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Arbeitsrecht
03.09.2015
Arbeitsrecht
LAG Schleswig-Holstein: Kündigung wegen „Sitzstreiks“ zur Durchsetzung einer Vertragsänderung

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6.5.2015 – 3 Sa 354/14

Amtliche Leitsätze

Ein mehrstündiger „Sitzstreik“ im Dienstzimmer des Vorgesetzten zur Durchsetzung eines AT-Vertrages kann auch bei langjähriger Betriebszugehörigkeit ohne vorherige Abmahnung jedenfalls eine verhaltensbedingte fristgemäße Kündigung rechtfertigen.

Entschließt sich der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Tatkündigung dazu, den Arbeitnehmer zum Kündigungssachverhalt anzuhören, hemmt dies in der Regel den Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung und einen hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten. Vorgeworfen wird der Klägerin u.a. Hausfriedensbruch und Nötigung mittels einer „Sitzblockade“ zur Durchsetzung einer Gehaltserhöhung.

Die jetzt 44-jährige Klägerin ist verheiratet und keiner Person zum Unterhalt verpflichtet. Sie ist seit dem 01.03.1992 bei der Beklagten beschäftigt, seit Juni 2012 als Leiterin des Zustellstützpunktes L.. In dieser Funktion war sie Vorgesetzte von rund 300 Zustellern. Die Klägerin ist in die höchste tarifliche Entgeltgruppe, die Entgeltgruppe 9 eingruppiert und erhielt zuletzt 4.807,37 EUR brutto monatlich.

Nach einer bundesweiten Ausschreibung der Position des Leiters des Zustellstützpunktes L. wurde ihr die ausgeschriebene Aufgabe zum 13.01.2014 unter Bestätigung der Entgeltgruppe 9 förmlich übertragen. Seither verlangte die Klägerin in einer Vielzahl von mit dem Niederlassungsleiter und/oder ihrer Abteilungsleiterin geführten Gesprächen eine Vergütung als außertarifliche Angestellte. Nachdem der Klägerin letztendlich am 15.04.2014 durch den Niederlassungsleiter in L. abschließend mitgeteilt wurde, dass sie keinen AT-Vertrag erhalten könne und werde, forderte sie am 21.05.2014, 22.05.2014 und 23.05.2014 erneut einen solchen AT-Vertrag. Sie wurde in diesem Zusammenhang vom Niederlassungsleiter schließlich am 23.05.2014 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass keine Bereitschaft mehr zur Erörterung der Vergütungsfrage bestehe. Daraufhin erklärte die Klägerin zunächst mündlich, dann schriftlich, dass sie mit sofortiger Wirkung von ihrem Dienstposten als Betriebsleiterin L. zurücktrete. Gleichzeitig bat sie um Zuweisung einer anderen Tätigkeit. Per Mail vom 25.05.2014 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie nicht durch einseitige Erklärung ihren Posten aufgeben könne und ihre Tätigkeit bis zur Lösung der Angelegenheit weiter zu verrichten habe. Schließlich wurde die Klägerin zu einem Gespräch über die weitere Zusammenarbeit für den 28.05.2014 um 16.00 Uhr eingeladen.

Die Klägerin nahm den Termin am 28.05.2014 wahr und forderte erneut und nachhaltig einen AT-Vertrag, was zurückgewiesen wurde. Um 16.50 Uhr beendete der Niederlassungsleiter das Gespräch und forderte die Klägerin zum Verlassen des Dienstzimmers auf. Das verweigerte diese mit dem Hinweis, sie gehe erst, wenn ihre Bedingungen erfüllt seien. Die Klägerin veränderte ihren Standpunkt trotz eines Hinweises auf das Hausrecht und Fristsetzung zum Verlassen nicht, so dass letztendlich der Niederlassungsleiter und die Abteilungsleiterin Personal den Raum verließen. Auch der von diesen eingeschalteten unmittelbaren Vorgesetzten der Klägerin gelang es nicht, die Klägerin zum Gehen zu bewegen. Die Klägerin verblieb allein im Dienstzimmer des Niederlassungsleiters. Nach knapp einer Stunde kehrten die drei Führungskräfte der Beklagten in das Dienstzimmer zurück, aus dem sich die Klägerin nach wie vor nicht entfernt hatte. Angebote, den Ehemann anzurufen oder ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen, lehnte die Klägerin ab. Sie forderte weiterhin einen AT-Vertrag, vorher gehe sie nicht. Sie blieb bei ihrer Haltung, obgleich sie der Niederlassungsleiter darauf hinwies, dass sie eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begehe, sie das Hausrecht verletze, was strafrechtliche Konsequenzen haben könne, sie den Ausspruch einer Kündigung riskiere und ihr androhte, die Polizei zu rufen. Sodann wurde die Polizei eingeschaltet. Der gelang es letztendlich um 18.45 Uhr, die Klägerin in ein zur Verfügung gestelltes Besprechungszimmer zu geleiten. Nachdem ihr dort gegen 19.30 Uhr ein schriftliches Hausverbot und eine Freistellung von der Arbeitsleistung überreicht worden waren, verließ sie schließlich gegen 19.40 Uhr in Begleitung der Polizisten das Betriebsgelände.

Am frühen Morgen des Folgetages (29.05.2014) versandte die Klägerin an zahlreiche Mitarbeiter der Niederlassung L. sowie den „Produktionschef Brief Deutschland“ in B. eine E-Mail, in der sie sich ohne Schilderung ihrer eigenen Vorgehensweise als Bauernopfer bezeichnete und u. a. schrieb: „Wer solche Vorgesetzten hat, benötigt keine Feinde mehr“ (Bl. 41, 42 d. A.). Das ihr am 31.05.2014 unterbreitete Angebot der Abteilungsleiterin Personal, sich von der Betriebsärztin untersuchen und beraten zu lassen sowie die betriebliche Sozialberatung in Anspruch zu nehmen, lehnte die Klägerin ab, zuletzt am 03.06.2014. Daraufhin räumte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 05.06.2014 die Möglichkeit ein, zu einer evtl. beabsichtigten, ggf. außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung bis zum 12.06.2014 Stellung zu nehmen. Die Klägerin antwortete durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 12.06.2014 (Bl. 14 ff d. A.).

Der mit Schreiben vom 23.06.2014 angehörte Betriebsrat widersprach am 24.06.2014 sowohl dem Ausspruch einer außerordentlichen als auch dem Ausspruch einer hilfsweise ordentlichen Kündigung der Klägerin. Sodann kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.06.2014 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.01.2015.

Der hiergegen am 30.06.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die fristlose Kündigung scheitere schon an der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, da die Klägerin infolge des feststehenden Sachverhalts nicht mehr habe angehört werden müssen. Das Verhalten der Klägerin sei nicht sehr gravierend, auch nicht aggressiv, teilweise erkennbar kindisch gewesen. Angesichts der langen Betriebszugehörigkeit habe unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur eine Abmahnung ausgesprochen werden dürfen. Den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten hat das Arbeitsgericht ohne jegliche Entscheidungsgründe zurückgewiesen.

Gegen dieses der Beklagten am 21.10.2014 zugestellte Urteil hat sie am 31.10.2014 Berufung eingelegt, die am 17.12.2014 begründet wurde.

Sie ist der Ansicht, schon die außerordentliche Kündigung sei wirksam. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten, da die Anhörung der Klägerin vom 05.06.2014 nicht nur vorgeschoben, sondern ernsthaft als notwendig angesehen worden sei, um abzuklären, ob die Klägerin zu ihrer Entlastung für ihr Verhalten medizinische Gründe verantwortlich mache. Die Klägerin habe mittels ihres „Sitzstreiks“ beharrlich ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Sie habe die Beklagte genötigt und darüber hinaus einen Hausfriedensbruch begangen. Sie habe sich im Ton vergriffen und sich auch nicht in einem psychischen Ausnahmezustand befunden, was sie selbst erklärt habe. Trotz nachhaltigen Hinweises der Beklagten auf das Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung und trotz der Konfrontation mit einer möglichen außerordentlichen Kündigung habe die Klägerin den Raum nicht verlassen. Erst die Polizei habe sie dazu bewegen können. Die Klägerin habe auch keineswegs im Affekt gehandelt. Das zeige sich bereits daran, dass sie nach einer „Überlegungszeit“ am Folgetag auch noch eine E-Mail an diverse Kollegen und Vorgesetzte mit beleidigendem Inhalt in Bezug auf ihre Vorgesetzten verschickt habe. Das Verhalten der Klägerin beinhalte massive Pflichtverstöße, die das Vertrauen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nachhaltig zerstört hätten. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Klägerin Führungskraft sei. Vor diesem Hintergrund sei es der Beklagten auch angesichts der langjährigen Betriebszugehörigkeit nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen oder gar nur eine Abmahnung auszusprechen, jedenfalls aber sei es gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Lübeck vom 08.10.2014 - 4 Ca 1607/14 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck, Az. 4 Ca 1607/14, vom 08.10.2014 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Gerade unter Berücksichtigung der langjährigen Betriebszugehörigkeit und der Einmaligkeit des Vorliegens einer Pflichtverletzung sei nur eine Abmahnung verhältnismäßig und daher ausreichend.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Aus den Gründen

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

II. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das streitbefangene Verhalten der Klägerin durch ihren „Sitzstreik“ vom 28.05.2014 und die Versendung der E-Mail an diverse Mitarbeiter am Folgetag stellt eine derart gravierende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, das auch unter Berücksichtigung der 22-jährigen Betriebszugehörigkeit eine fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigt. Die fristlose Kündigung hingegen ist unwirksam, da unverhältnismäßig.

1. Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht im Ergebnis, jedoch nicht in der Begründung, soweit dieses die außerordentliche fristlose Kündigung als unwirksam eingeordnet hat.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen.

Gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

b) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts scheiterte die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung der Beklagten vom 25.06.2014 nicht bereits an § 626 Abs. 2 BGB. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die fundierte Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Solange diese dem Kündigungsberechtigten nicht umfassend bekannt sind, kann dessen Kündigungsrecht nicht verwirken. Dabei gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer sprechen. Sie lassen sich regelmäßig nicht ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers erfassen (BAG vom 25.11.2010 – 2 AZR 171/09 -, zitiert nach Juris, Rz. 15 m.w.N.). Die Anhörung des Gekündigten vor dem Ausspruch einer Tatkündigung ist zwar regelmäßig keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine außerordentliche Kündigung. Mit einer Anhörung handelt der Kündigende allerdings im eigenen Interesse. Wenn er sie unterlässt, geht er das Risiko ein, dass der Gekündigte im Prozess ihn entlastende Umstände vorträgt, die einen wichtigen Grund ausschließen und bei deren Kenntnis die Kündigung nicht ausgesprochen worden wäre. Schon um einen aussichtslosen Prozess zu vermeiden, empfiehlt es sich, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung den Sachverhalt durch Anhörung des Betroffenen aufzuklären (KR-Fischermeier, Rz. 32 zu § 626 BGB).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund war die Beklagte gut beraten, die Klägerin zu ihrer Vorgehensweise vom 28.05. und 29.05.2014 anzuhören, bevor eine Entscheidung getroffen wurde, ob eine Abmahnung ausreicht und ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Das Verhalten der Klägerin, die immerhin 22 Jahre lang ohne jegliche Beanstandung gearbeitet hatte, war einerseits derartig hartnäckig, andererseits derartig ungewöhnlich, dass eine Anhörung nach „Abkühlen der Situation für die Klägerin“ nach der Überzeugung der Kammer gerade auch zur Ermittlung etwaiger entlastender Faktoren angezeigt war. So konnte die Beklagte vor einer abschließenden Entscheidung ihrerseits klären, ob das ungewöhnliche Verhalten der Klägerin doch einem Affekt zugeordnet werden würde oder unter Umständen aus medizinischen Gründen als entschuldbar angesehen werden konnte. Dazu hätte es aber einer entsprechenden Einlassung der Klägerin bedurft. Ebenso konnte abgeklärt werden, ob die Klägerin bezüglich der Untragbarkeit ihres Verhaltens einsichtsfähig ist und vor diesem Hintergrund eine Abmahnung in Erwägung zu ziehen wäre. Das abzuklären, entspricht dem Normzweck des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Diesen Normzweck hat die Beklagte mit ihrer Anhörung eingehalten. Die Klägerin hat ihre Antwort erst am 12.06.2014 abgegeben. Erst mit Zugang dieser Stellungnahme bei der Beklagten begann der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Kündigung ging der Klägerin am 25.06.2014 zu, damit innerhalb der zwei Wochen.

c) Die außerordentliche fristlose Kündigung ist jedoch unwirksam, da der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen angesichts der langjährigen Betriebszugehörigkeit jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war.

Die Klägerin hat durch ihr Verhalten vom 28.05.2014 und vom 29.05.2014 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nachhaltig verletzt. Sie hat das Hausrecht der Beklagten ignoriert. Sie hat zur Durchsetzung ihrer Forderung nach einem AT-Vertrag das Dienstzimmer des Niederlassungsleiters blockiert und über einen Zeitraum von mehr als zwei Stunden trotz ausdrücklicher Aufforderungen das Hausrecht missachtet. Sie hat erst nach Aufforderung der herbeigeholten Polizeibeamten und in deren Begleitung das Dienstzimmer geräumt. Sie hat erst rund dreieinhalb Stunden nach Beginn des Gespräches nach vorheriger Aushändigung des Hausverbots in Begleitung der Polizei das Betriebsgelände verlassen. Kein Arbeitgeber ist verpflichtet, ein derartiges Verhalten seines Arbeitnehmers zu tolerieren.

Die Klägerin hat darüber hinaus ihre arbeitsvertraglichen Pflichten weiter verletzt, indem sie am Morgen des Folgetages, dem 29.05.2014, per E-Mail unter Unterdrückung einer Darstellung der Vorkommnisse vom Vortag und ihres eigenen Verhaltens gegenüber einer Vielzahl von E-Mailempfängern ihre Vorgesetzten herabgewürdigt und sie einer feindlichen Haltung bezichtigt hat. Diese Vorgehensweise beeinträchtigt nachhaltig den Betriebsfrieden. Diese Vorgehensweise der Klägerin ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung zu bilden.

d) Gleichwohl war es nach der Überzeugung der Kammer der Beklagten unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles vorliegend zuzumuten, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Das Verhalten der Klägerin am 28.05.2014 ist nach wie vor rational nicht zu erklären und auch nicht nachzuvollziehen. Alles spricht dafür, dass sich die Klägerin selbst nicht mehr unter Kontrolle hatte. Vergleichbares war in den zurückliegenden 22 Jahren der Betriebszugehörigkeit nicht vorgekommen. Die Klägerin hat beanstandungsfrei gearbeitet. Vor diesem Hintergrund gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich ein solches Verhalten zeitnah wiederholt hätte, so dass die Beklagte die Kündigungsfrist nicht mehr hätte abwarten können. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Klägerin bereits über eine sehr lange Betriebszugehörigkeit von 22 Jahren verfügt. Besonders ins Gewicht fällt auch, dass in der gesamten 22-jährigen Beschäftigungszeit zuvor keinerlei Beanstandungen des Arbeitsverhaltens vorliegen. Das hartnäckige Verlangen eines AT-Vertrages berührt zudem nicht die unmittelbare Arbeitsvertragspflicht der Klägerin als Leiterin des Zustellstützpunktes L.. Mit den diesbezüglichen konkreten Leitungsaufgaben gegenüber den Zustellern hatte es nichts zu tun. Vor diesem Hintergrund ist nach der Überzeugung der Berufungskammer die Kündigung als außerordentliche, fristlose Kündigung unwirksam, da unverhältnismäßig.

2. Die Kündigung vom 25.06.2014 hat hingegen das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen fristgemäß mit Ablauf des 31.01.2015 beendet. Sie ist nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

a) Wie bereits dargelegt, stellt das Verhalten der Klägerin vom 28.05.2014, perpetuiert am 29.05.2014, eine nachhaltige und gravierende Pflichtverletzung dar. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ergibt die erforderliche Interessenabwägung zwischen dem Beendigungsinteresse der Beklagten und dem Bestandsschutzinteresse der Klägerin, dass die fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung billigenswert und angemessen ist. Eine Abmahnung war auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hier nicht erforderlich.

b) Zugunsten der Klägerin sind zwar auch insoweit ihre langjährige Betriebszugehörigkeit und das Fehlen jeglicher vorheriger Abmahnungen zu berücksichtigen. Ihre begangene arbeitsvertragliche Pflichtverletzung ist jedoch so schwerwiegend, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt. Der Klägerin ging es ausschließlich um die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen. Dabei hatte sie noch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf Herbeiführung eines AT-Vertrages, den sie abgesehen davon auch nicht mit derartigen Mitteln hätte durchsetzen dürfen. Die Klägerin war hartnäckig und ignorant gegenüber dem Hausrecht der Beklagten, und das über Stunden. Sie hat der Beklagten ihre Anwesenheit und ihr Verlagen nach einem AT-Vertrag im Dienstzimmer des Niederlassungsleiters aufgenötigt. Die Beklagte hat sich vielfältig um Deeskalation bemüht und versucht, der Klägerin „goldene Brücken“ zu bauen und ihr einen Rückzug zu ermöglichen. Sie hat sie auf ihr Hausrecht hingewiesen und dann das Dienstzimmer verlassen. Sie hat der Klägerin dadurch eine unbeeinflusste Bedenkzeit ermöglicht. Die Beklagte hat die direkte Vorgesetzte zur Vermittlung eingeschaltet, ergebnislos. Sie hat nach zwei Stunden die Klägerin ausdrücklich auf das Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung hingewiesen. Sie hat die Klägerin ebenfalls ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie bei Aufrechterhaltung eine Kündigung riskiere. Die Beklagte hat ihr damit bereits eine mündliche Abmahnung erteilt. Sie hat die Klägerin weiter darauf hingewiesen, dass sie ein Hausverbot erteilen könne und werde, wenn sie das Dienstzimmer nicht räume. Sie hat der Klägerin angedroht, die Polizei zu holen. Sie hat der Klägerin angeboten, Kontakt zu ihrem Ehemann aufzunehmen und dadurch einen Ausweg aus der Situation zu finden. Sie hat der Klägerin angeboten, ein Betriebsratsmitglied herbeizuholen. All das hat die Klägerin ausgeschlagen. Diese hat die Polizei holen lassen und dann erst mittels staatlicher Gewalt das Dienstzimmer verlassen. Die Klägerin hat es darauf nicht beruhen lassen. Sie hat danach die bereits eskalierte Situation weiter eskaliert. Sie hat trotz Überschlafens der Angelegenheit nicht eingelenkt. Sie hat vielmehr den bisher hausinternen Konflikt in die Betriebsöffentlichkeit getragen, und zwar unter unvollständiger Sachverhaltsdarstellung, verbunden mit Angriffen auf die Vorgesetzten. Die Klägerin ist Führungskraft. Sie ist Leiterin eines Stützpunktes. Ihr Verhalten sowohl am 28. als auch am 29.05.2014 ist untragbar für eine Führungsposition. Das gilt erst Recht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin in die Betriebsöffentlichkeit gegangen ist. Es gibt keine Entschuldigung für das Vorgehen der Klägerin. Sie hat sich weder auf eine Affekthandlung gestützt noch auf medizinische Entschuldigungsgründe. Das Vorliegen derartiger Entschuldigungsgründe hat sie ausdrücklich verneint.

Damit war und ist die Klägerin für die Beklagte und deren Kritik nicht „erreichbar“. Diesen Eindruck hat sie aufgrund ihrer Einlassungen in der Berufungsverhandlung auch bei der Berufungskammer hinterlassen. Die Klägerin hat Führungsverantwortung und damit Vorbildfunktion. Die Klägerin sieht aber weder eine Außenwirkung ihres Verhaltens, noch etwaige Berührungspunkte mit ihrer Leitungsfunktion. Die Klägerin blickt nicht auf den Hausfriedensbruch, sondern darauf, dass sie keinen AT-Vertrag erhält, was sie aber nicht einsieht, weil andere einen solchen auch haben. Die Klägerin sieht sich als Opfer, weil die Beklagte die Polizei eingeschaltet hat. Die Klägerin hat eine Beschäftigung ohne Leitungsfunktion abgelehnt. Damit kommt auch als milderes Mittel keine diesbezügliche Tätigkeitsveränderung in Betracht.

Anders als das Arbeitsgericht meint, wäre nach der Überzeugung der Berufungskammer vorliegend eine Abmahnung nicht ausreichend gewesen. Sie ist bereits am 28.05.2014 von Herrn B. in dem Gespräch mündlich abgemahnt worden, in dem dieser ihr unstreitig mitgeteilt hat, dass sie eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begehe und eine Kündigung riskiere. Sie hatte hinreichend Zeit, sich diese Abmahnung zu Herzen zu nehmen. Gleichwohl hat die Klägerin noch eine volle Stunde lang das Dienstzimmer des Niederlassungsleiters blockiert und es auch danach nicht freiwillig, sondern erst mittels Staatsgewalt geräumt. Angesichts dessen sowie angesichts der Tatsache, dass die Klägerin dann am folgenden Morgen noch mit bewusst lückenhafter Sachverhaltsdarstellung Betriebsöffentlichkeit hergestellt und unkorrekte Anschuldigungen erhoben hat, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Abmahnung zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrages notwendigen Vertrauens ausreicht, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken. Das Vertrauensverhältnis ist durch das hartnäckige Verhalten der Klägerin nachhaltig und unwiederbringlich zerstört.

3. Der ausgeurteilte Zeugnisanspruch ergibt sich aus § 630 BGB. Die Beklagte ist diesem Anspruch in ihren Schriftsätzen nicht entgegengetreten.

4. Aus den genannten Gründen war das angefochtene Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abzuändern. Die gegen die fristgemäße Kündigung der Beklagten war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO und entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen.

Die Revision war nicht zuzulassen. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

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