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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
01.12.2016
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG München: Anpassung einer vom Betriebsprüfer gebildeten Rückstellung für Steuerforderungen aufgrund Bp nach Herabsetzung der Steuerforderungen im Einspruchsverfahren

FG München, Urteil vom 19.9.2016 – 7 K 621/16

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2016-2992-1

unter www.betriebs-berater.de

Leitsatz des Kommentators

Rückstellungen sind nur für Steuern zu bilden, mit denen der Steuerpflichtige bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns konkret rechnen muss. Auf die Rechtsansicht des Betriebsprüfers kommt es nicht an.

HGB § 249 Abs. 1 Nr. 1; EStH 4.9

Sachverhalt

Streitig ist, in welchen Veranlagungszeiträumen Rückstellungen für Mehrsteuern, die der Prüfer in den Prüfungsjahren gebildet hat, aufzulösen sind.

Die Klägerin, eine GmbH, vertreibt ...in Deutschland und im europäischen Ausland. Der Beklagte (das Finanzamt) führte bei ihr eine Außenprüfung durch. Prüfungszeitraum waren die Jahre 2003 bis 2006. Auf den Bericht über die Außenprüfung vom 30. Dezember 2009 und den Bericht der Fachprüferin über die Prüfung von Auslandsbeziehungen vom 18. Dezember 2009 wird Bezug genommen. Auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen bildete der Prüfer in den Prüfungsjahren Rückstellungen für Mehrsteuern. Er bildete u.a. eine Gewerbesteuerrückstellung zum 31.12.2004 in Höhe von 95.580 € sowie Umsatzsteuerrückstellungen zum 31.12.2005 in Höhe von 215.043 € und zum 31.12.2006 in Höhe von 131.702 € (vgl. hierzu TZ 1.7 “Mehrsteuern lt. BP“ des Prüfungsberichts).

Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ unter dem Datum 1. Februar 2010 u.a. geänderte Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre, Umsatzsteuerbescheide für 2005 und 2006 sowie Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes jeweils zum 31.12.2004 bis 31.12.2006. Die Körperschaftsteuer 2005 und der Gewerbesteuermessbetrag 2005 wurden auf 0 Euro festgesetzt. Die Klägerin legte gegen die geänderten Steuerbescheide Einspruch ein.

Die Einsprüche wegen Umsatzsteuer 2005 und 2006 hatten Erfolg. Der Prüfer hatte die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen nicht anerkannt, da keine ordnungsgemäßen Ausfuhrnachweise vorgelegt worden seien (vgl. hierzu TZ.6 des Prüfungsberichts vom 30. Dezember 2009). Im gerichtlichen Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das Finanzgericht München die beantragte AdV mit Beschluss vom 14. Dezember 2010 ab (Az.: 3 V 2548/10). Begründet wurde dies insbesondere damit, dass es sich bei den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht um die Originalbelege handelte. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens legte die Klägerin weitere Nachweise vor und machte die Durchführung der Ausfuhrlieferungen glaubhaft. Mit Änderungsbescheiden vom 8. November 2013 wurde die Umsatzsteuer nach Betriebsprüfung um 212.943 € (2005) und um 130.452 € (2006) herabgesetzt.

Im Einspruchsverfahren gegen die geänderten Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuermess- und Verlustfeststellungsbescheide unterbreitete das Finanzamt mit Schreiben vom 28. August 2015 einen Vorschlag zur einvernehmlichen Erledigung der streitigen Feststellungen für den Prüfungszeitraum. Dabei berechnete es – auf Grundlage der vorgeschlagenen Teilabhilfe – die ursprünglich vom Prüfer zum 31.12.2004 angesetzte Gewerbesteuerrückstellung neu und verminderte sie um 70.100 €. Des Weiteren ging das Finanzamt davon aus, dass die Umsatzsteuerrückstellungen, die vom Prüfer zum 31.12.2005 und zum 31.12.2006 gebildet worden waren, aufgrund des Ausgangs des die Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 betreffenden Einspruchsverfahrens um 212.943 € bzw. 130.452 € zu mindern seien. Die betragsmäßigen Auswirkungen des Erledigungsvorschlags stellte das Finanzamt wie folgt dar:

Körperschaftsteuer 2003 bis 2006 (in €)

 

2003

2004

2005

2006

Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag

lt. BP

-264.218 €

1.701.283

-408.935

104.361

Auslösung USt-RSt

 

 

212.943

130.452

Anpassung GewStRSt

 

70.100

 

-43.900

vGA/Verrechnungspreise

 

 

0

0

Abzug nach § 60 Abs. 2 S. 1

EStDV

 

 

-1.180.751

 

 

Hinzurechnungen

12.200

213.099

9.842

71.829

Zwischensumme

-252.018

803.731

 

 

ausländische DBA-Einkünfte

213.395

149.098

174.104

260.659

Gesamtbetrag der Einkünfte

-38.623

952.829

-12.046

523.401

Verlustabzug

Vortrag zum 31.12.02 594.323

Vortrag zum 31.12.03 632.946

Vortrag zum 31.12.04            0

Vortrag zum 31.12.05   12.046

Vortrag zum 31.12.06           0

 

632.946

 

12.046

Einkommen/zu versteuerndes

Einkommen

-38.623

319.883

-12.046

511.355

Körperschaftsteuer 25%

0

79.970

0

127.838

 

Gewerbesteuer 2003 bis 2006

 

2003

2004

2005

2006

Gewinn aus Gewerbebetrieb

-38.623

952.829

-12.046

523.401

Gewerbeverlust

zum 31.12.02  744.395

zum 31.12.03  783.018

zum 31.12.04            0

zum 31.12.05    12.046

zum 31.12.06              0

 

783.018

 

12.046

Gewerbeertrag, abgerundet

-38.623

169.800

-12.046

511.300

Gewerbesteuermessbetrag

0

8.490

0

25.565

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 wies das Finanzamt auf die Möglichkeit der Verböserung gemäß § 367 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) im Einspruchsverfahren hin.

Die Klägerin erklärte sich mit dem Einigungsvorschlag für 2004 einverstanden. Sie widersprach jedoch der gewinnerhöhenden Auflösung der Umsatzsteuerrückstellungen in 2005 und 2006. Ausgehend von den Prüfungsfeststellungen und dem Prüfungsbericht habe die wirtschaftliche Verursachung in 2005 und 2006 bestanden, so dass die Rückstellungen zu den Bilanzstichtagen 31.12.2005 und 31.12.2006 zu bilden gewesen seien. Eine Auflösung sei erst mit Abschluss der Einspruchsverfahren gegen die Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 im Jahr 2013 vorzunehmen. Der – bei Ansatz der Umsatzsteuerrückstellung – negative Gesamtbetrag der Einkünfte bei der Körperschaftsteuer in 2005 in Höhe von 224.999 € sei in voller Höhe nach 2004 zurückzutragen. Ansonsten erklärte sich die Klägerin mit den Berechnungen im Hinblick auf die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag einverstanden (vgl. hierzu das Schreiben der Klägerin vom 23. Oktober 2015).

Mit Schreiben vom 30. November 2015 hielt das Finanzamt an seiner Auffassung fest, dass die Umsatzsteuerrückstellungen im Jahr 2005 und 2006 aufzulösen seien und wies auf die Möglichkeit einer Rücknahme der Einsprüche und die steuerlichen Folgen einer Rücknahme hin.

Am 11. Dezember 2015 erließ das Finanzamt auf Grundlage des Einigungsvorschlags geänderte Steuerbescheide für 2004 und erklärte die Einsprüche für erledigt. Einen

Verlustrücktrag aus 2005 nahm es nicht vor. Die Klägerin legte gegen die geänderten Bescheide mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 und 13. Januar 2016 Einspruch ein. Sie wandte sich gegen die gewinnerhöhende Auflösung der Gewerbesteuerrückstellung im Jahr 2004 und die Nichtberücksichtigung des begehrten Verlustrücktrags aus 2005 im Körperschaftsteuerbescheid 2004.

In der Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2016 folgte das Finanzamt seinem Erledigungsvorschlag und hielt an der Auflösung der Steuerrückstellungen fest. Der Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2004 hatte in geringem Umfang Erfolg. Das Finanzamt berücksichtigte einen Verlustrücktrag aus dem Jahr 2005 in Höhe von 12.046 €. Einen darüberhinausgehenden Verlustrücktrag aus 2005 lehnte es ab. Der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2005 wurde auf 0 € (vorher: 159.028 €) festgestellt, der vortragsfähige Gewerbeverlust zum 31.12.2005 auf 12.046 € (vorher: 159.028 €). Die Körperschaftsteuer 2006 wurde auf 130.850 € und der Gewerbesteuermessbetrag 2006 auf 25.565 € heraufgesetzt. Die Einsprüche gegen den Körperschaftsteuer- und den Gewerbesteuermessbetrag 2005 verwarf das Finanzamt mangels Beschwer als unzulässig. Im Übrigen wies es die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Nichtberücksichtigung der Rückstellungen führte es an, dass Rückstellungen nur zu bilden seien, wenn und soweit der ordentliche Kaufmann nach den an den einzelnen Bilanzstichtagen objektiv gegebenen und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren Verhältnissen ernsthaft damit rechnen muss, dass die Verbindlichkeit besteht oder entstehen wird. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin habe am Bilanzstichtag nicht mit den streitgegenständlichen Mehrsteuern rechnen müssen. Auf die Frage, unter welchen Bedingungen Rückstellungen aufzulösen seien, komme es deshalb nicht an

Die hiergegen gerichtete Klage wird im Wesentlichen wie folgt begründet:

In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt die Klägerin, dass der Verböserungshinweis des Finanzamts vor Ergehen der Einspruchsentscheidung nicht den an ihn zu stellenden Anforderungen genüge. Das Finanzamt habe im Schreiben vom 16. Oktober 2015 nur auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen, ohne nähere Ausführungen hierzu zu machen. Ein abstrakter Hinweis – wie im Streitfall – genüge nicht. Vielmehr müsse sich der Verböserungshinweis auf den konkreten Fall beziehen und mit Angabe von Gründen versehen sein, die das Maß der geplanten Änderung offen legen.

Die Klägerin wendet sich weiterhin gegen die Auflösung der Rückstellungen für Mehrsteuern in den Streitjahren.

Entgegen der Auffassung des Finanzamts seien die im Rahmen der Betriebsprüfung gebildeten Steuerrückstellungen wegen des Ausgangs der Rechtsbehelfsverfahren nicht in den Jahren 2004 bis 2006, sondern erst in den Jahren gewinnerhöhend aufzulösen, in denen die Einspruchsverfahren endgültig abgeschlossen wurden. Dies sei erst in 2013 (Umsatzsteuer) bzw. 2015 (Gewerbesteuermessbetrag) der Fall gewesen.

Im Streitfall seien die Rückstellungen für die Mehrsteuern aus der Betriebsprüfung – da es sich nicht um hinterzogene Mehrsteuern handelte – in den Jahren der wirtschaftlichen Zugehörigkeit gebildet worden. Dieses Vorgehen sei zwischen den Beteiligten unstrittig.

Die Rückstellungen für Gewerbesteuer und Umsatzsteuer seien jedoch erst in 2013 bzw. 2015 aufzulösen, da in diesen Jahren durch den endgültigen Abschluss der Rechtsbehelfsverfahren die wesentlichen Grundlagen für die Herabsetzung der passivierten Steuern eingetreten seien. Eine Rückstellung sei nach allgemeinen Rechtsprechungsgrundsätzen aufzulösen, wenn das Risiko der Inanspruchnahme nicht mehr bestehe. Ebenso wie in dem Fall, den das Finanzgericht München mit Urteil vom 24. Juni 1986 (Az.: II 17/81, EFG 1987, 58) entschieden habe, habe auch die Klägerin bereits vor Erlass der Steuerbescheide ausweislich der Schlussbemerkungen im Betriebsprüfungsbericht Einwendungen gegen die Prüfungsfeststellungen erhoben, ohne dass diese vom Betriebsprüfer bzw. von der Veranlagungsstelle berücksichtigt worden seien. Damit könne die Höhe der Rückstellungen nicht rückwirkend dem Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens angepasst werden.

Für den Streitfall ließen sich auch die Rechtsprechungsgrundsätze heranziehen, die im Zusammenhang mit der Auflösung von Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten entwickelt worden seien. Zu berücksichtigen seien nach der Wertaufhellungstheorie bessere Erkenntnisse über das Risiko der Inanspruchnahme, die nach dem Bilanzstichtag, aber vor Bilanzaufstellung erworben werden. Nicht zu berücksichtigen seien nach dem Bilanzstichtag eintretende neue Tatsachen (wertbegründende Eigenschaften). Bei den abgeschlossenen Einspruchsverfahren im Streitfall handele es sich um Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen von Verbindlichkeiten (Steuerschulden). Hinsichtlich der Frage des Zeitpunkts der Auflösung hierfür gebildeter Rückstellungen sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs der Zeitpunkt maßgebend, an dem die gerichtliche oder außergerichtliche Rechtsstreitigkeit abschließend beendet sei, beispielsweise durch Urteil oder Schuldanerkenntnis. Diesen komme ansatzbegründende Eigenschaft zu und sie seien damit nicht als wertaufhellend am ursprünglichen Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Nach diesen Grundsätzen sei im Streitfall der jeweilige Abschluss des Einspruchsverfahrens als prozessbeendende Maßnahme anzusehen.

Eine rückwirkende Korrektur der Rückstellungen aus dem Prüfungsbericht für 2004 bis 2006 würde nach der Rechtsprechung voraussetzen, dass die Steuerrückstellungen zu Unrecht gebildet wurden, die Voraussetzungen für die Bildung schon in früheren Jahren weggefallen sind, wenn sie einer neueren, aus einer besseren Erkenntnis geschöpften Rechtsprechung nicht mehr entsprechen bzw. wenn sie objektiv von Anfang an nicht rechtmäßig waren und nur von den Beteiligten rechtsirrtümlich für zulässig angesehen wurden. Aus dem Verfahrensablauf sei aber ersichtlich, dass keine einzige dieser Voraussetzungen im Streitfall vorliege.

Mit Schriftsätzen vom 7. April 2016 und vom 31. August 2016 vertieft die Klägerin ihr Vorbringen:

Die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen für Mehrsteuern hätten im Streitfall zu den Bilanzstichtagen objektiv vorgelegen bzw. die Rückstellungen seien nicht rückwirkend aufzulösen. Dies lasse sich anhand der Rechtsprechung aufzeigen, die zu identischen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sei und allgemeine Rechtsprechungsgrundsätze anführe. Die Klägerin verweist hier insbesondere auf das BFH-Urteil vom 15. März 2012 (III R 96/07 [BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel]), den BFH-Beschluss vom 17. Juli 2012 (I B 56/12, 57/12) sowie das Urteil des FG Niedersachsen vom 15. März 2012 (6 K 43/10, [BB-Entscheidungsreport Heß BB 2012, 1854] EFG 2012, 1390). Demnach seien Mehrsteuern zu passivieren, wenn bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns mit der Entstehung der Mehrsteuern gerechnet werden müsse. Maßgeblich sei deshalb ausschließlich, ob mit Mehrsteuern aus der Betriebsprüfung zu rechnen war, so dass es nicht auf eine Differenzierung hinsichtlich des Grundes der zurückgestellten Mehrsteuern ankomme. Im Streitfall seien die Rückstellungen aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung objektiv zu Recht gebildet worden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Betriebsprüfer im Prüfungsbericht bzw. das Finanzamt in den darauf folgenden Steuerbescheiden die Klägerin hieraus in Anspruch genommen habe. Es könne nur darauf ankommen, ob sich aus einer Betriebsprüfung nach Ansicht des jeweiligen Finanzamts Mehrsteuern ergeben haben oder nicht.

Voraussetzung für die Beibehaltung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten sei das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende

Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Bei bereits erfolgter außergerichtlicher oder gerichtlicher Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen stelle sich die Frage der Wahrscheinlichkeit nicht mehr. Die einmal erfolgte Inanspruchnahme wirke bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens fort. Zudem habe das Finanzgericht München mit Beschluss vom 14. Dezember 2010 (3 V 2548/10) die AdV der Umsatzsteuer 2005 und 2006 abgelehnt. Somit sei auch objektiv die Berechtigung der Rückstellungsbildung bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nachgewiesen.

Für den Zeitpunkt der Korrektur der Rückstellungen für Mehrsteuern sei nach dem Imparitätsprinzip – wonach ein Kaufmann nicht realisierte Gewinne erst bei endgültiger Realisierung erfassen darf – der Zeitpunkt heranzuziehen, zu dem die Einspruchsverfahren abgeschlossen wurden, da auch erst dann der Gewinn aus der Herabsetzung der Rückstellungen tatsächlich realisiert worden sei. Das Niedersächsische Finanzgericht habe in seinem Urteil vom 15. März 2012 eine rückwirkende Herabsetzung der Steuerrückstellungen in Anlehnung an den Ausgang des Einspruchsverfahrens auch im Hinblick auf das Vorsichtsprinzip abgelehnt. Auch dem Beschluss des BFH vom 17. Juli 2012 (I B 56/12, 57/12) lasse sich entnehmen, dass ein nachträglich eintretendes Ereignis die ursprünglich gebildeten Steuerrückstellungen der Höhe nach nicht beeinflusst.

Da die Gründe für die Rückstellungsbildung erst mit Abschluss des Einspruchsverfahrens weggefallen seien und keine bessere Erkenntnis aus neuer Rechtsprechung vorgelegen habe, sei nach BFH-Rechtsprechung eine rückwirkende Korrektur nicht möglich. Auch hätten die Beteiligten die gebildeten Steuerrückstellungen nicht rechtsirrtümlich für zulässig angesehen. Dies lasse sich bereits daraus erkennen, dass die Klägerin gegen Widerstände ein jahrelanges Rechtsbehelfs- und Klageverfahren beschreiten musste, um letztlich zu einem erfolgreichen Abschluss zu kommen.

Überdies verstoße eine rückwirkende Auflösung der Steuerrückstellungen im Jahr ihrer Bildung auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Denn das Finanzamt sei ungeachtet der Einwendungen der Klägerin jahrelang von der Berechtigung der in den Steuerbescheiden festgesetzten Umsatzsteuernachzahlungen und damit der Steuerrückstellungen ausgegangen und habe sich auch bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nicht von seinem Standpunkt abbringen lassen. Wenn es nunmehr die Auffassung vertrete, die Voraussetzungen für die Bildung der Rückstellungen hätten ursprünglich nicht vorgelegen, so stelle dies ein widersprüchliches Verhalten dar, das gegen den auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz des venire contra factum proprium verstoße.

Die Klägerin beantragt,

den Körperschaftsteuerbescheid 2004 und den Gewerbesteuermessbescheid 2004 jeweils vom 11. Dezember 2015, den Körperschaftsteuerbescheid 2006 und den Gewerbesteuermessbescheid 2006 jeweils vom 1. Februar 2010 sämtliche in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2016 dahingehend zu ändern, dass die Körperschaftsteuer auf 6.198 € (in 2004) auf 98.237 € (in 2006) und der Gewerbesteuermessbetrag auf 4.985 € (in 2004) und 8.395 € (in 2006) festgesetzt wird. Weiter beantragt sie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2004, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2004 jeweils vom 11. Dezember 2015, die Bescheide über die gesonderte Feststellung des Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2005 und 31.12.2006, die Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2005 und 31.12.2006 jeweils vom 1. Februar 2010, sämtliche in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2016 dahingehend anzupassen, dass bei Feststellung des vortragsfähigen Verlustes Rückstellungen in Höhe von 70.100 € (in 2004), 212.943 € (in 2005) und 130.452 € (in 2006) berücksichtigt werden sowie den Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheid 2005 jeweils vom 1. Februar 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2016 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Finanzamt verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend bringt es vor, der Verböserungshinweis habe klar zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen und in welcher Höhe es beabsichtigte, die Steuerfestsetzungen bei Ergehen einer Einspruchsentscheidung zu Ungunsten der Klägerin zu ändern.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und auf die vorgelegten Unterlagen und Akten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Aus den Gründen

 

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, soweit die Klägerin die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 2005 und des Gewerbesteuermessbescheides 2005 begehrt. Im Übrigen ist sie unbegründet.

 

I. Die auf Änderung des Körperschaftsteuer- und des Gewerbesteuermessbescheides 2005 gerichtete Klage ist mangels Beschwer unzulässig.

 

1. Die Körperschaftsteuer 2005 wurde auf Null € festgesetzt. Die Klägerin macht geltend, dass ein höherer Verlust in 2005 entstanden ist. Sie begehrt den Rücktrag dieses Verlustes aus 2005 auf das Einkommen des Jahres 2004. Über Grund und Höhe des rücktragbaren Verlustes nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG ist jedoch nicht im Entstehungsjahr zu entscheiden, sondern in dem Jahr, in dem sich der Verlustrücktrag steuerlich auswirkt, hier im Streitjahr 2004 (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27. Januar 2010 IX R 59/08, BStBl II 2010, 1009 m.w.N. [BB 2010, 1519 m. BB-Komm. Felten]). Darüber hinaus hat der Körperschaftsteuerbescheid 2005 hinsichtlich des Einkommens keine Bindungswirkung für den Verlustfeststellungsbescheid zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2005. Zwar wurde mit Neuregelung des § 10d Abs. 4 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010 vom 8. Dezember 2010, BGBl I 2010, 1768) – die über die Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG auch im Bereich des Körperschaftsteuerrechts gilt – eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an den Körperschaftsteuerbescheid erreicht. Gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist die Neufassung des § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG für Verluste anzuwenden, für die – was im Streitfall nicht der Fall war – nach dem 13. Dezember 2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird.

 

2. Die auf Änderung des Gewerbesteuermessbescheides 2005 gerichtete Klage ist mangels Beschwer unzulässig, da der Gewerbesteuermessbescheid auf Null € festgesetzt wurde und mit der Klage lediglich die Feststellung eines höheren vortragsfähigen Gewerbeverlustes erreicht werden soll. Der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2005 hat keine Bindungswirkung für den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes. Die vorstehenden Ausführungen hierzu unter Ziff. 1 gelten entsprechend. Die Neuregelung des § 35b Abs. 2 Satz 2 und 3 GewStG i.d. Fassung des JStG 2010 entspricht der Neuregelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG (vgl. hierzu Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 35b GewStG Rz. 32ff).

 

II. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Das Finanzamt hat die streitgegenständlichen Rückstellungen für Mehrsteuern zu Recht nicht in den Streitjahren berücksichtigt.

 

1. Soweit die angefochtenen Verwaltungsakte durch die Einspruchsentscheidung zum Nachteil der Klägerin geändert wurden (Verböserung), war dies verfahrensrechtlich zulässig. Der Verböserungshinweis des Finanzamts genügte den Anforderungen des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO.

 

a) Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO kann der angefochtene Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern. Der Einspruchsführer soll die Gelegenheit erhalten, den Einspruch zurückzunehmen und dadurch die Verböserung abzuwenden (BFH-Urteil vom 20. November 1989 VI R 124/88, BStBl II 1990, 414 [BB 1990, 774 Ls]; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 367 AO Rz. 192 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt ein Hinweis, der erkennen lässt, in welchem Umfang das Finanzamt seine Rechtsauffassung geändert hat (BFH-Urteil vom 21. September 1983 II R 153/82, BStBl II 1984, 177 [BB 1984, 198]; vom 15. Dezember 1992 VIII R 27/91, BFH/NV 1993, 599).

 

b) Nach diesen Maßstäben hat das Finanzamt den Anforderungen des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO Rechnung getragen. Mit Schreiben vom 28. August 2015 hat es die beabsichtigen Änderungen der einzelnen Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre erläutert und die sich hieraus ergebenden steuerlichen Auswirkungen im Einzelnen dargelegt. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2015, das auf das vorangegangene Schreiben vom 28. August 2015 Bezug nahm, teilte das Finanzamt der Klägerin mit, dass nach Ablauf der gesetzten Äußerungsfrist eine Einspruchsentscheidung ergehe und wies ausdrücklich auf die Möglichkeit der Verböserung im Einspruchsverfahren nach § 367 Abs. 2 AO hin. Nach Eingang der Stellungnahme der Klägerin wies es mit Schreiben vom 30. November 2015 auf die Möglichkeit einer Rücknahme der Einsprüche und die Folgen einer Rücknahme hin. Diese Erläuterungen und Hinweise waren für eine Entscheidungsbildung der Klägerin ausreichend. Der Verböserungshinweis im Schreiben vom 16. Oktober 2015 lässt Umfang und Ausmaß der beabsichtigten Änderungen erkennen, da er nicht abstrakt ausgesprochen wurde, sondern erkennbar auf das vorangegangene Schreiben des Finanzamts vom 28. August 2015 Bezug genommen wurde.

 

2. Das Finanzamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die vom Prüfer gebildeten streitgegenständlichen Rückstellungen für Mehrsteuern (Gewerbesteuer und Umsatzsteuer) unzutreffend waren und daher in den Jahren zu korrigieren sind, in denen sie vom Prüfer gebildet worden waren.

 

a) Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die handelsrechtlichen GoB ergeben sich insbesondere aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs “Vorschriften für alle Kaufleute“ der §§ 238ff des Handelsgesetzbuchs (HGB).

 

aa) Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH entweder – erstens – das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit oder – zweitens – die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer – ggf. zugleich auch ihrer Höhe nach noch ungewissen – Verbindlichkeit und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2009 I R 43/08, BStBl II 2012, 688 [BB 2010, 627 m. BB-Komm. Kleinmanns]; BFH-Urteil vom 20. August 2008 I R 19/07, Bundessteuerblatt II 2011, 60 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (BFH-Urteil vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BStBl II 2002, 688 [BB 2002, 1141 m. BB-Komm. Hommel]). Dieser muss darüber hinaus ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BStBl II 1993, 891 m.w.N. [BB 1994, 37]).

 

bb) Hiervon ausgehend sind nach ständiger Rechtsprechung Rückstellungen für Mehrsteuern, die auf Steuerhinterziehung beruhen, regelmäßig erst dann zu bilden, wenn der Steuerpflichtige aufgrund eines hinreichend konkreten Sachverhalts ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss, also frühestens, wenn der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat (sog. aufdeckungsorientierte Maßnahme). Weder die Kenntnis des Steuerpflichtigen von der Steuerhinterziehung noch die allgemeine Erfahrung, dass nach Durchführung einer Außenprüfung häufig mit Steuernachforderungen zu rechnen ist, reichen für die Bildung einer Rückstellung aus (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 2001 VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731 [BB 2002, 1359 m. BB-Komm. Schulze-Osterloh]; Krumm in Blümich, EStG, § 5 Rz. 920). Demgegenüber ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage des Zeitpunkts der Berücksichtigung von – nicht hinterzogenen – Mehrsteuern infolge einer Außenprüfung uneinheitlich (vgl. hierzu Wendt, Finanzrundschau 2013, S. 121 ff; Krumm in Blümich, EStG, § 5 Rz. 920; für einer Berücksichtigung erst im Jahr der Kenntnis des Steuerpflichtigen von den Mehrsteuern: BFH-Urteil vom 16. Dezember 2009 I R 43/08, BStBl II 2012, 688 [BB 2010, 627 m. BB-Komm. Kleinmanns]; Passivierung zu Lasten des Jahres der Steuerentstehung: BFH-Urteil vom 15. März 2012 III R 96/07, BStBl II 2012, 719 [BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel]). In der Praxis erfolgt die Bildung von Rückstellungen für Mehrsteuern regelmäßig im Jahr ihrer wirtschaftlichen Entstehung, also im jeweiligen Prüfungsjahr (EStH 4.9; LFSt Bayern vom 10. März 2015 S 2133.1.1-7/5 St 31a).

 

cc) Aufzulösen sind Rückstellungen, sobald und soweit die Voraussetzungen ihrer Bildung an späteren Bilanzstichtagen entfallen (§ 249 Abs. 3 Satz 2 HGB, vgl. BFH-Urteil vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BStBl II 2002, 688 [BB 2002, 1141 m. BB-Komm. Hommel]). Gleiches gilt nach dem Grundsatz des sog. formellen Bilanzzusammenhangs (dazu z.B. BFH-Urteil vom 13. Februar 2008 I R 44/0, BStBl II 2008, 673), wenn und soweit die Rückstellung von Anfang an nicht hätte gebildet werden dürfen und dieser Fehler nicht zu einem früheren Zeitpunkt korrigiert werden kann, weil er in einem bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid berücksichtigt worden ist und jener Bescheid aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht geändert werden kann.

 

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Finanzamt zu Recht die vom Prüfer in den Prüfungsjahren 2005 und 2006 gebildeten Umsatzsteuerrückstellungen in der Höhe herabgesetzt, in der die Einsprüche der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 erfolgreich waren. Anders als die Klägerin meint, ist die Auflösung der Rückstellungen nicht im Jahr der Erledigung der Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide (2013) vorzunehmen. Vielmehr ist sie in den Jahren, in denen der Prüfer die Rückstellungen gebildet hat, insoweit rückgängig zu machen, wie nach dem Ergebnis des abgeschlossenen Rechtsbehelfsverfahrens materiell-rechtlich keine Steuerschulden bestanden

 

aa) Der Prüfer hat auf Grundlage der von ihm getroffenen Prüfungsfeststellungen Rückstellungen für Mehrsteuern gebildet. Gegen diese in der Praxis übliche Handhabung, wonach Mehrsteuern nach einer Betriebsprüfung, die – wie im Streitfall – nicht auf einer Steuerhinterziehung beruhen, im Jahr ihrer wirtschaftlichen Entstehung gebildet werden, erhebt die Klägerin keine Einwendungen. Hinter der (rückwirkenden) Bildung der Rückstellung im Prüfungsjahr durch den Prüfer steht das Bestreben, die Steuerlast mit dem Jahr zu verbinden, zu der sie wirtschaftlich gehört. Dies schließt es ein, dass die tatsächlich geschuldete Steuer, wie sie sich vor Rechtskraft darstellt, der Bilanzierung zu Grunde zu legen ist (BFH-Urteil vom 19. Dezember 1961 I 66/61 U, BStBl III 1962, 64; anders bei eingetretener Rechtskraft: FG München, Urteil vom 24. Juni 1986 II 17/81 F,G). Vom Prüfer gebildete Rückstellungen für Mehrsteuern sind daher herabzusetzen, wenn und soweit Mehrsteuern – wie im Streitfall – bis zur rechtskräftigen Veranlagung niedriger festgesetzt werden. Die Erkenntnis, dass die vom Prüfer ursprünglich angesetzten Umsatzsteuerrückstellungen 2005 und 2006 überhöht waren, ergibt sich ohne weiteres aus den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2005 und 2006 vom 8. November 2013 und war im Einspruchsverfahren gegen die streitgegenständlichen Steuerbescheide zu berücksichtigen.

 

bb) Die Klägerin kann sich im Streitfall auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie die Umsatzsteuerrückstellungen bereits bei Aufstellung der Bilanzen zum 31.12.2005 und 31.12.2006 hätte bilden müssen und die Bilanzen insoweit unrichtig waren. Denn die Voraussetzungen für die Bildung der Rückstellungen lagen an den Bilanzstichtagen nicht vor.

 

(1) Für die Passivierungspflicht und damit für die Frage, ob die Bilanz richtig oder unrichtig ist, kommt es auf den Erkenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns bei Aufstellung der Bilanz an. Der Steuerpflichtige hat daher Mehrsteuern zu passivieren, wenn er bei Aufstellung der Bilanz unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns konkret mit der Entstehung von Mehrsteuern rechnen muss (BFH-Urteil vom 15. März 2012 III R 96/07, BStBl II 2012, 719 [BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel]). Dies trifft im Streitfall für die „vermeintlichen Umsatzsteuer-Mehrsteuern“ nicht zu. Die Klägerin musste bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns an den Bilanzstichtagen 31.12.2005 und 31.12.2006 nicht mit der Entstehung der Mehrsteuern (Umsatzsteuer 2005 und 2006) rechnen. Es ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen, dass zu den Bilanzstichtagen konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die von der Klägerin durchgeführten Ausfuhrlieferungen mangels ausreichender Nachweise nicht als steuerfrei anzuerkennen waren und in der Folge eine Umsatzsteuerschuld bestand. Tatsächlich hat die Klägerin im Verlauf des Einspruchsverfahrens die erforderlichen Nachweise vorgelegt bzw. die Ausfuhrlieferungen glaubhaft gemacht. Allein die allgemeine Erfahrung, dass bei einer Betriebsprüfung mit Steuernachforderungen zu rechnen ist, rechtfertigt noch keine Rückstellung (BFH-Urteil vom 27. November 2001 VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731 [BB 2002, 1359 m. BB-Komm. Schulze-Osterloh]). Die Bilanzen zum 31.12.2005 und 31.12.2006 waren somit bei ihrer Aufstellung in diesem Punkt nicht falsch.

 

(2) Nicht entscheidend ist an dieser Stelle – wovon die Klägerin offenbar ausgeht –, dass die Außenprüfung nach Ansicht des Prüfers und des Finanzamts zu Mehrsteuern führte und der Prüfer im Prüfungsbericht bzw. ihm folgend das Finanzamt die Klägerin mit Steuerbescheiden in Anspruch genommen hat. Entscheidend ist vielmehr, ob die Klägerin bei Aufstellung der Bilanzen zum 31.12.2005 und zum 31.12.2006 – bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns – konkret mit der Entstehung der Mehrsteuern (Umsatzsteuer) rechnen musste. Das war hier nicht der Fall.

 

(3) Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des BFH vom 15. März 2012 (III R 96/07 [BB 2012, 1981 m. BB-Komm. Ortmann-Babel]). Der Entscheidung lag ein anderer Sachverhalt zugrunde, als im Streitfall. Die Bilanzen waren – anders als im Streitfall – fehlerhaft. Sie waren objektiv fehlerhaft, da sie doppelt ausgewiesene und daher vom Kläger nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer nicht berücksichtigten. Sie waren bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auch subjektiv fehlerhaft, da einem ordentlichen Kaufmann bekannt ist, dass Umsatzsteuer nicht doppelt ausgewiesen werden darf und überhöht ausgewiesene Umsatzsteuer geschuldet wird. Auch in dem Verfahren des FG Niedersachen (Urteil vom 15. März 2012, EFG 2012, 1390) war eine Rückstellung für Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuer zu bilden, weil die Klägerin Rechnungen mit unrichtigem Steuerausweis erstellt hatte, für die sie nach § 14 Abs. 3 UStG a.F. die unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer schuldete. Anders als im Streitfall lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung bei Bilanzerstellung in diesen Fällen vor (so auch in dem vom BFH mit Beschluss vom 17. Juli 2012 I B 56, 57/12 u.a., BFH/NV 2012, 1955 entschiedenen Fall). Soweit die Umsatzsteuerforderung laut Betriebsprüfung auf fehlende Original-Ausfuhrsteuerbescheinigungen gestützt wurde und die Belege im Einspruchsverfahren nachgereicht wurden, ist dies mit den den vorgenannten Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten nicht vergleichbar, da der Belegnachweis keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist (vgl. FG-Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Februar 2014 5 K 5235/12, EFG 2014,1045).

 

cc) Das Finanzamt war auch nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die Rückstellungen im Jahr ihrer Bildung aufzulösen.

Die Verpflichtung zur Beachtung von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem früheren Verhalten, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er in einer irreparablen Weise disponiert hat, nicht in Widerspruch setzt (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1988 V R 97/83, BFH/NV 1989, 356). Der Grundsatz findet dann Anwendung, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 2009 X R 37/07, BFH/NV 2010, 406). Das Finanzamt hat im Streitfall weder eine Zusage erteilt noch in sonstiger Weise einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Die Klägerin konnte nicht darauf vertrauen, dass bei Stattgabe der Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 die vom Prüfer hierfür gebildeten Rückstellungen für Mehrsteuern im Jahr ihrer Bildung bestehen bleiben würden. Allein die Tatsache, dass das Einspruchsverfahren langwierig war und das Finanzgericht München eine Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide abgelehnt hat, konnte keinen derartigen Vertrauenstatbestand begründen.

 

c) Des Weiteren hat das Finanzamt die vom Prüfer im Rahmen der Außenprüfung zum 31.12.2004 gebildete Gewerbesteuerrückstellung zu Recht im Jahr 2004 herabgesetzt. Im Einspruchsverfahren gegen den die angefochtenen Steuerbescheide für das Jahr 2004 einigten sich die Beteiligten auf eine einvernehmliche Erledigung der streitgegenständlichen Prüfungsfeststellungen. Soweit dabei das Finanzamt an den Feststellungen des Prüfers nicht mehr festgehalten hat bzw. die Einsprüche der Klägerin erfolgreich waren, war auch die vom Prüfer gebildete Rückstellung für Gewerbesteuernachforderungen entsprechend herabzusetzen. Die Klägerin kann nicht beanspruchen, dass im Rahmen desselben Einspruchsverfahrens eine von ihr angestrebte Herabsetzung des Einkommens bzw. Gewerbeertrags erfolgt und damit die Mehrsteuern nach Betriebsprüfung geringer werden, aber andererseits die Rückstellung in der alten vom Prüfer gebildeten Höhe bestehen bleibt. Die Herabsetzung der Rückstellung im Streitjahr 2004 ist notwendigerweise mit dem Erfolg in der Frage des Gewinns bzw. Gewerbeertrags 2004 gekoppelt (BFH-Urteil vom 29. Juni 1967 IV 131/63, BStBl III 1967, 670). Nicht maßgebend ist in diesem Zusammenhang, zu welchem Zeitpunkt bzw. in welchem Jahr das Einspruchsverfahren beendet wurde.

Im Übrigen hat das Gericht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin – bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns – am Bilanzstichtag 31.12.2004 zur Bildung der streitgegenständlichen Gewerbesteuerrückstellung verpflichtet war, noch hat die Klägerin dies vorgetragen. Wie bereits dargelegt, rechtfertigt allein die allgemeine Erfahrung, dass bei einer Betriebsprüfung mit Steuernachforderungen zu rechnen ist, noch keine Rückstellung (BFH-Urteil vom 27. November 2001 VIII R 36/00, BStBl II 2002, 731 [BB 2002, 1359 m. BB-Komm. Schulze-Osterloh]).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

4. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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