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Arbeitsrecht
25.05.2016
Arbeitsrecht
LAG Düsseldorf: Sittenwidriger Lohn im Bereich geringfügiger Beschäftigung

LAG Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2015 – 8 Sa 1091/13

Volltext: BB-ONLINE BBL2016-1331-5

unter www.betriebs-berater.de

Leitsätze

1. Im Bereich geringfügiger Beschäftigung ist zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit des gezahlten Lohns kein pauschaler Aufschlag vorzunehmen, um den Nettocharakter der empfangenen Zahlung auszugleichen und eine Vergleichbarkeit mit dem üblichen Brutto(stunden)lohn zu ermöglichen. 2. Zu den Anforderungen an die Sittenwidrigkeit einer vereinbarten "Tourenpauschale" für Begleitpersonen beim Bustransport behinderter Menschen. 3. § 2 Abs. 1 Nr. 8 NachwG bezweckt auch die Information der (geringfügig beschäftigten) Arbeitnehmer, dass ihnen überhaupt ein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen zusteht.

Sachverhalt

Die Parteien streiten zuletzt noch über ergänzende Lohnzahlungsansprüche vor dem Hintergrund der möglichen Sittenwidrigkeit des tatsächlich gezahlten Entgelts sowie Urlaubsabgeltungsansprüche.

Die 56 Jahre alte Klägerin war seit dem 30.08.2007 - mit einer etwa halbjährigen Unterbrechung zu Beginn des Jahres 2011 - als Busbegleitung beschäftigt. Die Arbeitsaufgabe der Klägerin bestand darin, während einer morgendlichen Tour (GSE T7) gemeinsam mit einem Busfahrer, Herrn B., und der Zeugin G. als weiterer Begleiterin 13 geistig und körperlich behinderte Personen an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur GSE Nünningstrasse in Essen zu bringen; nachmittags waren die Personen dort wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Die Klägerin kümmerte sich im Wesentlichen um eine taubstumme Person. Sie wurde selbst auf beiden Touren von zu Hause abgeholt und auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zunächst nicht geschlossen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin ab Beginn des Arbeitsverhältnisses zwei Tourpauschalen von jeweils 7,50 € pro Arbeitstag. Die Beklagte leistete Zahlungen nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Ferien-, Brücken-, Feiertage, an denen keine Touren anfielen, oder bei Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin nicht; ebenso wenig wurde ihr bezahlter Erholungsurlaub gewährt. Für den Zeitraum zwischen dem 01.01.2009 und August 2012 vergütete die Beklagte der Klägerin insgesamt 10.272,50 €. Wegen der Höhe der monatlichen Zahlungen im Einzelnen wird auf Blatt 359 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen. Die Beklagte ist Mitglied des (Arbeitgeber-) Verbandes Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen e.V.. Diesem gehören nach eigenen Angaben aus dem Monat März 2013 450 der 718 privaten Omnibusunternehmen im Land Nordrhein-Westfalen an.

Am 13.07.2012 trafen die Parteien eine Vereinbarung folgenden Inhalts:

"Hiermit vereinbaren die oben aufgeführten Vertragsparteien einvernehmlich, dass das bestehende Arbeitsverhältnis bis zum 21.08.12 ordentlich abgerechnet wurde.

Sämtliche beiderseitigen Forderungen sind bis zum oben genannten Zeitpunkt abgegolten, sein sie bekannt oder unbekannt genannt oder ungenannt."

Am selben Tag schlossen die Parteien unter Nutzung eines von der Beklagten vorgelegten Formulars einen schriftlichen "Arbeitsvertrag Gleitzonenverhältnis", wegen dessen Inhalts auf Blatt 6 ff. der Gerichtsakte verwiesen wird und in dem es unter anderem heißt:

"1. Tätigkeitsbereich, Tätigkeitsvoraussetzungen und Arbeitszeit

a) Der Mitarbeiter wird vom Arbeitgeber als Busbegleitung beschäftigt. Er kann jedoch auch für alle sonstigen Arbeiten, die unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse notwendig sind, eingesetzt werden.

b) Der Mitarbeiter ist zur Verschwiegenheit über alle betrieblichen Angelegenheiten auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Firma verpflichtet.

c) Die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit beträgt ca. 20,5 Wochenstunden.

Soweit die Schliesszeiten- Ferien- der Schulen und oder Werkstätten den zustehenden Jahresurlaub überschreiten, ruht während der Zeit das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Diese Zeit gilt als unbezahlte Freizeit und wird nicht vergütet. Das Unternehmen behält sich vor, den Einsatz neu fest zu legen.

Der Zeitpunkt des Urlaubs kann nur im Zusammenhang bzw. in Übereinstimmung mit den Ferien des Landes Nordrhein Westfalen in Anspruch genommen werden.

...

5. Tätigkeitsbeginn

Das Arbeitsverhältnis beginnt am 22.08.12.

...

8. Tätigkeitsvergütung

A. Eine Vergütung erfolgt nach gefahrenen Touren bzw. nach Einsatzplan. Die Zeiten zwischen den jeweils angewiesenen Touren sind Freizeiten und werden nicht vergütet. Es wird nur die reine Lenkzeit bezahlt.

Der Arbeitnehmer erhält im Gleitzonenarbeitsverhältnis entsprechend dem Umfang seiner Tätigkeit einen anteiligen Urlaubsanspruch von 20 Urlaubstagen jährlich. Der Urlaub ist innerhalb der Ferien des Landes Nordrhein Westfalen zu nehmen.

Der Stundenlohn beträgt 9,00 EURO.

...

13. Kollektivregelungen

Das Arbeitsverhältnis unterliegt im Übrigen den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen NWO in ihrer jeweils letzten Fassung.

Ansprüche aus Mehrarbeit sowie auf Zahlung von Zulagen jeglicher Art sowie alle übrigen Ansprüche sind spätestens 3 Monate nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Geltendmachung ausgeschlossen."

Zwischen den Parteien ist streitig, in welcher Reihenfolge die Schriftstücke unterzeichnet wurden. Am tatsächlichen Einsatz der Klägerin änderte sich mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages grundsätzlich nichts; abgesehen davon, dass die Klägerin an 7 Tagen im Monat September 2012 anstatt ihrer angestammten Tour die Tour GSE T2 (zur Grasstraße in Essen-Borbeck) absolvierte. Wegen des Einsatzes der Klägerin in den Monaten Juli bis November 2012 wird auf die Stundenzettel Blatt 133 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen. Nach Maßgabe der einschlägigen Entgeltabrechnungen zahlte die Beklagte der Klägerin für den Monat Juli 2012 330,00 € brutto, für August 2012 105,00 € brutto, für den September 2012 306,00 € brutto, für den Oktober 2012 396,00 € brutto und für den Monat November 2012 (inklusive 9 Stunden "Resturlaub") 441,00 € brutto. Mit Anwaltsschreiben vom 31.10.2012 focht die Klägerin ihre Willenserklärungen im Zusammenhang mit den Vereinbarungen vom 13.07.2012 wegen arglistiger Täuschung an.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 07.11.2012, der Klägerin am selben Tage zugegangen, "frist- und formgerecht" zum 30.11.2012. Ab dem 07.11.2012 wurde die Klägerin nicht mehr eingesetzt. Unter dem 23.11.2012 erklärte die Beklagte die Rücknahme der Kündigung, ohne dass die Klägerin sich zu einer einvernehmlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereitfand. Sie ging in der Folge keiner anderweitigen entgeltlichen Beschäftigung nach.

Mit der vorliegenden, am 13.11.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst lediglich die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 07.11.2012 begehrt.

Mit Schriftsätzen vom 27.11.2012 und 07.05.2013 hat die Klägerin die Klage erweitert und insbesondere ergänzende Lohnansprüche für die Jahre 2009 bis 2013 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, der von der Beklagten seit Vertragsbeginn gezahlte Lohn sei sittenwidrig gewesen. Hierzu hat sie behauptet, ihre tägliche Arbeitszeit habe insgesamt 4 Stunden betragen. Morgens habe sie von 6.30 Uhr bis 8.30 Uhr arbeiten müssen, nachmittags von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr, freitags von 13.30 Uhr bis 15.30 Uhr. Die Arbeitszeit habe jeweils an ihrer Haustür begonnen und geendet. Um ein rechtzeitiges Erreichen der Abholorte zu gewährleisten, hätten gewisse Zeitpuffer berücksichtigt werden müssen. An der Einrichtung habe es Standzeiten gegeben, weil das Abfertigen der diversen parallel ankommenden bzw. abfahrenden Busse wegen strenger Vorgaben der Einrichtungsleitung weit über ein bloßes Herauslassen bzw. Aufnehmen der behinderten Personen hinausgegangen sei. Auch die Leerfahrten von und zur GSE Nünningstraße stellten Arbeitszeit dar. So habe die Klägerin dies wegen der branchenüblichen Usancen - die Arbeitszeit endet, wo sie beginnt - verstehen dürfen, zumal die Beklagte - unstreitig - die Leerfahrten gratis durchgeführt habe, ohne hierfür einen geldwerten Vorteil zu versteuern. Im Ergebnis habe die Beklagte der Klägerin einen Stundenlohn von rund 3,75 € vergütet. Dem stünde ein einschlägiger Tarifstundenlohn für das private Omnibusgewerbe von 9,25 / 9,44 / 9,56 / 9,76 € brutto (Entwicklung der Lohngruppe 1 zwischen Januar 2009 und August 2012) gegenüber. Dieser spiegele die übliche Vergütung wieder, weil durchgehend mehr als 50% der branchenangehörigen Arbeitgeber Mitglied im tarifschließenden Verband gewesen seien. Im Ergebnis liege der Stundenlohn der Klägerin bei deutlich weniger als 50% der üblichen Vergütung und sei schon deshalb sittenwidrig. Daneben lägen diverse weitere Anhaltspunkte für eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten vor (kein bezahlter Erholungsurlaub, keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen, Maßregelungen von Arbeitnehmern bei Geltendmachung gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche etc.). Neben den sich für die Tage der Arbeitsleistung ergebenden Aufstockungsbeträgen habe die Beklagte noch die Feier- und Brückentage nach Maßgabe des EFZG bzw. § 615 BGB zu bezahlen, und zwar in Höhe der Differenz zum tariflichen Stundenlohn der Lohngruppe 1. Für den Zeitraum ab dem 22.08.2012 habe die Beklagte auf Basis von 9,00 € brutto/Stunde und der vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit von 20,5 Stunden abzurechnen. Da die Beklagte die Kündigung vom 07.11.2012 nicht wirksam zurückgenommen habe, schulde die Beklagte Annahmeverzugslohn bis zum 30.04.2013. Sämtliche Ansprüche der Klägerin seien weder verfallen noch verwirkt noch habe die Klägerin wirksam auf sie verzichtet. Tarifvertragliche Verfallfristen griffen im Hinblick auf die bis zum 31.07.2012 entstandenen Ansprüche schon deshalb nicht, weil die Beklagte wegen des nur mündlich geschlossenen Arbeitsvertrages ihre Pflichten aus dem Nachweisgesetz verletzt und sich damit schadensersatzpflichtig gemacht habe, während der schriftliche Arbeitsvertrag vom 13.07.2012 diese tatbestandlich nicht erfasse. Die Verzichtserklärung vom selben Tage sei unabhängig von ihrer Anfechtung durch die Klägerin aus AGB-rechtlichen Gründen unwirksam, sie laufe auf einen kompensationslosen Erlassvertrag zugunsten der Beklagten hinaus.

Die Klägerin hat weiterhin die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei gemäß §§ 9, 10 KSchG zum 31.01.2013, hilfsweise 31.12.2012 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von mindestens 2.400,00 € aufzulösen, weil dessen weitere Fortsetzung ihr nicht zuzumuten sei.

Schließlich schulde die Beklagte Schadensersatz wegen des in den Jahren 2009 bis 2011 nicht genommenen und deshalb verfallenen Urlaubs, für denjenigen der Jahre 2012 und 2013 (anteilig) Urlaubsabgeltung. Die Beklagte habe ihre Pflichten aus dem NachwG schuldhaft verletzt. Hätte es bei Vertragsschluss den gebotenen schriftlichen Hinweis auf das Bestehen von Urlaubsansprüchen gegeben, hätte die Klägerin ihren gesetzlichen Erholungsurlaubsanspruch rechtzeitig geltend gemacht. Insgesamt stünden der Klägerin 3.025,80 € brutto zu.

Die Klägerin hat beantragt,

1.festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 07.11.2012, ihr am gleichen Tage durch Boten zugestellt, beendet wurde,

2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstätbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.11.2012 hinaus fortbesteht,

3.die Beklagte zu verurteilen, 24.623,88 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an sie zu zahlen,

4.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 2.400.00 € nicht unterschreiten sollte, zum 31.01.2013, hilfsweise 31.12.2012, aufgelöst wird,

5.die Beklagte zu verurteilen, an Urlaubsabgeltung 3.025,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an sie zu zahlen, wobei klargestellt wird, dass damit auch ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung der Nachweispflicht mit einbezogen wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat bestritten, die Klägerin sittenwidrig vergütet zu haben. Hierzu hat sie behauptet, Arbeitszeit der Klägerin sei lediglich die Fahrzeit der einfachen Strecke zwischen dem Wohnsitz der Klägerin und der GSE Nünningstraße vormittags bzw. nachmittags entsprechend retour gewesen. Pro Tour habe die Fahrzeit, wie sich aus einer Abfrage bei Google-Maps und den Fahrtenschreiberdiagrammen ergebe, etwa 52 Minuten betragen. Während der Leerfahrten habe die Klägerin keine Arbeitsleistung erbracht, sondern sei lediglich aus Gefälligkeit umsonst nach Hause gebracht bzw. von dort abgeholt worden. Ein derartiges Vorgehen sei üblich und entspreche tarifvertraglichen Wertungen. Der von der Beklagten danach gezahlte Stundenlohn liege im Bereich dessen, was für Busbegleittätigkeiten allgemein in der Branche bezahlt werde, nämlich zwischen 6,00 € und 7,50 € brutto. An diesem branchenüblichen und nicht am Tariflohn müsse sich die von der Klägerin bezogene Vergütung im Hinblick auf die angebliche Sittenwidrigkeit messen lassen. Ein Vergleich mit dem Tariflohn scheide schon deshalb aus, weil der Lohntarifvertrag nicht für Arbeitnehmer mit weniger als 15 Wochenstunden gegolten habe. Außerdem könne ein Bruttotariflohn nicht mit einem faktischen Nettolohn verglichen werden, der einem geringfügig Beschäftigten zufließe. Dass Zeiten, in denen die anzufahrende Einrichtung geschlossen habe, nicht als Arbeitszeit gewertet und vergütet worden seien, finde seinen Grund in einer mündlichen Ruhensvereinbarung, die die Klägerin anlässlich ihrer Einstellung mit Herrn S. und Frau I. getroffen habe. Die Klägerin habe von vorne herein gewusst, worauf sie sich einlasse, weil sie von der Zeugin G. unter Hinweis auf die bei der Beklagten herrschenden Arbeitsbedingungen angeworben worden sei; sie habe deren Zahlungspraxis auch nie beanstandet. Etwaige Zahlungsansprüche bis zum 21.08.2012 seien verwirkt und schon aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten (tarifvertraglichen) Ausschlussfristen bzw. der Verzichtsvereinbarung vom 13.07.2012, die erst nach Abschluss des schriftlichen Arbeitsvertrages unterzeichnet worden sei, untergegangen. Die Parteien hätten am 13.07.2012 einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen und ihre Zusammenarbeit auf eine solide schriftliche Basis stellen wollen. Dies alles sei der Klägerin gegenüber offen kommuniziert worden, so dass von einem Irrtum oder gar Täuschung nicht die Rede sein könne. Die Anfechtungserklärungen der Klägerin gingen daher ins Leere. Die Vereinbarung einer Arbeitszeit von durchschnittlich 20,5 Wochenstunden im schriftlichen Arbeitsvertrag sei im Übrigen als maximale wöchentliche Arbeitszeit zu verstehen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht, für die Zahlung einer Urlaubsabgeltung bzw. Schadensersatz wegen nicht gewährten Urlaubs lägen nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24.07.2013 dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin stattgegeben, jedoch deren Auflösungsantrag und die Zahlungsklage im Wesentlichen abgewiesen. Der Klägerin stehe für die Zeit zwischen September und dem 23.11.2012 ein ergänzender Lohnanspruch aus §§ 615 BGB, 2 Abs. 1 EFZG für 61 Tage zu, da die Beklagte in diesem Zeitraum eine Vergütung auf Basis der vertraglich vereinbarten 20,5 Wochenstunden schulde. Unter Berücksichtigung der bereits erbrachten Zahlungen könne die Klägerin daher weitere 1.107,90 € brutto verlangen. Weitere Ansprüche habe die Klägerin indes nicht. Für die Zeit ab dem 23.11.2012 - nach Rücknahme der streitgegenständlichen Kündigung - fehle es am erforderlichen Arbeitsangebot der Klägerin. Etwaige Differenzlohnansprüche für die Zeit zwischen dem 01.01.2009 und dem 31.08.2012 seien jedenfalls gemäß § 23 Abs. 2 MTV verfallen. Die Anwendbarkeit des MTV ergebe sich aus dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien, den die Klägerin nicht wirksam angefochten habe. Eine Geltendmachung sei frühestens mit der am 03.12.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung erfolgt, deshalb sei für alle Ansprüche bis einschließlich August 2012 die dreimonatige Ausschlussfrist nicht gewahrt. Der Beklagten sei die Berufung auf die Ausschlussfrist nicht nach Treu und Glauben verwehrt, da die klägerischen Ansprüche nicht aus unerlaubter Handlung der Beklagten resultierten. Die Parteien hätten auch keine sittenwidrige Lohnabrede getroffen. Nach den Vereinbarungen der Parteien und den nachvollziehbaren Fahrzeiten habe die Arbeitszeit der Klägerin lediglich eine Stunde pro Tour betragen; insbesondere bei den Leerfahrten habe es sich nicht um Arbeit gehandelt. Damit habe die Klägerin einen Stundenlohn von 7,00 € erzielt, was mehr als zwei Drittel des tariflichen Stundenlohns ausmache. Schließlich könne die Klägerin keine Urlaubsnachgewährung unter Schadensersatzgesichtspunkten verlangen, weil die Beklagte ursprünglich ihren Pflichten aus dem NachwG nicht nachgekommen sei. Etwaige Ersatzansprüche in Ansehung des Urlaubs für die Jahre 2009 bis 2011 seien nämlich ebenfalls nach Maßgabe der im Juli 2012 in Bezug genommenen tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen; hinsichtlich des Urlaubs für 2012 habe die Klägerin noch hinreichend Zeit für eine Geltendmachung gehabt.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Klägerin am 15.08.2013 zugestellt worden. Mit beim Landesarbeitsgericht am 16.09.2013 (einem Montag) eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die von ihr beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Beschluss des Gerichts vom 24.10.2013 ist der Klägerin - im Wesentlichen antragsgemäß - Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Nach Zustellung dieses Beschlusses am 28.10.2013 hat die Klägerin mit einem am 01.11.2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 24.07.2013 eingelegt und diese zugleich begründet. Dieser Schriftsatz ist der Beklagten am 11.11.2013 zugestellt worden. Sie hat - nach Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist bis zum 13.01.2014 - mit einem am 13.01.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, das Arbeitsgericht habe seine Entscheidung auf Basis einer unzutreffenden Tatsachengrundlage getroffen und überdies das Recht fehlerhaft angewendet. Soweit zuletzt noch von Belang, trägt die Klägerin vor:

(1) Der Klägerin stünden Differenzlohnansprüche für den Zeitraum zwischen dem 01.01.2009 und dem 21.08.2012 in Höhe von 20.864,58 € brutto (31.137,08 € ./. gezahlter 10.272,50 €) zu. Hierzu behauptet sie, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe zwischen dem 01.01.2011 und dem 30.06.2011 geruht. Es bleibe dabei, dass der lediglich für Beschäftigungszeiten gezahlte Lohn sittenwidrig sei. Die Touren der Klägerin hätten tatsächlich 4 Stunden pro Tag gedauert, wie ja auch der Inhalt des Arbeitsvertrages vom 13.07.2012 zeige. Die Klägerin sei als Busbegleiterin und nicht als Betreuerin eingesetzt worden. Da ihre Arbeitszeit zu Hause begonnen habe, ende sie auch dort. Die Leerfahrten seien daher als Arbeitszeit zu vergüten. Der sich ergebende Stundenlohn von 3,75 € liege weit unter 50% des Tariflohns. Dieser sei wegen des Organisationsgrades der branchenangehörigen Arbeitgeber der einschlägige Vergleichsmaßstab; darüber hinaus beschäftigten die dem Arbeitgeberverband angehörigen Unternehmen mehr als 50% der Arbeitnehmer des Wirtschaftsgebietes. Selbst wenn man die Leerfahrten nicht zur Arbeitszeit rechnete, ergäbe sich immer noch ein Stundenlohn von weniger als zwei Drittel des Tariflohns. Auch dies sei sittenwidrig, weil die Beklagte aus einer verwerflichen Gesinnung heraus die Zwangslage und Unerfahrenheit der Klägerin und der anderen Begleitpersonen ausgebeutet habe. Sie habe insbesondere Vergütung rein für geleistete Arbeit gezahlt; und ihr Begleitpersonal aus dem Kreis der wirtschaftlich schwächsten Mitglieder der Gesellschaft rekrutiert. An dieser Einschätzung ändere nichts, dass die Vergütung der Klägerin als geringfügig Beschäftigte brutto gleich netto verblieben sei. Der Wert der Arbeit bemesse sich objektiv nach dem jeweiligen tariflichen Bruttostundenlohn ohne jeglichen fiktiven Aufschlag. Die ergänzenden Ansprüche der Klägerin seien nicht verfallen. Die Auslegung des Arbeitsvertrages der Parteien ergebe, dass die Ausschlussfrist nicht für vor dem 22.08.2012 begründete Ansprüche gelten solle. Das gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Inhalts der Verzichtserklärung vom 13.07.2012. Ziffer 13 des Arbeitsvertrages halte überdies keiner AGB-Kontrolle stand.

(2) Neben ergänzendem Entgelt für den Monat August 2012 (295,50 €) habe die Klägerin für den Zeitraum ab dem 23.11.2012 Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn. Die Klägerin habe ihre Arbeitsleistung nach Rücknahme der Kündigung nicht wieder anbieten müssen; vielmehr habe die Beklagte sie zur Arbeit auffordern und eine konkrete Tour zuweisen müssen. Abgesehen davon habe sie wegen der Lohnrückstände ein Zurückbehaltungsrecht besessen.

(3) Schließlich habe die Klägerin Anspruch auf Urlaubsabgeltung bzw. wertgleichen Schadensersatz in Ansehung ihrer verfallenen gesetzlichen Urlaubsansprüche ab dem Jahre 2009. Das NachwG, gegen das die Beklagte verstoßen habe, bezwecke nicht nur den Hinweis auf die Dauer des bezahlten Erholungsurlaubs, sondern das Bestehen eines Mindesturlaubsanspruchs generell, den die Klägerin - wie viele geringfügig Beschäftigte - nicht gekannt habe. Den Urlaub für das Jahr 2012 habe sie rechtzeitig geltend gemacht.

Mit Teilvergleich vom 12.05.2015 haben die Parteien sich auf eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2013 gegen Zahlung einer Abfindung von 4.000,00 € brutto geeinigt.

Die Klägerin beantragt zuletzt noch,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.07.2013 - Az. 6 Ca 3175/12 teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.957,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2013 zu zahlen,

daneben, ihr wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

sowie im Wege der Anschlussberufung

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.07.2013 teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt, soweit die Klage abgewiesen wurde, das Urteil des Arbeitsgerichts unter ergänzender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht indes teilweise der Klage stattgegeben.

(1)Ergänzende Lohnansprüche für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 21.08.2012 habe die Klägerin nicht. Die Beklagte behauptet, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei zwischen dem 15.12.2010 und dem 31.07.2011 unterbrochen gewesen. Das Arbeitsgericht habe - so meint die Beklagte - jedenfalls völlig zu Recht angenommen, dass etwaige Ansprüche der Klägerin in weiten Teilen verfallen seien. Dies beruhe auf Ziffer 13 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13.07.2012. Die Vorstellung, die Parteien hätten ein neues Arbeitsverhältnis begründen wollen, sei abwegig. Ansprüchen der Klägerin für die Zeit bis Juli 2012 stünde zudem die Verzichtsvereinbarung vom 13.07.2012 entgegen. Der Klägerin sei deren Hintergrund ebenso wie derjenige des neuen Arbeitsvertrages völlig klar gewesen; wie alle anderen Betroffenen auch sei die Klägerin aus der Presse und in Informationsveranstaltungen ihres Prozessbevollmächtigten über die Sachlage aufgeklärt worden. Abgesehen davon brauche die Beklagte sich nicht vorhalten zu lassen, die Klägerin nicht vereinbarungsgemäß oder sogar sittenwidrig zu gering vergütet zu haben. Die Klägerin gehe von einer viel zu langen täglichen Arbeitszeit aus. Die Arbeitszeit der Klägerin habe dort begonnen, wo die erste Person abzuholen war, und an der Einrichtung geendet. Leerfahrten seien - wie das Arbeitsgericht richtig erkannt habe - nicht zu vergüten. Es habe sich um nicht mehr als einen kostenlosen Service der Beklagten gehandelt. Die Parteien hätten tatsächlich einen "geteilten Dienst" vereinbart. Täglich seien nicht einmal zwei Stunden Arbeitszeit anzusetzen. Damit hätte die Klägerin einen Stundenlohn bezogen, den vergleichbare Konkurrenzunternehmen ihren Busbegleitungen ebenfalls zahlten. Bei der Firma C. würden sogar nur 5,15 € pro Stunde gezahlt. Der LTV passe auf die Beschäftigtengruppe der Busbegleitungen nicht, er werde schon deshalb üblicherweise nicht angewendet, weil der durch die öffentlichen Auftraggeber geschaffene Markt eine tarifliche Vergütung nicht hergebe. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass die hier in Rede stehenden Fahrten von behinderten Personen nach Maßgabe der sog. Freistellungsverordnung vom PBefG ausgenommen seien und deshalb keiner Tarifbindung unterlägen. Allenfalls sei auf den Mindestlohn des § 4 Abs. 3 Tariftreue- und Vergabegesetz NW von 8,62 €/Stunde abzustellen. Schließlich müsse selbstverständlich berücksichtigt werden, dass die Klägerin ihr Entgelt zur Gänze habe ohne jegliche Abzüge behalten dürfen. Insoweit sei zur Herstellung von Vergleichbarkeit ein Aufschlag von 25% gerechtfertigt. Die Behauptungen der Klägerin zur verwerflichen Gesinnung der Beklagten seien falsch und stellten reine Stimmungsmache dar. Sie habe wie alle anderen Mitarbeiter auch bezahlten Erholungsurlaub etc. beanspruchen können. Immerhin 17 Mitarbeitern, so behauptet die Beklagte, habe sie tatsächlich solchen Urlaub gewährt.

(2)Anspruch auf Zahlung von Entgelt für den Zeitraum für die Zeit nach Rücknahme der Kündigung habe die Klägerin mangels Arbeitsangebotes nicht. Ein Zurückbehaltungsrecht habe die Klägerin nicht, weil es keine Lohnrückstände der Beklagten aus der Vergangenheit gebe; zudem habe die Klägerin ein solches Recht nicht ausgeübt.

(3)Ein Schadensersatzanspruch wegen verfallener Urlaubsansprüche bestehe nicht. Der nach dem NachwG geschuldete schriftliche Nachweis der Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs bezwecke nicht, Arbeitnehmer überhaupt über die Existenz eines gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs in Kenntnis zu setzen.

(4)Annahmeverzugslohnansprüche für den Zeitraum von August bis November 2012 habe die Klägerin generell nicht. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20,5 Stunden ausgegangen. Darauf deute zwar der missverständlich formulierte Arbeitsvertrag vom 13.07.2012 hin, tatsächlich sei aber ausdrücklich vereinbart worden, dass es sich hierbei um eine Maximalarbeitszeit handeln solle. Die Klägerin selbst habe angegeben, dass sie im Bedarfsfall mehr arbeiten könne, deshalb habe man sich auf ein "Gleitzonenarbeitsverhältnis" geeinigt. Nach allem sei daher die Anschlussberufung begründet.

Die Klägerin beantragt,

die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie bestreitet die vorstehenden Abreden. Das Gespräch am 13.07.2012 habe insgesamt nur fünf Minuten gedauert, über die Dauer der Arbeitszeit und mögliche weitere Touren sei gar nicht gesprochen worden. Folge man der Beklagten, habe so etwas wie ein Abrufarbeitsverhältnis begründet werden sollen, allerdings in unzulässiger Form.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Zeugnisses des Verbandsgeschäftsführers L. sowie die Vernehmung der Zeugin G.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Stellungnahme vom 13.04.2015 (Blatt 464 der Akte) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2015 Bezug genommen.

Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen.

Aus den Gründen

A.

Sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Anschlussberufung der Beklagten sind zulässig.

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das angefochtene Urteil ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) statthaft; sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift gingen zwar erst nach Ablauf der Berufungsfrist gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG (16.09.2013) und Berufungsbegründungsfrist (15.10.2013) am 01.11.2013 beim Landearbeitsgericht ein. Der Klägerin war aber nach § 233 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Berufungsführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt, ist bis zur Entscheidung über den Antrag solange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Wahrnehmung einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (vgl. BAG, Beschluss vom 26.01.2006 - 9 AZA 11/05, NZA 2006, 1180). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die mittellose Klägerin hat innerhalb der Berufungsfrist unter Darlegung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Berufung sowie unter Beifügung einer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen am 16.09.2013 Prozesskostenhilfe beantragt. Nach Zustellung des Bewilligungsbeschlusses am 28.10.2013 hat sie mit dem am 01.11.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese begründet und darin gleichzeitig form- und fristgerecht gemäß §§ 234 Abs. 1, 2, 236 Abs. 2 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II.

Die Anschlussberufung der Beklagten erfüllt ebenfalls die einschlägigen Zulässigkeitsanforderungen. Sie ist form- und fristgerecht binnen der vom Gericht verlängerten Berufungserwiderungsfrist eingelegt und begründet worden, vgl. §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 524 Abs. 2, 3 ZPO in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Satz 3, 5 ArbGG.

B.

Die Berufung der Klägerin ist weitgehend begründet.

I.

Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 21.08.2012 Anspruch auf ergänzenden Lohn gemäß §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB, 2 Abs. 1 EFZG in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB in Höhe von 19.602,66 € brutto.

1.

Der der Klägerin für diesen Zeitraum vergütete Lohn von 15,00 € brutto pro Arbeitstag war nach Maßgabe von § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.

Nach § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das sich jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen eines anderen für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Die Regelung gilt auch für das auffällige Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Lohnhöhe in einem Arbeitsverhältnis. Ein wucherähnliches Geschäft liegt nach § 138 Abs. 1 BGB vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände, zB eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten, hinzutreten (BAG, Urteil vom 26. April 2006 - 5 AZR 549/05, BAGE 118; vom 22. April 2009 - 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837). Das auffällige Missverhältnis bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs. Sie drücken den objektiven Wert der Arbeitsleistung aus, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlt werden. Davon kann ohne weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50% der Arbeitgeber eines Wirtschaftgebietes tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50% der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen (BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974). Entspricht der Tariflohn dagegen nicht der verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. Für das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses spricht es, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel des in der Branche und Wirtschaftregion üblicherweise gezahlten (Tarif-) Lohns erreicht. Wegen des Zwecks des § 138 BGB, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, ist jedoch eine abweichende Bewertung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände möglich (BAG, Urteil vom 22. April 2009 - 5 AZR 436/08, aaO). Neben diesem objektiven Tatbestand müssen subjektive Voraussetzungen in der Person des Begünstigten vorliegen. So setzt der Lohnwucher voraus, dass der "Wucherer" die beim anderen Teil bestehende Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) ausbeutet, also sie sich in Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen bewusst zunutze macht. Auch das wucherähnliche Rechtsgeschäft setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der begünstigte Vertragsteil Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen hat. Seine verwerfliche Gesinnung ist nicht nur dann zu bejahen, wenn er als der wirtschaftlich oder intellektuell Überlegene die schwächere Lage des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt, sondern auch dann, wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der andere nur wegen seiner schwächeren Lage oder unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt. Ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht ohne weiteres für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Ein solches ist anzunehmen, wenn der Wert der Leistung (mindestens) doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Es genügt, dass sich die benachteiligte Partei auf die hieraus folgende tatsächliche Vermutung beruft. Die begünstigte Partei kann im Einzelfall die Vermutung durch besondere Umstände erschüttern. Insofern trägt sie die Darlegungs- und Beweislast. Liegt ein besonders grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht vor, bedarf es zusätzlicher Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG, Urteil vom 16. Mai 2012 - 5 AZR 268/11, aaO).

Nach diesen Grundsätzen, denen sich die Kammer anschließt, sind im vorliegenden Fall der objektive und der subjektive Tatbestand eines wucherähnlichen Geschäfts gegeben.

Der Wert der Arbeitsleistung der Klägerin und die ihr gewährte Vergütung standen in einem auffälligen Missverhältnis, weil die Stundenvergütung der Klägerin nicht mehr als rund 40% des maßgeblichen Tariflohns erreichte.

aa.

Die Klägerin erbrachte gegen Zahlung einer Vergütung von 15,00 € täglich eine Arbeitsleistung von 4 Stunden. Ihre Arbeitszeit begann morgens mit Abholung an ihrem Wohnort um 06.30 Uhr und endete mit ihrer Rückkehr dorthin um 08.30 Uhr. Die Nachmittagstour dauerte von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr.

aaa.

Die Arbeitszeit der Klägerin umfasste nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien den kompletten Zeitraum, während dessen die Klägerin den von Herrn B. gesteuerten Bus gemeinsam mit der Zeugin G. begleitete.

(1)Die Arbeitszeit der Klägerin begann zu dem Zeitpunkt, als sie der Busfahrer B. morgens von zu Hause abholte und endete nachmittags dort auch wieder. Dass die Parteien (mündlich oder konkludent) eine derartige Abrede getroffen haben, steht zur Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 Abs. 1 ZPO fest. Die dahin gehende Behauptung der Klägerin hat die Beklagte erstinstanzlich etwa dadurch bestätigt, dass sie ausgeführt hat, die Klägerin habe von zu Hause aus arbeiten können (Blatt 9 des Schriftsatzes vom 09.04.2013), und zur Untermauerungen ihrer eigenen Arbeitszeitberechnung Auswertungen aus google-maps und Tachoscheiben (Einstieg/Ausstieg) vorgelegt hat, die wie selbstverständlich eine Fahrtstrecke von der Wohnadresse der Klägerin aus umfassen. Selbst in der Berufungserwiderung ist noch die Rede davon, dass die maßgebliche Tourberechnung am Wohnsitz der Klägerin beginnt (dort Blatt 19). Erst in ihrem Schriftsatz vom 16.03.2015 hat die Beklagte erstmals auf die Zeiten abgestellt, die für die reine Begleittätigkeit anfielen, also ab Zustieg der ersten zu transportierenden Person. Darin liegt indes weniger ein Bestreiten einer Tatsachenbehauptung als eine abweichende Bewertung der getroffenen Vereinbarung unter besonderer Berücksichtigung des Inhalts der geschuldeten Tätigkeit. Das erscheint keinesfalls zwingend. Arbeit als Leistung der versprochenen Dienste im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB setzt nämlich nicht notwendig eine Tätigkeit voraus, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses gilt, vielmehr genügt auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder Pause im Sinne des Arbeitszeitgesetzes noch Freizeit hat (vgl. BAG, Urteil vom 20.04.2011 - 5 AZR 200/10, NZA 2011, 917). Genau so haben beide Parteien ihre Abrede nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont offensichtlich übereinstimmend verstanden: Es sollte losgehen, als die Klägerin in den Bus einstieg, obwohl erst einige Minuten später die erste Person abzuholen war.

(2)Die Arbeitszeit umfasste die für das ordnungsgemäße Absetzen bzw. Aufnehmen der begleiteten Personen an der GSE Nünningstraße anfallenden Standzeiten des Busses. Es kann in Anbetracht der Einschränkungen der beförderten Personen nicht ernsthaft daran gezweifelt werden, dass die vereinbarte Begleittätigkeit eine geordnete Übergabe und Übernahme der Personen in die Obhut des Betreuungspersonals beinhaltet. Soweit hierbei Vorgaben der Einrichtungsleitung etwa zur Reihenfolge des Anfahrens oder des Herauslassens der Personen erst nach Eintreffen aller Busse zu beachten waren, ist dies auch für die Arbeitsverpflichtung der Klägerin gegenüber der Beklagten maßgeblich. Die Klägerin hätte sich pflichtwidrig verhalten und das Auftragsverhältnis zwischen der Beklagten und der Stadt Essen gefährdet, wenn sie die begleiteten Personen vor der Einrichtung "herausgeschmissen" hätte.

(3)Die Kammer ist weiterhin der Auffassung, dass auch die Leerfahrten der Klägerin, der Zeugin G. und des Busfahrers B. morgens von und nachmittags zur GSE Nünningstraße vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt. Zwar lässt sich einwenden, dass die Parteien insoweit eine ausdrückliche Abrede nicht getroffen haben und während der Leerfahrten eine Personenbegleitung nicht durchzuführen war. Gleichwohl spricht eine am Empfängerhorizont der Klägerin orientierte Auslegung dessen, was die Parteien bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses mündlich vereinbart und anschließend gelebt haben, für den Standpunkt der Klägerin. Das ist an folgenden Erwägungen festzumachen:

-Die Klägerin schuldete eine Tätigkeit als Busbegleitung für zwei Touren am Tag. Dass dies nur den Zeitraum umfasste, in dem behinderte Personen zu begleiten und zu betreuen waren, hat nicht einmal die Beklagte behauptet. Wäre dem so, dürfte es sich auch bei der Anfahrtszeit zum ersten Abholpunkt nicht um Arbeitszeit handeln. Richtig ist vielmehr, dass sich die gesamte Tour als Einheit darstellt, die - aus Sicht der Klägerin - dort endet, wo sie beginnt, nämlich an ihrem Wohnsitz.

-Gegen eine Wertung der Leerfahrtszeiten als Freizeit, beginnend an der Einrichtung Nünningstraße nach Übergabe der begleiteten Personen am Morgen und dort entsprechend nachmittags endend, spricht in erheblichem Maße deren abrechnungstechnische Behandlung durch die Beklagte. Wenn der auch von der Beklagten gewollte Rücktransport am Morgen und das Hinbringen der Klägerin zur Schule am Nachmittag tatsächlich eine kostenlose Gefälligkeit darstellte, hätte dies als Sachbezug bei der Entgeltabrechnung berücksichtigt werden müssen. Unter das steuer- bzw. sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 8 EStG, 14 Abs. 1 SGB IV fallen nämlich alle geldwerten Vorteile, die nur deshalb gewährt werden, weil der Zuwendungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist und sich dessen Leistung im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist, die gerade nicht im überwiegenden Eigeninteresse des Arbeitnehmers liegt (vgl. Küttner-Thomas, Personalbuch 2015, Stichwort 200 "Geldwerter Vorteil", Rdz. 10). Genau das ist vorliegend der Fall. Im Ergebnis wäre die Klägerin daher in die Gleitzone gerutscht und hätte einen erheblich geringeren Nettoverdienst erzielt. Das kann bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht gewollt gewesen sein.

-Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es die Beklagte entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5, 7 NachwG unterlassen hat, bezüglich des Inhalts der zu leistenden Tätigkeiten und der Dauer der vereinbarten Arbeitszeit einen schriftlichen Nachweis zu erteilen. Sie hat damit die vom Gesetz bezweckte erleichterte Beweisführung der Klägerin zum von ihr in vertretbarer Weise angenommenen Umfang der Arbeitszeiten zumindest fahrlässig erschwert. Ein derartiges Verhalten ist prozessual als Beweisvereitelung zu werten (LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.02.2003 - 10 Sa 1683/02, NZA-RR 2003, 520; Müller-Glöge, RdA 2001, Sonderbeilage Heft 5, S. 46 ff., 52; ErfK-Preis, 14. Aufl., Einführung zum NachwG, Rdz. 22 f.) und führte selbst bei Unaufklärbarkeit der Frage, ob die Leerfahrten Bestandteil der Arbeitsleistung der Klägerin sind - erst Recht unter Berücksichtigung der obigen Erwägungen - zu einer faktischen Umkehr der Beweislast. Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen.

(4)Zur vertraglichen Arbeitszeit zu rechnen sind schließlich Pufferzeiten, die die Klägerin bzw. die ihr die Abholzeiten vorgebende Busfahrer B. als Führer des Busses einplanten. Beide waren morgens verpflichtet, rechtzeitig an den zeitlich vorgegebenen Abholpunkten zu erscheinen, um es nicht zu unnötigen Wartezeiten der aufzunehmenden Personen und insbesondere einem zu späten Erreichen der Schule kommen zu lassen. Das gebietet ein Losfahren an der Wohnadresse zu einem Zeitpunkt, der den unzweifelhaft immer wieder auftretenden Störungen im innerstädtischen morgendlichen Berufsverkehr Rechnung trägt. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin sich morgens etwa 7 Minuten vor der geplanten Ankunftszeit am ersten Abholpunkt Wüstenhofer Straße in Essen zu Hause abholen ließ. Entsprechendes gilt für den Puffer bei der nachmittäglichen Rücktour. Sollte dieser etwas größer ausgefallen sein, erscheint dies wegen des längeren Anfahrtwegs und des Wunsches, möglichst "weit vorne" in der Reihe der die behinderten Personen aufnehmenden Busse zu stehen, um entsprechend eher losfahren zu können, ohne weiteres plausibel. Damit verlagerte sich nämlich auch das Arbeitsende am Nachmittag nach vorne.

bbb.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien ist die Kammer gemäß § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass die von der Klägerin vorgetragenen Fahrtzeiten - und damit ihre Arbeitszeiten - zutreffen.

(1)Die Zeugin G. hat in ihrer Vernehmung die Angaben der Klägerin bestätigt. Sie hat den morgendlichen Zustieg der Klägerin auf 06.30 Uhr bis 06.35 Uhr und ihre Rückkunft auf etwa 08.30 Uhr taxiert. Nachmittags habe die Tour der Klägerin von etwa 14.30/14.35 Uhr bis gegen 16.30 Uhr gedauert. Dass die Zeugin gering bemessene Zeitkorridore verwendet hat, stellt die Ergiebigkeit ihrer Aussage nicht in Frage. Bei den angegebenen Zeiten muss es sich zwangsläufig um Schätzwerte handeln. Da der tägliche Zeitbedarf von den Verkehrsverhältnissen und der Reibungslosigkeit des Aus- bzw. Einstiegs der zu befördernden Personen abhängt, sind minutengleiche Abfahrts- bzw. Ankunftszeiten nicht zu erwarten, ebenso wenig, dass sich die Zeugin insoweit an einzelne Tage aus einem mehrere Jahre zurückliegenden Zeitraum noch erinnern könnte. An diesem Punkt genügt, dass die Aussage der Zeugin G. erkennen lässt, dass nicht eine nur ausnahmsweise gegebene überlange Dauer einer Tour zum Normalfall erhoben wurde. Im Hinblick auf die Abholung ist im Übrigen maßgeblich, dass die Klägerin jedenfalls mit einem Erscheinen des Busses schon um 06.30 Uhr bzw. 14.30 Uhr rechnen musste.

(2)Die Aussage der Zeugin ist glaubhaft. Sie ist in sich widerspruchsfrei und uneingeschränkt nachvollziehbar. Sie deckt sich mit dem Sachvortrag der Klägerin und in weiten Teilen auch mit dem der Beklagten. Wenn beispielsweise die Zeugin bekundet, man habe die Einrichtung auf der Hinfahrt gegen 07.45 Uhr/07.50 Uhr erreicht, so dauerte die Fahrt insgesamt etwa 70 Minuten. Nach den google-maps-Angaben (Blatt 143 ff. der Akten), die die Beklagte vorgelegt hat, betrug alleine die reine Fahrzeit 52 Minuten. Hinzu kommen die Zeiten für die Aufnahme der behinderten Personen an 7 Abholpunkten, die - unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Personen nicht alle schon auf der Straße warteten - mit durchschnittlich zweieinhalb Minuten nicht übersetzt scheinen. Auch einen Widerspruch zu den von der Beklagten vorgelegten Fahrtenschreiberaufzeichnungen vermochte die Kammer nicht zu erkennen. Im Gegenteil: So belegen etwa die mit Schriftsatz vom 09.04.2013 eingereichten Aufzeichnungen für fünf Tage im September 2012 (Blatt 146 ff. der Akten) zweifelsfrei, dass die Einrichtung Nünningstraße erst nach 07.45 Uhr erreicht wurde und dort eine bis 10 Minuten dauernde Stand- und Ausstiegszeit zu absolvieren war - wie auch die Zeugin dies bekundet hat. Insgesamt sind signifikante Abweichungen zu den von der Zeugin geschilderten Abfahrts- und Ankunftszeiten zu Lasten der Beklagten nicht erkennbar, wobei die Kammer davon ausgeht, dass die Beklagte sich aus den mehreren hundert im streitigen Zeitraum erstellten Fahrtenschreiberaufzeichnungen nicht diejenigen herausgesucht haben dürfte, die die Darstellung der Klägerin eher noch stützen. Alles andere als ein grundsätzliches Übereinstimmen von Unterlagen und Zeugenaussage müsste auch überraschen: Schon nach den vorgegebenen bzw. unstreitigen Zeitfaktoren (Abholzeiten, Dauer der Anfahrt) erscheint eine Tourdauer von erkennbar weniger zwei Stunden kaum möglich - wenn man die Leerfahrten berücksichtigt.

(3)Die Zeugin G. war uneingeschränkt glaubwürdig. Sie hat den Sachverhalt bestimmt und ohne zu zögern geschildert. Die Detailgenauigkeit ihrer Schilderung war diejenige, die bei einem langjährig wiederkehrend stattfindenden, aber bereits einige Jahre zurückliegenden Sachverhalt erwartet werden durfte. Wo sich die Zeugin nicht sicher war, hat sie dies bereitwillig eingeräumt. Insgesamt stellten sich die Bekundungen der Zeugin als Beschreibung tatsächlich Erlebten dar. Hinreichende Ansatzpunkte für eine Gefälligkeitsaussage zugunsten der Klägerin vermochte die Kammer nicht auszumachen. Die Zeugin wirkte authentisch und ehrlich. Sie räumte ihre freundschaftliche Beziehung zur Klägerin ein. Allein dies und der Umstand, dass die Zeugin einen - allerdings bereits beendeten - Parallelrechtsstreit gegen die Beklagte geführt hatte, genügt nicht, um ihr keinen Glauben zu schenken; zumal die "Vorteile" der Klägerin durch eine Falschaussage sich auf einen Minutenbereich verlängerter Fahrtdauer beschränken würden.

ccc.

Betrug die tägliche Arbeitszeit 4 Stunden und erhielt die Klägerin dafür 15,00 € brutto, lag der tatsächliche Stundenverdienst der Klägerin an Einsatztagen bei 3,75 €. Da es nach Darstellung beider Parteien übliche Tages- oder Tourpauschalen für Busbegleitungen nicht gibt, ist zur Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eine Umrechnung auf einen Stundenlohn unumgänglich. Wegen der für den streitgegenständlichen Zeitraum gegebenen und auch von vorneherein beabsichtigten Kontinuität der Vergütung wie auch des Einsatzes der Klägerin wirft ein solches Vorgehen keine rechtlichen Bedenken auf.

Bei Licht betrachtet lag der faktische Stundenlohn der Klägerin im Übrigen sogar noch niedriger. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Klägerin vertragswidrig nur für tatsächliche Arbeitsleistungen an Öffnungstagen der Einrichtung Nünningstraße bezahlt wurde. Die von der Beklagten hierfür vorgebrachte Erklärung, es habe eine mündliche "Ruhensvereinbarung für Schließzeiten" gegeben, verfängt nicht, und zwar gleich aus zwei Gründen:

(1)Die Beklagte hat wegen der für diese Übereinkunft notwendigen Willenserklärungen der Parteien nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Was die Parteien dieses Rechtsstreits insoweit besprochen haben, hat die Beklagte nicht dargelegt. Die Behauptung, es müsse bei der Klägerin so gewesen sein wie bei anderen Einstellungen auch (welchen?), verfängt schon deshalb nicht, weil zumindest die Reaktion der Klägerin individueller Natur ist. Dem Gericht ist damit die rechtliche Prüfung verwehrt, ob sich deckende Willenserklärungen der Parteien vorlagen. Ebenso wenig verwertbar ist die pauschale und nicht unter Beweis gestellte Behauptung, der Klägerin seien ihre Arbeitsbedingungen bereits zuvor bekannt gewesen. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, woher die Beklagte diese Angabe in Bezug speziell auf eine im Arbeitsleben eher ungewöhnliche Ruhensvereinbarung nimmt, indiziert auch dies nicht ohne weiteres ein Einverständnis der Klägerin.

(2)Selbst wenn man zugunsten der Beklagten von der Existenz einer Ruhensvereinbarung ausgehen könnte, wäre diese gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unwirksam, weil sie die Klägerin unangemessen benachteiligte. Sie schösse nämlich insoweit über das (ansonsten nachvollziehbare) Ziel der Beklagten hinaus, ohne tatsächlichen Bedarf an der Arbeitsleistung der Klägerin nicht gleichwohl die Zahlung einer Vergütung zu schulden, als es keinen Grund gibt, das Ruhen auch für Schließtage zu vereinbaren, an denen der der Klägerin zustehende gesetzliche Erholungsurlaub gewährt werden könnte oder die auf gesetzliche Feiertage fallen. Mindestens diese Tage hätten von einem Ruhen ausgenommen werden müssen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 10.01.2007 - 5 AZR 84/06, NZA 2007, 384). Die von der Beklagten behauptete Abrede ist an den §§ 305 ff. BGB zu messen, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen auch in nur mündlich geschlossenen Arbeitsverträgen enthalten sein können, solange sie standardmäßig arbeitgeberseitig für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Bestimmungen enthalten (BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11, NZA 2012, 908). Vorliegend will die Beklagte ja genau das bei Einstellung der Busbegleitungen getan haben.

bb.

Der objektive Wert der Arbeitsleistung der Klägerin betrug zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums 9,25 € pro Stunde. Er entstammt § 4 Abs. 1 Ziffer II. des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen in der am 01.01.2009 gültigen Fassung (im Folgenden LTV). Die Klägerin ist als ungelernte Arbeiterin der (Eingangs-) Lohngruppe 1 zuzuordnen, für die der oben bezeichnete Wert galt.

aaa.

Nach Maßgabe der Rechtsprechung des BAG gibt der einschlägige Tariflohn des LTV den objektiven Wert der Arbeitsleistung der Klägerin wieder. Er indiziert das allgemeine Lohnniveau in fachlicher und räumlicher Hinsicht, weil mehr als 50% der Arbeitgeber des privaten Omnibusgewerbes in Nordrhein-Westfalen kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert sind.

(1)Das steht zur Überzeugung des Gerichts in Ansehung der eingeholten schriftlichen Zeugenaussage des Geschäftsführers L. des Verbandes Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen e.V. vom 13.04.2015 (Blatt 464 der Akte), an deren Glaubhaftigkeit ebenso wenig wie an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln ist, fest. Danach waren 2009 432 Betriebe Mitglied im NWO. Ihnen gegenüber standen zum Stichtag 31.12.2009 718 private Omnibusunternehmen in Nordrhein-Westfalen, wie sich der Auskunft der Landesbehörde IT.NRW vom 18.08.2014 entnehmen lässt (Anlage K15 zum Klägerschriftsatz vom 16.02.2015). Deren Richtigkeit hat die Beklagte nicht bestritten. Sie ist auch hinreichend aussagekräftig, obwohl sie sich nicht unmittelbar zum Jahresbeginn 2009 verhält. Es sind nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Zahl der branchenangehörigen Unternehmen binnen Jahresfrist um gleich 150 Unternehmen verringert hat, die es bräuchte, um zu einem Organisationsgrad von weniger als 50% zu Jahresbeginn 2009 zu gelangen. Dies gilt erst Recht, wenn man die nach Aussage des Zeugen L. durchgehend konstante Mitgliederzahl im NWO mitberücksichtigt.

(2)Ob der Organisationsgrad auch in den Folgejahren weiterhin mehr als 50% betragen hat, spielt im Ergebnis keine Rolle. Denn wenn der Lohn der Klägerin zum 01.01.2009 in Anbetracht des damals herrschenden Tariflohnniveaus sittenwidrig war, war die von den Parteien getroffene Lohnabrede gemäß § 138 BGB nichtig und wurde zu diesem Zeitpunkt durch die Vereinbarung, es werde die übliche Vergütung gezahlt, ersetzt (vgl. die Fiktion des § 612 Abs. 2 BGB). Die spätere Heilung einer einmal sittenwidrigen Vergütungsabrede kommt nicht in Betracht, weil sie nicht mehr existent ist. Eine rechtlich relevante Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses der Parteien in Ansehung der von der Klägerin Ende 2010/Anfang 2011 eingelegten Arbeitspause mit anschließender Neueinstellung liegt ebenfalls nicht vor, da es zu einem dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB Rechnung tragenden Beendigungstatbestand (Kündigung, Aufhebungsvertrag) nicht gekommen ist. Abgesehen davon gibt in Anbetracht der eher rückläufigen Zahl privater Omnibusunternehmer in Nordrhein-Westfalen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Organisationsgrad der Branche in den Jahren 2010 bis 2012 auf unter 50% gesunken sein könnte.

(3)Die gefundene Einschätzung wird weiterhin nicht durch die von der Beklagten angeführten Bestimmungen des Tariftreue- und VergabeG NW bzw. der Freistellungsverordnung zum PersonenbeförderungsG in Frage gestellt, so dass die von den Parteien diskutierte Einordnung der von der Klägerin durchgeführten Fahrten keiner Entscheidung bedarf. Das folgt schon daraus, dass erstgenanntes Gesetz zu Beginn des Jahres 2009 noch gar nicht galt. Abgesehen davon gehören die einschlägigen Vorschriften, insbesondere § 4 des Tariftreue- und VergabeG NW dem öffentlichen Recht an und regeln, welchem Unternehmen unter welchen Bedingungen öffentliche Aufträge, z.B. zur Beförderung von Schülern oder behinderten Menschen erteilt werden dürfen. Sie zielen jedoch weder darauf ab, etwa höhere Tarifentgelte auszuschließen, noch wäre ein solcher Zweck mit der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG zu vereinbaren. Die Vorschriften stellen lediglich einen - sicherlich starken - Anreiz dar, nicht weniger als den vorgegebenen Mindestlohn zu zahlen.

bbb.

Ohne Belang ist, dass gemäß § 1 LTV Arbeitnehmer mit einer Arbeitszeit von weniger als 15 Wochenstunden dessen persönlichen Geltungsbereich nicht unterfallen. Wie oben dargelegt, hat die Klägerin mehr als 15 Stunden pro Woche gearbeitet. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, würde sich am gefundenen Ergebnis nichts ändern:

(1)Der LTV ist im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung nur insoweit maßgeblich, als er einen Vergleichsmaßstab für den objektiven Wert einer Arbeitsleistung liefert. Dieser Wert kann indes nicht davon abhängen, ob eine Arbeitsleistung nun an 14 oder 16 Stunden in der Woche erbracht wird. Die Frage, ob die Klägerin als "Minijobberin" einen Lohnanspruch wegen einer Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft oder kraft individualvertraglicher Bezugnahme unmittelbar aus dem LTV ableiten könnte, stellt sich nicht.

(2)Die Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des LTV erscheint rechtlich - vorsichtig ausgedrückt - höchst problematisch und dürfte nicht ohne Grund aus den nachfolgenden Lohntarifverträgen gestrichen worden sein. Es deutet sich nämlich an, dass die Herausnahme geringfügig Beschäftigter aus dem Geltungsbereich eine gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG unzulässige Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten (und damit auch eine mittelbare Geschlechts- und Altersdiskriminierung) beinhaltet. § 4 Abs. 1 TzBfG bindet auch Tarifvertragsparteien; eine benachteiligende Regelung ist nicht schon deshalb zulässig, weil sie einem Tarifvertrag entstammt. Vielmehr muss es einen "echten Bedarf" für die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten geben, diese muss zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich sein (BAG in st. Rspr., zuletzt Urteil vom 31.07.2014 - 6 AZR 993/12, juris, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 01.03.2012 - C 393/10 (O`Brien)). Dafür vermag die Kammer hier keine Anhaltspunkte zu erkennen.

ccc.

Ebenfalls nicht erkennbar ist, dass Schulbusbegleitungen gar nicht dem Geltungsbereich des LTV unterfielen. Für den Fahrdienst erfasst § 3.2 Lohngruppe 1 sämtliche "ungelernten Arbeiter", die in den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des § 1 fallen. Dazu gehört die Klägerin. Dass in der anschließenden Aufzählung "Reisebegleiter im Gelegenheitsverkehr" genannt werden, bedeutet nicht, dass es einer tatbestandlichen Prüfung bedürfte, ob die Klägerin im Gelegenheitsverkehr eingesetzt wurde oder nicht. Denn dabei handelt es sich lediglich um eine nicht abschließende Aufzählung von Regelbeispielen ("z.B."), die einen Willen der Tarifvertragsparteien zur weitergehenden Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs nicht hinreichend zum Ausdruck bringt.

ddd.

Ist danach "ohne weiteres" von der Üblichkeit der Tarifvergütung auszugehen, hat die Beklagte ihrerseits nicht dargelegt, dass sich die verkehrsübliche Vergütung für Busbegleitungen im Wirtschaftsgebiet im Jahre 2009 tatsächlich unterhalb des oben skizzierten Tariflohnniveaus bewegt hat.

(1)Der Vortrag der Beklagten zu diesem Punkt ist schon nicht hinreichend aussagekräftig. Er ist bezüglich der Höhe der Stundenvergütungen nicht widerspruchsfrei. Hat die Beklagte erstinstanzlich zum Beispiel noch vorgetragen, verbandsangehörige Unternehmen wie die Firmen I. und D. zahlten ihren Busbegleitungen aktuell 7,50 € bis 8,00 € pro Stunde, soll nach zweitinstanzlicher Behauptung das Lohnniveau durch Tourlöhne von 5,50 € bis 6,00 € geprägt werden (Blatt 4 des Schriftsatzes vom 17.03.2015). All das belegt - die Richtigkeit der Angaben unterstellt - allenfalls, dass ein einheitliches Lohnniveau nicht besteht, dem das Entgelt der Klägerin im Übrigen nicht einmal gemessen an der absoluten Untergrenze entspricht. Die Zahlen wären im Übrigen so oder so nicht repräsentativ, weil sie von nicht mehr als einem Dutzend von über 700 in Nordrhein-Westfalen tätigen privaten Omnibusunternehmen stammen.

(2)Sollte Busbegleitungen tatsächlich üblicherweise einen geringeren als den Tarifstundenlohn erhalten haben, mag dies an der Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs in § 1 LTV gelegen haben. Das spräche aber nicht dafür, dass der objektive Wert der Arbeitsleistung der Busbegleitungen geringer anzusetzen ist, sondern belegte allenfalls, dass auch die Konkurrenzunternehmen der Beklagten ihren Teilzeitbeschäftigten mit weniger als 15 Wochenstunden diskriminierend niedrige Löhne zahlten. Darauf kann sich die Beklagte nicht berufen. Nach Auffassung der Kammer kann ein diskriminierender und deshalb rechtlich unzulässiger Stundenlohn nicht als "verkehrsüblich" maßgeblich für eine Sittenwidrigkeitsprüfung herangezogen werden (in diesem Sinne auch LAG Hamm, Urteile vom 18.03.2009 - 6 Sa 1284/08 und 6 Sa 1372/08, Streit 2009, 107).

cc.

Der von der Beklagten gezahlte und der verkehrsübliche Tarifstundenlohn können ohne weiteres ins Verhältnis gesetzt werden. Der Ansatz eines wie auch immer zu beziffernden Aufschlags wegen des Nettozuflusses der Tourpauschale an die Klägerin ist nicht geboten. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

(1)Bei beiden Löhnen handelt es sich um Bruttolöhne. Die Parteien haben nicht etwa eine Nettotourpauschale vereinbart, sondern lediglich ein solche, die wegen der gesetzlichen Vorgaben und den persönlichen Verhältnissen der Klägerin steuer- und sozialversicherungsfrei bleibt. Je nachdem, welche sonstigen Einkünfte aus weiteren Arbeitsverhältnissen die Klägerin erzielte, hätte das anders sein können. Nichts spricht dafür, dass die Beklagte in diesem Fall die anfallenden Abgaben hätte übernehmen sollen. Abgesehen davon darf nicht übersehen werden, dass die Abgabenfreiheit mit Nachteilen der Klägerin im Hinblick auf ihre sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche verknüpft ist (ebenso LAG Hamm, Urteile vom 18.03.2009, aaO; LAG Bremen, Urteil vom 28.08.2008 - 3 Sa 69/08, LAGE § 138 BGB 2002 Nr. 2; ErfK-Preis, 14. Aufl., § 612 Rdz. 3; abweichend LAG Hamm, Urteil vom 20.03.2013 - 2 Sa 1442/12, juris).

(2)Es ist nicht ersichtlich, wie der Aufschlag bemessen sein muss. Die von der Beklagten angeführten 25% sind wie alle anderen Prozentzahlen gegriffene Werte, die sich als mehr oder minder passend herausstellen können - oder eben auch nicht. Auf die Erwägungen der Klägerin auf Blatt 20 der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.

(3)Maßgebend für die Sittenwidrigkeitsprüfung ist zudem, ob seitens des Begünstigten ein Missverhältnis vorliegt. Es sind nur die Vorteile, die dem Arbeitgeber aus dem wucherischen oder wucherähnlichen Geschäft zufließen, mit dem Wert seiner Leistungen zu vergleichen, während es auf einen Vergleich der Leistung mit den "Vorteilen", die sich für den Arbeitnehmer aus der Vereinbarung (oder deren steuerrechtlicher oder sozialversicherungsrechtlicher Behandlung) ergeben, nicht ankommt (LAG Hamm, Urteil vom 18.03.2009, aaO; BGH, Urteil vom 22.04.1997 - 1 StR 701/96, NZA 1997, 1166).

b.

Der für eine sittenwidrige Lohnabrede erforderliche subjektive Tatbestand ist ebenfalls gegeben.

aa.

Unter Anlegung der Maßstäbe der ständigen Rechtsprechung des BAG liegt ein besonders auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vor. Die gewährte Vergütung erreicht die Hälfte des objektiven Wertes der Arbeitsleistung der Klägerin nicht einmal ansatzweise, sondern nur etwa 40%. Die verwerfliche Gesinnung der Beklagten ist damit indiziert.

bb.

Wenn man zugunsten der Beklagten unterstellte, bei den von der Klägerin absolvierten Leerfahrten handele es sich nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeit (bzw. zumindest berücksichtigt, dass die Parteien dies hätten vereinbaren können), oder fallrelevante Rechtsfragen anders beantwortete, als die Kammer dies tut, unterschritte der von der Beklagten gezahlte Lohn den Tariflohn zumindest um mehr als ein Drittel. Selbst dann ließen die weiteren Umstände des vorliegenden Falles den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten zu. Dies macht die Kammer an folgenden Erwägungen fest:

(1)Die Vertragsgestaltung der Beklagten für ihre geringfügig beschäftigten Busbegleitungen ist - wie sich an den behaupteten Ruhensvereinbarungen für Schließzeiten ermessen lässt - auf die bloße Vergütung des effektiven Arbeitseinsatzes angelegt. In diesem Konzept waren die gesetzlich vorgegebene Gewährung bezahlten Erholungsurlaubs und die Leistung von Entgeltfortzahlung an Krankheits- und Feiertagen nicht vorgesehen. Die Klägerin hat wie die allermeisten ihrer Kolleginnen über Jahre keinen bezahlten Erholungsurlaub erhalten. Ob es insoweit die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 06.07.2015 benannten Ausnahmen gegeben hat, bedurfte keiner Aufklärung, weil sie keinesfalls geeignet wären, dass von der Beklagten praktizierte Prinzip "Ohne Arbeit kein Lohn" grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Kammer erlaubt sich allerdings die Anmerkung, dass z.B. die Behauptung, der Arbeitnehmerin C. sei bei einer nur sechsmonatigen Beschäftigung vom 01.03. bis zum 31.08.2009 für mehr als zwei volle Monate bezahlter Erholungsurlaub gewährt worden, mehr als erklärungsbedürftig erscheint und allein mit dem Umstand, der Urlaub sei bereits vor Beginn des Beschäftigungsverhältnisses von der Mitarbeiterin geplant gewesen, nicht ansatzweise erklärt ist.

(2)Die Beklagte hat bis Mitte des Jahres 2012 ihre Pflichten aus dem NachwG systematisch verletzt. Schriftstücke wurden nur gefertigt, wenn sie der Beklagten selbst nützlich waren. Erst als sie im Laufe der offensichtlich stattgefundenen Vorprozesse vom Arbeitsgericht auf diesen Mangel hingewiesen wurde, hat die Beklagte reagiert und den Betroffenen schriftliche Arbeitsverträge vorgelegt. Gleichzeitig hat sie sich schriftliche Verzichtserklärungen unterzeichnen lassen, die faktisch auf einen einseitigen Rechtsverlust der Arbeitnehmer abzielten (dazu unten unter 3.a.). Was das mit einem (fairen) Schlussstrich unter die Vergangenheit zu tun haben soll, erschließt sich der Kammer nicht.

(3)Die Beklagte hat der Klägerin und einer ganzen Reihe von Arbeitnehmern, wie das Arbeitsgericht im Rahmen der Begründung des Auflösungsantrags der Klägerin zutreffend erkannt hat, unmittelbar nach Auftreten von Unstimmigkeiten über die ordnungsgemäße Vergütung nach dem Arbeitsvertrag von Juli 2012 gekündigt. Eine sachliche Begründung für auch nur eine dieser Kündigungen hat sie nicht vorgetragen, soweit die Kammer dies in Anbetracht der rund 15 bei ihr anhängigen oder anhängig gewesenen Parallelverfahren beurteilen kann. Warum es sich daher bei diesen Kündigungen in Anbetracht der zeitlichen Zusammenhänge nicht um Maßregelungen im Sinne des § 612a BGB gehandelt haben sollte, ist nicht erkennbar. Daran ändert die spätere Rücknahme der Kündigungen nichts.

2.

Konsequenz der gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtigen Lohnabrede der Parteien ist, dass die Beklagte die Differenz zum üblichen Lohn, hier also zum jeweils aktuellen Tarifstundenlohn gemäß Lohngruppe 1 (§ 4 Abs. 1 Ziffer II. LTV) ohne Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen nachzuzahlen hat (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2009 - 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837, dort Rdz. 31; ErfK-Preis, 14. Aufl., § 612 Rdz. 3a).

a.

Anspruchsgrundlagen dafür sind § 611 Abs. 1 BGB (für Tage, an denen die Klägerin gearbeitet hat), § 2 Abs. 1 EFZG (für Wochenfeiertage) und § 615 Satz 1 BGB (für sonstige Schließtage), jeweils in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB. Am Bestehen einer Vergütungserwartung der Klägerin auch für die (wenigen) Schließtage der GSE Nünningstraße ist nicht zu zweifeln, weil es insoweit an einer wirksamen Ruhensvereinbarung der Parteien fehlt. Jede Korrektur dieses Befundes liefe auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der von der Beklagten behaupteten, die Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligenden Ruhensvereinbarung hinaus (vgl. oben 1.a.aa.ccc., zur grundsätzlichen Unzulässigkeit dieses Vorgehens bei AGB-widrigen Vertragsbestimmungen zuletzt etwa BAG, Urteil vom 19.02.2014 - 5 AZR 920/12, DB 2014, 1143). Gab es keine Ruhensvereinbarung, hätte die Beklagte die Klägerin anderweitig einsetzen können und müssen.

b.

Einem Zahlungsanspruch für die Schließtage der Einrichtung aus Annahmeverzug steht nicht entgegen, dass die Klägerin für diese Tage weder tatsächlich (§ 294 BGB) noch wörtlich (§ 295 BGB) ihre Arbeitsleistung angeboten hat. Das folgt unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar nicht daraus, dass ein Arbeitsangebot gemäß § 296 BGB wegen fehlender Zurverfügungstellung eines Arbeitsplatzes für diese Tage entbehrlich gewesen wäre; vielmehr ist für die Anwendung des § 296 BGB im ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich kein Raum (vgl. BAG, Urteil vom 15.05.2013 - 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076). Der Fall liegt jedoch so, dass die Beklagte sich nach den Umständen auf das Fehlen eines tatsächlichen oder wörtlichen Arbeitsangebotes nicht berufen kann, weil ein solches Angebot von der Beklagten offensichtlich nicht angenommen worden wäre, sondern eine reine Förmelei dargestellt hätte (vgl. BAG, Urteil vom 21.04.1999 - 5 AZR 174/98, NZA 1999, 1044). Dass die Klägerin sich an Schließtagen vor ihre Wohnung auf die Straße hätte stellen sollen, um auf den nicht kommenden Bus zur Einrichtung zu warten, ist ebenso abwegig wie die Vorstellung, dass die Beklagte auf einen Telefonanruf oder ein Schreiben der Klägerin hin dieser einen Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung gestellt hätte. Dem steht schon entgegen, dass die Beklagte davon überzeugt war und ist, die Klägerin wegen der mit dieser vermeintlich getroffenen Ruhensvereinbarung an Schließtagen nicht beschäftigen zu müssen.

c.

Kein Vergütungsanspruch der Klägerin besteht für die Zeiträume vom 16.12.2010 bis zum 31.12.2010 und vom 01.07.2011 bis zum 31.07.2011. Für diesen Zeitraum hat die Klägerin die Erbringung einer Arbeitsleistung bzw. zumindest die Abgabe eines Arbeitsangebotes nicht nachgewiesen, obwohl die Beklagte sie unter Hinweis auf die dem Grunde nach unstreitige Arbeitspause der Klägerin und die von ihr erstellten Abrechnungen bestritten hat. Die Vernehmung der Zeugin G. verlief insoweit unergiebig; sie bekundete, keinen "blassen Schimmer" mehr zu haben, wann die Pause war und wie lange sie gedauert hat.

d.

Im Ergebnis hat die Klägerin auf Basis des zwischen den Parteien unstreitigen Rechenwerks zu beanspruchen

-für das Jahr 2009 insgesamt9.707,16 € (Bl. 8 der Berufungsbegründung)

-für das Jahr 2010 insgesamt9.428,24 € (ebenda, 9.887,04 € abzüglich 12 Arbeitstage im Dezember, 12 x 4 x 9,56 € = 458,88 €)

-für das Jahr 2011 insgesamt4.220,16 € (ebenda, 5.023,20 € abzüglich 21 Arbeitstage im Juli, 21 x 4 x 9,56 € = 803,04 €)

-für das Jahr 2012 insgesamt6.519,68 € (ebenda, bis zum 21.08.2012).

Davon sind die von der Beklagten geleisteten 10.272,50 € in Abzug zu bringen; es bleiben

19.602,66 € brutto.

3.

Dem Anspruch der Klägerin stehen keine Einwendungen entgegen.

a.

Die Klägerin hat auf ergänzende Lohnansprüche durch die am 13.07.2012 getroffene Vereinbarung nicht wirksam verzichtet. Die Vereinbarung ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.

aa.

Die Vereinbarung stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB dar. Sie enthält von der Beklagten vorformulierte Bedingungen, die die Beklagte nach eigenem Vortrag für eine Vielzahl von Arbeitsverträgen mit Kleinbusfahrern und Busbegleitungen aufgestellt und auch verwendet hat.

bb.

Die Vereinbarung beinhaltet ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis. Das ergibt ihre einheitliche Auslegung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn anhand der Verständnismöglichkeiten verständiger und redlicher Vertragspartner und unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise (vgl. zum Auslegungsmaßstab BAG, Urteil vom 07.11.2007 - 5 AZR 880/06, NZA 2008, 355). Der Wille der Parteien ist darauf gerichtet, alle bekannten oder unbekannten Ansprüche zum Erlöschen zu bringen. Die Parteien gehen gerade nicht davon aus, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 21.08.2012 ordentlich abgerechnet wurde, sondern sie "vereinbaren" dies "einvernehmlich". Demzufolge geht die Vereinbarung über den Inhalt eines bloß deklaratorischen Schuldanerkenntnisses hinaus. Es liegt andererseits aber auch kein Erlassvertrag vor, weil die Parteien nicht vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, die übereinstimmend nicht mehr erfüllt werden soll, sondern lediglich der Geltendmachung für möglich gehaltener Ansprüche vorgebeugt werden soll (vgl. zur Abgrenzung BAG, Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338).

cc.

Die Vereinbarung benachteiligt die Klägerin in unangemessener Weise im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

(1)Eine Inhaltskontrolle der Vereinbarung vom 13.07.2012 ist nicht gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Nach Maßgabe dieser Bestimmung findet § 307 Abs. 1, 2 BGB nur Anwendung, wenn durch Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Das bezweckt, die Hauptleistungspflichten im gegenseitigen Vertrag der AGB-Kontrolle zu entziehen (BAG, Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 203/10, aaO). Die Vereinbarung vom 13.07.2012 betrifft das Äquivalenzverhältnis der Parteien nicht. Sie stellt eine Nebenbestimmung im Rahmen des bereits vorher bestandenen und auch nachher fortbestehenden Arbeitsverhältnisses der Parteien dar. Die Klägerin hat nicht die Vereinbarung vom 13.07.2012 unterzeichnet, um als "Gegenleistung" in den Genuss eines (inhaltlich sogar nachteiligen) schriftlichen Arbeitsvertrages zu kommen. Dem steht schon entgegen, dass eine urkundliche Verknüpfung beider Abreden nicht existiert und die Parteien am 13.07.2012 nach eigenem Vortrag der Beklagten im Rahmen der Berufungserwiderung erst den neuen Arbeitsvertrag und dann die Abgeltungsvereinbarung unterschrieben (vgl. Blatt 12 des Beklagtenschriftsatzes vom 09.04.2013).

(2)Die Verzichtsvereinbarung ist unangemessen benachteiligend, weil sie faktisch ausschließlich zu Lasten der Klägerin wirkt und damit das im Schuldrecht verankerte und anerkannte Äquivalenzprinzip - auch ungeschriebene Rechtsgrundsätze gehören zu den Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB - verletzt. Die Klägerin hat wie ihre Kolleginnen und Kollegen ohne jegliche Kompensation auf ergänzende Lohnansprüche für die Vergangenheit verzichtet. Dabei handelt es sich, wie die in der Kammer anhängigen Parallelverfahren zeigen, in vielen Fällen um Zahlungsansprüche in fünfstelliger Höhe. Der Verzicht betrifft daher nicht nur geringfügige Ansprüche. Eine Kompensation liegt nicht darin, dass auch die Beklagte auf Forderungen verzichtet hat. Ansprüche aus Lohnüberzahlung etc., die im Zeitraum bis zum 13.07.2012 begründet worden sein könnten, scheiden ersichtlich aus. Absatz 2 der Vereinbarung bezieht sich zudem auf Absatz 1, der die Vereinbarung einer "ordentlichen Abrechnung" beinhaltet. Eine solche schuldet und nimmt nur die Beklagte vor, nicht aber die Klägerin. Von einem Geben und Nehmen kann im Ergebnis nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Der von der Beklagten beschworene "Schlussstrich" unter die Vergangenheit verfolgte den alleinigen Zweck, die Beklagte vor immensen Nachforderungen von Busfahrern und Busbegleitungen wegen möglicher Sittenwidrigkeit des Lohnes, nicht gewährten bezahlten Erholungsurlaubs, unterbliebener Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall etc. zu schützen.

b.

Die Ansprüche der Klägerin für den Zeitraum bis zum 21.08.2012 sind auch nicht aufgrund von Ziffer 13 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13.07.2012 verfallen. Die Bestimmung betrifft diese Ansprüche nicht und ist überdies unwirksam.

aa.

Ziffer 13 Abs. 2 enthält eine eigenständige Regelung der zu beachtenden Ausschlussfrist; eine Verweisung auf § 21 MTV und die dort geregelte Ausschlussfrist liegt nicht vor. Das ergibt die gebotene Auslegung des Vertrages der Parteien. Würde man nämlich letzteres annehmen wollen, verbliebe eine in sich widersprüchliche Regelung der Ausschlussfrist. Anders als die tarifvertragliche Bestimmung nimmt Ziffer 13 Abs. 2 Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht vom Verfall aus; auch die ausdrückliche Erstreckung auf Ansprüche der Beklagten fehlt. Abgesehen davon ist eine Inbezugnahme von Tarifverträgen "im Übrigen" nur so zu verstehen, dass diese nur dann gelten sollen, wenn der Arbeitsvertrag eine Arbeitsbedingung nicht selbst regelt. Genau das ist hier der Fall. Ausreichende Hinweise für ein nur deklaratorisches, aber unvollständiges "Abschreiben" des § 21 MTV liegen nicht vor.

Die Auslegung des Vertrages ergibt weiter, dass die Verfallklausel nur Ansprüche betrifft, die nach dem 21.08.2012 entstanden sind. Ziffer 5 sieht vor, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien am 22.08.2012 beginnt. Da das Arbeitsverhältnis aber bereits am 30.08.2007 begründet wurde und es zwischenzeitlich zu keiner Unterbrechung kam, kann der Passus nur so verstanden werden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den schriftlichen Arbeitsvertrag zum 22.08.2012 auf eine gänzlich neue Basis gestellt werden sollte: Höherer Stundenlohn, verlängerte regelmäßige Arbeitszeit, aber etwa in Ziffer 7. auch eine vorher nicht bestehende Vertragsstrafenregelung. Warum Ziffer 13. des Vertrages vor diesem Hintergrund abweichend hiervon als einzige Vertragsbestimmung eine Rückanknüpfung auch für Altansprüche beinhalten soll, erschließt sich der Kammer nicht, so kann die Klausel aus Sicht redlicher und verständiger Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise nicht verstanden werden. Das gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass sich die Beklagte jedenfalls am selben Tag die ebenfalls vorformulierte Verzichtserklärung von der Klägerin hat unterschreiben lassen, mit der aus Sicht der Beklagten bezweckt war, einen Schlussstrich unter alle diejenigen Ansprüche zu ziehen, die bis zum Beginn der Sommerferien möglicherweise entstanden und noch nicht erfüllt waren.

bb.

Ziffer 13 Abs. 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages ist zudem unwirksam, da sie - als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB - die Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt. Die Auslegung der Bestimmung lässt nämlich den Schluss zu, dass die Klausel - gerade wenn man sie mit der Bestimmung des § 21 MTV vergleicht - nur Ansprüche der Klägerin, nicht aber solche der Beklagten erfasst. Satz 1 der Regelung stellt ohne Nennung des Anspruchsinhabers "alle übrigen Ansprüche" neben diejenigen aus Mehrarbeit sowie auf Zahlung von Zulagen jeglicher Art. Diese Ansprüche kann aber nur die Klägerin haben. Ist damit zumindest mehrdeutig, ob die Verfallklausel einseitig oder beidseitig wirkt, ist nach dem Grundsatz der sog. gespaltenen Lösung zunächst die arbeitnehmerfeindlichste Auslegung zu wählen, um auf dieser Grundlage eine Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB durchzuführen (ErfK-Preis, 14. Aufl., §§ 305-310 BGB, Rdz. 31a), erst anschließend griffe die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB. Ziffer 13 Abs. 2 des Arbeitsvertrages scheitert bereits auf der ersten Stufe. Das BAG hat bei einer einseitigen nur für Ansprüche des Arbeitnehmers geltenden Ausschlussfrist angenommen, der Arbeitgeber versuche damit missbräuchlich, sein eigenes Interesse an einer raschen Klärung offener Ansprüche ohne angemessenen Ausgleich durchzusetzen. Diese Benachteiligung des Arbeitnehmers sei sachlich nicht zu begründen. Es sei nicht ersichtlich, dass es für den Arbeitgeber schwerer möglich sei als für den Arbeitnehmer, Ansprüche durchzusetzen. Die einseitig den Arbeitnehmer treffende Erschwerung der Durchsetzung von Ansprüchen und der bei Fristversäumnis nur für den Arbeitnehmer vorgesehene völlige Anspruchsverlust widersprächen einer ausgewogenen Vertragsgestaltung (BAG, zuletzt im Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.

c.

Die Ansprüche der Klägerin sind nicht verwirkt. Die Klägerin ist im Hinblick auf die Verfolgung ergänzender Lohnansprüche nicht unter Umständen untätig geblieben, die den Eindruck erweckten, sie wolle ihre Rechte nicht mehr geltend machen, sodass die Beklagte sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (vgl. zum sog. Umstandsmoment der Verwirkung etwa BAG, Urteil vom 11.12.2014 - 8 AZR 838/13, NZA 2015, 2061). Die Klägerin hat vielmehr schlicht nichts getan, weil ihr gar nicht bewusst war, dass sie von der Beklagten noch Entgelt nachverlangen konnte. Davon, dass das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten der Beklagten das Interesse der Klägerin derart überwöge, dass dieser die Erfüllung der Ansprüche nicht mehr zugemutet werden könnte, kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

II.

Die Klägerin konnte auf Basis der unter dem 13.07.2012 schriftlich vereinbarten Arbeitsbedingungen Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 22.08. bis zum 31.08.2012 in Höhe von 295,20 € brutto verlangen.

1.

Zur Entstehung des Anspruchs dem Grunde nach wird auf die Ausführungen unter oben I.2.a. Bezug genommen. Soweit die Beklagte vorträgt, die Klägerin habe im August 2012 "Urlaub gehabt" (Blatt 16 des Beklagtenschriftsatzes vom 09.04.2013), ist dies weder hinreichend substantiiert noch stünde es einem Zahlungsanspruch der Klägerin ohne Erbringung einer Arbeitsleistung zwingend entgegen. Nur ergänzend sei erwähnt, dass die Beklagte jedenfalls keine Entgeltzahlung für diesen Zeitraum vorgenommen hat, wie sich dem Stundenzettel und der Lohnabrechnung für den Monat August 2012 entnehmen lässt.

2.

Die Berechnung der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Sie setzt einen Tageslohn von 36,90 € an, wie er sich nach Lesart der Klägerin aus dem am 13.07.2012 geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag ergibt - 20,5 Wochenstunden : 5 Arbeitstage x 9,00 €/Stunde. Ob diese Auslegung des Arbeitsvertrages richtig ist oder die Wochenstundenzahl einen Maximalwert darstellte, wie die Beklagte behauptet, bedarf keiner Diskussion. Denn: Träfe die Darstellung der Beklagten zu, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin habe "bis zu" 20,5 Wochenstunden betragen sollen, läge eine unzulässige Bandbreitenregelung vor. Die Parteien hätten dann vereinbart, die Klägerin solle "im Bedarfsfall" nicht nur die täglichen Touren zur Einrichtung Nünningstraße absolvieren müssen, deren Zeitumfang die Beklagte auf rund 10 Wochenstunden taxiert, sondern darüber hinaus weitere Fahrten von vergleichbarer Dauer - so sie denn anfallen.

(1)Eine solche Vereinbarung ist als echte Individualabrede gemäß § 134 BGB unwirksam, weil sie der Beklagten ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der geschuldeten Hauptleistung der Klägerin einräumte und damit der Änderungskündigungsschutz des § 2 KSchG unterlaufen würde (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.1984 - 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321). Liegt hingegen - wovon auszugehen ist, weil die Beklagte "ca."-Bestimmungen der regelmäßigen Wochenarbeitszeit auch in diversen weiteren Formulararbeitsverträgen wie etwa denjenigen der Busbegleiterinnen G. und T. verwendet hat - eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung vor, ergibt sich die Unwirksamkeit aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die in der Klausel liegende Abrufmöglichkeit benachteiligt die Klägerin nämlich unangemessen, weil sie zu deren Lasten von § 615 BGB abweicht, nach dessen Maßgabe der Arbeitgeber das Risiko trägt, den Arbeitnehmer beschäftigen zu können, bzw. ihn bei Nichtbeschäftigung wegen Auftragsmangels gleichwohl vergüten zu müssen. Sie erlaubte der Beklagten, die Klägerin wöchentlich zwischen 10 und 20,5 Stunden zu beschäftigen. Ein derartiger Korridor ist selbst unter Berücksichtigung des berechtigten Wunsches der Parteien nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht zuzulassen, weil der Klägerin die Planungssicherheit hinsichtlich des zukünftig zu erzielenden Arbeitseinkommens als Teil ihrer finanziellen Existenzgrundlage genommen wird (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 07.12.2005 - 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423, wonach der Abrufanteil nicht mehr als 25% der vertraglich vereinbarten Mindestarbeitszeit betragen darf). Dass wiederum die Dauer der zu absolvierenden Arbeitszeit allein vom Willen der Klägerin abhängen sollte, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen; eine solche Vorstellung erschiene auch lebensfremd.

(2)Die wegen der Unwirksamkeit der Bestimmung durchzuführende ergänzende Vertragsauslegung führt zur Annahme einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20,5 Stunden. Dies hätten die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart, wenn sie die Unwirksamkeit von Ziffer 1.c) des Arbeitsvertrages vom 13.07.2012 gekannt hätten. Die Beklagte kann sich redlicher Weise nicht darauf berufen, eine solche (Sockel-) Stundenzahl nicht vereinbart zu haben, wenn schon die regelmäßige Tour zur Einrichtung Nünningstraße dieses Zeitkontingent nahezu vollständig ausschöpft. Dass dies der Fall ist, wurde oben unter 1.a.aa.aaa. gezeigt. Dabei ist unerheblich, dass hierin die "Leerfahrten" enthalten sind. Denn zum einen lässt sich auch dem Arbeitsvertrag vom 13.07.2012 und der im Anschluss gelebten Vertragspraxis nicht hinreichend entnehmen, dass diese Fahrten nicht Bestandteil der Arbeitszeit der Klägerin sein sollten. So hat die Beklagte etwa keine andere Einsatzstelle nach Ziffer 2. bekannt gegeben als diejenige, an der zuvor bereits der Einsatz der Klägerin begann (nämlich bei ihr zu Hause). Sie hat auch nicht klargestellt, was die "jeweils angewiesene Tour" im Sinne von Ziffer 8.A des Vertrages ist und dass es sich bei den Leerfahrten um Freizeit handelt. Die folgende Beschränkung auf die "reine Lenkzeit" musste die Klägerin nicht auf sich beziehen, da sie als Busbegleitung keine Fahrtätigkeit ausübt. In Konsequenz all dessen hat die Beklagte denn auch nach August 2012 davon abgesehen, die kostenlose Beförderung der Klägerin während der Leerfahrten als geldwerten Vorteil abzurechnen. Zum Zweiten ist zu berücksichtigen, dass bei einer Behandlung der "Besetztzeiten" als Arbeitszeit und der kostenlosen Rückbeförderung als geldwerter Vorteil nicht nur deutlich höhere Sozialversicherungsbeträge in der Gleitzone hätten entrichtet werden müssen, sondern sich für die Klägerin auch niedrigere Aufstockungsbeträge durch das Jobcenter ergeben hätten.

Dass sich bei dieser Betrachtung kein Abrufanteil in die regelmäßige Wochenarbeitszeit integrieren lässt, steht dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Das Zeitkontingent von 20,5 Stunden gibt lediglich den festen Arbeitszeitsockel wieder. Eine Aufstockung um einen Abrufanteil von bis zu 25% wäre arbeitszeitrechtlich ohne weiteres zulässig. Damit würde dann zwar die Gleitzone verlassen mit der Konsequenz einer höheren Abgabenbelastung. Das ist aber aus Sicht der Klägerin eher hinzunehmen als für eine tatsächliche Arbeitsleistung nicht bezahlt zu werden.

III.

Die Klägerin kann weiterhin die Zahlung von Annahmeverzugslohn gemäß § 615 Satz 1 BGB für den Zeitraum vom 23.11.2012 bis zum 31.01.2013 in Höhe von 1.845,00 € brutto verlangen.

1.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kann der Klägerin nicht entgegen gehalten werden, es fehle an einem Arbeitsangebot für die Zeit nach Rücknahme der Kündigung. Vielmehr hat die Klägerin ihre Arbeitsleistung jedenfalls durch Erhebung der Kündigungsschutzklage, die der Beklagten am 17.11.2012 zugestellt wurde, gemäß § 295 BGB hinreichend angeboten.

a.

Vorliegend hatte die Beklagte die Klägerin nicht nur am 07.11.2012 zum 30.11.2012 gekündigt, sondern auch deren weitere Beschäftigung mit sofortiger Wirkung verweigert, indem sie die Klägerin wie auch die Zeugin G. morgens schlicht nicht mehr vom Busfahrer zur Tour abholen ließ. Dieses Vorgehen stand, wie die Zeugin G. auf telefonische Nachfrage bei der Beklagten erfahren hatte, mit der Kündigung im Zusammenhang. In dieser Konstellation kann die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage nur so verstanden werden, generell und nicht erst nach Ablauf der Kündigungsfrist ihre Arbeitsleistung anbieten zu wollen. Für eine differenzierte Betrachtung der Zeiten vor und nach dem 30.11.2012 besteht kein Raum. Ein wörtliches oder konkludentes Arbeitsangebot war auch ausreichend, weil die Beklagte die gebotene Mitwirkungshandlung - nämlich die erforderliche Einteilung der Klägerin zu einer Tour - unterlassen hat (§ 295 Satz 2 BGB). Sie hat diese Mitwirkungshandlung auch nicht nach Rücknahme der Kündigung am 23.11.2012 nachgeholt, so dass der an diesem Tag bestehende Annahmeverzug nicht beendet wurde. Dass die Klägerin nicht ihrerseits auf die Rücknahme der Kündigung reagierte, ändert daran nichts (vgl. BAG, Urteil vom 19.01.1999 - 9 AZR 679/97, NZA 1999, 925).

b.

Abgesehen davon spricht nach Einschätzung der Kammer vieles dafür, bereits in dem Telefonanruf der Zeugin G. bei der Beklagten nach Ausbleiben des Busses ein Arbeitsangebot nicht nur für sich, sondern für das gesamte "Begleitteam" - also auch der Klägerin - zu sehen. Jedenfalls kann sich die Beklagte in diesem Zusammenhang unter Berücksichtigung der oben unter I.2.b. genannten Grundsätze nicht auf Fehlen eines mündlichen Arbeitsangebotes durch die Klägerin berufen, ohne sich des Einwandes des Rechtsmissbrauchs ausgesetzt zu sehen. Die Klägerin hätte - wenn sie bei der Beklagten um einen Einsatz nachgesucht hätte - keine andere Antwort als Frau G. erhalten.

2.

Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht daran, dass diese gemäß § 297 BGB für die Dauer der - falsch (30.11.2012) oder richtig (31.01.2013) bemessenen - Kündigungsfrist leistungsunwillig gewesen wäre. Hierfür ergeben sich mangels einer konkreten Arbeitsaufforderung der Beklagten, mit der dieser ihre Mitwirkungshandlung erbrachte, keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es ist deshalb ohne Belang, dass die Klägerin sich nach Rücknahme der im Hinblick auf ihre Bereitschaft, zumindest noch bis zu den oben genannten Zeitpunkten für die Beklagte tätig sein zu wollen, "in Schweigen hüllte" (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 251/11, NZA 2012, 971). Auch erst dann wäre es Sache der Klägerin gewesen, sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen ihrer rückständigen Lohnansprüche für vergangene Zeiträume (vgl. oben I., II.) zu berufen oder Gedanken darüber zu machen, ob sie ihre Arbeit während der Kündigungsfrist weiter erbringen wollte, ohne davon ausgehen zu dürfen, hierfür vertragsgemäß vergütet zu werden. Im Übrigen lässt sich eine fehlende Leistungsbereitschaft der Klägerin generell nicht daraus ableiten, dass sie das in der Rücknahme der Kündigung liegende Fortsetzungsangebot der Beklagten ablehnte, um sich die Stellung eines Auflösungsantrags nach §§ 9, 10 KSchG vorzubehalten (BAG, Urteil vom 19.09.1991 - 2 AZR 619/90, RzK I 13b Nr. 18).

3.

Betragsmäßig kann die Klägerin Zahlung von 996,30 € brutto für den Zeitraum vom 23.11.2012 bis zum 31.12.2012 (27 Arbeits-, Feiertage zu je 36,90 € brutto, vgl. Blatt 33 der Berufungsbegründung) und weitere 848,70 € brutto für den Monat Januar 2013 (23 Arbeits-, Feiertage) verlangen. Wegen der Höhe des geschuldeten Tagessatzes wird auf die Ausführungen unter oben II.2. Bezug genommen.

IV.

Die Klägerin hat schließlich wegen des ihr in den Jahren 2009 bis 2012 nicht gewährten Urlaubs Anspruch auf Zahlung von 2.871,00 € brutto unter Schadensersatzgesichtspunkten.

1.

Für das Jahr 2012 schuldet die Beklagte gemäß §§ 275 Abs. 1, 4, 280 Abs. 1, 3, 283 Satz 1, 286 Abs. 2 Nr. 3, 287 Satz 2, 249 Abs. 1 BGB die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 657,00 € brutto wegen Nichtgewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs aus § 3 Abs. 1 BUrlG.

a.

Der der Klägerin für dieses Jahr zustehende Erholungsurlaubs von 20 Tagen verfiel wegen Nichtgewährung mit Ablauf des 31.12.2012, war aber zuvor durch die Klägerin - nämlich jedenfalls im Rahmen der Klageerweiterung vom 27.11.2012 - rechtzeitig geltend gemacht worden. Der Urlaubsanspruch der Klägerin war trotz des zu diesem Zeitpunkt anhängigen Kündigungsschutzrechtsstreits der Parteien erfüllbar (vgl. hierzu BAG, Urteile vom 14.05.2013 - 9 AZR 760/11, DB 2013, 2155; vom 17.05.2011 - 9 AZR 197/10, DB 2012, 182). Dass, wann und wie die Beklagte der Klägerin zuvor Urlaub gewährt und dadurch den Urlaubsanspruch der Klägerin teilweise erfüllt hatte, hat die Beklagte nicht dargetan. Hierzu genügt insbesondere nicht die lapidare Behauptung, im August 2012 habe die Klägerin Urlaub gehabt (Blatt 16 des Schriftsatzes vom 09.04.2013). Eine Nachgewährung des Urlaubs in natura kommt wegen der zwischenzeitlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31.01.2013 nicht mehr in Betracht.

b.

Der Gesamtanspruch der Klägerin beträgt 738,00 € brutto (20 Tage x 4,1 Stunden x 9,00 €). Hierauf muss sie sich die 81,00 € brutto (4,5 Tage x 2 Stunden x 9,00 €) anrechnen lassen, die ihr die Beklagte mit der Abrechnung November 2012 als Urlaubsabgeltung vergütet hat. Auf die Darlegungen der Beklagten im Schriftsatz vom 09.04.2013 (dort Blatt 16 und Anlage B3e) wird Bezug genommen.

2.

Im Hinblick auf den in den Jahren 2009 bis 2011 nicht gewährten und deshalb verfallenen gesetzlichen Mindesturlaub schuldet die Beklagte ebenfalls Schadensersatz, und zwar in Höhe von 2.214,00 € brutto. Diesen Urlaub hat die Klägerin zwar nicht rechtzeitig geltend gemacht, doch hat dies die Beklagte wegen der Nichtaushändigung eines schriftlichen Nachweises über die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs, § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 NachwG zu vertreten.

a.

Befindet sich ein Arbeitgeber mit der Aushändigung der gemäß § 2 NachwG geschuldeten Niederschrift in Verzug, hat er gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB den durch den eingetretenen Verzug adäquat verursachten Schaden zu ersetzen. Der Schadensersatzanspruch ist auf Naturalrestitution gerichtet (§ 249 Satz 1 BGB). Deshalb kann ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, so gestellt zu werden, als wäre etwa ein Zahlungsanspruch nicht untergegangen, wenn ein solcher Anspruch nur wegen Versäumung eines Ausschlussfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers bestehen würde. Bei der Prüfung der adäquaten Verursachung kommt dem Arbeitnehmer die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens zugute. Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jedermann bei ausreichender Information seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise wahrt. Dem Arbeitgeber bleibt die Möglichkeit, diese tatsächliche Vermutung zu widerlegen (BAG, Urteil vom 21.02.2012 - 9 AZR 586/10, NZA 2012, 750).

b.

Die Kammer hält diese Grundsätze auf die vorliegende Fallkonstellation für ohne weiteres übertragbar. Ihre Anwendung führt zu einem Schadensersatzanspruch der Klägerin.

aa.

Wegen des in den Jahren 2009 bis 2011 durchgehend bestehenden Arbeitsverhältnisses der Parteien hat die Klägerin für jedes dieser Jahre einen gesetzlichen Erholungsurlaubsanspruch von je 20 Tagen erworben. Daran ändert nichts, dass die Klägerin für rund 7,5 Monate zu Beginn des Jahres 2011 keine Arbeitsleistung erbracht hat, da der Erwerb des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpft. Die Urlaubsansprüche sind wegen ihrer aus § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG folgenden Befristung am 31.12. des jeweiligen Kalenderjahres verfallen.

bb.

Es steht zu vermuten, dass die Klägerin sich aufklärungsgerecht verhalten und ihre Urlaubsansprüche rechtzeitig geltend gemacht hätte, wenn sie den gebotenen schriftlichen Nachweis der Beklagten erhalten hätte.

(1)Nach dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 NachwG musste der Nachweis der Beklagten, den diese unstreitig nicht erteilt hat, die "Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs" beinhalten. Dass damit nur ein etwa über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender Urlaubsanspruch gemeint wäre, erschließt sich dem Gericht nicht. Der Wortlaut der Norm differenziert insoweit nicht. Gerade deswegen lässt sich dem Gesetz auch nicht entnehmen, dass es dem Gesetzgeber nur um einen Hinweis auf den Umfang und nicht auch um das Ob des Urlaubsanspruchs gegangen ist. Dass ein Informationsbedürfnis insoweit nicht gegeben wäre, weil davon ausgegangen werden kann, dass jeder Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Urlaubsanspruch kennt, trifft nach den Erfahrungen der Kammer jedenfalls für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer nicht zu. Ein Blick auf das Verhalten der Gesamtheit der bei der Beklagten tätigen Busfahrer und Begleitkräfte bestätigt die Richtigkeit dieser Einschätzung.

(2)Die Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens der Klägerin ("Wer seinen Urlaubsanspruch kennt, der nimmt ihn auch in Anspruch") hat die Beklagte nicht widerlegt. Hinweise darauf, dass die Klägerin aus anderweitigen Quellen von der Existenz ihres Erholungsurlaubsanspruchs wusste oder diesen unabhängig von ihrem Kenntnisstand so oder so nicht geltend gemacht hätte, lassen sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen. Auch insoweit spricht der Umstand, dass kaum einer der geringfügig Beschäftigten der Beklagten die Gewährung bezahlten Urlaubs verlangt hat, eher für das Gegenteil. Es spielt aus Sicht der Kammer im Übrigen keine entscheidende Rolle, ob sich hierunter Mitarbeiter befunden haben, die zwar über die Rechtslage im Bilde waren, sich jedoch schlicht nicht getraut haben, Urlaubsansprüche geltend zu machen. Auch diesen wäre nämlich mit dem gesetzlich gebotenen Nachweis des Urlaubsanspruchs geholfen gewesen. Wer als Arbeitgeber schriftlich das Bestehen eines bestimmten Urlaubsanspruchs fixiert, bringt damit konkludent zum Ausdruck, diesen auch erfüllen zu müssen und zu wollen. Dass der Gesetzgeber die damit einhergehende Herabsenkung der Hemmschwelle für die Arbeitnehmer bei Schaffung des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 NachwG mit bezweckt hat, erscheint durchaus wahrscheinlich.

cc.

Rechtsfolge einer rechtzeitigen Geltendmachung des Urlaubsanspruchs der Klägerin wäre gewesen, dass dieser Anspruch als Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB erhalten blieb und sich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien in einen Anspruch auf wertmäßige Abgeltung von 60 Urlaubstagen umwandelte. Der Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub ist dabei weder verfallen, noch hat die Klägerin durch die Vereinbarung vom 13.07.2012 wirksam auf ihn verzichtet, noch hat sie ihn verwirkt. Auf die Ausführungen unter oben I.3 wird verwiesen.

c.

Der Klägerin stehen betragsmäßig die jährlich geltend gemachten 738,00 € brutto zu. Ob der auf den Arbeitsbedingungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses basierende Rechenweg der Klägerin zutreffend ist (pro Urlaubstag 36,90 € brutto bei 4,1 Stunden zu je 9,00 €) oder sich der Schaden der Klägerin vielmehr nach den jeweiligen Stundenlöhnen der Klägerin in den Jahren 2009 bis 2011 und einer täglich vierstündigen Arbeitszeit richtete, bedarf keiner Entscheidung. Denn im letztgenannten Fall läge der Schadensersatzanspruch pro Urlaubstag selbst für das Jahr 2009 bei 37,00 € brutto (4 Stunden tägliche Arbeitszeit zu je 9,25 €) und damit höher als der eingeklagte. Dass die Forderung der Klägerin möglicherweise hinter dem eigentlich geschuldeten Betrag zurückblieb, ist zulässig und wegen § 308 Abs. 1 ZPO vom Gericht hinzunehmen.

V.

Der Zinsanspruch der Klägerin ist gemäß §§ 288, 291 ZPO begründet.

C.

Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung ergänzenden Lohns für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis zum 22.11.2012 in Höhe von 1.107,90 € brutto nebst Zinsen verurteilt. Auf die Ausführungen unter C.I.1. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Im Hinblick auf die mit der Anschlussberufung erhobenen Einwendungen gegen die Richtigkeit der dortigen Erwägungen (Vereinbarung einer Wochenarbeitszeit von bis zu 20,5 Stunden, zeitweise fehlendes Arbeitsangebot der Klägerin) wird auf die Ausführungen des Gerichts unter oben I.2.a.; II.1., 2. verwiesen.

D.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs.1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision zugunsten der Beklagten beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Das Gericht hat mehreren entscheidungserheblichen Rechtsfragen (Aufschlag von 25% auf das Entgelt geringfügig Beschäftigter zur Herstellung der Vergleichbarkeit mit üblichen Bruttolöhnen im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung, Schadensersatzanspruch für verfallenen Urlaub wegen Verletzung der Nachweispflicht des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 NachwG) grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Für die Klägerin war die Revision mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.

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