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Arbeitsrecht
10.01.2013
Arbeitsrecht
LAG Baden-Württemberg: Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit der der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit angehörenden Einzelgewerkschaften

LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.3.2012 - 22 Sa 71/11


Leitsatz


Für die Zeit von Dezember 2006 bis 31.08.2009 ist ein Streit über die Differenzvergütung nach § 10 Abs. 4 AÜG gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung davon abhängt, ob die der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit angehörenden Einzelgewerkschaften tariffähig, oder tarifzuständig sind.


Sachverhalt


I. Die Parteien streiten über Differenzvergütung nach § 10 Abs. 4 AÜG.


Der 39-jährige Berufungskläger (fortan: Kläger) war bei der Berufungsbeklagten (fortan: Beklagten) aufgrund Arbeitsvertrages vom 8.8.2005, einer Verlängerungsvereinbarung vom 28.8.2006 sowie einer Änderungsvereinbarung zum 15.3.2007 in der Zeit vom 8.8.2005 bis 31.8.2009 als Produktionsmitarbeiter für den überbetrieblichen Einsatz, zuletzt gegen ein Stundenentgelt in Höhe von Euro 7,38 beschäftigt. Während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses wurde der Kläger bei einem Kunden der Beklagten, der H. G. AG, einem Hersteller für Bäderzubehör/Badausstattung, als Leiharbeitnehmer eingesetzt.


Die Beklagte betreibt ein bundesweit tätiges Unternehmen für Personaldienstleistungen und stellt ihren Kunden Mitarbeiter im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zur Verfügung. Sie ist als Mitglied des BZA an die Tarifverträge Zeitarbeit (Manteltarifvertrag, Entgeltrahmentarifvertrag und Entgelttarifverträge) BZA - DGB vom 22.7.2003 geändert durch Änderungstarifverträge vom 22.12.2004, 30.5.2006 und 9.3.2010 gebunden.


Der Arbeitsvertrag (auf dessen Wortlaut samt Änderungsvereinbarungen im Übrigen Bezug genommen wird) enthält folgende Regelungen:


§ 3 Arbeitszeit


Die tarifvertragliche, individuelle regelmäßige jährliche Arbeitszeit beträgt 1.820,04 Stunden. Sie wird im Durchschnitt monatlich in 151,67 Stunden erbracht. Dies entspricht einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35,00 Stunden.


Die tatsächliche Lage der Arbeitszeit wird an die des Einsatzbetriebs angepasst. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage richten sich nach den im jeweiligen Einsatzbetrieb gültigen Regelungen beziehungsweise Anforderungen des Einsatzbetriebs.


In einsatzfreien Zeiten verteilen sich die 35,00 Stunden wie folgt:




















Mo


Di


Mi


Do


Fr


Sa


So


7,00 Std.


7,00Std.


7,00Std.


7,00Std.


7,00Std.


0,00Std.


0,00Std.


Zum Ausgleich der monatlichen Abweichungen zwischen der vereinbarten individuellen regelmäßigen Arbeitszeit und der tatsächlichen Arbeitszeit im Einsatzbetrieb wird ein Arbeitszeitkonto eingerichtet.


Der Ausgleich des Zeitkonto-Plusstunden erfolgt in einsatzfreien Zeiten durch Freizeit; sofern keine Plusstunden vorliegen, bauen sich Minusstunden auf.


Der Ausgleich des Zeitkontos findet dergestalt statt, dass die jeweils zuerst aufgebauten Stunden in dem tarifvertraglich festgelegten Ausgleichszeitraum ausgeglichen sein müssen.


§ 6 Vertragsbestandteile


Für das Arbeitsverhältnis gelten in ihrer jeweils gültigen Fassung die zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personaldienstleistungen e.V. (BZA) und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit geschlossenen Branchentarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgelttarif- und Entgeltrahmentarifvertrag).


Bei der vorstehenden Bezugnahmeklausel handelt es sich um die Zusage, dass Arbeitnehmer im Falle fehlender Tarifgebundenheit den tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichgestellt werden; diese Klausel verliert ihre Wirkung, wenn sich die Tarifgebundenheit für R. verändert oder endet.


Für das Arbeitsverhältnis gelten die bei R. für überbetriebliche Mitarbeiter abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen.


Lt. Ziffer 4 der Änderungsvereinbarung vom 15.3.2007 gilt folgende Passage:


4. Entgelt und Zahlungsweise


Gemäß den Regelungen des Branchentarifvertrags setzt sich das Entgelt wie folgt zusammen:


Abweichendes Entgelt           Euro 6,53          


Vertragsentgelt pro Std.        Euro 6,53


Die Einstellqualifikation entspricht gemäß dem Entgeltrahmentarifvertrag Zeitarbeit der Entgeltgruppe 01. Gemäß § 8.6 Manteltarif Zeitarbeit wird ein von §§ 2, 3 Entgelttarifvertrag Zeitarbeit abweichendes Entgelt in Höhe von Euro 6,53 pro Stunde vereinbart.


Der Kläger erhielt auf Anforderung (mit Schreiben vom 28.4.2010, dem Kläger zugegangen am 3.5.2010) vom Entleiherbetrieb Informationen zu Arbeitszeit und Entgelt vergleichbarer Mitarbeiter, auf dessen Inhalt verwiesen wird.


Der Kläger machte mit seiner am 21.12.2010 erhobenen und am 4.1.2011 zugestellten Klage erstinstanzlich geltend, die Tarifverträge Zeitarbeit zwischen BZA und DGB seien unwirksam, weil die am Abschluss beteiligten Gewerkschaften/Vereinigungen weder tariffähig noch tarifzuständig seien. Diese Tarifverträge seien ferner sittenwidrig und es handele sich um Scheintarifverträge. Die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel verstoße schließlich gegen das Transparenzgebot, so dass die Tarifverträge im Übrigen auch nicht wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen seien. Deshalb schulde die Beklagte dem Kläger Differenzvergütung aus den §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 10 Abs. 4 AÜG.


Der Kläger hat beantragt:


1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten 34.584,02 Euro brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz









































































































































aus


917,99 Euro


seit 16.01.2007,


aus


1.546,48 Euro


seit 16.02.2007,


aus


813,03 Euro


seit 16.03.2007,


aus


1.487,71 Euro


seit 16.04.2007,


aus


901,08 Euro


seit 16.05.2007,


aus


947,62 Euro


seit 16.06.2007,


aus


1.233,80 Euro


seit 16.07.2007,


aus


887,38 Euro


seit 16.08.2007,


aus


882,72 Euro


seit 16.09.2007,


aus


881,25 Euro


seit 16.10.2007,


aus


945,69 Euro


seit 16.11.2007,


aus


737,90 Euro


seit 16.12.2007,


aus


1.001,97 Euro


seit 16.01.2008,


aus


938,03 Euro


seit 16.02.2008,


aus


1.010,37 Euro


seit 16.03.2008,


aus


1.175,69 Euro


seit 16.04.2008,


aus


945,71 Euro


seit 16.05.2008,


aus


1.157,37 Euro


seit 16.06.2008,


aus


610,32 Euro


seit 16.07.2008,


aus


1.099,51 Euro


seit 16.08.2008,


aus


1.053,05 Euro


seit 16.09.2008,


aus


916,95 Euro


seit 16.10.2008,


aus


1.304,20 Euro


seit 16.11.2008,


aus


910,72 Euro


seit 16.12.2008,


aus


1.195,03 Euro


seit 16.01.2009,


aus


1.386,24 Euro


seit 16.02.2009,


aus


994,28 Euro


seit 16.03.2009,


aus


1.196,16 Euro


seit 16.04.2009,


aus


1.545,90 Euro


seit 16.05.2009,


aus


1.108,17 Euro


seit 16.06.2009,


aus


1.109,61 Euro


seit 16.07.2009,


aus


1.136,15 Euro


seit 16.08.2009 und


aus


805,94 Euro


seit 16.09.2009 zu bezahlen.


2. Die Beklagte wird außerdem verurteilt, an den Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten 6.090,98 Euro brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
















aus


1.757,43 Euro


seit 01.01.2008,


aus


2.033,20 Euro


seit 01.01.2009 und


aus


2.260,35 Euro


seit 01.01.2010 zu bezahlen.


3. Die Beklagte wird außerdem verurteilt, an den Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten 2.914,60 Euro brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz




























aus


370,00 Euro


seit 01.01.2007,


aus


400,00 Euro


seit 01.06.2007,


aus


854,00 Euro


seit 01.01.2008,


aus


387,00 Euro


seit 01.08.2008,


aus


93,60 Euro


seit 01.09.2008 und


aus


810,00 Euro


seit 01.01.2009 zu bezahlen.


Die Beklagte beantragt,


die Klage abzuweisen,


die sie für unschlüssig hielt. Das klägerische Vorbringen enthalte keine Tatsachen, mit denen die Klageanträge nachvollziehbar dargelegt worden seien. Es fehle eine Berechnung. Ferner seien die Zeitarbeitsverträge BZA/DGB rechtswirksam und wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen. Ein Anspruch auf Differenzvergütung bestehe daher aufgrund von § 9 Nr. 2 AÜG nicht.


Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe die von ihm geltend gemachten Zahlungsbeträge trotz Rüge der Beklagten bis zum Kammertermin nicht schlüssig dargelegt (wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen). Deshalb sei das Verfahren nicht gemäß § 97 ArbGG auszusetzen, da die Geltung der Tarifverträge für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich sei.


Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Offenburg vom 2.8.2011 - 5 Ca 457/10 wurde dem Kläger am 16.8.2011 zugestellt. Die sogleich begründete Berufung des Klägers ging verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag am 21.10.2011 beim Landesarbeitsgericht ein, nachdem mit Fax vom 15.9.2011 der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug vorgelegt und mit Beschluss vom 6.10.2011, dem Kläger am 14.10.2011 zugestellt, bewilligt worden war.


Im Berufungsrechtszug begründet der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag mit der Mittellosigkeit, die ihn gehindert habe, Berufung innerhalb der Rechtsmittelfrist einzulegen. Zur Glaubhaftmachung bezieht er sich auf die im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Unterlagen. In der Sache hält der Kläger die rechtliche und tatsächliche Würdigung des Arbeitsgerichts für unzutreffend. Die Klage sei verbunden mit den Angaben des Entleiherbetriebes schlüssig gewesen (das Gericht habe selber rechnen können), jedenfalls aber sei nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Der Kläger ergänzt im Berufungsrechtszug gleichwohl seine Berechnungsgrundlagen, wobei wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen ab Seite 10 der Berufungsschrift und die nach Abschluss der ersten Instanz nachgereichten Unterlagen Bezug genommen wird.


Das Arbeitsgericht sei auf die Problematik der Unwirksamkeit der Tarifverträge BZA/DGB nicht eingegangen. Die von der Beklagten angewendeten Tarifverträge seien unwirksam, weshalb es beim gesetzlichen "equal pay" zu bleiben habe.


Es fehle zunächst an der Tarifzuständigkeit. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung komme es auf die in der Satzung geregelte Tarifzuständigkeit der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaften zwingend an. Diese müsse bereits bei der Unterzeichnung des Tarifvertrages bestanden haben, anderenfalls sei der Tarifvertrag von Anfang an nichtig. Werde der Tarifvertrag von mehreren Gewerkschaften abgeschlossen, führe bereits die fehlende Tarifzuständigkeit einer einzigen Gewerkschaft zur Nichtigkeit des gesamten Tarifwerkes. Die Beklagte schulde mithin vorliegend den Nachweis dafür, dass jede einzelne Mitgliedsgewerkschaft bereits am 22.7.2003 für den Abschluss der streitgegenständlichen Tarifverträge tarifzuständig gewesen sei. Dieser Nachweis werde der Beklagten nicht gelingen, da die tarifschließenden Einzelgewerkschaften ebenso wenig wie der DGB für die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung satzungsgemäß zuständig gewesen seien und in diesem Bereich auch keine Mitglieder gehabt hätten. Insbesondere zeige die Einbeziehung der Gewerkschaft der Polizei, dass der DGB unsorgfältig gearbeitet habe. In diesem Bereich sei keine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung denkbar.


Die Nichtigkeit der Tarifverträge bedeute, dass auch deren Ausschlussfristen keine Geltung haben könnten.


Zudem seien die zwischen dem BZA und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB geschlossenen Tarifverträge sittenwidrig und gemäß § 138 BGB nichtig. Die Norm sei über die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien zumindest sinngemäß anwendbar. Die Voraussetzungen des §§ 138 Abs. 2 BGB seien erfüllt, da der objektive Wert der Leistung des Arbeitnehmers im auffälligem Missverhältnis zur Entlohnung stehe. Die gezahlte Vergütung mache nicht einmal zwei Drittel des im Wirtschaftsbereich gezahlten Tariflohnes (hier IG-Metall) aus. Diese erhebliche Diskrepanz lasse den Schluss zu, dass die Tarifverträge zwischen den Mitgliedsgewerkschaften des DGB und dem BZA auf Diktat der Arbeitgeberseite zu Stande gekommen seien. Es handele sich danach um Scheintarifverträge, die aufgrund des gesetzlich geregelten equal-pay-Gebotes überhaupt nicht erforderlich gewesen seien.


Darüber hinaus handele es sich bei diesen Tarifverträgen um nichtige Schein-bzw. Gefälligkeitsverträge. Die Mitgliedsgewerkschaften des DGB hätten die Bedeutung der christlichen Gewerkschaften eindämmen wollen. Sie hätten dabei eigene Grundsätze verletzt und selbst genau das umgesetzt, was sie den christlichen Gewerkschaften zur Last legten: Ohne hinreichende soziale Mächtigkeit werde im Interesse der Arbeitgeber der gesetzlichen Mindestschutz der Leiharbeitnehmer einseitig zu deren Lasten verschlechtert.


Schließlich seien die Tarifverträge nicht wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen. Die dynamische Bezugnahmeklausel verstoße gegen das Transparenzgebot, da vor allem unklar sei, was im Falle unwirksamer Änderungstarifverträge zu gelten habe. Aus der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 30.5.2006 könne im Vergleich mit den Regelungen des Manteltarifvertrages und des Entgeltrahmentarifvertrages nicht entnommen werden, ab wann die Änderungen gelten sollten. Es werde der Eindruck erweckt, dass die Änderungen zum 1.1.2004, sozusagen rückwirkend in Kraft treten sollten. Dadurch werde die dynamische Bezugnahmeklausel völlig unklar und dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.


Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Bezugnahmen sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls verwiesen.


Aus den Gründen


II. 1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.


Die Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift gingen zwar erst nach Ablauf der Berufungsfrist gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG und Berufungsbegründungsfrist (am 21.10.2011) beim Landearbeitsgericht ein. Dem Kläger war aber nach § 233 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Berufungsführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt, ist bis zur Entscheidung über den Antrag solange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Wahrnehmung einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (BGH Beschluss vom 20.2.2008 - XII ZB 83/07 - FamRZ 2008, 868-869 m.w.N.).


Diese Voraussetzungen liegen vor. Der mittellose Kläger hat innerhalb der Berufungsfrist unter Darlegung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Berufung sowie unter Beifügung des Prozesskostenhilfeformulars nebst Belegen am 15.9.2011 Prozesskostenhilfe beantragt. Unmittelbar nach Zustellung des Bewilligungsbeschlusses am 14.10.2011 hat er mit dem am 21.10.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese begründet und darin gleichzeitig form- und fristgerecht gemäß §§ 234 Abs. 1, 2, 236 Abs. 2 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.


2. Der Rechtsstreit über die geltend gemachten Ansprüche aus der Zeit von Dezember 2006 bis 31.8.2009 ist bis zur rechtskräftigen Erledigung eines nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4, § 97 Abs. 1 und Abs. 5 ArbGG durchzuführenden Beschlussverfahrens auszusetzen.


a. Gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG ist für den Fall, dass die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder tarifzuständig ist, das Verfahren auszusetzen, bis im Beschlussverfahren über Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit dieser Vereinigung entschieden ist. Die Aussetzung erfolgt von Amts wegen. Es besteht kein Ermessen des Gerichts. Über die Frage der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung ist ausschließlich im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 mit den sich aus § 97 Abs. 1-4 ArbGG ergebenden Besonderheiten mit bindender Wirkung zu entscheiden. Nur der Beschluss über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung erwächst in formelle und auch in materielle Rechtskraft, die sich in subjektiver Hinsicht nicht nur auf die Verfahrensbeteiligten beschränkt, sondern auf jedermann erstreckt (BAG 28.3.2006 - 1 ABR 48/04, NZA 2006, 1112).


b. Voraussetzung für die Aussetzungspflicht ist, dass es im Rechtsstreit als Vorfrage um die Tariffähigkeit einer Vereinigung geht und die Klärung dieser Frage vorgreiflich ist. Dies ist der Fall.


Der Kläger macht mit seinen zuletzt angekündigten Anträgen Equal-Pay-Ansprüche geltend. Diese stehen ihm nach § 10 Abs. 4 AÜG jedoch nur dann zu, wenn der Vereinbarung über abweichende Lohnansprüche kein gültiger Tarifvertrag zu Grunde liegt. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag die Tarifverträge Zeitarbeit DGB/BZA vom 22.7.2003 (geändert durch Änderungstarifvertrag vom 22.12.2004 in der Fassung der Verhandlungsergebnisse vom 28.3.2006 und 30.5.2006) angewendet. Maßgeblich ist dabei ob die tarifschließenden Vereinigungen tariffähig und tarifzuständig gewesen sind. Fehlt diesen Vereinigungen die Befugnis, Tarifverträge abzuschließen, sind diese nichtig. In diesem Fall wäre auch die Vereinbarung schlechterer Arbeitsbedingungen als derjenigen, die im Betrieb des Entleihers gelten, unwirksam (§ 9 Nr. 2 AAÜG) und der Kläger könnte seine Differenzvergütung geltend machen.


3. Die Aussetzung des Rechtsstreites ist nach § 97 Abs. 5 S. 1 ArbGG nur dann geboten, wenn - wie hier - die Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit zweifelhaft ist.


Das ist dann der Fall, wenn entweder die Tariffähigkeit der Gewerkschaft streitig ist oder aber wenn gegen diese Bedenken bestehen (BAG 28.1.2008 - 3 AZB 30/07, NZA 2008,489). Aus dem prozessualen Verhalten der Beklagten ist zu folgern, dass die Beklagte von einer Verbindlichkeit der arbeitsvertraglich in Anspruch genommenen Tarifregelung und damit von der Tariffähigkeit der tarifschließenden Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses der für den streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Entgelttarifverträge nach wie vor ausgeht. Das hat der Kläger mit Substanz bestritten, so dass der Rechtsstreit auch ohne Antrag der Parteien von Amts wegen auszusetzen ist.


4. Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt vorliegend ausschließlich von der zwischen den Parteien streitigen Frage der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit aller der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit angehörenden Einzelgewerkschaften ab.


§ 97 Abs. 1 ArbGG stellt nach dem eindeutigen Wortlaut darauf ab, dass es auf die Frage der Tariffähigkeit tatsächlich ankommen muss, nicht darauf, ob es auf die Tariffähigkeit möglicherweise ankommen könnte. Dies entspricht auch dem besonderen arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgebot, das in § 9 Abs. 1 ArbGG vorgesehen ist. Ein Abwarten bis zur rechtskräftigen Erledigung des Beschlussverfahrens ist hiernach den Parteien des Ausgangsrechtsstreites nicht zuzumuten, wenn der Rechtsstreit auf einer anderen Basis - notfalls auch nach Beweisaufnahme - ohne Klärung der Tariffähigkeit einer Vereinigung entschieden werden kann (BAG 28.1.2008 - 3 AZB 30/07 - NZA 2008,489).


a) Die Bezugnahmeklausel in § 6 des Arbeitsvertrages ist weder mehrdeutig im Sinne von § 305 c Abs. 2 BGB noch unklar im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Durch die Verweisungsklausel soll arbeitsvertraglich das wiedergespiegelt werden, was tarifrechtlich gelten würde, wenn beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden wären, also Mitglieder der jeweils zuständigen Tarifvertragspartei bzw. auf Arbeitgeberseite selbst Partei des Tarifvertrages wären. Das BAG geht davon aus, dass die arbeitsvertraglich dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge weder überraschend im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB ist, noch dass die Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB zur Anwendung kommt (BAG 24.9.2008 - 6 AZR 76/07 = NZA 2009, 154,155). Eine dynamische Verweisung auf das jeweils gültige Tarifrecht ist auch nicht unklar im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn und weil die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden, in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind. Eine solche Klausel verletzt das Transparenzgebot nicht (BAG 24.9.2008 - 6 AZR 76/07 = NZA 2009, 154,155, Leitsatz zwei). Zur Wahrung des Transparenzgebotes reicht es aus, wenn die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind (BAG 16.2.2010 - 3 AZR 181/08 = NZA 2011, 42,46).


b) Die klägerische Argumentation zur Sittenwidrigkeit bzw. zu Scheintarifverträgen verkennt die Einführung des neuen § 3 a AÜG mit Wirkung ab dem 30.4.2011. In § 3 a AÜG hat der Gesetzgeber - gerade auch im Hinblick auf die derzeit bestehenden Mindestlohntarifverträge (BT-Drs. 17/5238, Seite 17) wie z.B. den hier streitgegenständlichen Tarifvertrag - zum Ausdruck gebracht, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die "zumindest auch für ihre jeweiligen in der Arbeitnehmerüberlassung tätigen Mitglieder zuständig" sind, Lohn-Untergrenzen für den gesamten Bereich der Arbeitnehmerüberlassung bundesweit tarifvertraglich vereinbaren und den BMAS zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung vorschlagen können.


III. Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, §§ 72 Abs. 2 Ziff. 1, 78 Satz 2 ArbGG.

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