BAG: Verfall übergesetzlichen Urlaubs nach § 18 A Nr. 7 Satz 1 Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie
BAG, Urteil vom 12.10.2021 – 9 AZR 577/20 (B)
ECLI:DE:BAG:2021:121021.U.9AZR577.20B.0
Volltext: BB-Online BBL2022-948-5
Orientierungssätze
1. Abweichend von § 7 Abs. 3 BUrlG etabliert § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV ein Fristensystem, das den Verfall des über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubs am 31. März des dem Urlaubsjahr folgenden Jahres zulässigerweise auch in den Fällen vorsieht, in denen der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist (Rn. 26).
2. Die Befristung des Urlaubsanspruchs ist nicht von der Erfüllung der für den gesetzlichen Mindesturlaub bestehenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers abhängig. Der MTV weist die Initiativlast für die Verwirklichung des übergesetzlichen Urlaubs in § 18 A Nr. 7 Satz1 MTV abweichend von § 7 Abs. 1 BUrlG dem Arbeitnehmer zu (Rn. 29).
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Abgeltung gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs aus dem Jahr 2016 nebst anteiligem Urlaubsgeld in Anspruch.
Der Kläger war vom 7. Januar 1986 bis zum 30. September 2019 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ua. der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 23. Juni 2008 idF vom 9. Oktober 2013 (MTV) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Bestimmungen:
„§ 18 Urlaubsregelung
A. Allgemeine Bestimmungen
1. Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. …
7.
Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde.
Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten. Dies gilt nicht für den Teil des Tarifurlaubs, der den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigt, wenn der Arbeitnehmer durch eigenes Verschulden aus einem Grunde entlassen worden ist, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt oder das Arbeitsverhältnis unberechtigt vorzeitig gelöst hat und in diesen Fällen eine grobe Verletzung der Treuepflicht aus dem Arbeitsverhältnis vorliegt.
…
B. Urlaubsdauer
1. Die Urlaubsdauer beträgt 30 Arbeitstage, wenn die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers auf 5 Tage je Kalenderwoche verteilt ist.“
Mit Vertrag vom 5. Dezember 2012 (ArbV) kamen die Parteien überein, ihr Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen. Dieser Altersteilzeitarbeitsvertrag sieht unter Nr. 10 folgende Regelungen vor:
„Ihr Urlaubsanspruch während der Altersteilzeit richtet sich nach den allgemeinen betrieblichen und tariflichen Regelungen.
Vor Eintritt in die Freistellungsphase sind die bis dahin erworbenen Urlaubsansprüche vollständig zu nehmen.“
Im Nachgang vereinbarten die Parteien eine Arbeitsphase vom 1. Februar 2013 bis zum 31. Mai 2016 und eine Freistellungsphase vom 1. Juni 2016 bis zum 30. September 2019. Am Ende der Arbeitsphase betrug die Bruttomonatsvergütung des Klägers, der seine Arbeitsleistung an vier Tagen in der Woche erbrachte, 3.118,49 Euro. Darüber hinaus hatte er Anspruch auf ein Urlaubsentgelt iHv. 19,51 Euro brutto je Urlaubstag.
Die Beklagte gewährte dem Kläger für den Zeitraum vom 4. bis zum 25. Mai 2016 antragsgemäß an 13 Arbeitstagen Urlaub. Im Zeitraum vom 11. bis zum 31. Mai 2016 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, den Urlaub abzugelten. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) stehe einem Verfall des Urlaubs entgegen. Die tarifliche Verfallsbestimmungen seien im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dahingehend auszulegen, dass in einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis stehende Arbeitnehmer unabhängig von der Dauer der Freistellungsphase ihren einmal erworbenen Urlaubsanspruch behielten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.794,81 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Urlaub, dessen Abgeltung der Kläger begehre, sei gemäß den manteltarifvertraglichen Regelungen vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Unionsrecht stehe dem nicht entgegen, da der Kläger in der Freistellungsphase Gelegenheit gehabt habe, sich zu erholen und seine Freizeit eigenständig zu gestalten.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Aus den Gründen
10 I. Die Revision war durch Teilurteil zurückzuweisen, soweit der Kläger die Abgeltung übergesetzlichen Urlaubs verlangt. Im Übrigen, soweit der Kläger die Abgeltung gesetzlichen Urlaubs fordert, war das Verfahren im Hinblick auf ein an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtetes Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen.
11 1. Gegenstand des Teilurteils ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von 6 ⅓ Arbeitstagen übergesetzlichen Urlaubs aus § 7 Abs. 4 BUrlG respektive § 18 A Nr. 7 Satz 2 MTV. Der Senat konnte hierüber im Wege des Teilurteils befinden (§ 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Klageforderung ist teilbar. Dies gilt nicht nur für die beiden Streitgegenstände „Abgeltung“ und „Zahlung von Urlaubsgeld“, sondern auch für den übergesetzlichen Urlaub im Verhältnis zum gesetzlichen Mindesturlaub. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht nicht (vgl. dazu BAG 20. Juni 2018 – 7 AZR 689/16 – Rn. 18). Der Urlaub, auf den der Kläger sein Klagebegehren stützt, stammt aus dem Jahr 2016. Eine materiell-rechtliche Verzahnung von Urlaubsansprüchen aus verschiedenen Urlaubsjahren, die den Erlass eines Teilurteils hindert (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 61), liegt im Streitfall nicht vor.
12 2. Die zulässige Revision ist unbegründet, soweit der Kläger von der Beklagten verlangt, 6 ⅓ Arbeitstage übergesetzlichen Urlaub abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG respektive § 18 A Nr. 7 Satz 2 MTV) und den Abgeltungsbetrag zu verzinsen. Der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Resturlaub des Klägers aus dem Jahr 2016 ist gemäß § 18 A Nr. 7 Satz 2 MTV mit Ablauf des 31. März 2017 und damit vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dem Zeitpunkt, in dem ein Abgeltungsanspruch hätte entstehen können (vgl. BAG 22. Januar 2019 – 9 AZR 45/16 – Rn. 30, BAGE 165, 90), verfallen. Davon ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen.
13 a) Dem Kläger standen zu Beginn des Jahres 2016 dreizehn Arbeitstage Urlaub zu. Dabei handelte es sich um 6 ⅔ Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub und 6 ⅓ Arbeitstage übergesetzlichen Urlaub.
14 aa) Der Mindesturlaubsanspruch, den der Kläger zu Beginn des Jahres 2016 erwarb, war angesichts der individuellen Verteilung der Regelarbeitszeit des Klägers im Jahr 2016 unter zwei Gesichtspunkten zu berechnen (§ 3 Abs. 1 BUrlG). Zum einen war sein Urlaubsanspruch gemindert, da die Regelarbeitszeit auf vier Tage in der Woche verteilt war; zum anderen wirkte sich auf die Berechnung des Jahresurlaubs aus, dass der Kläger mit Wirkung zum 1. Juni 2016 in die Freistellungsphase seiner Altersteilzeit eintrat.
15 (1) Während der Arbeitsphase der Altersteilzeit betrug der jährliche Mindesturlaubsanspruch des Klägers 16 Arbeitstage, da er seine Arbeitsleistung nicht an sechs, sondern lediglich an vier Tagen in der Woche erbrachte. Nach Erfüllung der Wartezeit steht dem Arbeitnehmer gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 BUrlG bereits am 1. Januar des Urlaubsjahres der volle Jahresurlaub zu. Dieser beträgt, bezogen auf eine Arbeitsleistung an sechs Tagen in der Woche, kalenderjährlich 24 Werktage (§ 3 Abs. 1 BUrlG). Um bei einer abweichenden Verteilung der Arbeitszeit die Gleichwertigkeit der Urlaubsdauer sicherzustellen, ist die maßgebliche Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht mit der Anzahl der Urlaubstage in der Sechstagewoche ins Verhältnis – im Streitfall in das Verhältnis vier zu sechs – zu setzen (vgl. BAG 3. Dezember 2019 – 9 AZR 33/19 – Rn. 12).
16 (2) Der Eintritt in die Freistellungsphase mit Wirkung zum 1. Juni 2016 führte zu einer Reduzierung des Anspruchs auf gesetzlichen Mindesturlaub um sieben Zwölftel, mithin von 16 auf 6 ⅔ Arbeitstage.
17 (a) Der gesetzliche Urlaubsanspruch für den Zeitraum der Altersteilzeit ist nach § 3 Abs. 1 BUrlG jahresbezogen zu ermitteln. Abzustellen ist grundsätzlich auf die für das gesamte Urlaubsjahr arbeitsvertraglich vorgesehene Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage. Mit der Entscheidung, das Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen, treffen die Arbeitsvertragsparteien eine Vereinbarung über die jährliche Verteilung der Arbeitszeit für den Gesamtzeitraum der Altersteilzeit. Diese verpflichtet den Arbeitnehmer allein in der Arbeitsphase zur Arbeitsleistung und entbindet ihn in der Freistellungsphase von vornherein von der Arbeitspflicht. Ausgehend von der im Altersteilzeitarbeitsvertrag vereinbarten Verteilung der Arbeitszeit ist die Freistellungsphase bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nach den im Urlaubsrecht geltenden allgemeinen Berechnungsgrundsätzen (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage) mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen. Vollzieht sich der Wechsel von der Arbeits- zur Freistellungsphase im Verlauf des Kalenderjahres, muss der gesetzliche Urlaubsanspruch nach Zeitabschnitten berechnet werden. Die Arbeits- und die Freistellungsphase sind dabei gleichermaßen entsprechend der vertraglich vorgesehenen Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht zu berücksichtigen (grundlegend BAG 24. September 2019 – 9 AZR 481/18 – Rn. 16, BAGE 168, 70).
18 (b) Der Kläger trat mit Wirkung zum 1. Juni 2016 von der Arbeits- in die Freistellungsphase der Altersteilzeit ein. Auf das Kalenderjahr bezogen bestand für ihn an fünf von insgesamt zwölf Kalendermonaten Arbeitspflicht. Die deshalb vorzunehmende Kürzung des im Streitfall 16 Arbeitstage umfassenden Mindesturlaubs um sieben Zwölftel führt zu einem Anspruch auf 6 ⅔ Arbeitstage.
19 bb) Der übergesetzliche Urlaub ergibt sich als Differenz aus dem Gesamturlaubsanspruch im Umfang von 13 Arbeitstagen und dem gesetzlichen Mindesturlaub im Umfang von 6 ⅔ Arbeitstage. Er betrug demnach 6 ⅓ Arbeitstage.
20 b) Der Anspruch auf übergesetzlichen Urlaub im Umfang von 6 ⅓ Arbeitstage verminderte sich bis zum Eintritt des Klägers in die Freistellungsphase der Altersteilzeit am 1. Juni 2016 nicht. Indem die Beklagte dem Kläger im Zeitraum vom 4. bis zum 25. Mai 2016 Urlaub erteilte, erfüllte sie gemäß § 362 Abs. 1 BGB zwar Urlaubsansprüche des Klägers; diese umfassten jedoch nicht den übergesetzlichen Urlaub. Einer darüber hinausgehenden Erfüllung stand die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Zeitraum vom 11. bis zum 31. Mai 2016 entgegen (§ 9 BUrlG).
21 aa) Unterscheidet eine tarifvertragliche Regelung – wie § 18 A Nr. 1 und § 18 B Nr. 7 Satz 1 MTV – hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen gesetzlichen und tarifvertraglichen Urlaubsansprüchen, erlöschen mit der Gewährung von Urlaub sowohl die einen als auch die anderen Urlaubsansprüche. Ein Rückgriff auf die Auslegungsregel in § 366 Abs. 2 BGB kommt ebenso wenig in Betracht wie eine analoge Anwendung dieser Vorschrift. Denn es handelt sich insoweit um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht (BAG 19. Januar 2016 – 9 AZR 507/14 – Rn. 10, sog. „Anspruchsgrundlagenhäufung“) und nicht um selbstständige Urlaubsansprüche (BAG 17. November 2015 – 9 AZR 275/14 – Rn. 18).
22 bb) Die Beklagte erteilte dem Kläger im Zeitraum vom 4. bis zum 10. Mai 2016 an vier Arbeitstagen Urlaub. Dies führte im genannten Umfang zum Erlöschen des Gesamturlaubsanspruchs. Da der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub zum Zeitpunkt des Urlaubsantritts mehr als vier Arbeitstage, nämlich 6 ⅔ Arbeitstage, betrug, blieb der Anspruch auf den übergesetzlichen Urlaub von der Urlaubnahme unberührt.
23 cc) Soweit die Beklagte den Kläger für den Zeitraum vom 11. bis zum 25. Mai 2016 an weiteren neun Arbeitstagen zum Zwecke der Gewährung von Urlaub von der Verpflichtung zur Arbeitsleitung freistellte, führte dies nicht zu einem weiteren – im Ergebnis vollständigen – Erlöschen des Anspruchs auf übergesetzlichen Urlaub. Aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand in dieser Zeit ein Erfüllungshindernis (BAG 19. Januar 2016 – 9 AZR 507/14 – Rn. 15), in dessen Folge der Urlaub nicht „anzurechnen“ ist (§ 9 BUrlG).
24 c) Der Anspruch des Klägers auf den übergesetzlichen Urlaub ist ungeachtet seiner vom 11. bis zum 31. Mai 2016 währenden Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 31. März 2017 verfallen (§ 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV).
25 aa) Nach § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV, der gemäß Nr. 10 Satz 1 ArbV auf das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, erlischt der Anspruch auf Urlaub drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht worden ist. Damit haben die Tarifvertragsparteien eine eigenständige Befristungsregelung geschaffen, die den Verfall des Urlaubs unabhängig von den Mitwirkungsobliegenheiten anordnet, die nach § 7 Abs. 1 und 3 BUrlG für die Befristung des gesetzlichen Mindesturlaubs gelten.
26 (1) § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV, der den Verfall von Urlaub abweichend von den gesetzlichen Vorgaben in § 7 Abs. 3 BUrlG regelt, weist dem Arbeitnehmer das Risiko zu, dass übergesetzlicher Urlaub am Ende des tariflichen Übertragungszeitraums verfällt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus krankheitsbedingten Gründen nicht in der Lage war, diesen Urlaub tatsächlich zu nehmen.
27 (a) Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Diese Befugnis schließt die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs auch für die Fälle ein, in denen der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage ist, den Urlaub zu nehmen. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein Gleichlauf ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben. Eine derartige Regelung, die der Annahme eines Gleichlaufs des Tarifurlaubs mit dem gesetzlichen Mindesturlaub entgegensteht, liegt insbesondere in den Fällen vor, in denen der Tarifvertrag zwar nicht auf die Übertragung des Urlaubs aus dem Kalender- in das Folgejahr, aber auf das Erfordernis von Übertragungsgründen verzichtet (vgl. BAG 9. März 2021 – 9 AZR 310/20 – Rn. 15).
28 (b) An diesen Grundsätzen gemessen haben die Tarifvertragsparteien des MTV hinsichtlich der Befristung und Übertragung und damit zugleich bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, eigenständige Regelungen getroffen. Dem Wortlaut des § 18 A Nr. 1 Satz 1 MTV zufolge hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Dieser erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde (§ 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV). Abweichend von den Regelungen im BUrlG, das eine Übertragung des Urlaubs vom Urlaubsjahr in das Folgejahr an das Vorliegen besonderer Gründe knüpft (§ 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG), erlaubt § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV dem Arbeitnehmer, den Urlaub bis zum 31. März des Folgejahres zu nehmen, ohne dass für die Übertragung besondere Gründe vorliegen müssten. Dieser Verzicht auf Übertragungsgründe hat dieselben Auswirkungen wie ein Verzicht auf die Übertragungsnotwendigkeit und führt im Ergebnis dazu, dass das Urlaubsjahr über das Kalenderjahr bis zum 31. März des Folgejahres ausgedehnt wird.
29 bb) Der übergesetzliche Urlaub, dessen Abgeltung der Kläger begehrt, verfiel gemäß § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV am 31. März 2017, ohne dass die Beklagte ihren für den gesetzlichen Mindesturlaub bestehenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten zu genügen hatte. Die Tarifbestimmung regelt die Mitwirkungsobliegenheiten abweichend von § 7 Abs. 1 BUrlG, indem sie die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubs nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer zuweist.
30 (1) Allein der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien gegenüber dem BUrlG eigenständige Tarifbestimmungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Anspruchs auf Mehrurlaub getroffen haben, lassen noch nicht darauf schließen, dass auch die gesetzlichen Mitwirkungsobliegenheiten abweichend geregelt werden sollten. Der dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich vielmehr auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt daher nicht, wenn in einem Tarifvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen. Ob die tarifliche Regelung dem Arbeitgeber entsprechend § 7 BUrlG Mitwirkungsobliegenheiten auferlegt, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung der jeweiligen tariflichen Bestimmungen durch Auslegung zu ermitteln. Unterscheidet ein Tarifvertrag zwischen dem gesetzlichen und tariflichen Urlaubsanspruch und verlangt zudem im Rahmen eines vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Fristenregimes vom Arbeitnehmer den tariflichen Mehrurlaub zur Meidung seines Verfalls vor einem im Tarifvertrag bestimmten Termin geltend zu machen, trägt – abweichend von den Vorgaben des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch – regelmäßig nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer die Initiativlast für die Verwirklichung des Mehrlaubanspruchs. In diesem Fall scheidet eine Auslegung aus, die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs setzte, wie die des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG, voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und darauf hingewiesen hat, dass nicht verlangter Urlaub verfallen kann (BAG 9. März 2021 – 9 AZR 310/20 – Rn. 20).
31 (2) Mit § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV haben die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber keine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten auferlegt, die denen des BUrlG entsprechen. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Tarifnorm. Während der Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs gestellt hat, in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 BUrlG den Anspruch am Ende des Bezugszeitraums oder des Übertragungszeitraums bei Nichterfüllung der Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber nicht automatisch verlieren kann (vgl. BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 – Rn. 39 ff., BAGE 165, 376), bestimmt § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, dass der Urlaubsanspruch am 31. März des folgenden Kalenderjahres erlischt, sofern er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist. Es obliegt danach nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer, hinsichtlich des tariflichen Mehrlaubanspruchs initiativ zu werden (vgl. zu einer ähnlichen Regelung BAG 25. August 2020 – 9 AZR 214/19 – Rn. 28).
32 cc) Die Tarifvertragsparteien haben den übergesetzlichen Urlaub wirksam auf den 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres befristet.
33 (1) § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV führt nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu einer Schlechterstellung von Arbeitnehmern, die Altersteilzeit im Blockmodell leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die während der Arbeitszeit mit einer gleichmäßig verringerten Arbeitszeit tätig sind. Gleiches gilt im Verhältnis von Arbeitnehmern, die eine unterschiedlich lange Altersteilzeit vereinbaren.
34 (a) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen. Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte jedoch zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbstständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung. Ihnen kommt zudem eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind und ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung vorliegt. Die Tarifvertragsparteien sind weder verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen, noch, bei der Festlegung der Voraussetzungen für die Wahrnehmung eines tariflichen Anspruchs jeder Besonderheit gerecht zu werden und im Tarifvertrag entsprechende Ausnahmen vorzusehen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist deshalb erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Die in einer Tarifregelung vorgesehenen Differenzierungsmerkmale müssen allerdings im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Der Zweck der Tarifnorm ist im Weg der Auslegung zu ermitteln. Er kann sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 364/19 – Rn. 47).
35 (b) § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV hält sich innerhalb der den Tarifvertragsparteien durch Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen. Der Gleichheitssatz verlangt weder eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen noch eine Differenzierung nach der Dauer der Altersteilzeit.
36 (aa) Die Tarifvorschrift regelt den Verfall von Urlaubsansprüchen für sämtliche Arbeitnehmergruppen einheitlich. Sie differenziert weder zwischen Arbeitnehmern in Altersteilzeit und den übrigen Arbeitnehmern noch zwischen Arbeitnehmern, die Altersteilzeit mit kontinuierlicher Arbeitszeit leisten, und solchen, die – wie der Kläger – mit dem Arbeitgeber das sog. Blockmodell vereinbart haben. Ohne Ansehung der Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses verfällt der übergesetzliche Urlaub am 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres. Die Tarifvertragsparteien waren nicht verpflichtet, für verschiedene Beschäftigungsgruppen unterschiedliche Regelungen zu schaffen. Die einheitliche Befristung des Mehrurlaubsanspruchs wird von dem legitimen Ziel getragen, Arbeitnehmer anzuhalten, den Mehrurlaub entsprechend seinem Erholungszweck zeitnah zu realisieren, und gleichzeitig die betriebsorganisatorischen Belastungen des Arbeitgebers zu begrenzen, die mit der Verpflichtung einhergehen, den Mehrurlaubsanspruch außerhalb des Urlaubsjahres zusätzlich zu dem für das Folgejahr entstehenden tariflichen Urlaubsanspruch erfüllen zu müssen.
37 (bb) Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, übergesetzliche Urlaubsansprüche, die Arbeitnehmer in der Freistellungsphase erworben haben, ohne Rücksicht auf die Länge der Altersteilzeit und die damit zusammenhängende Länge der Freistellungsphase einer einheitlichen Frist zu unterwerfen. Zum einen steht es dem Arbeitnehmer frei, von der Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Abstand zu nehmen, dessen Freistellungsphase der Länge und der zeitlichen Lage nach über den in § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV genannten Verfallszeitpunkt hinausreicht. Zum anderen trifft den Arbeitnehmer die Obliegenheit, den übergesetzlichen Urlaub bis zum 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres geltend zu machen. Kommt er dieser Obliegenheit nach und gewährt der Arbeitgeber ihm Urlaub, erlischt der Urlaubsanspruch infolge von Erfüllung, nicht infolge Verfalls. Das Risiko, den übergesetzlichen Urlaub wegen Krankheit nicht rechtzeitig nehmen zu können, trägt nach der Tarifkonzeption der Arbeitnehmer. Dies ist unmittelbare Folge des tarifvertraglichen Fristenregimes, das von den Vorgaben des § 7 Abs. 3 BUrlG in zulässigerweise abweicht.
38 (2) Soweit § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV den Verfall des Urlaubs anordnet, ohne zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem Mehrurlaub zu differenzieren, ist eine daraus resultierende Nichtigkeit der Tarifbestimmung (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG) auf den gesetzlichen Mindesturlaub beschränkt und lässt die Wirksamkeit der Tarifnorm im Übrigen unberührt (entgegen § 139 BGB, vgl. BAG 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19 – Rn. 27, BAGE 170, 56).
39 dd) Der Tatbestand, an den § 18 A Nr. 7 Satz 1 MTV den Verfall des Urlaubsanspruchs knüpft, ist im Streitfall ungeachtet des Umstands erfüllt, dass die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag hin für den Zeitraum vom 4. bis zum 25. Mai 2016 Urlaub gewährte. Der Kläger hat den Urlaub zwar geltend, aber nicht erfolglos geltend gemacht. Gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den von ihm beantragten Urlaub, liegt eine erfolglose Geltendmachung im Tarifsinne unabhängig davon nicht vor, ob der Arbeitnehmer den Urlaub später tatsächlich antritt. Das hat der Senat zum hier einschlägigen MTV entschieden (siehe BAG 19. Januar 2016 – 9 AZR 507/14 – Rn. 14 ff.). Gesichtspunkte, die das damalige Auslegungsergebnis in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich.
40 ee) Soweit der Kläger unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG davon ausgeht, der übergesetzliche Urlaub könne nicht verfallen, da er in der Freistellungsphase keinen – weiteren – Urlaubsanspruch erworben habe, übersieht er, dass das Unionsrecht keine Vorgaben hinsichtlich des Urlaubs enthält, der den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub von vier Wochen übersteigt.
41 II. Soweit der Kläger die Abgeltung von 2 ⅔ Arbeitstagen gesetzlichen Mindesturlaubs verlangt, hat der Senat gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein Vorabentscheidungsersuchen (- 9 AZR 577/20 (A) -) an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet und das Revisionsverfahren ausgesetzt.