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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
04.12.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster: Gesetzliche Entsorgungsverpflichtung für Energiesparlampen rechtfertigt eine Rückstellungsbildung

FG Münster, Urteil vom 18.8.2015 – 10 K 3410/13 K, G, Rev. eingelegt (Az. BFH I R 70/15)

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2015-3055-1

unter www.betriebs-berater.de

Nicht amtlicher Leitsatz

Die im ElektroG normierte Pflicht zur Meldung hergestellter oder in Verkehr gebrachter Elektrogeräte an die hierfür vorgesehene Stiftung „ear“ begründet in ausreichender Weise dem Grunde nach die Pflicht zur Bildung einer Rückstellung für die künftigen Entsorgungskosten der Elektrogeräte.

HGB § 249 Abs. 1 S. 1; EStG § 5 Abs. 1 S. 1

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob eine Rückstellung für Entsorgungskosten von Energiesparlampen gewinnmindernd zu bilden ist.

Die Klägerin betreibt einen Großhandel mit Geräten der Unterhaltungselektronik.

Für nach dem 13.08.2005 und für zu entsorgende früher in Verkehr gebrachte Elektro- und Elektronikgeräte legt das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (ElektroG) den Herstellern die Pflicht zur Abholung der gesammelten Altgeräte und ihrer Entsorgung auf.

Seit Anfang 2005 ist die Klägerin bei der Stiftung „ear“ als Hersteller i.S.d ElektroG registriert. Die Stiftung ist die „Gemeinsame Stelle“ der Hersteller gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 ElektroG.

Die Stiftung „ear“ ist vom Umweltbundesamt mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im Sinne des ElektroG betraut. Sie registriert die Hersteller von Elektronikgeräten und koordiniert die Bereitstellung von Sammelbehältern sowie die Abholung der Altgeräte.

Die Stiftung erlässt in Ausübung ihrer hoheitlichen Aufgaben unter anderem Abholanordnungen und Bereitstellungsanordnungen. Für diese Aufgaben stellt sie den Herstellern Gebühren in Rechnung.

Gemäß § 6 Abs. 3 ElektroG haben die Hersteller für Geräte, die ab dem 13.08.2005 in den Verkehr gebracht werden, eine Garantie für die Entsorgung zu leisten. Die Garantie kann durch Versicherung, Bankkonto etc. oder Teilnahme an der Finanzierung i.S.d. Vorfinanzierungsverfahrens geleistet werden. Für die Berechnung stehen dem Hersteller zwei Optionen zur Verfügung. Zum Einen kann er die Umlagefinanzierung nach § 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 ElektroG oder zum Anderen die Vorausfinanzierung gemäß § 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ElektroG wählen.

Bei der Umlagefinanzierung wird als Bemessungsgrundlage für den Anteil des Herstellers an der Gesamt-Rücklaufmenge auf seinen Anteil an der Gesamtmenge der neu in den Verkehr gebrachten Geräte pro Geräteart abgestellt.

Bei der Vorausfinanzierung ist maßgebend der Anteil der eigenen Geräte des Herstellers an der Gesamt-Rücklaufmenge pro Geräteart.

Der Garantiebetrag ergibt sich aus der Registrierungsgrundmenge (t) x voraussichtliche Rücklaufquote (%) x voraussichtliche Entsorgungskosten (€/t).

Für die Streitjahre 2007-2009 veranlagte der Beklagte die Klägerin zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag zunächst erklärungsgemäß. Die Bescheide ergingen für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 endgültig und für den Veranlagungszeitraum 2009 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Zur Körperschaftsteuerveranlagung 2008 wurde in einem Vermerk der Qualitätssicherungsstelle vom 14.09.2009 die Überprüfung der sonstigen Rückstellungen in Höhe von 920.351 € angeregt. Eine Überprüfung im Veranlagungsverfahren erfolgte nach Aktenlage jedoch nicht.

Die Bilanzen weisen als Rückstellungen zum einen Steuerrückstellungen und sonstige Rückstellungen aus. Die sonstigen Rückstellungen sind aufgegliedert in Rückstellungen für Personalkosten, sonstige Rückstellungen, Rückstellungen für Gewährleistungen und Rückstellungen für Abschluss und Prüfung.

Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C führte bei der Klägerin für die Streitjahre 2007-2009 eine Außenprüfung durch und stellte dabei fest, dass die Klägerin in den Jahren 2005 ff. eine Rückstellung für Entsorgungskosten von Energiesparlampen gebildet hatte.

Die Höhe der Rückstellung hatte die Klägerin mit folgenden Beträgen errechnet:

31.12.2007:              85.707 €

31.12.2008:              106.279 €

31.12.2009:              138.868 €

Nach der Auffassung des Außenprüfers war die Rückstellung bereits dem Grunde nach steuerlich nicht zu berücksichtigen. Er vertrat dazu die Auffassung, dass eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung erst bei hinreichender Konkretisierung zur Bildung einer Rückstellung berechtige. An einer solchen Konkretisierung fehle es, da noch keine behördliche Anordnung ergangen sei. Das ElektroG selbst schreibe innerhalb eines genau bestimmten Zeitraums kein konkretes Handeln vor. Die Verpflichtung zur Abholung und Entsorgung der Elektrogeräte ergebe sich erst aus der Zuweisung der zuständigen Behörde (§§ 10, 16 Abs. 5 ElektroG). Wenn sich eine öffentlich-rechtlich Verpflichtung nicht unmittelbar aus dem Gesetz sondern erst durch eine behördliche Verfügung ergebe, könne eine Rückstellung erst gebildet werden, wenn die zuständige Behörde einen vollziehbaren Verwaltungsakt erlassen habe. Sanktionsbewehrt sei auch nur die Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung und nicht der gesetzlichen Regelung.

Eine konkretisierte Verpflichtung ergebe sich auch nicht aus § 14 Abs. 5 und 6 ElektroG. Die gesetzliche Regelung diene nur als Grundlage der Abholanordnung für Altgeräte durch die zuständige Behörde.

Für die Bildung der Rückstellung fehle es auch an der notwendigen wirtschaftlichen Verursachung der Belastung vor dem Bilanzstichtag. Eine wirtschaftliche Verursachung vor dem Bilanzstichtag sei nur dann gegeben, wenn nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes auch abgegolten werde.

Nach § 10 ElektroG sei jeder Hersteller verpflichtet, die nach § 9 Abs. 4 ElektroG bereitgestellten Behältnisse entsprechend der Zuweisung der zuständigen Behörde unverzüglich abzuholen. Wer Hersteller sei, bestimme sich nach § 3 Abs. 11 ElektroG. Dieser Herstellerbegriff knüpfe an das Fortbestehen des Gewerbebetriebes an. Ein Vergangenheitsbezug ergebe sich daraus nicht. Auch die Regelung in § 6 Abs. 3 ElektroG über die Verpflichtung zur Abgabe einer insolvenzsicheren Garantie für die Finanzierung der Rücknahme und Entsorgung der Elektro- und Elektronikgeräte diene nur der finanziellen Sicherung der Rücknahme in der Zukunft. Im Falle der Garantieleistung entsprechend § 6 Abs. 3 ElektroG könne der Hersteller nicht mehr nach § 10 Abs. 1 ElektroG in Anspruch genommen werden. Eine Verpflichtung könne aber nur dann als wirtschaftlich vor dem Bilanzstichtag verursacht beurteilt werden, wenn die Abholungs- und Entsorgungspflicht auch dann zu erfüllen ist, wenn der Unternehmer seinen Betrieb zum jeweiligen Bilanzstichtag beendet.

Der Außenprüfer ließ die Rückstellung steuerlich daher nicht mehr zu und erhöhte den Gewinn für

2007 um 85.707 €,

2008 um 20.572 € und

2009 um 32.591 €.

Im Übrigen führte der Außenprüfer aus, dass selbst bei Zulässigkeit der Bildung der Rückstellung die von der Klägerin gebildete Rückstellung der Höhe nach zu korrigieren sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 03.09.2012 verwiesen.

Der Prüfer vertrat die Auffassung, die Körperschaftsteuerbescheide und die Gewerbesteuermessbescheide der Jahre 2007 und 2008 seien gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, da bei der ursprünglichen Veranlagung nicht erkennbar gewesen sei, dass in den sonstigen Rückstellungen eine Rückstellung für Entsorgungskosten enthalten ist und es sich bei dem Entsorgungsmodell um eine Rücknahmemodell entsprechend einem „Generationenvertrag“ handele.

Der Beklagte schloss sich dieser Auffassung an und erließ die dementsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheide 2007-2009 vom 21.01.2013 und die Gewerbesteuermessbescheide 2007-2009 vom 12.02.2013. Für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 stützte der Beklagte die Änderung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und für den Veranlagungszeitraum 2009 auf § 164 Abs. 2 AO.

Mit den dagegen erhobenen Einsprüchen machte die Klägerin geltend, für die Jahre 2007 und 2008 könne die Änderung der Bescheide nicht auf die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden, da dieser Änderung zumindest der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehe. Selbst wenn die Höhe der Rückstellung nicht aus dem Jahresabschluss zu ersehen gewesen sei, hätte der Beklagte den Jahresabschluss überprüfen und angesichts der Höhe der Rückstellungen um eine Aufschlüsselung bitten müssen. Dies habe sich aufgedrängt, da die sonstigen Rückstellungen sich auf ca. 1 Mio. € beliefen und damit etwa 50 % der Bilanzsumme ausmachten.

Mit den Produkten der Energiesparlampen, der Gasentladungslampen und der Strahler sei die Klägerin seit Anfang 2005 bei der Stiftung „ear“ als Hersteller im Sinne des ElektroG registriert. Die Stiftung sei die „Gemeinsame Stelle“ der Hersteller im Sinne des ElektroG. Die Stiftung sichere die wettbewerbsgerechte Umsetzung des ElektroG durch die Registrierung von Herstellern, die in Deutschland Elektrogeräte in den Verkehr bringen, die Erfassung der in den Verkehr gebrachten Mengen an Elektrogeräten, die Koordinierung der Bereitstellung der Sammelbehälter und der Altgeräte-Abholung bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgern, die Meldung der jährlichen Mengenströme an das Umweltbundesamt und die Gewährleistung, dass alle registrierten Hersteller zu gleichen Bedingungen an der internen Regelsetzung mitwirken können. Operative Tätigkeiten wie Rücknahme und Entsorgung der Geräte nehme die Stiftung nicht wahr. Ab dem 24.03.2006 seien die Hersteller dafür selbst verantwortlich. Sie würden die wirtschaftliche und sachliche Verantwortung für die Verwertung und Entsorgung der Elektro-Altgeräte tragen.

Der Klägerin seien Entsorgungskosten u. a. durch die Zuweisung von Abholungen durch die zuständige Behörde und die Rücknahme von Leuchtmittel im Rahmen der Gewährleistung entstanden. Ihren Kunden berechne die Klägerin bei dem Verkauf von Leuchtmitteln separat ausgewiesene Entsorgungskosten in Höhe von 0,25 € je Lampe. Auf der Basis der verkauften Stückzahlen und einer geschätzten Rücklaufquote von 30 % habe die Klägerin den Wert der Rückstellung im Jahr 2007 mit 0,30 € und in den Jahren 2008 und 2009 mit 0,25 € je Rücklauf ermittelt.

Wie sich aus der Rechtsprechung des BFH ergebe, setze die Bildung einer Rückstellung nicht stets voraus, dass bereits eine rechtliche Verpflichtung bestehe. Die Klägerin verweist insoweit auf drei in ihrem Einspruchsschreiben vom 28.03.2013 angeführte Entscheidungen (BFH Urteil vom 10.01.2007 – I R 53/05, BFH/NV 2007, 1102; v. 30.11.2011 – I R 83/10, juris; vom 06.06.2012 – I R 99/01, BFH/NV 2012, 398 [richtig wohl 6.6.2012 – I R 99/10, BFH/NV 2012, 1715 = SteuK 2012, 398, die Red.]).

Da die Klägerin seit 2005 bei der genannten Stiftung als Hersteller registriert ist, sei zumindest von einer faktischen Pflicht zur Rücknahme der verkauften EnergiesparLeuchtmittel auszugehen. Im März 2011 hätten sich die Umweltminister der EU-Mitgliedstaaten auf eine schrittweise Erhöhung der Sammelquote verständigt. Die Mitgliedstaaten müssten auf Landesebene eine jährliche Sammelquote von 45 % aufweisen, die auf 65 % gesteigert werden solle. Insofern sei die von der Klägerin angesetzte Rücklaufquote nicht zu beanstanden.

Die für die Bildung der Rückstellung notwendige Verursachung des Aufwandes in der Vergangenheit ergebe sich daraus, dass die Rücknahmeverpflichtung an die veräußerten Leuchtmittel anknüpfe. Die Sachlage entspreche der bei der Rücknahme von Altbatterien. Die Klägerin verweist insoweit auf den Beschluss des BFH vom 15.03.1999 – I B 95/98.

Im Einspruchsverfahren teilte der Beklagte mit Schreiben vom 12.08.2013 unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom 07.08.2013, zu dem ein Aktenvermerk in den Steuerakten nicht enthalten ist, mit, nach Rücksprache mit dem zuständigen Prüfer sei der Beklagte bereit, den Einsprüchen für 2007 und 2008 wegen fehlender Änderungsmöglichkeit abzuhelfen. Für 2009 sei die Rückstellung jedoch in voller Höhe zu überprüfen und käme eine Änderung gemäß § 164 AO in Betracht. Die Klägerin wurde gebeten, sich zu dieser Rechtsauffassung zu äußern und die tatsächlichen Rücknahme- und Entsorgungskosten nachzuweisen.

Mit einem weiteren Schreiben vom 26.08.2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, die Abhilfe für 2007 und 2008 sei nach Rücksprache mit dem Prüfer nur vertretbar, wenn die Rückstellung für 2009 vollumfänglich überprüfbar bleibe. Ohne Zustimmung des Prüfers komme eine Abhilfe nicht in Betracht.

Mit Einspruchsentscheidung vom 24.09.2013 wies der Beklagte dann die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO seien gegeben, da aus den Gewinnermittlungsunterlagen eine Rückstellung für Entsorgungskosten nicht zu erkennen gewesen sei. Auch eine Verletzung der Ermittlungspflichten liege nicht vor.

Zur Bildung der Rückstellung führte der Beklagte aus, auf eine Anfrage habe die Stiftung „ear“ dem Außenprüfer mitgeteilt, dass die letzte Abholanordnung für EnergiesparLeuchtmittel in 2007 ergangen sei. Danach seien gegenüber der Klägerin keine weiteren Abholanordnungen erlassen worden. Damit fehle es für den Streitzeitraum 2007-2009 an der hinreichenden Konkretisierung der Verpflichtung zur Entsorgung der Leuchtmittel. Wegen der weiteren Begründung des Beklagten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.

Zur Begründung der Klage wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, für die Streitjahren 2007 und 2008 hätten gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Änderungsbescheide nicht ergehen dürfen, da der Anwendung dieser Änderungsvorschrift der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehe. Zudem liege eine Zusage des Beklagten vor, dass die Änderung dieser Bescheide unterbleibe.

In der Einspruchsentscheidung habe der Beklagte für 2008 selbst eingeräumt, dass aus einem Vermerk der Qualitätssicherungsstelle und des Veranlagungsbezirks hervorgehe, dass die Bilanzposition „sonstige Rückstellung“ i.H.v. 920.351 € gegebenenfalls überprüft werden sollte. Diese Überprüfung habe der Beklagte unterlassen. Damit habe er seine Ermittlungspflichten verletzt. Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten der Klägerin liege nicht vor. Sie habe die vom Beklagten gestellten Fragen beantwortet. Eine Veranlassung für eine darüber hinausgehende Mitwirkung und Aufschlüsselung der Rückstellungen habe nicht bestanden. Die Klägerin sei eine kleine Kapitalgesellschaft i.S.d. § 267 HGB, die nach den handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften nicht zu einer weitergehenden Aufschlüsselung der Rückstellungen verpflichtet sei, als sie in ihren Gewinnermittlungsunterlagen vorgenommen habe.

Der Beklagte sei zudem an einer Änderung für die Jahre 2007 und 2008 durch seine mehrfach gegebenen bindenden Zusagen, dass die Änderungsbescheide der Streitjahre 2007 und 2008 aufzuheben seien, gehindert. In einem Telefonat vom 20.06.2013 habe Frau A dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, dass sie den Einsprüchen für die Jahre 2007 und 2008 stattgeben werde. Mit Schreiben der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten vom 12.08.2013 habe der Beklagte erneut die Abhilfe für 2007 und 2008 bestätigt. An diese Zusagen sei der Beklagte gebunden.

Im Streitfall sei zusätzlich zu beachten, dass der Prüfer in zahlreichen Fällen gegen § 93 Abs. 1 Satz 3 AO verstoßen habe, indem er andere Personen um Auskunft ersucht hat, ohne zuvor von der Klägerin die geforderte Aufklärung zu fordern. Dies betreffe unter anderem Auskünfte von der Stiftung „ear“.

Der Außenprüfer habe zudem gegen § 199 Abs. 1 AO verstoßen, da er nicht zu Gunsten, sondern nur zu Ungunsten der Klägerin geprüft habe.

Die genannten Verfahrensverstöße könnten nicht geheilt werden, da dies nur bei den in § 126 Abs. 1 Nr. 1 - 5 AO genannten Tatbeständen möglich sei. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen im Streitfall nicht vor.

Die Rückstellung sei sowohl für die Entsorgung der vor dem 13.08.2005 in den Verkehr gebrachten Leuchtmittel als auch für ab diesem Stichtag in den Verkehr gebrachten Leuchtmittel zu bilden. Maßgebend sei auf die in den Verkehr gebrachte Zahl an entsprechenden Leuchtmitteln und nicht nur auf die der Stiftung „ear“ gemeldete Zahl abzustellen. Im Jahr 2005 seien nur die Zahlen der Monate November und Dezember gemeldet worden. Aus dem Jahr 2005 sei von den insgesamt 246.522 Leuchtmitteln nicht nur für die gemeldete Zahl von 38.705 Leuchtmitteln, sondern auch für die restliche Zahl, d.h. die vor dem 13.08.2005 als auch die danach in den Verkehr gebrachten aber nicht gemeldeten Leuchtmittel, die Rückstellung zu bilden.

Bei einer Rücklaufquote von 20 % und Entsorgungskosten von 0,30 €/Stück ergebe sich für diese Leuchtmittel ein Rückstellungsbetrag von 12.372 €.

Im Jahr 2009 seien 26.124 LED-Leuchten in den Verkehr gebracht worden, die jedoch erst im Jahr 2010 der Stiftung „ear“ gemeldet worden seien. Für diese sei zum 31.12.2009 ein Rückstellungsbetrag von 1.573 € anzusetzen.

Im der mündlichen Verhandlung am 18.08.2015 haben sich die Beteiligten zur Höhe der Rückstellung für den Fall, dass diese nach der Entscheidung des Senats dem Grunde nach zu bilden ist, verständigt. Die Verständigung ist zur Höhe beschränkt auf die Leuchtmittel, die nach dem 13.08.2005 in den Verkehr gebracht und der Stiftung „ear“ auch gemeldet worden sind. Die Beteiligten haben die Höhe der Rückstellung insoweit unter Schätzung der Rücklaufquote, der Entsorgungskosten und unter Einbeziehung der  nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG vorzunehmende Abzinsung ermittelt und sich auf folgende Rückstellungswerte verständigt:

31.12.2007              38.100 €

31.12.2008              66.000 €

31.12.2009              89.300 €.

Die Klägerin beantragt,

die KSt-Bescheide 2007 – 2009 vom 21.01.2013 und die Gewerbesteuermessbescheide 2007 – 2009 vom 12.02.2013 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 24.09.2013 dahin zu ändern, dass die Rückstellung für 2007 mit 38.100 €, für 2008 mit 66.000 € und für 2009 mit 89.300 € und darüber hinaus für 2007 mit weiteren 12.372 € und für 2009 mit weiteren 1.573 € angesetzt wird,

hilfsweise wird beantragt, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte trägt vor, die von der Rechtsbehelfsstelle gegebene Zusage sei unverbindlich, da sie die Formvoraussetzungen des § 205 Abs. 1 AO nicht erfüllt. In den jeweiligen Schreiben sei jeweils nur die Bereitschaft zur Abhilfe mitgeteilt worden, jedoch keine Zusage gegeben worden. Mit den Schreiben sei lediglich der Versuch einer außergerichtlichen Einigung unternommen worden.

Aus den von der Klägerin eingereichten Gewinnermittlungsunterlagen sei der Sachverhalt der Rückstellung für die Entsorgungskosten nicht zu ersehen gewesen. Eine Verletzung der Ermittlungspflicht stehe daher der Änderung der Bescheide für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegen.

Die gerügten Verstöße gegen § 93 AO und § 199 AO lägen nicht vor. Die Einholung von Auskünften bei dritten Personen durch den Außenprüfer sei notwendig geworden, da in Gesprächen mit dem Gesellschafter-Geschäftsführer und dem Mitarbeiter des Steuerbüros die notwendigen Informationen für das dem Außenprüfer neue Themengebiet nicht in ausreichendem Umfang zu erlangen gewesen seien.

Das ElektroG unterscheide zwischen Geräten, die vor dem 13.08.2005 und Geräten, die nach diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht worden sind. Die Rücknahme- und Entsorgungspflicht für die erstgenannten Geräte betreffe alle am Markt tätigen Hersteller, auch wenn sie derartige Geräte nicht auf den Markt gebracht haben. Für diese Geräte sei eine wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit nicht festzustellen und eine Rückstellungsbildung damit unzulässig.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen sei, dass diese bereits hinreichend konkretisiert sei. Die hinreichende Konkretisierung sei gegeben, wenn die Verpflichtung inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sei. Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung könne sich unmittelbar aus dem Gesetz oder aus einem Verwaltungsakt ergeben. Ergebe sich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setze den Erlass eines Verwaltungsaktes voraus, sei die Rückstellungsbildung erst zulässig, wenn ein vollziehbarer Verwaltungsakt erlassen sei. Da das ElektroG keine Handlungspflicht begründe, sei ein konkretisierender Verwaltungsakt notwendig. In den Streitjahren sei mit Ausnahme des Jahres 2007 kein entsprechender Verwaltungsakt zur Abholung der Geräte ergangen, so dass eine Rückstellung nicht gebildet werden könne.

Der Rückstellungsbildung stehe zudem entgegen, dass etwaige Entsorgungskosten nicht wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht seien. An dem Vergangenheitsbezug fehle es, da von der Entsorgungspflicht im Umlageverfahren nur die Hersteller betroffen seien, die im Zeitpunkt des Eintretens des Versorgungsfalles noch aktiv am Markt tätig seien.

Aus den Gründen

Teilweise Begündetheit der Klage

II.

Die Klage ist zum Teil begründet und im Übrigen unbegründet.

Die Körperschaftsteuerbescheide 2007 bis 2009 und die Gewerbesteuermessbescheide 2007 bis 2009 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO in ihren Rechten, als der Ansatz der Rückstellung für Entsorgungspflichten nach dem ElektroG für die an die Stiftung „ear“ gemeldeten Mengen vom Beklagten abgelehnt wurde.

Die Rückstellung ist zum 31.12.2007 mit 38.100 €, zum 31.12.2008 mit 66.000 € und zum 31.12.2009 mit 89.300 € zu bilanzieren.

Für die vor dem 13.08.2005 in den Verkehr gebrachten Leuchtmittel und die nicht an die Stiftung „ear“ gemeldeten Mengen ist eine Rückstellung nicht zu bilden.

Änderung der angefochtenen Bescheide wurde zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt

1. Die Änderung der angefochtenen Bescheide für die Jahre 2007 und 2008 hat der Beklagte zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt. Eine Verletzung der Ermittlungspflicht des Beklagten steht der Änderung insoweit nicht entgegen.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind alle Sachverhalte und Tatsachen, die Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art,  nicht hingegen nachträglich erkannte Rechtsfehler. Zudem muss die Tatsache rechtserheblich sein (ständige Rechtsprechung des BFH z.B. Urteil vom 26.02.2009 – II R 4/08, BFH/NV 2009, 1599; vom 09.04.2014 – X R 1/11, BFH/NV 2014, 1499).

Wird dem Finanzamt eine Tatsache nachträglich bekannt, so ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Änderung des Bescheides nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn diese vom Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nach § 88 AO erkannt worden wäre. Das Finanzamt muss allerdings eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Nur wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen aufdrängen, ist das Finanzamt zu Ermittlungen verpflichtet. Andererseits muss auch der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 90 AO erfüllt haben. Haben es sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH Urteil vom 07.07.2004 – XI R 10/03, BStBl II 2004, 911 [BB 2004, 2062 Ls]).

Dem Beklagten war aus den im Veranlagungsverfahren vorgelegten Unterlagen nicht bekannt, dass die Klägerin eine Rückstellung für die Entsorgungspflicht nach dem ElektroG für die von ihr in den Verkehr gebrachten Leuchtmittel gebildet hatte. In den Bilanzen waren nur Steuerrückstellungen und sonstige Rückstellungen ausgewiesen, wobei Letztere in Rückstellungen für Personalkosten, sonstige Rückstellungen, Rückstellungen für Gewährleistungen und für Abschluss und Prüfung aufgegliedert waren. Dass unter den sonstigen Rückstellungen die genannte Rückstellung für Entsorgungskosten erfasst war, war weder aus dieser Aufgliederung noch aus den Erläuterungen der Gewinnermittlung zu erkennen.

Der Beklagte hat diese Rückstellung erst nachträglich im Rahmen der Ermittlungen der Außenprüfung erkannt.

Der Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stehen auch nicht die Grundsätze von Treu und Glauben wegen eines Ermittlungsfehlers des Beklagten entgegen.

Die Rückstellungen betrugen zwar ca. 50 % der Bilanzsumme. Diese ungewöhnliche Höhe veranlasste den Beklagten ausweislich des Vermerks der Qualitätssicherungsstelle vom 14.09.2009 zur Körperschaftsteuer 2008 auch eine Überprüfung anzuregen, die im Veranlagungsverfahren jedoch unterblieb.

In dem Unterlassen der Ermittlung zur Höhe der Rückstellungen im Veranlagungsverfahren liegt gleichwohl kein Ermittlungsfehler. Es steht in der Entscheidungsbefugnis des Beklagten, ob er eine zur Prüfung Anlass gebende Bilanzposition im Veranlagungsverfahren überprüft oder ob er zunächst von der Richtigkeit der Gewinnermittlung ausgeht und eine intensivere Überprüfung einer Außenprüfung mit unmittelbarem Zugriff auf das gesamte Buchführungswerk überlässt.

Würde gleichwohl, wenn bei einer solchen Konstellation nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt wird, eine Verletzung der Ermittlungspflicht im Veranlagungsverfahren angenommen, wäre die Pflichtverletzung des Beklagten als der unvollständigen Erfüllung der Mitwirkungspflicht und der Erklärungspflicht der Klägerin gleichwertig zu gewichten.

Die Klägerin hat erstmals beginnend in der Gewinnermittlung 2005 die zusätzliche Rückstellung für die Entsorgungspflicht gebildet, d.h. einen neuen Sachverhalt berücksichtigt, ohne dass dies für den Beklagten erkennbar war.

Nach § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG, § 60 EStDV, § 150 Abs. 2 AO hatte die Klägerin Steuererklärungen nebst Gewinnermittlungsunterlagen einzureichen und in diesen die für ihre Besteuerung bedeutsamen Umstände und Sachverhalte für den Beklagten erkennbar und wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erklären. Zu dieser Pflicht zählt es auch, neue Sachverhalte in der Steuererklärung oder Gewinnermittlung deutlich zu machen, damit das Finanzamt diese erkennen und auf ihre steuerliche Bedeutung hin überprüfen kann. Diese steuerliche Erklärungs- und Darstellungspflicht hat die Klägerin verletzt. Dass sie als kleine Kapitalgesellschaft i.S.d § 267 Abs. 1 HGB nach § 266 Abs. 1 HGB die Rückstellungen in der Handelsbilanz nicht aufzuschlüsseln hat, entlastet sie nicht von ihrer Pflicht, in der Steuererklärung und den eingereichten Unterlagen die steuerlich bedeutsamen Sachverhalte für das Finanzamt erkennbar darzulegen. Ein erstmals verwirklichter steuerlich bedeutsamer Sachverhalt, ist allein als Folge der steuerlichen wahrheitsgemäßen und vollständigen Erklärungspflicht erkennbar anzugeben.

Dem steht auch keine bindende Zusicherung des Beklagten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben …

2. Der Änderung der Bescheide der Jahre 2007 und 2008 steht auch keine bindende Zusicherung des Beklagten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben entgegen.

Wie sich aus § 205 Abs. 1 AO für die verbindliche Zusage, aus dem AEAO Tz. 3.5.5 zu § 89 AO zur verbindlichen Auskunft und dem Schreiben des BMF, BStBl I 2008, 831 zur tatsächlichen Verständigung ergibt, bindet die Finanzverwaltung verbindliche Regelungen an die Schriftform. Dementsprechend kann in den angeführten Telefonaten vom 20.06.2013 und vom 07.08.2013 keine bindende und verpflichtende Äußerung für den Beklagten gesehen werden.

Die Schreiben des Beklagten vom 12.08.2013 und 26.08.2013 stellen ebenfalls keine den Beklagten bindende Zusage dar. In den Schreiben bringt der Beklagte für die Klägerin aus dem Empfängerhorizont erkennbar zum Ausdruck, dass es sich nur um einen Vorschlag zur Gesamterledigung des Einspruchs gegen alle angefochtenen Bescheide und nicht um eine bindende Verpflichtung zu einzelnen Bescheiden losgelöst von der Reaktion der Klägerin zu den anderen Bescheiden handelt.

… und kein steuerliches Verewertungsverbot entgegen

3. Den Erkenntnissen aus der Außenprüfung steht auch kein steuerliches Verwertungsverbot entgegen.

Die Klägerin rügt insoweit, der Außenprüfer habe § 93 Abs. 1 Satz 3 AO verletzt, indem er Auskünfte bei der Stiftung „ear“ zu Rücklaufquoten etc. eingeholt hat. Der Beklagte trägt dazu vor, die eingeholten und erbetenen Auskünfte seien von der Klägerin nicht zu erlangen gewesen.

Welche Sachverhaltsdarstellung zutreffend ist, kann dahin stehen, da die Verletzung der Verfahrens- und Formvorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO kein Verwertungsverbot begründet. Im Besteuerungsverfahren besteht kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt worden sind (BFH Beschluss vom 19.12.2011 – V B 37/11, BFH/NV 2012, 956; BFH Urteil vom 23.01.2002 – XI R 10/01 [BB 2002, 1033], XI R 11/01, BStBl II 2002, 328). Ein materiell-rechtlicher und verfassungsrechtlich geschützter Bereich ist durch einen Verstoß gegen die genannte Verfahrensvorschrift nicht berührt.

Rückstellung für nach dem 13.8.2005 in den Verkehr gebrachten und der Stiftung „ear“ gemeldeten Leuchtmitteln ist dem Grunde nach zulässig

4. Die von der Klägerin gebildete Rückstellung ist zu den nach dem 13.08.2005 in den Verkehr gebrachten und der Stiftung „ear“ gemeldeten Leuchtmitteln mit den Beträgen, auf die sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung verständigt haben, steuerlich zu berücksichtigen. Zu den Entsorgungskosten für die vor diesem Stichtag in den Verkehr gebrachten und den nach diesem Stichtag nicht der Stiftung „ear“ gemeldeten Mengen sind die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung nicht erfüllt.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

a) Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss des Großen Senats des BFH  vom 03.02.1969 – GrS 2/68, BStBl II 1969, 291; BFH Urteil vom 08.09.2011 – IV R 5/09, BStBl II 2012, 122 m.w.N. [BB 2011, 3119 m. BB-Komm. Oser]).

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach --deren Höhe zudem ungewiss sein kann-- sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (BFH Urteil vom 08.09.2011 – IV R 5/09, BStBl II 2012, 122 [BB 2011, 3119 m. BB-Komm. Oser]). Zudem darf es sich bei den Aufwendungen nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln (§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG).

Voraussetzungen gelten auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, die hinreichend konkretisiert sind

Diese Voraussetzungen gelten auch für Verpflichtungen aus öffentlichem Recht, die auf ein bestimmtes Handeln in Form einer Geldzahlung oder eines anderen Leistungsinhalts gerichtet sind, sofern die öffentlich-rechtliche Verpflichtung bereits konkretisiert, d.h. inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt ist (BFH Urteile vom 06.02.2013 – I R 8/12, BStBl II 2013, 686 [BB 2013, 1264 m. BB-Komm. Schmid]; vom 17.10.2013 – IV R 7/11, BStBl II 2014, 302 [BB 2014, 175 m. BB-Komm. Behrens]). Konkretisiert wird eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung regelmäßig durch einen Verwaltungsakt. Bei einem entsprechend konkreten Gesetzesbefehl kann sich die Verpflichtung auch allein aus der gesetzlichen Bestimmung ergeben und die Rückstellung rechtfertigen. Das Bestehen oder Entstehen einer Verbindlichkeit in diesem Sinne ist dann wahrscheinlich, wenn nach den am Bilanzstichtag objektiv vorliegenden und den bis zur Aufstellung der Bilanz objektiv erkennbaren Verhältnissen mehr Gründe für als gegen das Bestehen der Verbindlichkeit sprechen und die Verpflichtung bereits eine wirtschaftliche Belastung darstellt (BFH Urteil vom 05.11.2014 – VIII R 13/12, BStBl II 2015, 523 [BB 2015, 1329 m. BB-Komm. Schmid] zur Rückstellung für Honorarrückforderungen von Ärzten).

Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist. Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren setzt voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. (BFH Urteile vom 06.02.2013 – I R 8/12, BStBl II 2013, 686 unter Rz. 11, 21 [BB 2013, 1264 m. BB-Komm. Schmid]).

Entsorgungsverpflichtung nach dem ElektroG wird durch die Meldung an die Stiftung „ear“ hinreichend konkretisiert – auf die nachfolgende Anordnung zur tatsächlichen Erfüllung der Entsorgungspflicht kommt es nicht mehr an

Entsprechend diesen Grundsätzen entsteht die Entsorgungsverpflichtung nach dem ElektroG für die veräußerten Leuchtmitteln grundsätzlich mit dem in den Verkehr bringen als abstrakte, potentielle Pflicht. Konkretisiert im Sinne einer im Außenverhältnis wahrgenommenen und zu erfüllenden sanktionsbewehrten Verpflichtung wird diese durch die Meldung der in den Verkehr gebrachten Mengen an die Gemeinsame Stelle, d.h. die Stiftung „ear“. Im Umfang der gemeldeten Mengen berechnet die Gemeinsame Stelle den Anteil des Herstellers an der Menge der gesammelten und zu entsorgenden Leuchtmittel und die Höhe seiner Verpflichtung zur Garantieleistung. Mit der Meldung ist der Umfang der Entsorgungspflicht zu den nach dem 13.08.2005 in den Verkehr gebrachten Leuchtmitteln für den Hersteller bestimmt. Neben der Berechnung des Umfangs der Verpflichtung des jeweiligen Herstellers bestimmt die Gemeinsame Stelle dann nur noch, wann der jeweilige Hersteller seine bestehende Verpflichtung durch die tatsächliche Abholung von zu entsorgenden Leuchtmitteln an einer konkreten Sammelstelle zu erfüllen hat. Fest steht mit dem Inverkehrbringen und der Meldung, dass der Hersteller entsprechend seinem Anteil an der Gesamtmenge zur Entsorgung der tatsächlich gesammelten Leuchtmittel herangezogen werden wird und die entsprechenden Entsorgungskosten zu tragen hat; allein der Zeitpunkt der Heranziehung wird erst durch eine Verfügung der Stiftung „ear“ bestimmt.

Jeder Hersteller, der am Markt teilnehmen will (§ 6 Abs. 2 Satz 5 ElektroG), hat sich registrieren zu lassen und hat die von ihm vertriebenen Geräte zu melden (§ 13 Abs. 1 ElektroG). Entsprechend den gemeldeten Mengen wird der Anteil der Geräte berechnet, die der jeweilige Hersteller bei den öffentlich-rechtlichen Versorgungsträgern abzuholen hat (§ 14 Abs. 5 Satz 1 ElektroG). Die Käufer entsprechender Geräte sind gemäß § 9 Abs. 1 ElektroG verpflichtet, die Altgeräte bei den Sammelstellen der öffentlich-rechtlichen Versorgungsträger abzugeben. Die konkrete Abholverfügung gem. § 16 Abs. 5 ElektroG erlässt die Stiftung „ear“.

§ 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 ElektroG gewährt dem Hersteller ein Wahlrecht zwischen zwei Methoden der Berechnung der abzuholenden Menge des jeweiligen Herstellers. Entsprechend der gewählten Berechnungsmethode hat der Hersteller für die auf ihn entfallenden Abhol- und Entsorgungskosten jährlich eine insolvenzsichere Garantie nach § 6 Abs. 3 Satz 1 ElektroG zu erbringen, die die Finanzierung der Rücknahme- und Entsorgung entsprechend der Verursachung durch den jeweiligen Hersteller für den Fall der Insolvenzsichern soll.

Damit hat zunächst jeder Hersteller für die von ihm im jeweiligen Jahr in den Verkehr gebrachten Geräte seine Abhol- und Entsorgungspflicht finanziell zu sichern.

Auf der Grundlage obiger Berechnungen berechnet die Gemeinsame Stelle gem. § 14 Abs. 5 ElektroG auf der Grundlage einer wissenschaftlich anerkannten Berechnungsmethode die örtlich und zeitlich gleichmäßige Verteilung der Abholpflicht auf die registrierten Hersteller. Welcher Hersteller dann aufgrund dieser gem. § 14 Abs. 6 ElektroG an die Gemeinsame Stelle gemeldeten Daten konkret zur Abholung und Entsorgung der gesammelten Geräte jeweils herangezogen wird, wird gemäß §§ 10 Abs. 1, 16 Abs. 5 ElektroG durch gesonderte Zuweisung im Sinne eines Verwaltungsakts festgelegt. Die insoweit dem jeweils herangezogenen Hersteller entstandenen Kosten werden über die Meldung der entsorgten Mengen gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 ElektroG erfasst und gemäß § 14 Abs. 5 Satz 6 ElektroG auf seinen Anteil an zu entsorgenden Geräten angerechnet.

Nach diesen Regelungen des ElektroG wird bereits unmittelbar mit der Meldung an die Gemeinsame Stelle die Entsorgungsverpflichtung konkretisiert. Auf die Zuweisung als den die Abholung und Entsorgung tatsächlich umsetzenden Akt kommt es damit insoweit nicht an.

Notwendiger Vergangenheitsbezug liegt darin begründet, dass die Entsorgungsverpflichtung und das Vorfinanzierungsverfahren an die ab dem 13.8.2005 in Verkehr gebrachten, gemeldeten und nunmehr zu entsorgenden Geräte anknüpft

Der für die Rückstellungsbildung notwendige Vergangenheitsbezug liegt darin begründet, dass die Entsorgungsverpflichtung und das Vorfinanzierungsverfahren nach § 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ElektroG an die ab dem 13.08.2005 in Verkehr gebrachten, gemeldeten und nunmehr zu entsorgenden Geräte anknüpft. Diese Anknüpfung verdeutlicht, dass die Verpflichtung in der Vergangenheit verursacht ist. Anknüpfungspunkt für die Entsorgungsverpflichtung ist damit der Verkauf der Leuchtmittel und nicht, wie der Beklagte meint, die Zulassung zum Markt durch die Registrierung bei der Gemeinsamen Stelle.

Das Umlageverfahren knüpft zwar an die Zahl der aktuell in den Verkehr gebrachten Geräte und nicht an die in der Vergangenheit in den Verkehr gebrachten Geräte an. Dies ist allerdings nur eine Berechnungsmethode zur Höhe der durch den Verkauf in der Vergangenheit ausgelösten Verpflichtung. Berechnet wird die Höhe der Entsorgungsverpflichtung für in der Zeit ab dem 13.08.2005 in Verkehr gebrachte Geräte, die nunmehr zu entsorgen sind.

Sowohl das Vorauszahlungsverfahren als auch das Umlaufverfahren sind nur Berechnungsmethoden zur Bestimmung der Höhe der durch das Inverkehrbringen ausgelösten Entsorgungspflicht. Unabhängig von der Berechnungsmethode ergibt sich der Vergangenheitsbezug aus § 6 Abs. 3 ElektroG, der die Entsorgungspflicht für jeden Verkauf für die Zukunft begründet (s. Birkhan, Günkel und Buciek in JbFSt 2006/2007, S. 640 – 650; Stegemann Inf 2006, 136; Weber-Grellet in Schmidt EStG, 35. Aufl. 2015, § 5 Rz. 550 „Altauto/Altgeräte“).

Rückstellung für Entsorgungskosten für die in der Zeit vom 13.8.2005–31.12.2009 in den Verkehr gebrachten und der Stiftung „ear“ gemeldeten Leuchtmittel ist zulässig

aa) Entsprechend diesen Grundsätzen ist eine Rückstellung für Entsorgungskosten für die in der Zeit vom 13.08.2005 bis zum 31.12.2009 in den Verkehr gebrachten und der Stiftung „ear“ gemeldeten Leuchtmittel zu bilden. In diese Rückstellungsbildung sind die in der Zeit vom 13.08.2005 bis zum 31.12.2005 nicht gemeldeten Leuchtmittel und die im Jahr 2009 in den Verkehr gebrachten und erst in 2010 gemeldeten LED-Leuchten nicht einzubeziehen.

Für die vom 13.8.2005–31.12.2005 veräußerten, aber nicht der Gemeinsamen Stelle gemeldeten Leuchtmittel kann keine Rückstellung für Entsorgungskosten gebildet werden

bb) Für die von der Klägerin in der Zeit vom 13.08.2005 bis 31.12.2005 veräußerten, aber nicht der Gemeinsamen Stelle gemeldeten Leuchtmittel kann eine Rückstellung für Entsorgungskosten nicht gebildet werden.

Die konkretisierte Verpflichtung im Außenverhältnis besteht im Umfang der nach dem 13.08.2005 in den Verkehr gebracht und der Gemeinsamen Stelle gemeldeten Leuchtmittel. Die gemeldeten Mengen sind die Grundlage der Berechnung der Gemeinsamen Stelle zur Bestimmung des Umfangs der Entsorgungspflicht des Herstellers. Für im jeweiligen Gewinnermittlungszeitraum zwar in den Verkehr gebrachte Leuchtmittel, die jedoch der Gemeinsamen Stelle nicht gemeldet sind, ist eine Verpflichtung noch nicht konkretisiert, so dass für diese eine Rückstellungsbildung ausscheidet.

Bildung einer Rückstellung für Leuchtmittel, die vor dem 13.8.2005 in den Verkehr gebracht wurden, ist nicht zulässig

cc) Die Bildung einer Rückstellung für Leuchtmittel, die vor dem 13.08.2005 in den Verkehr gebracht wurden, ist nicht zulässig. Insoweit fehlt es an dem Vergangenheitsbezug der Entsorgungsverpflichtung im Sinne der Voraussetzungen für die Rückstellungsbildung.

Das ElektroG begründet eine Entsorgungspflicht auch für vor dem 13.08.2005 in den Verkehr gebrachte Leuchtmittel. Die Verpflichtung trifft aber nicht den Hersteller, der vor diesem Stichtag die Leuchtmittel in den Verkehr gebracht hat, im Umfang der seinerzeitigen Verkäufe. Nach § 14 Abs. 5 Satz 2 ElektroG trifft die Entsorgungspflicht insoweit die nach dem Stichtag am Markt tätigen Hersteller. Der Umfang ihrer Entsorgungspflicht wird insoweit nach dem Anteil ihrer derzeitigen Marktteilnahme bestimmt. Nach dieser Quote hat der Hersteller solche Alt-Leuchtmittel auch dann zu entsorgen, wenn er vor dem Stichtag solche nicht in den Verkehr gebracht hat. Die Entsorgungspflicht ist damit nicht durch die Marktteilnahme und die Veräußerung entsprechender Leuchtmittel vor dem Stichtag verursacht.

Höhe der Rückstellung

b) Die Bildung der Rückstellung bestimmt sich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG nach dem zum Bilanzstichtag tatsächlich entstandenen Verpflichtungsumfang. Dieser ist nach Maßgabe der in Verkehr gebrachten Mengen und der nach den Erfahrungen der Vergangenheit zu entsorgenden Mengen an Geräten zu bestimmen (Kulosa in Schmidt  EStG, 34. Aufl. 2015, § 6 Rz. 477, 474).

Zur Höhe der Rückstellung haben sich die Beteiligten unter Beachtung der Grundsätze des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG verständigt, so dass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.

Kostenentscheidung

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

Zulassung der Revision

4. Die Revision wird gem. § 115 Abs. Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Streitfrage betrifft eine Vielzahl von Unternehmen und ist daher grundsätzlich klärungsbedürftig.

Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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