dem Studium der Akten befasst, reichten ebenso wenig, wie Ermittlungshandlungen, die die zu prüfenden Steuern nicht beträfen. Insbesondere dokumentiere der mit Bleistift vorgenommene Aktenvermerk vom 7.12.2006 lediglich, welche Akten der Prüferin anlässlich ihres Erscheinens beim steuerlichen Berater übergeben worden seien. Die pauschale Angabe im Aktenvermerk zum Prüfungsbeginn am 7.12.2006 um 9.00 Uhr sei daher weder nachvollziehbar noch nachprüfbar. Das FA trage allerdings für den Nachweis der Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist die Feststellungslast. Zumindest sei die Prüfung, so sie am 7.12.2006 begonnen hätte, jedenfalls für mehr als sechs Monate unterbrochen gewesen, da es in der Zwischenzeit an Prüfungshandlungen von einigem Gewicht gemessen am gesamten Prüfungsstoff gefehlt habe.

Die Voraussetzungen des § 249 HGB zur Rückstellungsbildung hätten vorgelegen. Die Stadt L habe durch ihren damaligen rechtlichen Vertreter gegenüber der E den Vorwurf erhoben, es seien unrechtmäßig Honorare für nicht erbrachte Leistungen in Anspruch genommen worden. Aus diesem Grund mache man Schadensersatzansprüche geltend und fordere die Rückzahlung des rechtswidrig in Anspruch genommenen Teils des vereinbarten Gesamthonorars. Die grundsätzlichen handels- und steuerrechtlichen Voraussetzungen für eine Rückstellungsbildung hätten damit vorgelegen. Er habe sich damals in seiner Eigenschaft als Einzelunternehmer an den damaligen steuerlichen Berater gewandt. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass für eine Rückstellungsbildung ausreichend Anlass bestehe. Zum einen sei die F im Falle eines Konkurses der E nicht vor einer Inanspruchnahme der Stadt L geschützt zum anderen sei die F aufgrund ihres Vertrags mit der E als Subunternehmer auch für die (nicht-technische) Projektkoordination und Ablaufplanung zuständig gewesen. Dazu hätten auch die Auszahlungen an die Leistungserbringer unter Beachtung der dafür geltenden vertraglichen und gesetzlichen Vorschriften gezählt. Außerdem habe die F aufgrund § 7 des Vertrags mit der E alle „Auswirkungen der Reduzierung eines Mittelzuflusses“ anerkannt. Auch seine damaligen rechtlichen Vertreter hätten ihm mitgeteilt, dass er sich in seiner Eigenschaft als Einzelunternehmer strafbar machen würde, wenn er in Kenntnis dieser Tatsachen in seinem Einzelunternehmen nicht vorsorglich eine Rückstellung bilden würde. Außerdem sei mitgeteilt worden, dass Ansprüche aus unerlaubter Handlung ausnahmsweise direkt gegen den Subunternehmer selbst geltend gemacht werden könnten. Im Jahr 1998 habe das damals zuständige FA M das Einzelunternehmen F geprüft. Dabei sei auch die Rückstellung überprüft wurden. Das FA habe die Rückstellungsbildung nicht beanstandet. Die Rückstellungsbildung sei auch im Jahr 2000 noch einmal mit dem steuerlichen Berater besprochen worden. Dieser habe ihm auch zu diesem Zeitpunkt geraten, die Rückstellung beizubehalten. Die nun vom FA im Jahr 2013 von der Stadt L erhaltene ex-post Aussage habe keine Relevanz für die Frage, ob eine vom Kläger im Jahr 1994 und 2000 vorgenommene Abwägung richtig oder falsch gewesen sei.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze vom 13.11. und 10.12.2013, 26.1., 13.3. und 24.4.2014 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 27.10.2008 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2000 und die jeweilige Einspruchsentscheidung vom 15.10.2013 aufzuheben,g

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Dem Kläger wurde am 10.2.2014 Akteneinsicht gewährt.

Mit Beschluss vom 15.1.2013 Az. 9 V 3151/13 lehnte der Senat einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, mit Beschluss vom 23.1.2013 Az. 9 K 3048/13 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. Die dagegen erhobenen Anhörungsrügen wies der Senat jeweils mit Beschlüssen vom 25.2.2014 zurück.

Mit Beschluss vom 23.1.2014 wurde der Rechtstreit dem Einzelrichter zu Entscheidung übertragen.

Das Gericht hat aufgrund des Beschlusses vom 30.7.2014 Beweis zu erhoben über die tatsächlichen Umstände im Zusammenhang mit der beim Kläger aufgrund der Prüfungsanordnung vom 13.9.2006 durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 2000 bis 2002 durch Vernehmung der Prüferin Frau R. Hinsichtlich der Aussagen der Zeugin und das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.7.2014 Bezug genommen.

Aus den Gründen

17        Die Klage ist unbegründet.

18        Zu Recht hat das FA die gebildete Rückstellung nicht anerkannt und zum 31.12.2000 aufgelöst und den bestehenden Verlustvortrag zum 31.12.1999 verrechnet.

19        1. Die Einspruchsentscheidung vom 15.10.2013 ist nicht aufgrund der Nichtdurchführung der beantragten Erörterung der Sach- und Rechtslage nach § 364a AO rechtswidrig.

20        a) Nach § 364a AO soll die Finanzbehörde auf Antrag des Einspruchsführers vor Erlass einer Einspruchsentscheidung den Sach- und Rechtsstand erörtern. § 364a AO dient der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs. Ein mögliches Ziel ist insbesondere der Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung. Es handelt sich insoweit um eine Ermessensvorschrift. Lässt es der Zweck der Vorschrift allerdings geboten erscheinen, ist der Erörterungstermin anzuberaumen (Madle in Leopold/Madle/Rader, AO, § 364a Rz. 2; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 364a AO Tz. 2, 5 f., jeweils m. w. N.). Das FG kann für den Fall, dass das FA im jeweiligen Streitfall verpflichtet gewesen wäre, die beantragte Erörterung durchzuführen, zwar die Einspruchsentscheidung isoliert aufheben. Die Frage, unter welchen Umständen das FG verpflichtet ist, eine Einspruchsentscheidung ohne Entscheidung in der Sache aufzuheben, weil das FA einen Antrag des Klägers auf Erörterung nach § 364a AO abgelehnt hat oder nicht nachgekommen ist, lässt sich allerdings nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beantworten. Eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung – gleichgültig ob sie auf § 100 Abs. 1 oder auf § 100 Abs. 3 FGO beruht – kommt lediglich dann in Betracht, wenn der Kläger vorträgt, inwiefern er durch die Ablehnung der Erörterung im Einspruchsverfahren beschwert worden ist (§ 40 Abs. 2 FGO). Deshalb muss er darlegen, was er erörtert hätte. Es muss nach dem Vortrag möglich sein, dass das Einspruchsverfahren aufgrund der Erörterung nach § 364a AO anders als vorliegend abgeschlossen worden wäre. Zugleich muss der Kläger auch darlegen, dass er ein berechtigtes Interesse daran hat, dass die Sache noch einmal an das FA zurückgeht (vgl. BFH-Urteil vom 11.4.2012 – I R 63/11, BStBl. II 2012, 539, und BFH-Beschluss vom 6.9.2005 – IV B 14/04, BFH/NV 2005, 2166, jeweils m. w. N.).

21        b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

22        Der Kläger hat zwar die Themen umrissen, die er erörtern wollte. Den Antrag beim FA hat er im Hinblick auf eine Erörterung des Komplexes einer möglichen Schadensersatzforderung gegenüber der F und einer eventuellen Durchgriffshaftung nach § 823 BGB gestellt (Bl. 54 Rechtsbehelfsakte). Darauf bezieht er sich auch in seinem Prozesskostenhilfeantrag bzw. der Klageschrift. In der Klageschrift benennt er zusätzlich die Frage der Festsetzungsverjährung als Erörterungsthema. Ob die Nennung der Thematik allein einem „darlegen“ im Sinne der BFH-Rechtsprechung genügt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls scheint es nach Aktenlage nicht möglich, dass das Einspruchsverfahren aufgrund der Erörterung anders als vorliegend abgeschlossen worden wäre. Zu den jeweiligen Themenkomplexen ist umfangreicher Schriftverkehr geführt worden. Auch der Kläger trägt in der mündlichen Verhandlung vor, sein damaliger steuerlicher Vertreter habe bei der Einlegung des Einspruchs im Schriftsatz vom 24.11.2008 auf Seite 2 bereits auf das Problem der Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne vom § 823 BGB hingewiesen. Auch habe er alle Punkte die jetzt unter 3.3 bis 3.10 der Klageergänzung vom 24.4.2014 aufgeführt sind bereits im Laufe des Verfahrens bzw. während der Prüfung angesprochen. Damit sind alle Themenkomplexe im Rahmen der Prüfung bzw. des Einspruchsverfahrens angesprochen worden. Ob dies im Rahmen des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung oder unmittelbar im Prüfungs-/Rechtsbehelfsverfahren geschehen ist, ist unerheblich, da es beim Antrag auf Aussetzung der Vollziehung letztlich auf die Erfolgsaussicht im Einspruchsverfahren ankommt und beide Verfahren zueinander in Beziehung stehen. Ein Verfahren über eine Aussetzung der Vollziehung ist ohne Rechtsbehelfsverfahren nicht möglich. Das FA hat sich mit den angesprochenen Themenkomplexen auseinandergesetzt (vgl. Aktenvermerk Bl. 71 Rechtbehelfsakte, Stellungnahme der Prüferin vom 20.2.2009; Stellungnahme der Rechtsbehelfsstelle vom 10.1.2013 sowie Antwort des Klägers vom 13.2.2013; Auskunftsersuchen an die Stadt L vom 26.3.2013; Schreiben des Klägers vom 8.8.2013 u. a. bezüglich der Frage der Festsetzungsverjährung; Aktenvermerk des FA Bl. 132 Rechtsbehelfsakte). Das FA hat die Fragen, bei denen es sich im Ergebnis um Rechtsfragen handelt, umfassend gewürdigt und nach Würdigung entschieden. Dass eine weitere Erörterung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, ist daher nicht anzunehmen.

23        Im Übrigen hat der Kläger nicht dargelegt, welches Interesse er hat, dass die Sache noch einmal an das FA zurückgeht, denn es geht nicht mehr um die Aufklärung eines lückenhaften Sachverhalts, sondern um die Rechtsanwendung (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., Tz. 6).

24        2. Die Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 2000 ist bei Erlass des Änderungsbescheids am 27.10.2008 noch nicht abgelaufen.

25        a) Gemäß § 169 Abs. 1 AO ist u. a. eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Nach Abs. 2 Nr. 2 der Vorschrift beträgt die Festsetzungsfrist für die ESt vier Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 2 AO i. V. m. § 25 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung und § 56 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Der Kläger hat die ESt-Erklärung 2000 am 12.3.2002 abgegeben. Die Festsetzungsfrist begann daher mit Ablauf des 31.12.2002 zu laufen und hätte grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2006 geendet.

26        b) Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird jedoch nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt, wenn vor deren Ablauf mit einer Außenprüfung begonnen wurde. Nach der Rechtsprechung des BFH ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass Maßnahmen eines Außenprüfers zur Ermittlung eines Steuerfalles Prüfungshandlungen sind, und zwar auch dann, wenn sie auf die Vorlage von Unterlagen gerichtet sind. Derartige Maßnahmen können auch Schreiben an den Steuerpflichtigen sein, wenn Prüfungshandlungen in den Geschäftsräumen nicht möglich sind. Auch das Einführungsgespräch mit dem Berater oder Steuerpflichtigen zählt dazu. Bloße Scheinhandlungen genügen dagegen nicht. Das vor dem in der Prüfungsanordnung genannten Termin durchgeführte Aktenstudium zählt dagegen noch zur Prüfungsvorbereitung. Über den Prüfungsbeginn ist ein Aktenvermerk zu machen. Auf die förmliche Dokumentation kommt es jedoch nicht an, wenn der Prüfungsbeginn aus den tatsächlichen Ermittlungshandlungen feststellbar ist (BFH-Urteile vom 19.3.2009 – IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405; vom 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4; BFH-Beschluss vom 18.5.2011 – X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838; Seidel in Leopold/Madle/Rader, AO, § 199 Rz. 3 m. w. N.). Wird die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen, die die Finanzbehörde zu vertreten hat, tritt die Ablaufhemmung nicht ein (§ 171 Abs. 4 S. 2 AO). Wurde jedoch mit der Prüfung begonnen, so greift die Sechs-Monats-Frist nur ein, wenn die Außenprüfung unmittelbar nach dem Beginn unterbrochen wurde. Wird die Prüfung hingegen erst zu einem späteren Zeitpunkt unterbrochen, wird dadurch die mit dem Prüfungsbeginn ausgelöste Ablaufhemmung nicht berührt; das gilt auch dann, wenn die Prüfung für einen längeren Zeitraum unterbrochen wird (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rz. 101 m. w. N.).

27        c) Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Ausweislich des Aktenvermerks vom 11.10.2006 fand an diesem Tag das Einführungsgespräch mit dem damaligen steuerlichen Vertreter des Klägers statt, in dem auch die Bildung der Rücklage zur Sprache kam. Dies reicht nach der Rechtsprechung des BFH für den Prüfungsbeginn aus. Zusätzlich dokumentiert ein Aktenvermerk vom 7.12.2006 die Durchführung von Prüfungshandlungen. Dabei hat die Prüferin einzelne Kontobuchungen geprüft. Bereits im Vorfeld hatte die Prüferin mehrfach versucht, mit der Prüfung zu beginnen (vgl. Aktenvermerk über die Telefonate vom 13.6. bzw. 1.8.2006). Dies scheiterte jedoch daran, dass eine vom Steuerberater des Klägers avisierte Terminvereinbarung nicht eingehalten wurde. Aus dem aktenkundlichen Bemühen der Prüferin, rechtzeitig mit der Prüfung zu beginnen, wird ebenfalls deutlich, dass es nicht beabsichtigte war, zum Zwecke der Ablaufhemmung Scheinhandlungen vorzunehmen, sondern ernsthaft mit der Prüfung zu beginnen.

28        Nach Aktenlage und Durchführung der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht fest, dass mit der Prüfung, wie auf dem Prüfbericht vermerkt, am 11.10.2006 begonnen und die Prüfung am 7.12.2006 fortgesetzt wurde, sodass der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt war. Die glaubwürdige Zeugin gab in der mündlichen Verhandlung glaubhaft an, am 11.10.2006 habe sie verschiedene Punkte mit dem Steuerberater besprochen. Es wurde insbesondere erörtert warum die Gewinnermittlungen für die beiden Firmen getrennt waren. Sie wollte zudem wissen ob es sich um eine Tätigkeit nach § 15 oder § 18 handelt. Ihr sei insbesondere aufgefallen, dass bei der CC hohe Verluste aufgelaufen waren. Im weiteren Verlauf habe sie die Unterlagen bekommen. Am 11.10.2006 sei außerdem die Frage der Rückstellung bei der F besprochen worden. Es ging des Weiteren um Fragen der Abwicklung der beiden Firmen. Sie forderte zudem anwaltliche Unterlagen zur Auflösung der Rückstellungen an.

 29        Richtig gibt der Kläger zwar zu bedenken, dass die Faxzusendung durch seinen steuerlichen Vertreter an das FA am 23.1.2007 allein keine Prüfungshandlung darstellt und der nächste Aktenvermerk erst am 13.9.2007 verfasst wurde, also nach über sechs Monaten. Die Zeugin gibt allerdings an, sie habe am 7.12.2006 und in der Folgezeit die Unterlagen gesichtet, die Bankverbindungen und die Kontostände festgehalten und die Kontozuflüsse aufgeschrieben. Sie habe die Miete und die Kfz-Kosten, die Reisekosten, den Zinsertrag, die Steuerberatungskosten und die Kfz-Steuer sowie die Barbelege geprüft. Es handle sich dabei um eine gewichtige Tätigkeit, da diese Ermittlungen Grundlage für das weitere Vorgehen seien. Die eingegangen Unterlagen habe sie laufend bearbeitet. Auch anhand der Vermerke auf den dem FA vom Steuerberater am 23.1.2007 zugefaxten Unterlagen sei ersichtlich, dass von ihr in der Folgezeit Prüfungshandlungen vorgenommen worden seien. Sie wisse noch, dass sie beim FA MG angerufen habe, Allerdings könne sie nicht mit Bestimmtheit sagen, ob in der Folgezeit eine längere Unterbrechung der Prüfung stattgefunden habe. Selbst wenn man aber zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass tatsächlich zwischen dem 7.12.2006 und dem 13.9.2007 keine Prüfungshandlungen vorgenommen wurden, ist dies unbeachtlich, da sie nicht unmittelbar an den Beginn der Prüfung am 11.10.2006 anschließt, sondern an die weitere Prüfung am 7.12.2006. Die Ablaufhemmung hinsichtlich der Festsetzungsfrist ist also auch nicht nach § 171 Abs. 4 S. 2 AO rückwirkend entfallen.

30        3. Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung in der F, dem Einzelunternehmen des Klägers, liegen nicht vor.

31        a) Gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 HGB in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG auch für die Steuerbilanz (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3.2.1969 – GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl. II 1969, 291, unter II.3.a, juris Rz 24; BFH-Urteil vom 8.9.2011 – IV R 5/09, BFHE 235, 241, BStBl. II 2012, 122, BB 2011, 3119 m. BB-Komm. Oser, Rz 11, m. w. N.; BFH-Urteil vom 17.10.2013 – IV R 7/11, DStR 2013, 2745, BB 2014, 175 m. BB-Komm Behrens). Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach – deren Höhe zudem ungewiss sein kann – sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen und die Geltendmachung der Verpflichtung muss nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag wahrscheinlich sein(vgl. z. B. BFH-Urteil in DStR 2013, 2745 m. w. N.). Zudem darf es sich bei den Aufwendungen gemäß § 5 Abs. 4b S. 1 EStG nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln. Tritt der Rückstellungsfall nicht ein bzw. liegen nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag die Voraussetzungen zur Bildung oder Beibehaltung der Rückstellung nicht mehr vor, ist die Rückstellung wieder aufzulösen. Ein unrichtiger Bilanzansatz ist grundsätzlich in derjenigen Schlussbilanz zu korrigieren, in der er erstmals aufgetreten ist. Eine Nachholung der Korrektur nach dem Grundsatz des „formellen Bilanzenzusammenhangs“ kommt nur in Betracht, wenn und soweit die Schlussbilanzen für vorangegangene Jahre Grundlagen für Steuerbescheide sind, die aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden dürfen (BFH-Beschluss vom 13.6.2006 – I R 58/05, BStBl. II 2006, 928, BB 2006, 1849; Schmidt/Heinicke, EStG, 32. Aufl., § 4 Rz. 682 ff., 685, 689).

32        b) Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung im Streitfall nicht vor. Eine drohende Inanspruchnahme der F für eine Schadensersatzforderung der Stadt L war nach Aktanlage weder seitens der Stadt L noch seitens der E gegeben.

33        Die Stadt L hat in ihren Schreiben vom 4.7.1994 hinsichtlich in Anspruch genommener Honorare für noch nicht erbrachte Leistungen und vom 27.1.2000 bezüglich der Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen für die Inanspruchnahme von Fördermitteln ausschließlich der E eine Inanspruchnahme als ihrem Vertragspartner angedroht. Ob möglicherweise ein zusätzlicher Anspruch gegen die F nach § 823 Abs. 2 BGB im Rahmen einer Störerhaftung gegeben gewesen wäre, für den die E und F lediglich als Gesamtschuldner gehaftet hätten (§ 840 BGB), kann dahinstehen. Denn eine Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches seitens der Stadt L gegenüber der F erfolgte unstrittig zu keiner Zeit. Wie die Stadt mit Schreiben vom 23.5.2013 bestätigte, war ein Rückgriff auf den Subunternehmer F auch nie vorgesehen. Warum diese Aussage nach Ansicht des Klägers nicht verlässlich sein soll, ist nicht erkennbar. Nach den Angaben der Stadt wurde der Vorgang vor Erstellung des Schreibens geprüft. Außerdem hat auch der Kläger unter Punkt 3.18 seines Schriftsatzes vom 24.4.2014 vorgetragen, dass es zwischen der E GmbH und der Stadt L zwar Schriftverkehr hinsichtlich der Forderungen der Stadt L gegen die E GmbH gegeben habe. Es sei in den Folgejahren jedoch weder zu einer gerichtlichen noch außergerichtlichen Entscheidung gekommen. Dies untermauert die Richtigkeit der Stellungnahme der Stadt L vom 23.5.2013.

34        Der Hinweis auf eine Durchgriffshaftung führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Durchgriffshaftung tritt ausnahmsweise im Fall einer sog. Vermögensvermischung ein. Sie ist eine Verhaltenshaftung und führt beim Gesellschafter-Geschäftsführer zum Wegfall des Haftungsprivilegs gemäß § 13 Abs. 2 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, BB 2006, 961). Die Durchgriffshaftung hätte sich also – wie das FA richtig feststellt – allenfalls gegen den Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer der E gewendet, nicht aber gegen den Kläger als Einzelunternehmer der F. Eine Rückstellungsbildung aufgrund einer drohenden Inanspruchnahme unmittelbar durch die Stadt L scheidet daher mangels Vorliegen der Voraussetzungen insgesamt aus.

35        Eine Rückstellungsbildung kommt jedoch auch im Verhältnis E-F nicht in Betracht. Ein Schadensersatzanspruch wurde seitens der E gegenüber der F niemals geltend gemacht. Die Regelungen der §§ 3 und 7 des Subunternehmervertrags zwischen E und F, auf die der Kläger hinweist, rechtfertigen die gebildete Rückstellung ebenfalls nicht. In § 3 werden lediglich die Subunternehmerpflichten festgelegt. § 7 bestimmt, dass sich Auswirkungen, die sich aus einer Reduzierung oder Verzögerung des Mittelzuflusses bei der E ergeben, als von F akzeptiert gelten. Dies hat mit der Geltendmachung eines möglichen Schadensersatzanspruches seitens der E gegenüber F nichts zu tun. Eine verschuldensunabhängige Haftung der F lässt sich daraus ebenso wenig ableiten.

36        Die Voraussetzungen einer Rückstellungsbildung bei der F liegen damit schon dem Grunde nach insgesamt nicht vor, so dass sich die erst daran anschließende Frage, ob die Rückstellung im Jahr 2000 noch gerechtfertigt war, nicht stellt. Dass der steuerliche Vertreter des Klägers zu einem anderen Ergebnis gekommen ist (vgl. Punkte 3.3 bis 3.10. des Schriftsatzes vom 24.4.2014), an denen sich der Kläger orientiert hat, ändert daran ebenso wenig, wie die Tatsache, dass das FA M in seiner Außenprüfung die Rückstellungsbildung im Jahr 1998 nicht beanstandet hat. Die Voraussetzungen des § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind aufgrund der objektiven Gegebenheiten zu prüfen. Auf die subjektiven Vorstellungen des Klägers kommt es dabei nicht an. Hinsichtlich der Prüfung des FA M ist anzumerken, dass In der ESt gilt das Prinzip der Abschnittsbesteuerung gilt. Das jeweilige FA prüft das Vorliegen der Voraussetzungen daher eigenständig. Eine verbindliche Auskunft, die zu einer Bindungswirkung führen könnte, liegt nicht vor.

37        c) Das FA hat die Rückstellung richtig in der ersten noch korrigierbaren Schlussbilanz zum 31.12.2000 korrigiert.

38        4. In der Folge hat das FA den zum 31.12.1999 bestehenden Verlustvortrag zu Recht im Rahmen des ESt-Änderungsbescheides vom 27.10.2008 nach § 10d Abs. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung verrechnet und den verbleibenden Verlustvortag zum 31.12.2000 mit 0 Euro festgestellt.

39        5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

 

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