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BB-Standpunkte
07.03.2016
BB-Standpunkte
Jürgen Fodor: Pensionsrückstellungen nach HGB – „Die Zinswürfel sind gefallen“ oder „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“

Als Reaktion auf die Belastung der Unternehmen mit Direktzusagen durch die „Zinsschmelze“ beschloss der Bundestag am 18.2.2016 im Schnelldurchlauf, eingebettet in das „Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften“, eine Verlängerung des Durchschnittszeitraums für die Ermittlung des für Altersversorgungsversorgungsverpflichtungen zentralen Abzinsungssatzes nach § 253 HGB. Nachdem das Gesetzesvorhaben am 26.2.2016 auch den Bundesrat passiert hat, dürften die „Zinswürfel“ somit für die nächsten Jahre gefallen sein.

Die wichtigsten Punkte der Neuregelung lassen sich wie folgt kurz skizzieren:

  • Die Durchschnittsbetrachtung für die Bewertung (nur) von Altersversorgungsverpflichtungen wird von sieben auf zehn Jahre verlängert.
  • Der Unterschiedsbetrag aus der Bewertung der Verpflichtung mit dem neuen durchschnittlichen Marktzins von zehn Jahren und der bisherigen Regelung ist zu jedem Stichtag neu zu ermitteln und wird mit einer Ausschüttungssperre belegt.
  • Die Neuregelung ist erstmals für nach dem 31.12.2015 endende Wirtschaftsjahre anzuwenden, wobei für diejenigen Unternehmen, die ihren Jahresabschluss 2015 noch nicht aufgestellt haben, ein Wahlrecht für die Erstanwendung bereits zum 31.12.2015 besteht.

Die finale Neuregelung hat demnach keinerlei Änderung gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung von Ende Januar erfahren – trotz einer Fülle von Eingaben von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften, Wirtschaftsprüfern und Wissenschaft. Dies erstaunt schon, denn das handelsrechtliche Novum einer verpflichtenden rückwirkenden Anwendung auch auf Stichtage vor Verkündung im Bundesgesetzblatt, wie z.B. 31.1.2016 und 29.2.2016, dürfte die Bilanzierungspraxis der betreffenden Unternehmen – wenn auch „nur“ im Jahr der Erstanwendung – vor keine geringen Probleme stellen. Nachdem 2015 das Gesetzesvorhaben innerhalb einer weniger ehrgeizigen Zeitschiene nicht mehr zustande kam, scheint das Leitmotiv des Gesetzgebers in den beiden ersten Monaten des Jahres 2016 in der Tat „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“ gewesen zu sein.

Neben dem Streitpunkt der Dauer der Durchschnittsbildung über zehn, zwölf oder gar fünfzehn Jahre waren hauptsächlich die Ausschüttungssperre und die verpflichtende regelmäßige Doppelbewertung Gegenstand der Kritik der Unternehmensverbände. Die mögliche Einführung einer solchen wurde zwar bereits im intialen Aufforderungsbeschluss des Bundestages vom 18.6.2015 angedeutet, aber wohl doch nicht richtig wahrgenommen. Die Ausschüttungssperre war offensichtlich für SPD und Gewerkschaften nicht verhandelbar (PM SPD-Bundestagsfraktion, abrufbar unter  http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/anhaltender-niedrigzins-spd-will-unternehmen-entlasten-und-betriebsrenten-

 und Stellungnahme DGB für Rechtsausschuss Bundestag, abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/407640/6bb8ae9dabfeae7f26f87bc775a58348/mueller-data.pdf, letzter Absatz), und auch die Wissenschaft in Form des Arbeitskreises Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft signalisierte dazu ihre Unterstützung (http://www.ak-bilanzr.jura.uni-koeln.de/sites/ak-bilanzrecht/AKBilR_StN_Aenderung_253_HGB.pdf)

Bei der die technischen Details der Zinsbestimmung regelnden Rückstellungsabzinsungsverordnung (RückAbzinsV) blieb es, abgesehen von rein redaktionellen Änderungen, beim Status Quo, obwohl das entsprechende Verfahren zur Ermittlung eines „Marktzinssatzes“ i. S. v. § 253 Abs. 2 HGB offensichtlich Mängel aufweist – (vgl. dazu z. B. Fodor/Gohdes, BB 2015, 2987). Für die bilanzierenden Unternehmen ist somit bis auf Weiteres die Chance einer mehr als sachgerechten Anhebung des handelsrechtlichen Rechnungszinses um ca. zehn Basispunkte vertan. Der Effekt für die gesamten Pensionsverpflichtungen der deutschen Unternehmen würde sich immerhin auf eine Entlastung von ca. 7–8 Mrd. Euro belaufen – unabhängig von der Dauer der Durchschnittsbildung. Wahrlich keine „Peanuts“.

Es ist somit ein gemischtes Fazit zur Neuregelung zu ziehen. Den Schlussworten von Stefan Rebmann in der Plenarsitzung vom 18.2.2016 (abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18155.pdf, S. 116): „Sie ist eine erste Antwort auf die anhaltende Niedrigzinsphase, und sie sorgt dafür, dass Unternehmen in ihrer finanziellen Struktur gestärkt werden und damit nachhaltiger und langfristiger planen können“ ist hinzuzufügen, dass es jetzt schon ein mehr an Zins hätte sein können und müssen. Andererseits unterliegen aber alle Gesetze einer ständigen Fortentwicklung. Dies gilt insbesondere für Gesetzesvorschriften, die im weitesten Sinne einen Bezug zum aktuellen Marktgeschehen haben. Insofern dürften auch § 253 HGB und die RückAbzinsV in absehbarer Zeit wieder auf die politische Agenda kommen.

Die Frage des korrekten Abzinsens von Pensionsverpflichtungen – insbesondere auch im steuerlichen Sinne mit den fest vorgegebenen 6% – dürfte somit auf längere Zeit ein spannendes Thema bleiben.

Jürgen Fodor, Dipl. Math. und Aktuar DAV, ist als Senior Consultant bei Willis Towers Watson tätig und in verschiedenen Verbandsarbeitsgruppen sowie als Fachautor aktiv. Er berät Großkunden zu Grundsatzfragen der nationalen und internationalen Rechnungslegung und aktuariellen Aufgabenstellungen.

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