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BB-Standpunkte
25.07.2016
BB-Standpunkte
Adrian Geisel: Wertminderungen nach IFRS 9 – viele Köche verderben den Brei?

Maßgeblich für die Bilanzierung der Wertminderung von Finanzinstrumenten gemäß IFRS 9 sind künftig die erwarteten (anstatt der eingetretenen) Verluste. Diese grundlegende konzeptionelle Veränderung bringt es notwendigerweise mit sich, dass in größerem Umfang auf Schätzungen und Ermessen der Unternehmensleitung zurückgegriffen werden muss und die Komplexität nicht zuletzt wegen des Blicks in die Zukunft steigt. Dies macht die Umsetzung der neuen Anforderungen nicht einfacher. Betroffen sind insbesondere, aber nicht nur, Kreditinstitute. Für sie sehen manche den Übergang auf das neue Wertminderungsmodell als die bedeutendste Änderung in der Bilanzierung an, die sogar noch die Änderung infolge der erstmaligen Anwendung der IFRS insgesamt übertrifft.

In IFRS 9 und IFRS 7 sind dem neuen Wertminderungsmodell gut 150 Seiten gewidmet. Dieses unbenommen ist das wohl die bilanzielle Neuerung, welche die meisten Einlassungen verschiedener internationaler Gremien zur Umsetzung dieser Anforderungen hervorgerufen hat – und das noch bevor die Regelungen im Jahr 2018 überhaupt erstmalig verpflichtend anzuwenden sind.

Der IASB selbst hat in Kenntnis der großen Herausforderungen bei der Umsetzung schon vor Veröffentlichung von IFRS 9 eine Beratungsgruppe zum Übergang auf das neue Wertminderungsmodell eingerichtet, die Transition Resource Group for Impairment of Financial Instruments, ITG. Diese hat im vergangenen Jahr dreimal getagt. Die auf der Internetseite des IASB veröffentlichten Zusammenfassungen der Diskussionen umfassen 30 Seiten.

Jüngst wurde vom Global Public Policy Committee der sechs großen Prüfernetzwerke ein Papier veröffentlicht, das die Erwartungen an die Umsetzung der neuen Wertminderungsvorschriften in Kreditinstituten aufzeigt. Zielsetzung ist die Unterstützung einer Umsetzung des neuen Wertminderungsmodells auf hohem Qualitätsniveau. Das Papier umfasst 57 Seiten. Zur Prüfung des neuen Wertminderungsmodells bereitet der für internationale Prüfungsfragen zuständige International Auditing and Assurance Standards Board (IAASB) eine Aktualisierung von ISA 540 vor. Auf nationaler Ebene plant das Institut der Wirtschaftsprüfer eine weitere Ergänzung von IDW ERS HFA 48 (Einzelfragen der Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS 9) in Hinblick auf das neue Wertminderungsmodell.

Für Kreditinstitute nicht unerheblich ist die Sichtweise der Aufsicht. So hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht seine Erwartungen an die Bilanzierung erwarteter Verluste in einem 36 Seiten starken Papier (BCBS 350: Guidance on credit risk and accounting for expected credit losses) zum Ausdruck gebracht.

Auch die vom Finanzstabilitätsrat (FSR) einberufene Arbeitsgruppe für verbesserte Angaben (Enhanced Disclosure Task Force, EDTF) hat sich damit befasst, welche Angaben für Kreditinstitute sinnvoll sein können, um Bilanzlesern das neue Wertminderungsmodell verständlich zu machen. Ergebnis: ein 32 Seiten starker Katalog (Impact of Expected Credit Loss Approaches on Bank Risk Disclosures).  

Damit liegen allein aktuell mehr als dreihundert (!) Seiten vor, auf denen die neuen Anforderungen und die Erwartungen verschiedener Gremien an deren Umsetzung niedergelegt sind. Viele Köche verderben den Brei? Mitnichten. Gekocht wird dieser nicht in London, sondern bei den jeweiligen Anwendern. Die Einlassungen der genannten Gremien sind vielmehr als dringender Wunsch an die Küche zu sehen, künftig ein für alle Seiten verdauliches Ergebnis nach neuem Rezept zu produzieren. Ein so unappetitliches Ergebnis wie bei der letzten Finanzmarktkrise (too little, too late) liegt manchem schließlich noch heute schwer im Magen. Leider sind die Geschmäcker häufig verschieden…

 

Dipl.-Kfm. Adrian Geisel ist Director im deutschen IFRS Centre of Excellence beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Frankfurt a. M.

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