R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
02.06.2010
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH: Ernstliche Zweifel an Gewinnrealisierung bei Übertragung eines Wirtschaftsguts zwischen Schwesterpersonengesellschaften

BFH, Beschluss vom 15.4.2010 - IV B 105/09

Leitsatz

Auch nach Ergehen des BFH-Urteils vom 25.11.2009 - I R 72/08 (BB 2010, 562, DStR 2010, 269) ist ernstlich zweifelhaft, ob die Übertragung eines Wirtschaftsguts des Gesamthandsvermögens einer Personengesellschaft auf eine beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft zur Aufdeckung stiller Reserven führt .

Sachverhalt

I. Die Antragstellerin ist eine GmbH & Co. KG, an deren Vermögen die Kommanditisten K zu 67 % und B zu 33 % beteiligt sind. Im Streitjahr 2006 wurde eine weitere GmbH & Co. KG gegründet (S-KG), deren Kommanditisten ebenfalls K und B mit denselben Vermögensanteilen sind.

Die Antragstellerin war Eigentümerin von drei seit Jahren zum Betriebsvermögen gehörenden Grundstücken, die sie mit notariellem Vertrag vom 13.12.2006 auf die S-KG übertrug. Die Übertragung diente zur Erbringung der Kommanditeinlagen von insgesamt 10 000 EUR bei der S-KG. Zum Zeitpunkt der Übertragung betrugen die Buchwerte des Grund und Bodens sowie der Gebäude und baulichen Anlagen insgesamt 195 074,68 EUR. Die S-KG führte die Buchwerte fort und erfasste den die Kommanditeinlagen übersteigenden Betrag auf einem Rücklagekonto.

Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, die Grundstücke seien zum Teilwert aus dem Betriebsvermögen der Antragstellerin entnommen worden. Er ermittelte den Teilwert mit 675 000 EUR und erhöhte den Gewinn der Antragstellerin um 479 925,32 EUR.

Gegen den entsprechend nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2006 vom 2.2.2009 hat die Antragstellerin rechtzeitig Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Nachdem ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids in Höhe des Entnahmegewinns beim FA keinen Erfolg hatte, stellte die Antragstellerin beim FG einen Antrag auf AdV. Das FG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 17.7.2009 ab, ließ aber die Beschwerde zu.

Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin weiter geltend, § 6 Abs. 5 EStG sei auf die Übertragung der Grundstücke anzuwenden, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids beständen. Nach dem Transparenzprinzip erschienen steuerrechtlich Einkünfte und Vermögen der Gesellschaft als solche der Gesellschafter. Die Gesellschafter hätten im Betrieb der Gesellschaft auch eine Betriebsstätte und verfügten über Betriebsvermögen. Sie könnten Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen, die das Unterhalten eines eigenen Betriebsvermögens voraussetzten. Danach handele es sich bei der Übertragung der Grundstücke aus steuerlicher Sicht um die Überführung zwischen zwei Betriebsvermögen der Gesellschafter. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Beteiligungsidentität. Die Übertragung stehe damit einer Übertragung in das oder aus dem Betriebsvermögen des Gesellschafters nach § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 EStG gleich.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Niedersächsischen FG vom 17.7.2009 - 1 V 54/09 aufzuheben und die Vollziehung des Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2006 vom 2.2.2009 in Höhe eines Gewinns von 479 925,32 EUR auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es stützt sich auf die Entscheidung des FG und trägt vor, § 6 Abs. 5 EStG sei eine abschließende Regelung, die den Streitfall nicht erfasse. Eine erweiternde Auslegung würde den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil verkehren.

Aus den Gründen

            Begründetheit der Beschwerde

11        II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Aussetzung des angefochtenen Bescheids in dem beantragten Umfang.

            Aussetzung der Vollziehung

12        1. Nach § 69 Abs. 3 S. 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u. a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 2 FGO). Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des BFH vom 10.2.1967 - III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl. III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 20.5.1997 - VIII B 108/96, BFHE 183, 174, BB 1997, 1782 Ls, m. w. N.).

            Ernstliche Zweifel an Gewinnrealisierung bei Übertragung eines Wirtschaftsguts zwischen Schwesterpersonengesellschaften

13        2. Bei summarischer Prüfung hat der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Er neigt dazu, die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter zwischen Gesamthandsvermögen beteiligungsidentischer Personengesellschaften gegen Minderung und Gewährung von Gesellschaftsrechten zwingend zum Buchwert stattfinden zu lassen.

            Ausführungen desFG

14        a) Das FG hat zwar zutreffend ausgeführt, dass § 6 Abs. 5 S. 3 EStG die Übertragung zwischen den Gesamthandsvermögen von Schwestergesellschaften nicht regelt. Es trifft auch zu, dass im Gesetzgebungsverfahren gemachte Vorschläge zur ausdrücklichen Aufnahme dieser Vorgänge in § 6 Abs. 5 EStG nicht übernommen worden sind. Gleichwohl sieht sich der beschließende Senat bei summarischer Prüfung abweichend vom FG und der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des I. Senats des BFH mit Urteil vom 25.11.2009 - I R 72/08 (BB 2010, 562, DStR 2010, 269) nicht daran gehindert, die zwingende Buchwertverknüpfung auf Übertragungen zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zu erstrecken.

15        b) Dabei lässt er sich von folgenden Überlegungen leiten:

            Nach dem Subjektsteuerprinzip ist jedem Gesellschafter sein Anteil an den stillen Reserven der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens zuzuordnen

16        aa) Mit § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG hat sich der Gesetzgeber für eine transparente Besteuerung von Personengesellschaften entschieden. Die Personengesellschaft ist danach Steuerrechtssubjekt bei der Qualifikation und der Ermittlung der Einkünfte. Subjekt der Einkünfteerzielung ist hingegen der Gesellschafter (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3.7.1995 - GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl. II 1995, 617, BB 1995, 1827). Aus dem Subjektsteuerprinzip folgt, dass jeder Gesellschafter den auf ihn entfallenden Anteil an den erzielten Einkünften zu versteuern hat. Jedem Gesellschafter ist auch sein Anteil an den stillen Reserven der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens zuzuordnen.

            Verschiebung stiller Reserven zwischen den Gesellschaftern entspricht nicht dem Subjektsteuerprinzip

17        Eine Verschiebung stiller Reserven zwischen den Gesellschaftern entspricht nicht dem Subjektsteuerprinzip. Gleichwohl lässt das Gesetz in verschiedenen Fällen zu, dass stille Reserven auf andere Gesellschafter derselben Personengesellschaft übergehen. Dies gilt insbesondere bei Übertragungen von Einzelwirtschaftsgütern in den von § 6 Abs. 5 S. 3 EStG geregelten Fällen. Zu der Eröffnung dieses an sich systemwidrigen Transfers sah sich der Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3858, BStBl. I 2002, 35) genötigt, um erforderliche Umstrukturierungen von Personenunternehmen nicht durch aus der Substanz zu zahlende Ertragsteuern zu erschweren. Der Senat betrachtet dies als ausreichenden Rechtfertigungsgrund für die Verletzung des Folgerichtigkeitsgrundsatzes.

            Beibehaltung des Buchwerts bei Überführungen von Wirtschaftsgütern zwischen Einzel- und Sonderbetriebsvermögen bzw. zwischen zwei verschiedenen (Sonder-)Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen ist systemkonform

18            Folgerichtig ist es demgegenüber, wenn ein Steuersubjekt die ihm zuzuordnenden stillen Reserven ungeachtet dessen beibehält, in welchem Betriebsvermögen sich das betreffende Wirtschaftsgut befindet. Diesen Grundsatz regelt systemkonform § 6 Abs. 5 S. 1 EStG, der den Ansatz des Buchwerts bei der Überführung zwischen zwei Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen anordnet. Ebenfalls dem System entspricht es dann, wenn § 6 Abs. 5 S. 2 EStG die Beibehaltung des Buchwerts bei Überführungen von Wirtschaftsgütern zwischen Einzel- und Sonderbetriebsvermögen bzw. zwischen zwei verschiedenen Sonderbetriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen verlangt.

            Besteuerung stiller Reserven bedarf hier einer besonderen Rechtfertigung

19            Angesichts dessen bedürfte es einer besonderen Rechtfertigung dafür, stille Reserven der Besteuerung zu unterwerfen, wenn diese dadurch demselben Steuersubjekt zugeordnet bleiben, dass sie von dem Gesamthandsvermögen einer mitunternehmerischen Personengesellschaft unentgeltlich oder gegen Minderung und Gewährung von Gesellschaftsrechten in das Gesamthandsvermögen einer beteiligungsidentischen anderen mitunternehmerischen Personengesellschaft übertragen werden. Eine derartige Rechtfertigung ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht zu erkennen, dass sich der Gesetzgeber des UntStFG auf einen Rechtfertigungsgrund bezogen hätte. Die Aufdeckung stiller Reserven aufgrund einer derartigen Übertragung würde danach zu einer im Sinne des Folgerichtigkeitsgebots gleichheitswidrigen Besteuerung führen, denn sie kann sich weder auf die gesteigerte Leistungsfähigkeit des Gesellschafters noch auf eine Entstrickung und noch nicht einmal auf die erhöhte Gefahr einer späteren unbemerkten Entstrickung stützen.

            Verfassungskonforme Auslegung von § 6 Abs. 5 EStG

20        bb) Der Senat sieht sich zur Vermeidung eines solchen Gleichheitssatzverstoßes berechtigt und verpflichtet, § 6 Abs. 5 EStG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf Übertragungen zwischen den Gesamthandsvermögen von beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften zu erstrecken. Dies geschieht dadurch, dass auf diesen Vorgang § 6 Abs. 5 S. 1 EStG entsprechend angewendet wird. Denn bei transparenter Betrachtung wird das Wirtschaftsgut von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen desselben Gesellschafters überführt.

            Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

21        3. Der Senat entscheidet wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aufgrund mündlicher Verhandlung und nach § 10 Abs. 3 Halbs. 1 FGO in der Besetzung mit fünf Richtern. Er ist sich dessen bewusst, dass er von dem BFH-Urteil in DStR 2010, 269 abweicht. Eine Anfrage i. S. des § 11 Abs. 3 FGO wegen einer materiellen Rechtsfrage kommt in einem Verfahren wegen AdV, in dem die Rechtsfrage nicht endgültig zu beantworten ist, nicht in Betracht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 11 Rz 5).

stats