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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
09.01.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Rheinland-Pfalz: Abgrenzung Masseverbindlichkeit und insolvenzfreie Forderung bei Auflösung einer Rücklage nach Freigabe des Gewerbebetriebs durch den Insolvenzverwalter

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.11.2014 6 K 2046/11; rkr.

EStG §§ 4 Abs. 1, 7g Abs. 3, 4 und 7 a. F.;InsO § 55

Aus den Gründen

Bei Auflösung einer Rückstellung entstehen Gewinn und die dadurch entstehende Steuer erst dann, wenn die Gründe für die Rückstellungsbildung entfallen sind

[...] Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründete Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden; soweit die Steuer nicht bereits festgesetzt ist, kann kein Steuerbescheid mehr erlassen werden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende Steueransprüche sind hingegen Masseschulden; insoweit ist eine Steuerfestsetzung vorzunehmen, die gegenständlich beschränkt ist auf den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die sich gegen den Insolvenzverwalter richtet (BFH Urteil vom 18.5.2010 - X R 60/08, BB-Entscheidungsreport BB 2015, 113 Damerius, BB 2010, 2551, Rz. 35). Sonstige Steueransprüche sind insolvenzfrei; insoweit kann die Steuer in einem ebenfalls gegenständlich beschränkten Steuerbescheid gegen den Insolvenzschuldner selbst festgesetzt werden.

Masseverbindlichkeiten sind Steuerschulden, die sich aus echten Gewinnen ergeben, die aus der Verwertung der Masse resultieren: Dabei wird ganz formal auf den Zeitpunkt der Realisation abgestellt; wann die Wertzuwächse (stille Reserven) entstanden sind, ist irrelevant (BFH Urteil vom 18.5.2010 - X R 60/08, BB-Entscheidungsreport Damerius, BB 2010, 2551, Rz. 37 und 40). Jedoch auch Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass eine Rückstellung aufgelöst wird, stellen Masseverbindlichkeiten dar, da die Nachversteuerung eines früheren vermeintlichen Aufwandes vorgenommen wird, nachdem sich heraus gestellt hat, dass diese frühere Gewinnminderung nicht, bzw. nicht in der vorgenommenen Höhe, geboten war (BFH Urteil vom 18.5.2010 - X R 60/08, BB-Entscheidungsreport Damerius, BB 2010, 2551, Rz. 37 und 41). Bei der Bildung einer Rückstellung entsteht nicht ein aufschiebend bedingter Steueranspruch; der Gewinn und die daraus resultierende Steuer entstehen erst dann, wenn fest steht, dass die Gründe für die Bildung der Rückstellung entfallen sind (BFH Urteil vom 18.5.2010 - X R 60/08, BB-Entscheidungsreport Damerius, BB 2010, 2551, Rz. 48).

Missverständliche Begründung im BFH-Urteil X R 60/08

Die Begründung des BFH-Urteils vom 18.5.2010 - X R 60/08 (BB-Entscheidungsreport Damerius, BB 2010, 2551), ist zumindest missverständlich (s. hierzu Anm. Schmid in JurisPR-InsR 20/2010). Zunächst stellt der BFH mit der herrschenden Meinung fest, dass es für die Abgrenzung Insolvenzforderung/Masseanspruch nicht auf die steuerliche Entstehung, sondern die insolvenzrechtliche Begründung des Anspruchs ankommt (Rz. 33). Dann allerdings wird ausgeführt, dass die steuerrechtliche Entstehung maßgeblich sein soll (Rz. 39).

Der BFH führt jedoch weiter zur Begründung an, dass durch den Wegfall der Verpflichtung nach Insolvenzeröffnung eine Bereicherung eingetreten sei. Damit liegt auch eine insolvenzrechtliche Begründung der Steuerschuld nach Insolvenzeröffnung vor. Bei der Aussage in Rz. 39 handelt es sich also um ein nicht entscheidungserhebliches sog. "obiter dictum".

Stellt man auf den direkten Rechtsgrund der Gewinnzuweisung ab, so gelangt man im BFH-Fall zu dem Ergebnis, dass eine Masseschuld vorliegt. Der Wegfall der Verpflichtung kann in diesem Fall als Argument nicht zusätzlich angeführt werden, denn die Verpflichtung ist nicht beim Insolvenzschuldner, sondern bei der Gesellschaft weggefallen.

Auch der BFH stellt letztlich auf den Rechtsgrund der Gewinnzuweisung ab, wenn er ausführt, dass die Entstehung der Steuerverbindlichkeit ihre Ursache in der Beteiligung des IS an der Gesellschaft habe. Der BFH hebt auch die Bindungswirkung des Feststellungsbescheides hervor (Rz. 38). Daraus folgt, dass letztendlich unerheblich ist, worauf die Gewinnfeststellung bei der Gesellschaft beruht.

Die Aussage in Rz. 39, wonach allein die steuerrechtliche Entstehung maßgeblich sein soll, ist also in Bezug auf die Maßgeblichkeit der Gewinnfeststellung zu interpretieren; deshalb ist damit keine Relativierung der Aussage in Rz. 33 gemeint.

Im Streitfall geht es nicht um die Bildung einer Rückstellung, sondern um die Vorwegnahme von Abschreibungen auf ein noch anzuschaffendes Investitionsgut

Im Streitfall geht es nicht um die Bildung einer Rückstellung für eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit, sondern um die Vorwegnahme von Abschreibungen auf ein noch anzuschaffendes Investitionsgut. Das Bilanzrecht kennt derartige Abschreibungen nicht; es handelt sich bei § 7g EStG um eine steuerliche Subventionsvorschrift. Insoweit ist der Streitfall anders gelagert als der vom BFH entschiedene Sachverhalt. Ungeachtet dessen wurde auch im Streitfall eine den Gewinn in einem früheren Wirtschaftsjahr mindernde Maßnahme in einem späteren Jahr gewinnwirksam rückgängig gemacht.

Wegfall einer Verpflichtung ist im Streitfall kein Argument für die insolvenzrechtliche Begründung der Steuerschuld im Zeitpunkt der Auflösung der Rücklage

Ein weiterer Unterschied des Streitfalles zu dem vom BFH entschiedenen Fall besteht darin, dass dort die Rückstellung nicht vom Insolvenzschuldner selbst gebildet worden war, sondern von der Personengesellschaft, an der der Insolvenzschuldner beteiligt war. Die Einkommensteuerschuld entstand durch die Zuweisung des aus der Auflösung der Rückstellung entstandenen Gewinns an den Insolvenzschuldner. Die Einkommensteuerschuld beruhte in dem vom BFH entschiedenen Fall also nicht direkt auf der Auflösung der Rückstellung, sondern auf der Gewinnzuweisung.

Über den entschiedenen Sachverhalt hinaus ergibt sich aus dem BFH-Urteil vom 18.5.2010 - X R 60/08, (BB-Entscheidungsreport Damerius, BB 2010, 2551), dass die Einkommensteuer, die aus der Aufdeckung stiller Reserven resultiert, nicht deshalb Insolvenzforderung ist, weil die Steuer bereits durch die Schaffung der stillen Reserven und damit vor Insolvenzeröffnung begründet worden sei. Der Steueranspruch entstehe nicht mit der Bildung einer Rückstellung im Sinne einer aufschiebenden Bedingung, sondern erst im Zeitpunkt der Feststellung, dass die Ursache für deren Bildung entfallen ist.

Gewinn ist insolvenzrechtlich erst im Zeitpunkt der Auflösung der Ansparrücklage entstanden und stellt keine Masseverbindlichkeit dar

Dieser Gesichtspunkt betreffend eine Rückstellung ist auf die Ansparabschreibung nicht uneingeschränkt übertragbar.

Der Wegfall einer Verpflichtung kann im Streitfall als Argument für die insolvenzrechtliche Begründung der Steuerschuld im Zeitpunkt der Auflösung der Rücklage nicht herangezogen werden, denn eine solche ist durch die Ansparabschreibung nicht entstanden.

Gleichwohl sieht der Senat den Gewinn als insolvenzrechtlich entstanden erst im Zeitpunkt der Auflösung der Rücklage an. Der Kläger hätte nämlich auch die Investition vornehmen können. Die Anschaffung des Wirtschaftsgutes wäre ein gewinnneutraler Aktivtausch gewesen. Die Anschaffungskosten wären in Höhe der Rücklage mit dieser verrechnet worden; hinsichtlich des die Rücklage übersteigenden Betrages wäre die Aktivierung erfolgt. Der Gewinn ist also entstanden durch die Entscheidung des Klägers, die Investition nicht vorzunehmen und statt dessen die Rücklage aufzulösen. Der Zeitpunkt dieser Entscheidung ist maßgeblich für die insolvenzrechtliche Begründung des daraus resultierenden Steueranspruchs.

Dem gegenüber ist der vom Kläger angeführte Gesichtspunkt, dass es sich im die Rückgängigmachung einer während des Insolvenzverfahrens vorgenommenen Gewinnminderung handelt, nicht Ausschlag gebend für die insolvenzrechtliche Begründung der aus dieser Rückgängigmachung resultierenden Steuer.

Das Urteil des BFH vom 18.5.2010 - X R 60/08, BB-Entscheidungsreport Damerius, BB 2010, 2551, enthält weiter die allgemeine Aussage, dass es nicht darauf ankommt, dass die Gewinnerhöhung, auf der der Steueranspruch beruht, mit einer Liquiditätsmehrung einher geht.

Nicht entscheidend ist daher, dass mit der Auflösung der Rücklage eine Liquiditätsmehrung nicht verbunden war.

[...] Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts.

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