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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
22.07.2010
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH: Auslegung des Anschaffungskostenbegriffs nach Entnahme aus dem Betriebsvermögen

BFH, Urteil vom 13.4.2010 - IX R 22/09

Leitsatz

Veräußert ein i. S. des § 17 EStG qualifiziert beteiligter Gesellschafter Anteile an der Kapitalgesellschaft, die er zuvor aus seinem Betriebsvermögen in sein Privatvermögen überführt hat, so tritt der Teilwert oder der gemeine Wert dieser Anteile nur dann an die Stelle der (historischen) Anschaffungskosten, wenn durch die Entnahme die stillen Reserven tatsächlich aufgedeckt und bis zur Höhe des Teilwerts oder gemeinen Werts steuerrechtlich erfasst sind oder noch erfasst werden können.

Sachverhalt

I. Die Kläger sind Erben und Testamentsvollstrecker des verstorbenen Dr. A. L. (Erblasser).

Der Erblasser war bereits vor 1980 unmittelbar und mittelbar zu 26,74 % an der X Heimwerker und Freizeitbedarf Handels GmbH (im Folgenden: GmbH) beteiligt. Die GmbH war Komplementärin der X Heimwerker und Freizeitbedarf Handels GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG). Die Anteile des Erblassers an der GmbH waren zunächst Sonderbetriebsvermögen II des Erblassers bei der KG. Im Zuge der Gründung einer Beteiligungs- und Vermögensverwaltungsgesellschaft KGaA (im Folgenden: KGaA) am 13.6.1980, in die der Erblasser seine Anteile an der KG einbrachte, entnahm er seine Beteiligung an der GmbH in sein Privatvermögen. Der Teilwert betrug nach den Feststellungen der Großbetriebsprüfung 2.430.540 DM. Ein Entnahmegewinn (2.430.540 DM abzüglich Nominalwert 14.000 DM) wurde wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft des Feststellungsbescheids der KG für das Jahr 1980 steuerlich nicht erfasst.

Mit Wirkung zum 1.9.1985 (Streitjahr) veräußerte der Erblasser seine unmittelbare Beteiligung an der GmbH (17,284 %, Nominalwert 14.000 DM) für 3 Mio. DM an die KGaA. Einen Veräußerungsgewinn gab der Erblasser in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1985 nicht an, weil er der Ansicht war, an der GmbH nicht wesentlich beteiligt gewesen zu sein.

Nachdem das FA von der Anteilsveräußerung erfuhr, änderte er den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und berücksichtigte darin einen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG i.d.F. des Streitjahres von 2.986.000 DM (3 Mio. DM Veräußerungspreis abzüglich Nominalwert der Anteile von 14.000 DM). Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das FA nach dem Erlass weiterer, den vorliegenden Streitpunkt nicht betreffender Änderungsbescheide zurück.

Die Klage mit dem Begehren, einen Veräußerungsgewinn als Unterschied zwischen dem Veräußerungspreis (3 Mio. DM) und dem Entnahmewert (2.430.540 DM) in Höhe von 569.460 DM zu berücksichtigen, war erfolgreich. Das FG vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1293 veröffentlichten Urteil die Auffassung, der Entnahmewert trete an die Stelle der Anschaffungskosten. Dies gelte auch dann, wenn die Entnahme steuerrechtlich nicht erfasst worden sei. Denn § 17 EStG erfasse keine Wertveränderungen im Betriebsvermögen. Die Vorschrift bilde keine Korrekturnorm, durch die das FA nachträglich eine unterbliebene Besteuerung des Entnahmegewinns in früheren Veranlagungszeiträumen nachholen oder ausgleichen könne.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von § 17 EStG. Es seien die gleichen Grundsätze anzuwenden wie bei der Ermittlung der AfA-Bemessungsgrundlage. Ein Entnahmewert statt der Anschaffungskosten sei nur dann anzusetzen, wenn die stillen Reserven steuerlich erfasst worden seien.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Aus den Gründen

            Begründetheit der Revision

9          II. Die Revision ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Indem das FG den Veräußerungsgewinn als Differenz von Veräußerungspreis und (nicht steuerlich erfasstem) Entnahmewert ermittelt, verletzt es § 17 Abs. 2 EStG.

            Gewinn aus vder Anteilsveräußerung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb

10        1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Erblassers gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von 17,284 % der Anteile an der GmbH, weil er innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der GmbH mit 26,74 % zu mehr als ein Viertel (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG) beteiligt war. Darüber streiten die Beteiligten nicht (mehr).

            Veräußerungsgewinn: Differenz zwischen dem Veräußerungspreis und dem Nominalwert der Anteile...

11        2. Der Gewinn ist nach § 17 Abs. 2 EStG - wie vom FA zutreffend ermittelt - mit 2.986.000 DM der Betrag, um den der Veräußerungspreis von 3 Mio. DM den - als „historische" Anschaffungskosten anzusetzenden - Nominalwert der Anteile von 14.000 DM (Nennkapital) übersteigt (vgl. zu den historischen Anschaffungskosten Urteil des BFH vom 1.3.2005 - VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl. II 2005, 398, BB 2005, 975 mit Komm. H. Weber).

            ... und nicht - wie das FG meint - dem Teilwert der in das Privatvermögen entnommenen Anteile

12        Die Anschaffungskosten werden entgegen der Auffassung des FG nicht durch den Teilwert der in das Privatvermögen entnommenen Anteile gebildet.

            Anschaffungskosten bei entgeltlichem Erwerb der Anteile

13        a) Der in § 17 Abs. 2 EStG verwendete Begriff „Anschaffungskosten" ist i. S. des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) auszulegen. Anteile an einer Kapitalgesellschaft werden angeschafft, wenn sie ...entgeltlich erworben ... werden (vgl. zum Begriff der Anschaffung BFH-Urteil vom 19.8.2008 - IX R 71/07, BFHE 222, 484, BStBl. II 2009, 13, m. w. N.). Erwirbt der Steuerpflichtige z. B. Anteile durch Gründung der Kapitalgesellschaft, so besteht die Gegenleistung (der Anschaffungspreis) in den gesellschaftsrechtlichen Bar- und Sacheinlagen (BFH-Urteil vom 2.10.1984 - VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl. II 1985, 320, BB 1985, 978; vgl. zu Einzelheiten z. B. Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 160; Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 202; Gosch in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 17 Rz 205; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 28. Aufl., § 17 Rz 157).

            Tatbestandsmerkmal ist bei Überführung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft aus dem Betriebs- in das Privatvermögen nicht erfüllt

14        b) Überführt der Steuerpflichtige Anteile an einer Kapitalgesellschaft aus seinem Betriebs- in sein Privatvermögen, erwirbt er sie mangels Rechtsträgerwechsels nicht und schafft sie deshalb auch nicht i. S. von § 255 Abs. 1 HGB an. Dieser Vorgang erfüllt mithin nicht das Tatbestandsmerkmal „Anschaffungskosten" in § 17 Abs. 2 EStG.

            Entnahme der Anteile aus dem Betriebsvermögen wird allerdings als anschaffungsähnlicher Vorgang gesehen

15        aa) Allerdings wird die Entnahme der Anteile aus dem Betriebsvermögen als anschaffungsähnlicher Vorgang mit der Folge angesehen, dass an die Stelle der „historischen" Anschaffungskosten der Entnahmewert (Teilwert, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) tritt (BFH-Urteil vom 24.6.2008 - IX R 58/05, BFHE 222, 367, BStBl. II 2008, 872, unter II.3.c, m. w. N. aus dem Schrifttum).

            Voraussetzung ist, dass durch die Entnahme die stillen Reserven tatsächlich aufgedeckt und bis zur Höhe des Teilwerts oder gemeinen Werts steuerrechtlich erfasst werden

16        bb) Dies gilt aber - wie bei der vergleichbaren Bemessung der Absetzungen für Abnutzung nach der Entnahme eines abnutzbaren Wirtschaftsguts (vgl. dazu BFH-Urteil vom 3.5.1994 - IX R 59/92, BFHE 174, 422, BStBl. II 1994, 749, BB 1994, 1627 Ls) - nur dann, wenn durch die Entnahme die stillen Reserven tatsächlich aufgedeckt und bis zur Höhe des Teilwerts oder gemeinen Werts steuerrechtlich erfasst sind oder noch erfasst werden können. Denn nur in diesem Fall besteht ein Grund, die Geltungsanordnung des Gesetzes über den klaren Wortlaut hinaus teleologisch zu reduzieren und Wertansätze unter den Begriff der Anschaffungskosten zu subsumieren, die an sich nicht mit einem Erwerb der Anteile zusammenhängen. Ist nämlich ein Entnahmegewinn im Betriebsvermögen steuerrechtlich erfasst worden, käme es zu einer   Doppelberücksichtigung   der Wertsteigerungen, wenn die Anteile später veräußert werden und der Gewinn als die Differenz von Veräußerungspreis und (historischen) Anschaffungskosten ermittelt würde. Um eine derartige Doppelberücksichtigung zu vermeiden, tritt der Teilwert (oder der gemeine Wert) an die Stelle der historischen Anschaffungskosten (BFH-Urteil in BFHE 222, 367, BStBl. II 2008, 872, a.E.; so auch Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 207, Stichwort: Anteilsbewertung bei Entnahme aus einem Betriebsvermögen, und Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 180 a.E.).

            Bei steuerlicher Nichterfassung der stillen Reserven kann es zu keiner Doppelberücksichtigung kommen

17        cc) Sind aber die stillen Reserven tatsächlich nicht erfasst worden und können sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr erfasst werden, so kann es zu keiner Doppelberücksichtigung kommen. Einer einschränkenden Auslegung des § 17 Abs. 2 EStG bedarf es nicht. Die Wertsteigerungen werden entsprechend der gesetzlichen Intention allein durch § 17 EStG der Besteuerung unterworfen. Dabei zielt § 17 EStG entgegen der Vorinstanz (wie diese auch Pyszka in GmbH-Rundschau 1998, 1173) nicht nur auf Wertsteigerungen im Privatvermögen. Als Folge der Typisierung durch einen fest bestimmten Zeitrahmen (Fünfjahreszeitraum) unterwirft § 17 Abs. 1 EStG alle Anteilsveräußerungen der Besteuerung, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Woher die veräußerten Anteile stammen, ob sie - wie hier - aus dem Betriebsvermögen entnommen, als ursprünglich einbringungsgeborene entstrickt oder nachträglich - auch nach Absinken der Beteiligung zu einer unwesentlichen - erworben wurden, ist unerheblich (so explizit BFH-Urteil in BFHE 222, 367, BStBl. II 2008, 872, unter II.3.b). Nur dort, wo Wertsteigerungen bereits der Besteuerung unterworfen wurden, muss § 17 EStG über seinen Wortlaut hinaus teleologisch reduziert werden, damit es zu keiner Doppelberücksichtigung stiller Reserven kommen kann.

            Aufhebung des FG-Urteils

18        3. Da das FG-Urteil diesen Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen. Denn abgesehen von der Gewinnermittlung sind die übrigen Bestandteile des Steuertatbestandes außer Streit.

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