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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
07.11.2014
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG München: Ersatzwirtschaftsgüter i. S. d. § 6b EStG können auch im EU-Ausland liegen

FG München, Urteil vom 7.7.2014 – 5 K 1206/14, Rev. eingelegt (Az. BFH IV R 35/14)

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2014-2799-1

unter www.betriebs-berater.de

Leitsätze (des Kommentators)

1. Es verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV, wenn stille Reserven nicht auf im EU-Ausland belegene Ersatzwirtschaftsgüter i. S. d. § 6b EStG übertragen werden können.

2. Die unversteuerten stillen Reserven sind in der Steuerbilanz des inländischen Betriebs festzuhalten.

3. Die Besteuerung der stillen Reserven erfolgt in Übereinstimmung mit dem jeweils geltenden Doppelbesteuerungsabkommen beim Verkauf des Ersatzwirtschaftsguts durch die ausländische Betriebsstätte.

EStG § 6b; AEUV Art. 49

Sachverhalt

I. Streitig ist, ob der Kläger eine im Jahresabschluss 2005/2006 seines im Jahre 2006 übernommenen inländischen land- und forstwirtschaftlichen Betriebs nach § 6b Abs. 3 S. 1 EStG gebildete Rücklage (im Folgenden § 6b-Rücklage) in Höhe eines Teilbetrags von 900 Euro auf ein in Ungarn gelegenes und am 24.6.2010 erworbenes Grundstück, das zum Gesellschaftsvermögen der R-KG gehört, übertragen kann.

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2009 beim FA zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie haben ihren Wohnsitz sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Sie erzielten im Streitjahr Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie aus nichtselbständiger Arbeit.

Der Kläger ist Inhaber eines buchführungspflichtigen land- und forstwirtschaftlichen Betriebs im Inland mit abweichendem Wirtschaftsjahr vom 1.7. bis 30.6. (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG), für den er den Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG ermittelt. Diesen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb hatte er mit Hofübergabevertrag vom 31.7.2006 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von seinen Eltern gegen Gewährung von Leibgedingen auf Lebenszeit mit Wirkung zum 1.7.2006 unentgeltlich erhalten.

Im Wirtschaftsjahr 2005/2006 wurde aus dem Verkauf eines im Inland gelegenen bebauten Betriebsgrundstücks u. a. folgender Veräußerungsgewinn erzielt:

Veräußerungserlös Grund und Boden

205 200 Euro

abzügl. Buchwert

31 750 Euro

Veräußerungsgewinn Grund und Boden

173 450 Euro

Dieser Veräußerungsgewinn von 173 450 Euro für den Grund und Boden wurde in eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage nach § 6b EStG zum 30.6.2006 in die Bilanz des elterlichen Betriebs eingestellt. Im Wirtschaftsjahr 2007/2008 verminderte sich diese Bodenrücklage um 13 050 Euro. Den verbliebenen Restbetrag der Bodenrücklage von 160 400 Euro führte der Kläger im darauf folgenden Jahresabschluss 2008/2009 fort.

Im Jahresabschluss für das Wirtschaftsjahr 2009/2010 löste der Kläger die in seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb verbliebene § 6b-Rücklage - wie folgt - auf:

Stand 1.7.2009

160 400 Euro

Auflösung mit Verzinsung (§ 6b Abs. 3 S. 5 EStG)

1 100 Euro

Übertragung ….. GmbH & Co. KG

158 400 Euro

Übertragung auf seinen Anteil der Anschaffungskosten

 

von Grund und Boden hinsichtlich der R-KG

900 Euro

Stand 30.6.2010

- Euro

   

Verzinsung, § 6b Abs. 7 EStG hinsichtlich 1 100 Euro 24 %

264 Euro

Der Kläger ist an der R-KG als Kommanditist zu 50 % beteiligt. Bei der R-KG handelt es sich um eine ungarische Personengesellschaft, die einer deutschen KG entspricht. Diese Gesellschaft wurde am 15.6.2010 gegründet und am 22.6.2010 beim Firmengericht eingetragen. Die Eintragung beim Firmengericht entspricht der im deutschen Handelsregister. Die R-KG betreibt in Ungarn einen aktiven landwirtschaftlichen Betrieb und erzielt Einkünfte aus Landwirtschaft. Sie erwarb am 24.6.2010 ein landwirtschaftliches Grundstück mit einem Wirtschaftsgebäude. Die Anschaffungskosten des Grund und Bodens betrugen 500 000 HUF. Nach der Berechnungstabelle des BMF vom Juni 2010 entspricht 1 Euro = 281,49 HUF. Danach wurden für Anschaffungskosten inkl. Nebenkosten 1 827,37 Euro für Grund und Boden aufgewendet. Auf die Anschaffungskosten des Grund und Bodens (1 827,37 Euro), von denen die Hälfte auf den Kläger entfiel, übertrug der Kläger einen Teilbetrag der gebildeten § 6b-Rücklage von 900 Euro gemäß R 6b.2 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 EStR. Bilanztechnisch geschah dies durch Aufstellung einer vorläufigen negativen Eröffnungsbilanz der R-KG.

Im Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.1.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21.3.2011 bestätigt durch die Einspruchsentscheidung vom 6.4.2011 erkannte das FA die beantragte Übertragung der Rücklage in Höhe von 900 Euro nicht an, sondern löste die Rücklage in Höhe von 900 Euro am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres zum 30.6.2010 nach § 6b Abs. 2 S. 5 EStG gewinnerhöhend auf, so dass sich eine Erhöhung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft für das Streitjahr 2009 um 450 Euro sowie ein Gewinnzuschlag nach § 6 b Abs. 7 EStG von 108 Euro (4 x 6 % = 24 % x 900 =  216 Euro, davon die Hälfte = 108 Euro) ergaben. Das FA setzte den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft für das Wirtschaftsjahr 2009/2010 mit -7 513 Euro (Anteil für 2009: - 3 756 Euro) und die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft für 2009 mit 3 305 Euro an. Somit ergab sich für 2009 ein zu versteuerndes Einkommen der Kläger von 32 922 Euro und eine festzusetzende Einkommensteuer nach der Splittingtabelle von 1 434 Euro. Das FA vertrat wie das … Landesamt für Steuern die Auffassung, dass eine Übertragung der § 6b-Rücklage auf Anschaffungskosten eines im Ausland gelegenen Grundstücks nicht zulässig sei. Das angeschaffte Wirtschaftsgut gehöre nach § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG nicht zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte, sondern zum Anlagevermögen einer ausländischen (ungarischen) Betriebsstätte.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Das FA gehe zwar zutreffend davon aus, dass das Grundstück in Ungarn gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG der ungarischen Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) und somit keiner deutschen Betriebsstätte, sondern einer ausländischen Betriebsstätte, zuzurechnen sei und sich in deren Anlagevermögen befinde. Jedoch habe die § 6b-Rücklage auf das von der R-KG erworbene Grundstück in Ungarn übertragen werden können. Die Übertragung des Teilbetrages der Rücklage von 900,00 Euro sei im inländischen Betrieb durchgeführt worden. In dem Betrieb, in dem die Reinvestition erfolge, müsse dieses ausgeübte Wahlrecht bilanziell nachvollzogen werden. In der Ergänzungsbilanz zur deutschen Gewinnermittlung der ungarischen Personengesellschaft sei die Rücklagenübertragung als Minderkapital zum Grund und Boden in Höhe von 900,00 Euro ausgewiesen worden.

Erst bei einem gewinnrealisierenden Vorgang (Veräußerung oder Entnahme) des ungarischen Reinvestitionsobjektes sei der Veräußerungsgewinn in Höhe der übertragenen Rücklage von 900,00 Euro im Inland zu versteuern. Im Falle der Veräußerung des Reinvestitionsobjektes sei der Betrag von 900 Euro in der negativen Ergänzungsbilanz aufzulösen und der inländischen Besteuerung in Deutschland zuzuführen. Nach dem DBA Ungarn unterfalle dieser Veräußerungsgewinn nicht dem ungarischen Besteuerungsrecht.

Die Rücklagenübertragung auf die Grundstücksinvestition in Ungarn sei zulässig, weil § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG gegen das Unionsrecht und zwar gegen die Grundfreiheiten verstoße. Nach § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG seien Gewinn- und Rücklagenübertragungen nur auf Wirtschaftsgüter einer inländischen Betriebsstätte zulässig. In der Regelung in § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG liege ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 i. V. m. Art. 54 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i. d. F. des zum 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrags von Lissabon (Amtsblatt der Europäischen Union - ABl.- C 115 vom 9.5.2008) vor.

Hinzuweisen sei noch darauf, dass die Europäische Kommission am 29.9.2011 Deutschland aufgefordert habe, § 6b EStG dahingehend zu ändern, dass Reinvestitionen im gesamten EU-Gebiet zulässig seien. Die Kommission vertrete die Auffassung, dass die territoriale Beschränkung gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV und Art. 31 des Abkommens vom 2.5.1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994 L 1, S. 3, -EWR-Abkommen-) verstoße. Mittlerweile habe die Kommission am 20.11.2013 die Klage gegen Deutschland beim EuGH eingereicht (vgl. Az. beim EuGH C-591/13).

Wegen weiterer Einzelheiten wird im Übrigen auf die Schriftsätze der Kläger verwiesen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.1.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21.3.2011 bestätigt durch die Einspruchsentscheidung vom 6.4.2011 dahingehend zu ändern, dass die gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 S. 5 EStG in Höhe von 450 Euro und der Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG in Höhe von 108 Euro nicht berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,  die Revision zuzulassen.

Es verweist auf seine Einspruchsentscheidung. Sofern sich das Gericht der Auffassung des Niedersächsisches FG (rechtskräftiges Urteil vom 1.12.2011 – 6 K 435/09, EFG 2012, 1031) anschließen sollte, werde die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Frage einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 i. V. m. Art. 54 AEUV durch § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG für sinnvoll gehalten. Ansonsten werde die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO beantragt, da eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten, die Einspruchsentscheidung, die Jahresabschlüsse des Klägers, den Gesellschaftsvertrag sowie die Eintragung der R-KG ins Firmengericht, den Kaufvertrag sowie die Zusammenstellungen der Anschaffungskosten für das Grundstück in Ungarn und der Entwicklung der im Wirtschaftsjahr 2005/2006 gebildeten § 6b-Rücklage, die Ergänzungsbilanz der R-KG und die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.

Aus den Gründen

Begründetheit der Klage

II. Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.1.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21.3.2011 bestätigt durch die Einspruchsentscheidung vom 6.4.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs.1 S. 1 FGO).

§ 6b EStG hindert nicht die Versteuerung der aufgedeckten stillen Reserven im Inland durch die Veräußerung des Wirtschaftsguts

1. Die Kläger, die ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, sind gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig. Ihre Einkünfte, die sie weltweit erzielen, unterliegen grundsätzlich in Deutschland der Einkommensteuer.

Dies gilt allerdings nicht, soweit der Kläger in Ungarn mitunternehmerische Einkünfte/Veräußerungsgewinne aus unbeweglichem Vermögen, das in Ungarn liegt, erzielt. Denn sowohl nach Art. 6 Abs. 1 als auch nach Art. 13 Abs. 1 (lex specialis zu Art. 6, vgl. Wassermeyer, in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 6 MA Rz. 22b) des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen (vom 18.7.1977, BGBl. I 1979, 626, geändert ab 30.12.2011, BGBl. II 2011, 919, - DBA Ungarn -) steht das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und für Gewinne, die bei der Veräußerung von unbeweglichen Vermögen erzielt werden, dem Staat zu, in dem das unbewegliche Vermögen liegt (Belegenheitsstaat). Die Anwendung von Art. 6 Art. 1 und Art. 13 Abs. 1 DBA Ungarn führt regelmäßig und auch im Streitfall zu dem gleichen Ergebnis, weshalb die Abgrenzungsfrage zwischen Einkünften und Veräußerungsgewinnen dahinstehen kann (vgl. Wassermeyer, in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 6 MA Rz. 22b).

Im Falle einer (späteren) Veräußerung des von der R-KG am 24.6.2010 erworbenen Betriebsgrundstücks, steht folglich das Besteuerungsrecht Ungarn zu. Die Bundesrepublik Deutschland stellt nach Art. 23 Abs. 1 Buchst a DBA Ungarn diese Einkünfte/Gewinne, die der Kläger als Mitunternehmer daraus erzielt, frei, soweit diese Einkünfte/Gewinne nur stillen Reserven enthalten, die in Ungarn entstanden sind. Bei der Ermittlung dieser Einkünfte/Gewinne in abkommensrechtlicher Hinsicht bleiben stille Reserven nach § 6b EStG unberücksichtigt, selbst wenn diese Wertzuwächse für den Erwerb eines Wirtschaftsguts im Ausland eingesetzt werden. Andernfalls würde gegen die Grundsätze der abkommensrechtlichen Abgrenzung der Einkünfte verstoßen. Stille Reserven i. S. des § 6b EStG sind Einkünfte aus der Veräußerung eines inländischen Grundstücks und sind in Deutschland entstanden. § 6b EStG hindert nicht die Versteuerung der aufgedeckten stillen Reserven im Inland durch die Veräußerung des Wirtschaftsguts. Die Versteuerung wird lediglich auf den Zeitpunkt der Veräußerung des Reinvestitionsguts hinausgeschoben. Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte liegt nach wie vor in Deutschland. Daran ändert auch die Regelung in § 6b Abs. 3 S. 2 EStG nichts. Denn der in Ungarn zu besteuernde spätere Veräußerungsgewinn kann nicht entsprechend höher ausfallen, da die Regelung des § 6b EStG die Bilanzierung bzw. die Gewinnermittlung der R-KG in Ungarn nicht beeinflussen kann (vgl. EuGH-Urteil vom 29.11.2011 – C-371/10, National Grid Indus, Slg 2011, I-12273, EWS 2012, 38, rechtskräftiges Urteil des FG Niedersachsen in EFG 2012, 1031, m. w. N.).

Besteuerung der durch die Veräußerung des inländischen Grundstücks aufgedeckten stillen Reserven erst bei der Veräußerung des Ersatzwirtschaftsguts im Ausland

2. Erst wenn das Reinvestitionsgrundstück in Ungarn veräußert wird, führt dies zur Besteuerung der zum 30.6.2006 durch die Veräußerung des inländischen Grundstücks aufgedeckten stillen Reserven. Das FA hat im Streitfall daher zu Unrecht die § 6b-Rücklage hinsichtlich des Teilbetrags von 900 Euro nach § 6b Abs. 3 S. 5 EStG sowie den Zuschlag von 216 Euro nach § 6b Abs. 7 EStG im Wirtschaftsjahr 2009/2010 gewinnerhöhend berücksichtigt. Der Kläger war stattdessen bei unionskonformer Rechtsanwendung des § 6b EStG entsprechend § 6b Abs. 3 S. 2 und S. 4 EStG berechtigt, den Betrag von 900 Euro auf das von der R-KG in Ungarn erworbene Grundstück zum 30.6.2010 gewinnneutral zu übertragen. Folglich lagen auch die Voraussetzungen eines Zuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG nicht vor.

Gewinnneutrale Übertragung aufgedeckter stiller Reserven bei der Anschaffung anderer bestimmter Anlagegüter gem. § 6b EStG

a) Gemäß § 6b EStG darf der Steuerpflichtige stille Reserven, die bei der (entgeltlichen) Veräußerung bestimmter Anlagegüter aufgedeckt worden sind, bei der Anschaffung anderer bestimmter Anlagegüter gewinnneutral übertragen (Beschränkung des Realisationsprinzips, Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 6b Rz. 1).

Nach § 6b Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, Abs. 3 EStG können Gewinne aus der Veräußerung von zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehörenden Grund und Boden u.a. auf Anschaffungskosten von Grund und Boden, die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr entstanden sind, übertragen werden. Soweit eine Übertragung nicht vorgenommen wird, kann im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden. Bis zur Höhe der Rücklage können sodann die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der nach § 6b EStG begünstigter Wirtschaftsgüter, die in den folgenden vier Jahren angeschafft oder hergestellt werden, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung gekürzt werden. In Höhe des Kürzungsbetrags ist die Rücklage aufzulösen. Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen.

Gemäß § 6b Abs. 4 S. 1 EStG ist Voraussetzung für eine Übertragung stiller Reserven, dass der Steuerpflichtige den Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermittelt, die veräußerten Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben, die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören, der bei der Veräußerung entstandene Gewinn bei der Ermittlung des im Inland steuerpflichtigen Gewinns nicht außer Ansatz bleibt und der Abzug nach Abs. 1 und die Bildung und Auflösung der Rücklage nach Abs. 3 in der Buchführung verfolgt werden können.

Die Übertragung der Rücklage ist nicht auf Reinvestitionsgüter beschränkt, die im Alleineigentum des Veräußerers stehen und dem Betriebsvermögen des Veräußerungsbetriebs zuzuordnen sind. Die Übertragung kann auch auf Reinvestitionsgüter erfolgen, die zum Gesellschaftsvermögen (Gesamthandvermögen) einer Personengesellschaft gehören, an der der Veräußerer als Mitunternehmer beteiligt ist, soweit diese Wirtschaftsgüter ihm anteilig zuzurechnen sind.

§ 6b EStG räumt dem Steuerpflichtigen hinsichtlich der Übertragung stiller Reserven Wahlrechte ein. Der Steuerpflichtige kann stille Reserven unter den in § 6b EStG näher beschriebenen Voraussetzungen übertragen, er muss es aber nicht. Dementsprechend hängt es auch von seinem Willen ab, ob er die gemäß § 6b Abs. 3 S. 1 EStG gebildete Rücklage von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines in § 6b Abs. 1 S. 2 EStG genannten Wirtschaftsguts (Reinvestitionsgut) abziehen will (§ 6b Abs. 3 S. 2 EStG). Der Steuerpflichtige ist deshalb während des Laufs der Reinvestitionsfrist befugt, die Rücklage ganz oder teilweise gewinnerhöhend aufzulösen oder auf ein anderes Reinvestitionsgut ganz oder teilweise zu übertragen. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG werden die vorgenannten Wahlrechte (Bilanzierungswahlrechte) durch entsprechenden Ansatz oder die Auflösung einer Rücklage in der Steuerbilanz ausgeübt. Maßgeblich für die Bildung und Auflösung der § 6b-Rücklage ist dabei die Steuerbilanz des „veräußernden“ Betriebs. Denn in diesem Betrieb ist der Veräußerungsgewinn angefallen, der durch die Bildung der Rücklage neutralisiert werden soll. Das Bilanzierungswahlrecht ist auch dann durch entsprechenden Bilanzansatz im „veräußernden“ Betrieb auszuüben, wenn die Rücklage auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen übertragen werden soll. Die Rücklage ist zunächst immer in dem Betrieb zu bilden, in dem der Veräußerungsgewinn angefallen ist. In der Bilanz der „reinvestierenden“ Gesellschaft wirkt sich die Übertragung der Rücklage immer erst in Form der Minderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten aus. Da die § 6b-Rücklage aber, wie dargelegt, ausschließlich der Neutralisation des Veräußerungsgewinns im Veräußerungsbetrieb dient, kann über das weitere Schicksal der Rücklage während des Reinvestitionszeitraums auch nur durch die Ausübung des Bilanzierungswahlrechts in diesem Betrieb entschieden werden. Für diese Beurteilung spricht auch die Regelung in § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 5 EStG. Danach muss die Bildung und Auflösung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG in der Buchführung verfolgt werden können. Da die Verfolgbarkeit in der Buchführung an die Buchführung im veräußernden Betrieb anknüpft, kommt insoweit nur die Behandlung der Rücklage und damit auch die Ausübung des Wahlrechts zur Auflösung im veräußernden Betrieb in Betracht (vgl. zu Vorgängigem BFH in BFHE 240, 73, BStBl. II 2013, 313, m. w. N.).

Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahrs noch vorhanden, so ist sie nach § 6b Abs. 3 S. 5 EStG zu diesem Zeitpunkt mit einem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG von 6 % für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, gewinnerhöhend aufzulösen.

Bildung einer gewinnmindernden Rücklage

b) Entsprechend diesen Rechtsgrundsätzen wurde nach der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtigen Veräußerung des Grundstücks des Anlagevermögens eine den Gewinn mindernde Rücklage nach § 6b Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 EStG zum 30.6.2006 in der Bilanz des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes gebildet.

Da dieser Betrieb im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich und nach § 6 Abs. 3 EStG zum Buchwert an den Kläger übertragen wurde, trat der Kläger als Betriebsübernehmer in die Rechte und Pflichten seiner Eltern als Betriebsübergeber ein. Eine vom Betriebsübergeber gebildete Rücklage ist vom Betriebsübernehmer zu übernehmen und entsprechend fortzuführen. Dies hat zur Folge, dass eine Übertragung der Rücklage auf Reinvestitionsobjekte oder eine gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage ausschließlich beim Betriebsübernehmer zu erfassen sind. Wirtschaftsjahr im Sinne des § 6b Abs. 3 EStG sind auch das Rumpfwirtschaftsjahr gemäß § 8b S. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) oder das verlängerte Wirtschaftsjahr gemäß § 8c Abs. 2 S. 2 EStDV. Im Falle einer unentgeltlichen Betriebsübernahme während des laufenden Wirtschaftsjahrs ist jedoch das insoweit zwingend gemäß § 8b S. 2 Nr. 1 EStDV entstehende Rumpfwirtschaftsjahr beim Betriebsübergeber mit dem entstehenden Rumpfwirtschaftsjahr beim Betriebsübernehmer zu verklammern und lediglich als ein Wirtschaftsjahr im Sinne des § 6b Abs. 3 EStG zu werten (vgl. BFH-Urteil vom 23.4.2009 – IV R 9/06, BFHE 225, 15, BStBl. II 2010, 664, BB 2009, 1635). Dementsprechend führte der Kläger, der seinen Gewinn ebenfalls durch Bestandsvergleich ermittelt, die § 6b-Rücklage bis zum 30.6.2009 noch in Höhe von 160 400 Euro in seinen Jahresabschlüssen fort (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 5 EStG).

Ersatzwirtschaftsgüter i. S. d. § 6b EStG können auch im EU-Ausland liegen

c) Die verbliebene § 6b-Rücklage konnte der Kläger im darauffolgenden Wirtschaftsjahr 2009/2010 auflösen und hinsichtlich der Teilbeträge von 158.400 Euro und von 900 Euro auf die Anschaffungskosten der erworbenen Grundstücke im selben Wirtschaftsjahr übertragen. Die Anschaffungen erfolgten auch fristgerecht, d.h. am Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres. Ebenso übte der Kläger sein Bilanzierungswahlrecht in der dem FA eingereichten Bilanz des Veräußerungsbetriebs zum 30.6.2010 entsprechend aus. Die Übertragung konnte auf die angeschafften Reinvestitionsgüter Grund und Boden erfolgen, die zum Gesellschaftsvermögen der Personengesellschaften, …. GmbH & Co. KG und R-KG, gehören, da der Kläger an diesen Personengesellschaften als Mitunternehmer beteiligt ist und ihm diese Wirtschaftsgüter anteilig zuzurechnen sind (vgl. BFH in BFHE 240, 73, BStBl. II 2013, 313). Allerdings hat das FA die Voraussetzungen für eine Übertragung stiller Reserven gemäß § 6b Abs. 4 S. 1 EStG lediglich im Hinblick auf den mitunternehmerischen Grundstückserwerb im Inland in Höhe von 158 400 Euro bejaht.

Zu Unrecht hat es den Teilbetrag der § 6b-Rücklage von 900 Euro zum 30.6.2010 gewinnerhöhend berücksichtigt, weil es die Übertragung der stillen Reserven auf den für das Anlagevermögen der ausländischen Betriebsstätte - R-KG - angeschafften Grund und Boden für nicht möglich hielt. § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG verlange die Zugehörigkeit der angeschafften Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte.

§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG erfordert keine Zugehörigkeit des Reinvestitionsguts zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte, sondern einer Betriebsstätte im Unionsgebiet

aa) Ob ein Wirtschaftsgut zu einer inländischen Betriebsstätte i. S. von § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG gehört, ist nach wirtschaftlich-funktionalen Gesichtspunkten zu ermitteln. Zu einer inländischen Betriebsstätte kann insoweit auch ein im Ausland belegenes Grundstück gehören. Sofern der Veräußerungsgewinn hieraus nicht aufgrund eines DBA dem ausländischen Staat zusteht, ist § 6b EStG seinem Wortlaut nach anwendbar. Andererseits genügt die Zugehörigkeit zu einer inländischen Betriebsstätte nicht, wenn das Besteuerungsrecht aufgrund eines DBA einem anderen Staat zugewiesen ist (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 4 EStG). Gehört das Wirtschaftsgut zu einer ausländischen Betriebsstätte, kommt die Anwendung des § 6b seinem Wortlaut nach nicht in Betracht, selbst wenn der Gewinn aus der Veräußerung dieses Wirtschaftsguts im Inland steuerpflichtig ist (vgl. Heger in Kirchhof/Söhn/Mel-linghoff, EStG, § 6b Rz. E 11, Jachmann in Kirchhof, EStG, § 6b Rz. 15).

Die Ansicht der Beteiligten ist richtig, dass das in Ungarn gelegene Grundstück schon aufgrund seiner Entfernung nicht zum Anlagevermögen der inländischen Betriebsstätte, sondern zum Anlagevermögen der ausländischen Betriebsstätte gehört (vgl. BFH in BFHE 234, 212, BStBl. II 2012, 93). Jedoch gebietet es der Vorrang des Unionsrechts, den § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG auf zum Anlagevermögen angeschaffte Wirtschaftsgüter im Unionsgebiet anzuwenden. Damit erfordert § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG keine Zugehörigkeit des Reinvestitionsguts zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte, sondern einer Betriebsstätte im Unionsgebiet. Lediglich die so verstandene Rechtslage entspricht der Niederlassungsfreiheit in Art. 49 i. V. m. Art. 54 AEUV. Insofern wird der Rechtsauffassung im rechtskräftigen Urteil des FG Niedersachen (in EFG 2012, 1031) im Ergebnis in vollem Umfang zugestimmt.

Es verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV, wenn stille Reserven nicht auf im EU-Ausland belegene Ersatzwirtschaftsgüter i. S. d. § 6b EStG übertragen werden können

bb) Bei alleiniger Berücksichtigung des Wortlauts beschränkt § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG die freie Wahl der Niederlassung nach Art. 49 i. V. m. Art. 54 AUEV (vgl. Urteil des FG Niedersachen in EFG 2012, 1031, anhängige Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland beim EuGH – Rechtssache C-591/13, juris, Broemel/Endert, DB 2012, 2714, Siewert in Frotscher, EStG, § 6b Rz. 1 und 105, Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 6b Rz. 83, Jachmann in Kirchhof, EStG, § 6b Rn. 2 und 15, Jahndorf/Kleinmanns, DStR 2010, 1697, Kleinmanns/Gutowski, DStRE 2012, 398, Knoppe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Seite 267, Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6b Anm. 3, Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 6b Rz. 6, a. A. aus Sicht der Finanzverwaltung Mitschke, DStR 2012, 1629).

Zwar fallen die direkten Steuern in die Zuständigkeit der jeweiligen Mitgliedstaaten; diese müssen jedoch sämtliche Vorschriften unter Wahrung des Unionrechts ausgestalten (vgl. EuGH-Urteile vom 4.3.2004, Kommission/Frankreich, C-334/02, Slg 2004, I-2081, EWS 2004, 190, RIW 2004, 398, vom 11.3.2004 – C-9/02, de Lasteyrie du Saillant, Slg 2004, I-2409, EWS 2004, 180, RIW 2004, 392, Randnr. 44; vom 26.10.2006 – C-345/05, Kommission/Portugal, Slg 2006, I-10633, RIW 2007, 147, Randnr. 10). Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. EuGH-Urteile National Grid Indus, Randnr. 35, 36; de Lasteyrie du Saillant, Randnr. 45, jeweils m. w. N.). Mit der ausschließlichen Möglichkeit der Übertragung von stillen Reserven auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens einer inländischen Betriebsstätte (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG) liegt eine Ungleichbehandlung vor, die geeignet ist, Unternehmer von der Gründung ausländischer Zweigniederlassungen oder anderer Betriebsstätten im übrigen Unionsgebiet abzuhalten, was einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt.

Im Streitfall wurde ein dem Grunde nach begünstigtes Wirtschaftsgut aus dem Anlagevermögen der inländischen Betriebsstätte im Wirtschaftsjahr 2005/2006 veräußert. Dafür wurde ein Wirtschaftsgut für das Anlagevermögen der R-KG, einer ausländischen EU-Betriebsstätte, angeschafft. Da § 6b EStG gesellschafterbezogen zu sehen ist, ist diese Anschaffung anteilsmäßig dem Kläger zuzurechnen. Aufgrund des Wortlauts des § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG wäre eine Übertragung der stillen Reserven nicht möglich. Der Kläger ist daher an der gebotenen freien Entscheidung gehindert, ob er seine Tätigkeit in seinem Betrieb im Inland oder in einem anderen Betrieb im EU-Ausland –Ungarn - ausüben will (vgl. EuGH-Urteil Kommission/Portugal, Randnr. 22, zum Verstoß gegen u.a. die Niederlassungsfreiheit wegen des Inlandsbezugs einer neuerworbenen Immobilie im Hinblick auf die Steuerbefreiung für Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung von inländischen Immobilien nach dem Steuerrecht der Portugiesischen Republik).

Entgegen der Auffassung von Mitschke (in DStR 2012, 1629) kann im Streitfall der Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit auch auf die o.g. Entscheidung des EuGH (Kommission/Portugal) gestützt werden (vgl. FG Niedersachen in EFG 2012, 1031, Siewert in Frotscher, EStG, § 6b Rz. 1, Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6b Anm. 3, Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 6b Rz. 6). In diesem Zusammenhang ist nicht entscheidungserheblich, dass es sich bei § 6b EStG nur um eine Stundungsregelung und nicht um eine endgültige Steuerbefreiung handelt. Entscheidend ist, dass die Regelung des § 6b EStG den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit berührt, die deren Ausübung verhindert, beschränkt oder weniger attraktiv macht (vgl. EuGH-Urteil National Grid Indus, Randnr. 36, m. w. N.). Entscheidend ist weiter, dass der Fall des EuGH (Kommission/Portugal) auch mit dem Streitfall vergleichbar ist. Denn die Steuerbefreiung bzw. die Übertragung der § 6b-Rücklage für steuerpflichtige Gewinne aus der entgeltlichen Veräußerung einer inländischen Immobilie werden an den Erwerb einer inländischen Immobilie/eines zum Anlagevermögens gehörenden Wirtschaftsguts einer inländischen Betriebsstätte geknüpft.

Entgegen der Auffassung von Mitschke (in DStR 2012, 1629) stehen im Streitfall der Bejahung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit auch nicht die Urteile des EuGH vom 1.12.2011 (C-250/08, Kommission/Belgien, Slg 2011, I-12341-12389, und C-253/09, Kommission/Ungarn, Slg 2011, I-12391) entgegen. Diesen Fällen lag jeweils ein Inbound-Sachverhalt, d. h. im Ausland entstandene Wertzuwächse sollen ins Inland übertragen werden, zugrunde. Soweit der EuGH die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die sich aus belgischen und ungarischen Steuervergünstigungen beim Immobilienkauf ergeben, aus dem Kohärenzgedanken als gerechtfertigt angesehen hat, lässt sich dies nicht auf § 6b EStG übertragen. Denn nach § 6b EStG bleibt der Steuerzugriff des deutschen Fiskus im Falle einer späteren Veräußerung des Reinvestitionswirtschaftsguts auf die im Inland entstandenen (und übertragenen) stillen Reserven erhalten. Zwischen der Rechtsprechung des BFH (in BFHE 222, 402, BStBI. II2009, 469, BFH-Urteil vom 28.10.2009 – I R 99/08, BFHE 227, 83, BStBl. II 2011, 1019) und der Rechtsprechung des EuGH (National Grid Indus, Randnr. 48) besteht Einigkeit im Zusammenhang mit der Zuordnung von Betriebsstättengewinnen in abkommensrechtlicher Hinsicht darüber, dass stille Reserven, die dem Inland anhaften, auch im Inland besteuert werden (vgl. dazu auch Broemel/Endert, DB 2012, 2714, Siewert in Frotscher, EStG, § 6b Rz. 105, Knoppe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Seite 266, Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 6b Rz. 6, 78, m. w. N.). Im Streitfall geht es zudem um die Übertragung von stillen Reserven einer gemäß § 6b Abs. 3 EStG gebildeten Rücklage einer inländischen Betriebsstätte auf ein im EU-Ausland gelegenes Betriebsgrundstück (Outbound-Sachverhalt).

Zwingende Gründen des Allgemeininteresses , die einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich

cc) Der Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit könnte allerdings einer Rechtfertigung zugänglich sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine solche Rechtfertigung nur in zwingenden Gründen des Allgemeininteresses bestehen, die durch die infrage stehende Norm erreicht werden können, ohne dass diese über das notwendige Maß hinausgehen (vgl. z. B. EuGH-Urteile vom 15.5.2008 – C-414/06, Lidl Belgium, Slg 2008, I-3601, BB 2008, 1322, und C-337/08, X-Holding BV, Slg 2010, I-1215, BFH/NV 2010, 1064). Als mögliche Rechtfertigungsgründe kämen die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedsstaaten, die Wahrung der Kohärenz des Steuersystems oder die Vermeidung von Missbräuchen in Betracht (vgl. EuGH-Urteil National Grid Indus, Randnr. 42, m. w. N., rechtskräftiges Urteil des FG Niedersachsen in EFG 2012, 1031, Broemel/Endert, DB 2012, 2714). Derartige Rechtfertigungsgründe sind unter Einbeziehung der Rechtsprechung des FG Niedersachsen, des BFH und des EuGH im Streitfall nicht ersichtlich (vgl. rechtskräftiges Urteil des FG Niedersachsen in EFG 2012, 1031, BFH in BFHE 222, 402, BStBI. II2009, 469, EuGH-Urteil National Grid Indus, Hahn, jurisPR-SteuerR 6/2012, Anm. 2, a.A. Mitschke, DStR 2012, 1633, Musil, FR 2011, 545).

Wortlaut des § 6b EStG verstößt nach alledem hinsichtlich der Outbound-Gestaltung gegen geltendes EU-Recht

d) Der Wortlaut des § 6b EStG verstößt nach alledem hinsichtlich der Outbound-Gestaltung gegen geltendes EU-Recht. Das primäre Unionsrecht geht als supranationales Recht dem nationalen Recht vor. Der EuGH verlangt von den nationalen Gerichten die unionskonforme Rechtsanwendung. Die nationalen Gerichte haben nach Auffassung des EuGH unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von dem Unionsrecht verfolgten Ziel übereinstimmt (vgl. EuGH-Urteil vom 4.4.2006 – C-212/04, Adeneler, Slg 2006, I-6057, Rz. 108 ff.). Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, nationales Recht im Rahmen der Einheit der Rechtsordnung nach Möglichkeit normerhaltend anzuwenden. Danach ist 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts unionskonform so zu verstehen, dass zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte auch das Anlagevermögen einer Betriebsstätte im Unionsgebiet zählt.

Der Sinn und Zweck des § 6b EStG steht der unionskonformen Rechtsanwendung nicht entgegen. § 6b EStG dient einem der Rücklage für Ersatzbeschaffung vergleichbaren Zweck. Die Vorschrift soll steuerliche Hindernisse für die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens abbauen, die im Unternehmen nicht mehr benötigt werden und deren Veräußerung betriebswirtschaftlich geboten und volkswirtschaftlich wünschenswert wäre. Insoweit soll sie die Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter begünstigen und damit eine sinnvolle Anpassung der Unternehmen an strukturelle Veränderungen ermöglichen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Steueränderungsgesetzes 1964 in Bundestagsdrucksache 4/2004, Seite 62; BFH-Urteil vom 14.11.1990 – X R 85/87, BFHE 163, 58, BStBl. II 1991, 222, BB 1991, 384). Indem die anlässlich solcher Veräußerungen frei werdenden stillen Reserven auf Reinvestitionsgüter übertragen werden können, kommt es zur vorläufigen Freistellung des Veräußerungsgewinns von der Einkommensbesteuerung, was dem Betrieb Mittel für dringend erforderliche Investitionsvorhaben verschafft (vgl. dazu die Stellungnahme des Finanzausschusses in Bundestagsdrucksache 4/2617, Seite 4, BFH-Urteil vom 12.1.2012 – IV R 4/09, BFHE 236, 332, BB 2012, 1596). § 6b EStG bezweckt ferner, ökonomisch notwendige Umstrukturierungen mittels eines temporären Steuerverzichts des Staats zu erleichtern (vgl. Bundesratsdrucksache 193/64, Seite 64). Die Forderung nach der Zugehörigkeit eines Reinvestitionsguts zu einer inländischen Betriebsstätte geht zudem auf das Jahr 1964 zurück (vgl. StÄndG 1964, BGBl. I 1964, 885), in dem die freie Wahl der Niederlassung im Unionsgebiet weder für Unternehmen noch für den Gesetzgeber faktisch eine Rolle spielte.

Abweichend von § 6b Abs. 3 S. 2 und 4 EStG kann zur Sicherung des Besteuerungsrechts in der Steuerbilanz der inländischen Betriebsstätte des Klägers die § 6b Rücklage in Höhe von 900 Euro als Ausgleichsposten solange passiviert werden, wie das Reinvestitionsgrundstück zum Betriebsvermögen der ausländischen Betriebsstätte (R-KG) gehört. Dieser Ausgleichsposten bildet bilanztechnisch die Zuordnung der Steuerbefugnisse zu den beteiligten Mitgliedsstaaten richtig ab, da die § 6b-Rücklage im Inland noch nicht gewinnerhöhend aufgelöst wurde. Darüber hinaus ist der Kläger dadurch angehalten, jährlich im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses zu prüfen und zu erklären, ob der Ausgleichsposten weiterhin passiviert werden kann. Der jeweilige Jahresabschluss unterliegt der Überprüfung des FA. Bei Veräußerung des Reinvestitionsguts wäre der in der Steuerbilanz gebildete Ausgleichsposten aufzulösen und eine Besteuerung der stillen Reserven würde in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Andererseits ist das Reinvestitionsgrundstück in der Steuerbilanz der Betriebsstätte des anderen Mitgliedstaats Ungarn mit den vollen Anschaffungskosten ohne Abzug der § 6b-Rücklage zu aktivieren, da die nationale Regelung nach § 6b Abs. 3 S. 2 EStG in Ungarn keine Anwendung findet (vgl. rechtskräftiges Urteil des FG Niedersachsen in EFG 2012, 1031, und Kleinmanns/Gutowski, DStRE 2012, 399).

Damit ist die „Übertragung“ der stillen Reserven im Streitfall gewinnneutral zulässig; ein Zuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG hat nicht zu erfolgen.

Kostenentscheidung

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Zulassung der Revision und Verzicht auf die Vorlage beim BFH

4. Das Gericht lässt die Revision zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zu. Angesichts der Zulassung der Revision verzichtet das Gericht seinerseits auf die ihm mögliche Vorlage an den EuGH.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung

5. Die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die konsentierte Einzelrichterin beruht auf §§ 90 Abs. 2 i. V. m. § 79a Abs. 3, 4 FGO.

  

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